Verantwortung der Mütter

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Ina Praetorius:

Auch wenn ich vollkommen verstehe, was Ihr mit dem Satz "Mütter tragen die volle Verantwortung für ihre Kinder" (S.18) sagen wollt, wird es mir bei diesem Satz doch angst und bang - aus Erfahrung. Für mich war die Gewissheit, diese Verantwortung teilen zu können, Voraussetzung dafür, überhaupt in Erwägung zu ziehen, ein Kind zu bekommen. Diese Gewissheit hat also in meiner Erfahrung (selbstverständlich einer "im Patriarchat" angesiedelten Erfahrung) primären, nicht - wie bei Euch - sekundären Status. An diesem Punkt komme ich in Clinch zwischen der (Folge-)Richtigkeit Eurer Aussage und meinen tatsächlich gemachten Muttererfahrungen.

 

Andrea Blome:

liebe flugschrift-frauen, eure flugschrift habe ich neugierig erwartet, ebenso gespannt zur hand genommen - und war selten so irritiert von einer lektüre. ich will vorweg schicken, dass es zahlreiche thesen in dem bändchen gibt, die mich positiv inspirieren, so der gedanke von der liebe zu den dingen in der rede von gelingenden beziehungen. er macht das kapitel zur arbeitslosigkeit überzeugend. aber es gibt ebenso viele thesen, die mich zu widerspruch herausfordern.

ihr schreibt gleich zu beginn, dass ihr euch dessen bewusst seid, dass eure aussagen in die alten politischen lager eingeordnet werden können, und ich muss gestehen, dass mir genau das passiert ist. vor allem die beiden kapitel über mutterschaft und das leben mit kindern kann ich nicht anders lesen als in ihrer gefangenheit in einer alten mutterschafts-ideologie. wie sonst soll ich deuten, wenn ihr von der alleinigen verantwortung der mütter schreibt, von authentischer mutterschaft, der "rhetorik" vom gleichberechtigten engagement von vätern usw. ich bin nicht einverstanden mit eurer these, dass frauen mehr und mehr in dem bewusstsein lebten, sie seien zur vollen verantwortung für ihre kinder nicht in der lage und müssten sich von männern helfen lassen bzw. seien auf die anleitung und unterstützung staatlicher institutionen angewiesen. ich halte es für eine errungenschaft, dass frauen nicht mehr die alleinige verantwortung für ihre kinder haben müssen, ich halte es auch um der kinder (nicht nur der söhne) willen für gut und richtig, wenn andere personen - väter, co-mütter, freundinnen... - nicht erst dann einbezogen werden, wenn "mütter nicht mehr authentisch auftreten". ehrlich gesagt, halte ich eine solche these für gefährlich. sie unterstützt die politischen tendenzen, die frauen, die mütter werden, aus dem erwerbsleben, aus der entscheidung für beruf und kinder (die immer ein teilen der erziehungsarbeit erfordert) herausideologisieren will. ich werde den verdacht nicht los, dass eurer rede von dem authentisch-sein etwas naturhaftes, instinktives, ursprüngliches anhaftet, das ich grundsätzlich in frage stelle. auch mutter sein muss frau lernen. dazu hilfe in anspruch zu nehmen, sich rat zu holen, sich begleiten, entlasten zu lassen (und zwar nicht mur von frauen), stellt das authentisches mutter-sein in frage? im lesen der flugschrift kamen mir immer wieder die alten feministischen credos in den sinn (und ich frage mich, ob das ewig gestrig ist, da ihr ja das innovative präsentiert...), so barbara sichtermann, die 1982 in "Vorsicht Kind" schrieb, dass die einzige lösung, die belastung, die durch das zusammenleben mit einem kind unweigerlich entstehe, nur dadurch zu bewältigen sei, dass betreuung geteilt werde. die sprengung des mutter-kind-gettos, so eine ihrer thesen, biete den unverzichtbaren rahmen für eine autonomie der mütter. und autonomie verstehe ich in ihrem zusammenhang durchaus vergleichbar eurem begriff von freiheit. wenn gelingende beziehungen eine schlüsselkategorie eurer schrift sind, dann frage ich mich, ob die vision partnerschaftlicher erziehung, in der nicht nur die väter und andere, sondern auch die mütter mit-erziehende sind, hier überhaupt denkbar ist. zu der vision einer gelingenden beziehung in zusammenleben mit einem kind gehört für mich die tägliche herausforderung partnerschaftlicher erziehungsarbeit (sofern in der partnerschaft selbst an deren gelingen gearbeitet wird und werden kann), die nicht von der frau dirigiert werden muss. wieso gebt ihr das postulat der gleichberechtigten erziehungsarbeit auf zugunsten der installation von tanten, schwiegermüttern und müttern...? wenn der begriff weiblicher autorität, den ich im kontext des affidamento zu denken gelernt habe, den preis einer derartigen ausschließlichkeit kostet, frage ich mich, ob ich damit politisch denken und arbeiten kann. wie sieht die politische strategie aus, die sich aus einem solchen begriff ergibt? was ist mit den strukturellen errungenschaften wie erziehungsgeld und- urlaub, anspruch auf kindergartenplätze, kindergeld (deren frauenpolitische unzulänglichkeiten ich nicht in frage stelle) usw.?

so viel für's erste. bin ich allein mit meiner irritation und kritik?

 

Ina Praetorius:

ja, das ist er tatsächlich, der neuralgische Punkt dieser Flugschrift. Und die Fragen, die Du, Andrea stellst, sind alle berechtigt, wenn das auch noch nicht heissen soll, dass sie alle positiv zu beantworten sind... Auch meine allererste schriftliche Reaktion bezieht sich auf die „Mutterfrage“. Und bezeichnenderweise kam postwendend von Antje die stossseufzende Antwort, dass frau eben doch irgendwie merke, dass keine der Flugschriftautorinnen selbst Mutter ist. (Aufgepasst: das habe nicht ich  gesagt!) Ich glaube, alle  Frauen, die mir gegenüber auf die Flugschrift reagiert haben, sind an diesem Punkt irritiert - um nicht zu sagen: wütend, enttäuscht, verärgert... Ich bin auch irritiert, aber auch erleichtert, dass die Flugschrift endlich eine Gelegenheit bietet, diesen Punkt direkt anzusprechen. Denn einerseits finde ich auch die "alleinige Verantwortung" ein starkes Stück und ziemlich weit weg von meinen feministisch-mütterlichen Erfahrungen. Andererseits finde ich es nach wie vor einen Skandal, dass Frauen heute gezwungen sind, ihr Mutterseinkönnen abzuwerten, herunterzuspielen, sogar abzustreiten, um einen "Wert" als "Menschen" zu bekommen. Kurz: ich bitte euch, seid irritiert, aber macht nicht auf Konfrontation. Das hatten wir schon (mehrfach), und das bringt absolut nichts. Es ist wichtig, die Frage nach der politischen Strategie und dem Umgang mit der modernen Errungenschaft einer geteilten Verantwortung zu trennen von der Grundsatzfrage nach dem Wert und der Bedeutung der Mutterschaft. An diesem Punkt müsste eine nächste Flugschrift sicher präziser sein.

So viel für heute. Was gibts denn demnächst in der Schlangenbrut über die Flugschrift zu lesen? Könnten wir eventuell auch dort ein bisschen über den neuralgischen Punkt diskutieren?

 

Antje Schrupp:

Meine Bemerkung, Ina, dass die Autorinnen keine Kinder haben, sollte nicht heissen, dass ich für den Inhalt nicht stehen will.Vor allem ist es wichtig, zu unterscheiden, obüeber das geredet wird, was ist, oder ob über das geredet wird, was sein soll. Wir haben die Formulierung über die Verantwortung der Mütter für ihre Kinder deshalb so deutlich gewählt, weil gerade hier in der gegenärtigen Diskussion (der symbolischen Ordnung) eben eine grosse Unordnung herrscht: Der - nach wie vor berechtigte und richtige - Wunsch, alle Eltern sollten sich um ihre Kinder kümmern, wird inzwischen nämlich nicht mehr als Wunsch oder politische Forderung gehandelt, sondern so, als wäre er längst Realität. Zum Beispiel: Kurse zur Babypflege, die zu 90 Prozent von Frauen besucht werden, heissen Elternkurse. In der Werbung wickeln muskelgestähle Männer Babies. Überall ist eben von Eltern die Rede und nirgendwo mehr von Müttern. Aber die realen Menschen, von denen da die Rede ist, sind eben Mütter und nur in Ausnahmefällen mal Väter. Was mir wichtig ist ist, dass dieser Zustand zunächst einmal wieder in Erinnerung gerufen wird und dazu muss man ihn auch so benennen. Was dann werden soll, ist eine andere Frage.

Was aber soll werden? Wenn man die Lösung vor allem in der gleichberechtigten Partnerschaft sieht, dann hängt alles von einer Verhaltensänderung der Männer ab (oder davon, ob die Frauen es schaffen, sich ihre Männer entsprechend zu erziehen). Das finde ich sehr unbefriedigend und vor allem wenig erfolgversprechend. Die Mütter müssen die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, das heisst für mich, sie müssen mit dieser Realität, dass sie die Verantwortung schlichtweg haben, rechnen, und nicht so tun, als könnten sie sie mit den Männern teilen (von denen, die sie teilen können, abgesehen). Ganz blöde finde ich es, und das ist mir auch schon begegnet, wenn die Frauen es herunterspielen, dass die Väter ihrer Kinder nicht angemessen miterziehen, bloss damit sie nicht "unemanzipiert" erscheinen. Übrigens ist dieser "neuralgische" Punkt auch der, wo sich die meisten Männer entrüsten, die mir was zu der Flugschrift gesagt haben. Bei fast allen hatte ich den Eindruck, sie leiden beim Lesen unter ihrer symbolischen Abwertung (dem Gefühl, nicht wichtig genommen zu werden). Das gefällt mir, denn so ist es gemeint. Derzeit sind die Männer nämlich symbolisch überbewertet und gerade in der Diskussion um Vaterschaft. Zudem beschweren sich ganz frech grade auch die, die zwar Kinder haben, aber weit von "gleichberechtigter" Vaterschaft entfernt sind. Der einzige, der unseren Thesen zugestimmt hat, war auch der einzige, den ich kenne, der seine Tochter richtig und voll verantwortlich und gleichberechtigt erzieht. Ich habe ihn zur Mutter ehrenhalber ernannt.

 

Ina Praetorius:

Also, was ich zur Vätermütterfrage sagen wollte, war dies: Wir sollten eine realistische Bilanz darüber ziehen, was uns Frauen - v.a. Müttern - dieses Konzept der geteilten Elternverantwortung bisher gebracht hat. Dabei ist die Erfahrung und die Ehrlichkeit jeder Frau gefragt. Hier meine Erfahrung: Kürzlich habe ich meine Tagebücher vom Sommer 1989 (am 18.4.89 ist meine Tochter geboren) wieder mal gelesen. Da steht drin, dass die "Verantwortung" des Vaters damals in erster Linie in endlosen Debatten bestand, in denen ich ihm klarzumachen versuchte, dass er diese Verantwortung hat und wie er sie wahrnehmen soll/kann, und dies, obwohl wir schon seit mehr als zehn Jahren feministische Grundsatzdebatten geführt hatten. Das alles hat viel Zeit und Energie gekostet, von der eine am allerwenigsten profitiert hat: das Baby. Kürzlich hat mein Mann nachdenklich zugegeben, dass ihm die wahre Bedeutung väterlicher Verantwortung erst aufgegangen ist, nachdem ich meine MS-Diagnose bekommen hatte und tatsächlich meine Mutterpflichten nicht mehr wahrnehmen konnte. Vorher hatte er sich, allen Debatten und aller Mehrfachbelastung meinerseits zum Trotz, stets als Ersatz-Babysitter gefühlt. Was allerdings wiederum nicht heisst, dass ich nicht trotzdem von den Zwischenzeiten, in denen der Ersatzbabysitter tätig war, für mein ausserhäusliches Leben profitiert habe... (Kompliziert). Frage: was fangen wir mit der Tatsache an (sollte sie sich als richtig erweisen, wofür auch viele Gespräche sprechen, die ich mit anderen Müttern geführt habe), dass die Rede von der Verantwortung der Väter uns vor allem eine Menge privater Diskussionen gebracht hat, in der wir versuchen, diese Verantwortung einzufordern? Was doch bedeuten würde, dass es sich tatsächlich vor allem um eine "Rhetorik" (in mehrfachem Sinne) handelt? Sollen wir darauf vertrauen, dass die Debatten mit der Zeit einen Bewusstseinswandel bewirken (steter Tropfen...), oder ist es realistischer, die "volle Verantwortung" für die Kinder wieder zu übernehmen, damit zum Ausdruck zu bringen, dass wir auf das Mutterseinkönnen stolz sind, es nicht als Defizit betrachten, die Verantwortung souverän von der mütterlichen Zentrale aus verteilen werden?

 

Andrea Blome:

Ja, die debatten, die du beschreibst kenne ich auch. mein sohn ist gerade acht monate alt, und ich habe in den vergangenen monatengemeinsam mit meinem partner hart daran gearbeitet, dass wir gemeinsam verantwortung für unser kind übernehmen und nach formen gesucht, wie das gehen kann. auch wenn wir von anfang an feste arbeits- und babyzeiten vereinbart haben, so hatte ich doch - rein zeitlich gesehen - oft das nachsehen.der vater des kindes zog sich nämlich hinter der tatsache zurück, dass ich als stillende mutter ja aus unmittelbar biologischen gründen für das kind in erster linie verantwortlich sein müsse. für mich war es eine wichtige erfahrung, mich meiner verantwortung für das kind  immer wieder zu entziehen. so z.b. die milch in der flasche zuhause zu lassen und meiner arbeit nachzugehen, auch wenn das stillen allen beteiligten zunächst bequemer erscheinen mag.f ür mich gehörte diese erfahrung ganz entscheidend zum mutter-sein-lernen dazu: wegzugehen, mich nicht für unersetzlich zuhalten und meinem mann und meinem kind ihre gemeinsame beziehung zuzumuten und sie sie entdecken zu lassen. in begriffen von verantwortung gesprochen bin ich fest davon überzeugt, dass nicht die debatten und die rhetorische überzeugungsarbeit früchte tragen, sondern die konsequente zurückweisung der vollen verantwortung, und zwar im alltäglichen zusammenleben. darum - und auch aufgrund der alltäglichen erfahrung, was es bedeutet, zwölf stunden oder länger ununterbrochen mit einem neugeborenen zusammenzu sein - überzeugte mich das votum von barbara sichtermann und entsprach so sehr meinem empfinden: die einzige lösung besteht im teilen der verantwortung (und damit sind nicht nur die väter angesprochen). denn eine reale entlastung der mütter scheint mir beim blick auf unsere verhältnisse unbedingt notwendig zu sein. darum widerspreche ich so sehr der rede in der flugschrift von der vollen verantwortung der mütter. und darum halte ich die alternative, die ina am ende benennt auch für keine glückliche. eine mütterliche zentrale setzt m.e. die permanente überforderung der mütter fort und ist - so glaube ich - der falsche weg, mütterlichen stolz zu begründen.

wenn antje schreibt, dass es in der flugschrift darum ging, diese symbolische unordnung zu benennen, dass es keine gleichberechtigte elternschaft gebe, so will ich nicht meine erfahrung, sondern eher eine (vielleicht veraltete) politische Option dagegen setzen. ich glaube, dass es keine alternative dazu gibt, an struktureller entlastung für mütter und damit an einer größeren freiheit im mutter-sein zu arbeiten. ich glaube nicht, dass alles von einer verhaltensänderung der männer abhängt (auch wenn ich mich zunehmend frage, welche "gelingenden beziehungen" ihr eigentlich meint). ich denke, dass es trotz aller ambivalenzen der politischen rhetorik gefährlich ist, die symbolische ordnung wiederherzustellen, indem die "authentische mutter", die die alleinige und volle verantwortung hat, zum ideal erhoben wird. das ist keine stärkung mütterlicher autorität, sondern glorifizierung patriarchaler verhältnisse, die ich als resignation empfinde.

 

Ina Praetorius:

Liebe Andrea, du steckst also "mittendrin". Und ich finde es richtig, was du sagst: weggehen ist besser als debattieren. So habe ich es damals auch gemacht (auch meine milch blieb in Joghurtgläsern gestapelt zuhause, was allerdings seinerseits zur folge hatte, dass ich an meinem arbeitsort immer wieder ziemlich lange auf dem klo sass, um die milch von hand abzupumpen, das liess sich aber ertragen, war besser als dauernd zuhause zu hocken). Zu Antjes Kritik an der sprachlichen unordnung bzgl. "eltern" und "mütter": die kurse sollten weder eltern- noch mütterkurse, sondern "kindererziehungskurse" heissen. ich gehe ja auch nicht in einen näherin- oder näherkurs, sondern in einen nähkurs. ein mittel, die geteilte verantwortung zu befördern, ist es meiner meinung nach, sich auf die tätigkeiten statt auf die personen, die sie ausführen, zu konzentrieren (vgl. sara ruddick, mütterliches denken: jedes kind ist adoptivkind, mit kindern zusammensein ist ein lernprozess...)

 

Ingeborg Dietsche:

"Mütter tragen die volle Verantwortung für ihre Kinder". Das möchte ich voll und ganz bejahen.Meine Mutter ist eine Kriegerwitwe und hat mir ihre Lebenskraft und Mutterstärke vermittelt. Als Kind habe ich mich immer gewundert, wenn meine Freundin von ihrer Mutter die Antwort bekam: "Da mußt du den Vater fragen", obwohl ihre Mutter auch hart arbeiten mußte und tatkräftig war. Zwar begriff ich später, daß ihre Mutter die Autorität des Vaters damit stärken wollte. Aber wir zwei haben schnell gespürt, ob es nur ein Vorwand für eine Ablehnung war oder ob sie sich wirklich nicht sicher war, was sie sagen sollte."Auhentisch sein", diese Aussage hängt eng damit zusammen. Ich bin 55 Jahre und habe vier eigene und ein Pflegekind aufgezogen . Authentisch sein bedeutete für mich immer, daß ich keinen Hehl aus meinem starken oder meinem manchmal auch schwankenden Willen gemacht habe. Mein Mann war und ist beruflich sehr eingespannt, ihm mußte ich alle familiären Probleme fern halten. Das habe ich auch getan, aber nicht wehleidig und vertuschend, sondern mich dabei als kraftvoll und entscheidungsmächtig empfunden. "Ver-Antwort-tung" bedeutet für mich, daß ich eine Antwort weiß und geben kann, daß ich sprachmächtig in Wort und Körperhaltung spreche. Denn warum sollte es nicht so sein? Respektheischende Stärke ist das Gegenteil von Machtlosigkeit, von einer Verantwortungs-Wahrnehmung, die mich selbst achten läßt. Es ist das Gegenteil von Willkür und Machtmißbrauch. Verantwortung wahrnehmen - ich will eine Antwort auf die intensivste Anfrage des Lebens geben, das ein Kind darstellt. Das bedeutet nicht, daß ich die Verantwortung nicht abgeben könnte, an andere Personen, die das Kind betreuen sollen - aber ich muß mir dann der Abgabe meiner Mutterstärke bewußt sein, ich gebe Verantwortung ab, um sie für ein anderes "Lebenskind", das auch der Beruf sein kann oder ein bestimmtes Projekt, einzusetzen. Das bedeutet ebenso, daß ich meine Verantwortung Stück für Stück dem Kind selbst übertragen darf und muß. Mein jüngste Tochter war 7 Jahre alt, als sie allein zuhause blieb, wenn ich auf der Baustelle arbeitete, um für den Betrieb das Telefon abzunehmen und die Nummer aufzuschreiben oder um einzukaufen, und sie war stolz darauf, daß ich ihr soviel Stärke und Verantwortung für sich selbst und ihre Aufgabe zutraute.

 

Ingeborg Dietsche:

Mütter tragen die volle Verantwortung - darauf versuchte ich im vorherigen Beitrag eine Antwort aus meinem persönlichen Gefühl der Stärke heraus zu geben. Andererseits - ich vermute, daß einmal Frauen mit patriarchalen Vätern diese Stärke kaum kennenlernen konnten und daß sie sich gerne als "Opfer" empfinden. Sie "verzichten" auf den Beruf, anstatt bewußt Verantwortung abzugeben - an wen auch immer - den Vater, Oma, Opa, Tagesmutter, Erzieherinnen, Lehrerinnen, Internat usw. und die freigesetzte Verantwortung ihrem anderen imaginären (Berufs-)"Kind" zu widmen. (Oder mit einem anderen Wort, den freigesetzten Verantwortungsbereich "Kind" auf einen anderen Bereich zu übertragen). Übernahme von Verantwortung muß honoriert werden, egal ob es die Übernahme von Verantwortung für ein Kind ist oder für eine berufliche Aufgabe. Eigentlich logisch......im Sinner der Männerlogik jedoch nur auf ihre "imaginäre höhere Verantwortung" anzuwenden.....für das Management....für den Ernährerstatus.....für das Patriarchat......! Frauen bleiben dadurch aus Männersicht in der Rolle eines Kindes. Deshalb JA zur Verantwortung - ohne Wenn und Aber und mit allen Konsequenzen!

 

Antje Schrupp:

Warum die Verantwortung der Mütter für ihre Kinder nichts mit Mütterideologie zu tun hat: Mutterideologie bedeutet doch, dass Ehefrau- und Muttersein als einziges Lebensziel einer Frau definiert wurde. Dazu gehörte auch, dass man ihr tatsächlich die Verantwortung für die Kinder gar nicht überließ, denn rechtlich, "ideologisch" und fast immer auch faktisch hatte eben der Ehemann das Sagen und die Ideologie diente dazu, das zu verschleiern. Dass Frauen heute die Verantwortung für ihre Kinder haben, ist also in gewisser Weise etwas Neues, und es wurde möglich, weil "die Liebe der Frauen zur Freiheit die Welt verändert" hat. Der Frauenbewegung sei Dank haben wir heute eine Fülle von Möglichkeiten, unser Leben zu gestalten. Nur deshalb ist Muttersein eine Verantwortung und nicht mehr einfach Schicksal. Genauso übrigens wie Karriere machen, in die Politik gehen, sich ganz raushalten etc. Andrea und Ina, ihr habt, im Bezug auf Kinder, denselben Weg gewählt, nämlich euch mit einem Mann zusammengetan, dem ihr zutraut, dass er Erziehungsarbeit mit euch teilt. Es gibt aber noch viele andere Möglichkeiten. Ich zum Beispiel habe (unter anderem) deshalb keine Kinder, weil "meine" Männer bisher nie solche waren, denen ich das zugetraut hätte. Andere Frauen haben Kinder in lesbischen Beziehungen, sind bewusst Alleinerziehende, oder haben Kinder in der Ehe mit einem Mann, der sie materiell versorgt. Und Frauen können sich auch noch ganz andere Wege ausdenken, z.B. ein Leben in Kollektiven, eine Kinderfrau anstellen, was auch immer. Jede dieser Möglichkeiten hat Vor- und Nachteile, und ich bin entschieden dagegen, eine davon zur "einzigen" Lösung zu erklären, weder individuell, noch gesellschaftlich. Was jede Frau letztendlich tut, das ist "Verhandlungssache" - sie muss mit den jeweils involvierten Vätern, Co-Müttern, Sozialämtern, Arbeitgebern etc. verhandeln, vor allem aber muss sie mit sich selbst verhandeln, nämlich darüber, was sie will, welche Arbeit sie auf sich nimmt, welche Dinge ihr wichtig sind und welche nicht so wichtig.

Zur Frage, welche politische Strategie daraus folgen kann: Sozialpolitische Errungenschaften stelle ich solange nicht in Frage, wie sie die Wahlmöglichkeiten von Frauen und den Verhandlungsspielraum, der dazu nötig ist, erweitern. Sozialhilfe, Kindergeld, Mutterschutz etc. tun das natürlich, und deshalb ist es gut, dass es sie gibt. Problematisch finde ich aber Versuche, durch Politik ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen, z.B. wie in einigen skandinavischen Ländern, wo der Erziehungsurlaub zwangsweise zwischen Mutter und Vater aufgeteilt wird (und wenn der Vater ihn nicht nimmt, kriegt ihn die Mutter auch nicht). Bestraft werden so weniger die Männer (denen das ganz egal ist), sondern diejenigen Frauen, denen es nicht gelingt, ihren Mann zum Erziehen zu bewegen - und wie schwierig das sein kann, habt Ihr ja beschrieben - aber auch die Frauen, die aus ganz anderen Gründen gerne den vollen Erziehungsurlaub nehmen wollen. Völlig richtig finde ich es, dass wir nach weiteren Wegen suchen müssen, um Mütter zu entlasten bzw. zu unterstützen. Genauso übrigens, wie alle anderen Frauen, die Arbeit leisten, die nicht in die Rubrik "Erwerbsarbeit" passt. In welche Richtung solche Überlegungen gehen könnten, dazu haben wir ja in den Kapiteln über Hausarbeit und Care-Arbeit Vorschläge gemacht. Auch in diesem Zusammenhang finde ich, dass die Forderung nach gemeinschaftlicher Erziehungsverantwortung, wenn sie als einziger Lösungsweg ausgegeben wird, problematisch ist: Begründet wird sie ja immer damit, dass Frauen in den Erwerbsarbeitsmarkt mehr eingebunden werden müssen (wollen? sollen?) - Gerade die Vormachtstellung dieses Bereichs (im Hinblick auf materielle Absicherung, gesellschaftlichen Einfluss etc.) halte ich aber für das eigentliche Problem der Gegenwart, das politisch dringend angegangen werden muss.

 

Ina Praetorius:

Es macht Spass, am Morgen, frisch geduscht, Eure powerigen Diskussionsbeiträge zu lesen. Schön hast Du das gesagt, liebe Ingeborg. Jetzt geh ich kochen. Wie bereits in der Schlangenbrut zu lesen war: eine meiner allerliebsten Beschäftigungen. Heut kommt das ganze Lehrerkollegium von Krinau (das sind drei Leute) zum Mittagessen zu uns. Und am Abend ist in der Pfarrhausstube ein Frauen-Videoabend. Wir gucken die Putzfraueninsel. Mit Snacks und Drinks. Bei alldem lässt sich wunderbar über volle Verantwortung ja oder nein nachdenken. Im Moment tendiere ich zu ja ja. Aus Lust und Begeisterung.

 

Ingeborg Dietsche:

zum Thema Mütterverantwortung  gibt es noch folgendes zu bedenken: Wenn Mütter Verantwortung abgeben, dann geben sie sie ab. Punkt. Aber gerade bei der Verantwortung für das Kind zeigt sich doch, daß viele Frauen gar nicht wirklich ihre Verantwortung an andere Menschen z.B. an den Vater abgeben wollen, denn das bedeutet Machtverlust - Entfernung von der von Ina angesprochenen Mütterideologie. Ich glaube, das ist wie ein Pendel der Frauenbewegung - einmal weniger Mutter - mehr Intellektuelle. Später stellten die Intellektuellen fest, es ist mühsam, nur intellektuell zu sein und Mutter sein wäre doch auch etwas - jedenfalls weniger mühsam......und es gelingt selbst Frauen, die kaum lesen und schreiben können..... Andererseits betonten in der Zeit der bürgerlichen Frauenbewegung ihre Vertreterinnen die Mütterlichkeit, die nicht an die Biologie gebunden sei und im Beruf wirksam werde. Heute kann ich ein Muttersein beobachten, mit dem ich mich nicht identifizieren kann. Es ist eine aufgeblähte Mutterrolle mit dem moralischen Anspruch an alle Nichtmütter, sich zu ducken und stillzuhalten, denn ihre (verwöhnten und anspruchsvollen) Kinder würden die Zukunft bedeuten. Diesen Müttermythos empfinde ich manchmal direkt als bedrohlich......jedenfalls für ungewollt Kinderlose....es zeigt auch, daß jeder Mythos, wenn er zu einem Glaubenssatz gemacht wird, Konflikte und Streit heraufbeschwört und interessierte Kreise diese Konflikte noch zu schüren versuchen........Eine distanzierte, hinterfragte und nüchterne Einstellung zur Mutterrolle, bzw. zur Berufsrolle als alleinigem Lebensziel ist deshalb wichtig - genauso wie für Männer auch. Dies enthebt uns nicht der politischen Mühe, für die individuellen Lebensmuster in jedem Fall ausreichend finanzielle Lebensgrundlagen zu fordern und dafür Verantwortung zu übernehmen.

 

Ina Praetorius:

Heute las ich in der Modebeilage unserer Zeitung diesen Satz: JETZT KOMMT DER GATTINNEN-LOOK... IRONISCH INDES IST, DASS JUST FUER DIE BERUFSTAETIGE FRAU AUF DAS IMAGE EINER KULTFIGUR ZURUECKGEGRIFFEN WIRD, DIE VON BERUF EHEFRAU WAR UND SICH MIT DEM GELD IHRES GATTEN VERGNUEGTE, DISKRET UND UNAUFFAELLIG... (Daneben ein Bild von Claudia Schiffer in Chiffon-Hemdbluse und Faltenrock). Vor ein paar Jahren hätte ich diesen Satz als sträflich verharmlosend getadelt. Heute freue ich mich, dass auch in der Modeberichterstattung am Symbolischen gearbeitet wird. Der Punkt ist doch, dass heute alles, was Frauen tun, immer mehr aus der Perspektive des wählenden und auch kalkulierenden Subjekts gedeutet wird, selbst der Modell-Status der <abhängigen> (?) Ehefrau der fünfziger Jahre. (Männer wie Rau oder Schröder erscheinen demgegenüber je länger je mehr als abhängig und eingeengt von starren Selbstbildern und festgezurrten Karrierezielen.) Aus dieser Perspektive, die ebenso lustbringend wie zukunftsweisend ist und die die Flugschrift konsequent einnimmt, erscheint nun eben auch das Muttersein als eine frei gewählte Aufgabe, für die ich stolz die volle Verantwortung übernehme. (Wenn ich eine Stelle antrete, dann sage ich ja auch nicht von vornherein, dass ich nur die halbe Verantwortung will.) Der Unterschied zwischen Kind und Arbeitsstelle ist, dass ich das Muttersein nur schwer oder gar nicht <kündigen> kann. Aber das ist, wie Ingeborg sagt, ja auch das einmalig Lebenshaltige an dieser Aufgabe. Kinder werden nicht von heute auf morgen gekündigt, sondern Schritt für Schritt in die Selbständigkeit geführt. Was soll an dieser Aufgabe eigentlich so schrecklich beengend sein?

<Mütterideologie> ist nur, wenn Mutterschaft als bewusstloser Naturprozess verstanden wird. Genau diese Voraussetzung aber dekonstruiert die Flugschrift, und deshalb, meine ich, handelt es sich bei dem Vorwurf, hier werde eine alte Ideologie aufgewärmt, um eine emotional verständliche (meine Gefühle sind auch drauf reingefallen und wissen bis heute noch nicht, wie sie ihre Verwirrung sachgerecht verarbeiten sollen), aber denkerisch unhaltbare hermeneutische Ungenauigkeit. Kurz: An unserem Knackpunkt-Satz "Mütter tragen..." ist logisch nichts auszusetzen. Die Frage ist, wie wir gefühlsmässig mit all den Ängsten vor Rückfällen ins Naturgesetzliche, vor faktischer Überforderung angesichts fortdauernder struktureller, z.B. finanzieller Probleme, vor unserer eigenen Verstrickung in Überreste patriarchaler Festschreibung umgehen.

 

Antje Schrupp:

Noch ein Nachschlag zur symbolischen Überbewertung der Väter, die ich ja schon mal kritisiert habe. In der brasilianischen Zeitschrift Veja (so eine Art Pendant zum Spiegel) ist diese Woche ein mehrseitiger Artikel mit der Überschrift: "Väter gesucht". Er will dafür werben, ganz mit emanzipatorischem Impetus, dass Väter mehr Erziehungsarbeit übernehmen. Und der Einstieg ist ungefähr so: "Untersuchungen haben gezeigt, dass die Gefahr der Drogensucht bei Kindern, die allein von der Mutter aufgezogen werden, 30 Prozent höher ist und dass Kinder, die ohne Vater aufwachsen, dreimal häufiger schlechte Schulabschlüsse haben. Siebzig Prozent der Jugendlichen in der Jugendhaftanstalt von Sao Paulo sind ohne Vater aufgewachsen...". Mit scheinwissenschaftlicher Attitüde wird hier eine symbolische Aufwertung der Männer betrieben, die in überhaupt keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Relevanz steht. Man werfe nur mal einen Blick auf die Liste der "Tipps" für Väter mit Besserungsabsichten: Sie sollten "den Namen des besten Freundes oder die Lieblingspuppe ihrer Kinder kennen", "die Zeitung zuklappen, wenn ihr Kind sie was fragt", "die Kinder mal mit ins Büro nehmen". Das dürfte in der Tat eine ziemlich realistische Beschreibung dessen sein, was in Brasilien Vater sein als äußerstes bedeutet. Faktisch nichts. Aber symbolisch, ja, da ist es ungeheuer wichtig! Schrott!!!

 

Ina Praetorius:

Ich würde gern anknüpfen bei dem Gedanken der unsichtbaren oder nicht existenten "präsenten Väter", den die Chora-Frauen bringen. Die Frage scheint mir bedenkenswert: Gibt/gab es tatsächlich nie eine Kultur der anwesenden Väter oder ist die einfach mitsamt den Müttern und ihrer Arbeit unsichtbar gemacht worden, weil der "richtige" Mann kein zuhause präsenter, fürsorglicher etc. Vater ist? Ich neige dazu, der Chora-These zuzustimmen, werde jetzt aber erstmal meine Aufmerksamkeit für die realen Väter in meiner Umgebung schärfen. Da gibt es zum Beispiel das Phänomen, dass gewohnheitsmässig familienfreundliche Väter an Männerstammtischen einfach nicht zur Kenntnis genommen oder totgequasselt werden, weil sie die wahre Männlichkeit mit einer Alternative konfrontieren, die von "richtigen" Männer erstmal als Waschlappenmentalität abgewertet werden muss. (Ausserdem gehen die zuhause präsenten Väter logischerweise vom Stammtisch früher weg oder gar nicht erst hin, was sie zu wunderbaren Projektionsflächen für die Brüder - und manchmal auch deren Frauen - macht. Ja, ich kenne vereinzelte solche Männer, und das sind eigentlich nicht die modernen Männerbewegten, sondern einfach solche, die gerne zuhause sind und sich dort gerne mit ihren Kindern beschäftigen. Danke für den Hinweis, Chora!

 

Ina Praetorius:

Habt Ihr die neue "Schlangenbrut" (Feministisch-theologische Zeitschrift) schon? Die ist ja geradezu durchwirkt von Flugschrift-Diskussion. Sie hat das Thema "Leben mit Kindern", und deshalb spielt natürlich der Nervensatz "Mütter tragen die volle..." wieder die Hauptrolle. Sehr interessant finde ich z.B. den Beitrag von Marie-Theres Wacker. Sie findet den Satz an sich spannend. Aber sie hat zwei Kinder aus Indien adoptiert und fragt sich, was die "volle Mütterverantwortung" im Falle der leiblichen Mütter ihrer Töchter, die gänzlich ausserstande sind/waren, Verantwortung zu übernehmen, bedeuten könnte. Auch Dorothee Markert meldet sich zu Wort und erklärt nochmal das Problem mit der Unklarheit der Intention des Satzes (Sprechaktproblematik). Und Dorothee Wilhelm, die in einer WG so eine Art Co-Mutter für ein zwölfjähriges Mädchen ist (eine Position vorerst ohne passenden Namen, was bezeichnend ist) findet, dass der Satz die Wirklichkeit nicht in ihrer Vielvernetztheit "in die politische Phantasie bekommt". Alles spannende Beiträge. Es macht Spass, das zu lesen und dran weiterzudenken. Mir scheint, diese Schlangenbrut ist ein Indiz dafür, dass die Flugschrift tatsächlich kann, was sie will: eine breite Debatte mit neuen Konsenstendenzen in die Gänge bringen.

 

Antje Schrupp:

Ja, irgendwie gemein, dass man hier die Schlangenbrut nicht am Kiosk kaufen kann, daher danke für die Information, Ina. Was ich an diesen Diskussionen immer nicht verstehe, ist, dass der Satz "Mütter tragen die Verantwortung für ihre Kinder" so einfach mit "Mütter müssen Windeln wechseln etc." übersetzt wird. Ich meine, dass eine Mutter die Verantwortung für ihr Kind ABGIBT (indem sie es zur Adoption freigibt) oder dass die Gesellschaft einer Mutter die Verantwortung für ihr Kind ABNIMMT (weil sie Alkoholikerin ist oder sonst wie nicht in der Lage ...), das sind doch alles gerade Beweise dafür, dass dieser Satz stimmt. Nur wenn Verantwortung da ist, kann man sie abgeben oder abgenommen bekommen.

 

Ina Praetorius:

Grundsätzlich hast Du "natürlich" (das finden nicht alle natürlich) Recht: Die Inderin, deren Kind Marie-Theres adoptiert hat, hat ihre Verantwortung "abgegeben". Nun weiss ich nicht genau, unter welchen Bedingungen das geschehen ist. Aber wenn die Reportagen, die ich so über Frauen in Indien manchmal lese, stimmen, dann sind das eben doch Bedingungen, in denen es mir schwerfällt, von "Freiheit", "Verantwortung" und so zu sprechen. Das ist es wohl, was Marie-Theres meint: dieses ungewohnte Voraussetzen weiblicher Freiheit, das an vielen Realitäten einfach vorbeizuschauen scheint. Ich selber bin übrigens trotzdem der Meinung, dass es richtig ist, diese Freiheit als gegeben anzusehen (kann frau auch in der neuen Schlangenbrut nachlesen), denn: kein Mensch hat keine Freiheit (Zitat Lisa Schmuckli kürzlich in einem Fernsehinterview.) Aber das ist eben wirklich noch ein sehr, sehr ungewohntes Denken.

 

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