Das männliche Imaginäre

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Anna Cardoso:

Ich weiß auch nicht, was das männliche Imaginäre sein soll. So eine Art Schutzraum der Männer, oder was?

 

Ina Praetorius:

Deine Frage, Anna: Was ist eigentlich das männliche Imaginäre? Ich versuchs mal in nicht ausgeliehenen Worten.Das männliche Imaginäre ist ein reich bebildeter und beworteter, sich ständig mit neuen Bildern nährender Vorstellungsraum, in dem verhandelt wird, was ein richtiger Mann ist. Im männlichen Imaginären treiben sich zur Zeit - in der westlichen Welt oder wie man das am besten begrenzt - Cowboys, Finanzhaie, Bundeskanzler, Spitzensportler, Topmanager, DonJuans und allsowas herum. Idole also, die für die meisten Männer (alle? darüber sind wir uns nicht richtig einig) das Mass guter Männlichkeit bilden. Wahrscheinlich treiben sich auch sowas wie abstrakte Werte hier herum: Effizienz, Cleverness, Fairness, Rationalität, Härte... Das männliche Imaginäre ist kein abgeschlossener Raum. Es verändert sich ständig, zum Beispiel durch die Kritik der Frauenbewegung, oder jetzt vielleicht durch die Wandlung, die ein Idol wie Helmut Kohl gerade durchmacht. Aber es gibt wohl doch sowas wie einen harten Kern in diesem imaginären Raum, der schwer zu knacken ist und der ganz eng zusammenhängt mit der frühkindlichen Distanznahme männlicher Kinder von der als allmächtig empfundenen Mutter, weshalb sich vieles in diesem kollektiven Vorstellungsraum mit dem Wunsch erklären lässt, nicht-weiblich zu sein. Das derzeit in Auflösung begriffene, aber doch noch sehr kompakte, im Widerstand gegen die Auflösungserscheinungen sich zuweilen noch verhärtende patriarchale männliche Imaginäre ist ein wichtiges politisches Thema, weil hier, in diesem Vorstellungsraum, sich Bilder richtiger Männlichkeit an Machtpositionen koppeln und mit der Notwendigkeit, das gemeinsame Zusammenleben vernünftig zu regeln,vermischen. Dies ist der Grund, weshalb es an der Börse nicht nur um Geld(vermehrung), sondern auch um die Absicherung der Cowboymännlichkeit, und bei der Vergabe politischer Ämter nicht nur um die Regelung des gemeinsamen Lebens, sondern gleichzeitig um Selbstbespiegelung der an öffentlich sichtbare Macht gekoppelten richtigen Männlichkeit geht. Was die Frauenbewegung heute in die Diskussion bringt (z.B. in Gestalt der Flugschrift) ist diese Doppelung, aus der sich für Frauen politische Handlungsmöglichkeiten und –notwendigkeiten ergeben, die jenseits von "Gleichstellung" und auch jenseits von "Gerechtigkeit" liegen. Wenn wir nämlich "Gleichheit" und "Gerechtigkeit" fordern, dann appellieren wir zwar an die angebliche männliche Rationalität, aber wir bedrohen, indem wir Anteil an der Macht verlangen, gleichzeitig das männliche Imaginäre. Und das ist gefährlich - nicht nur für die Frauen, sondern für die Welt. Wie das Weltgeschehen zeigt, sind nämlich Männer nach wie vor bereit, ihre Phantasien von Macht in Kriegen und in einem Business auszuleben, das jeder Gerechtigkeit spottet (wie Du selbst sagst). Deshalb findet Antje, dass es politisch mindestens ebenso sinnvoll ist, Frauenräume auszubauen wie Anteil an Männerräumen zu beanspruchen. Für mich folgt zur Zeit aus dieser Debatte, dass die Politik der Frauen dem bisher dominanten Aufrechnen von Ansprüchen nicht mehr so viel zutrauen sollte wie bisher, dass sie sich sinnvollerweise in regionalen Kontexten kundig machen muss (Macht des Fernsehens in Brasilien? Macht der Parlaments in Europa? etc....) und dann intelligente, den eigenen Fähigkeiten und Lustbedingungen angemessene Spielzüge erfinden sollte. So sehe ich das. Im Mikrobereich Vater-Kind-Beziehung, übrigens, dies zur Illustration, stelle ich immer wieder mit Staunen fest, wie tief die Vorstellung in Männern verankert ist, als Vater vor allem "Gesetz" und "Ordnung" zu repräsentieren. Das hat mit Vernunft und dem Willen, ein "lieber" Vater zu sein, fast gar nichts zu tun. Diese Ordnungsrufe Kindern gegenüber scheinen direkt aus dem Unbewussten zu kommen. Da muss ich manchmal lachen, aber ich habe auch Angst.

 

Antje Schrupp:

Ich wollte auch schon längst was zu der Frage von Anna schreiben, was das "männliche Imaginäre" ist. Aber in den letzten Tagen hab ich mich lieber woanders rumgetrieben als im Internet-Cafe und jetzt hat Ina ja schon einen richtigen Aufsatz hingelegt, dem eigentlich kaum was hinzuzufügen ist. Trotzdem noch mal in meinen Worten: Das männliche Imaginäre ist sozusagen ein Ort, wo Männer sich gegenseitig bestätigen, dass sie Männer sind. Das Problem ist, dass mit dem Ende des Patriarchats in gewisser Weise auch die männliche Identität auf dem Spiel steht. Welchen Ausweg es da gibt, weiß ich auch nicht, weil ich ja kein Mann bin. Ich weiß nicht, was zum Beispiel in Männerherzen und –köpfen abgeht, wenn sie im Fußballstadion sind oder im Parlament ihre Hahnenkämpfe abhalten. Deswegen halte ich mich als Frau auch nicht für kompetent, mir andere Räume für das männliche Imaginäre auszudenken. Was wir in der Flugschrift sagen wollten ist, dass hinter der Abwehr der Männer gegen das "Vordringen" von Frauen in ihre ehemals exklusiven Männerbereiche mehr steckt, als das kühl-rationale Abwägen der Vor- und Nachteile. Dass für sie mehr auf dem Spiel steht, als nur der Verlust ihrer Privilegien. Und das wir das ernst nehmen müssen (denn das Problem haben sie wirklich) und bei unserem Vorgehen bedenken. Wichtig ist nicht, jeden "Männerraum" abzuschaffen (in gewisser Weise tatsächlich Schutzraum" ) sondern dieses "männliche Imaginäre" von den Orten zu trennen, in denen wichtige gesellschaftliche Entscheidungen gefällt werden. Wie das geht, darüber haben Ina und ich manchmal unterschiedliche Meinungen. Es gibt ja logisch zwei Wege, Männerraum und gesellschaftlichen Einfluss voneinander zu trennen. Mal wieder am Beispiel Parlament: Entweder es ist kein Männerraum mehr (was, wie wir merken, ziemlich schwer durchzusetzen ist) oder es darf keinen gesellschaftlichen Einfluss mehr haben. Eine Idee, die mir als (um mal das Klischeewort zu nehmen) Anarchistin sehr entgegen kommt. Parlamente als Schauplätze des männlichen Imaginären und die Entscheidungen werden woanders getroffen... Die meisten Frauen aber sind in politischer Hinsicht eher parlamentarische Demokratinnen und hängen an dieser schönen Institution. Wahrscheinlich ist die Lösung sowieso nicht absolut. Aber unter dem Aspekt des männlichen Imaginären ist es wirklich schade, dass es immer mehr Männer gibt, die Fußball doof finden. Das wär doch so schön einfach gewesen ...

 

Ina Prätorius:

Also eigentlich könnten wir ja mal ganz direkt über dieses feministische Tabuthema reden: M ä n n e r. Anstatt dass wir einander irgendwie hinter virtuell vorgehaltener Hand (geht das?) mitteilen, worüber wir grinsen müssen und dass wir am liebsten gar nicht mit Männern reden würden... Meine Frage: wie verhält sich der Mann, der mir genehm ist. (Ich meine jetzt mal weniger sexuell, sondern eher so politisch.) Vor einigen Jahren habe ich mal scharfsinnig analysiert, dass Männer in Gegenwart von richtig echten Feministinnen eigentlich nur Fehler machen können. Entweder sie sind macho oder softi oder langweilig. Heute ist das - zumindest bei mir - nicht mehr so. Ich finde es sehr interessant, zwischen verschiedenen Männern zu differenzieren. Und ich traue Männern tatsächlich zu, dass sie was kapieren und sich ändern können. Und Männer, die das tun, finde ich interessant. Es kann ganz verschieden aussehen. Wichtig ist mir: meine Intuition, dass da was ernst gemeint ist. (Und das schliesst Witze keineswegs aus, vgl. z.B. Matthias Richling). Kürzlich, bei der Bambi-Verleihung in der ARD, als Tom Jones als "Comeback des Jahres" gefeiert wurde, fand ich es bemerkenswert, dass er als "bekennender Macho" charakterisiert wurde. Das heisst: zum Machosein muss man sich heute bei einer Preisverleihung in der ARD bekennen, es ist nicht mehr das übliche, und vielleicht braucht es sogar schon Mut? Jedenfalls macht mir das den Tom Jones schon fast wieder sympathisch. Denn sobald differenziert wird, ist mann nicht mehr gleich Mann gleich Mensch gleich überhaupt und schlechthin. Jetzt werd ich mal in der Flugschrift nachlesen, wie genau da Männer vorkommen. Und jetzt sagt dann sicher gleich eine, dass es mal wieder typisch ist, dass wir sogleich über Männer anfangen zu reden, sobald ein Mann auf der Liste auftaucht. Seis drum. (15.12.00)

 

Antje Schrupp:

soweit mich meine Erinnerung nicht trügt, hatten wir hier auf der Liste auch schon mal über Männer diskutiert (Männer als Teil der Welt ...). Ansonsten sind mir Machos immer noch nicht sympathisch, und ich finde auch nicht, dass das heute Mut erfordert, sondern dass es in bestimmten Situationen fast schon wieder schick ist. Und das gefällt mir gar nicht. Und Alexandra und ich haben auch nicht einfach nur gegrinst, sondern mir zumindest ist aufgefallen, dass es für Männer offenbar kränkend ist, wenn "Väter" nicht als eigener Begriff auftauchen, sondern das Vater-Sein aus dem Mutter-Sein gewissermaßen abgeleitet wird. Das tun wir in der Flugschrift. Ein guter Vater ist einer, der ist wie eine Mutter. Und ich beobachte in der Diskussion mit Männern oft (also mit ernsthaften Männern, nicht mit Tom Jones-Typen), dass sie viel verstehen, aber doch Probleme haben, wenn irgendwo das Weibliche das Allgemeine repräsentiert. Das männliche Denken -  so meine These  - hat Probleme, einen Unterschied zwischen dem männlichen Individuum und dem Allgemeinen zu machen. Ein Problem, dass weibliches Denken nicht hat, denn als Frau ist man das sowieso gewöhnt, diesen Unterschied machen zu müssen. Soweit erstmal meine spontanen Einfälle zu diesem Thema, eine spannende Diskussion ist das allemal, (16.12.00)

 

Alexandra Robin:

ja, dieser interpretation des mailgrinsens schließ ich mich an. eine freundin von mir veranstaltet kurse zum thema selbsthilfe bei rückenbeschwerden, die benutzt durchgängig die weibliche form, wenn sie die teilnehmerinnen :-) anspricht, es ist oft ein gemischtes publikum, aber es hat sich noch keiner der anwesenden  männer bei ihr beschwert. sie gucken halt irritiert und das ist immer wieder ein amüsant zu beobachten. (17.12.00)

 

Ina Prätorius:

ja, jetzt erinnere ich mich: Wir hatten schon mal recht interessant über Männer geredet. Muss ich wieder mal nachlesen. Der Punkt, auf den Du, Antje, das "Problem" bringst, ist wohl tatsächlich der zentrale, auf den sich viele alltägliche Mißstimmungen mit Männern zurückführen lassen. Das wird ja immer wieder paradigmatisch deutlich, wenns - bei uns TheologInnen - um die Gottesbenennung geht. Gott darf durchaus "wie" eine Frau sein, aber nicht eine Frau. Hingegen nehmen die meisten auch sehr gescheiten Männer nach wie vor keinen Anstoss daran, dass in der traditionellen Gottesrede Gott mit dem Männlichen meist nicht nur verglichen, sondern identifiziert wird. Und daraus wird dann halt oft dieser männliche Gott, der ist "wie eine Frau", also sich gewissermassen das Weibliche einverleibt. Dieser Mechanismus ist sehr schwer aufzubrechen. Würde mich interessieren, ob Ihr da schon sowas wie Erfolgsgeschichten zu erzählen habt. (17.12.00)

 

Christof Arn:

Als meine drei Kinder klein waren, war ich noch starker kirchlich eingebunden. Wir legten uns aber auf das Geschlecht von Gott nie fest. In Satzen wie "Gott ist anders" oder so lasst sich ja nicht sagen, ob es DIE Gott oder DER Gott heisst. Wenn es sich nicht umgehen liess, redeten wir eher von "sie" als von "er". Die beiden Madchen sagten dann von sich aus ganz klar und bis heute "die Gott" und  "sie". Sie haben ein starkeres Interesse an der Kirche. Der Junge ist eher atheistisch, wurde ich mal sagen. (Ich selber bin irgendwie weder klar atheistisch noch starker an einer kirchlichen Einbindung interessiert. Irgendwie so in Bewegung.) Ich glaube auch, dass sich darin, mit welchem Geschlecht Gott gedacht wird, ausdruckt, was fur das "allgemeine Geschlecht" gehalten wird. (17.12.00)

 

Christof Arn:

Ubrigens war ich vor wenigen Tagen bei einer Feier zu 30 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz. Das Frauenstimmrecht wurde in der Schweiz ja durch eine Abstimmung der Manner 1971 eingefuhrt, allerdings erst nach sehr aufwendigem Engagement der Frauen. Der Widerstand kam gewiss primar von Mannern, aber es gab auch gut organisierten Widerstand von Frauen. Aber eben: Letztlich wurde er uberwunden. Die Feier was sehr schon und recht viele waren dabei, allerdings sehr wenig Manner (am Essen war ich dann der einzige). Eine Rednerin sprach an, dass so wenig Manner da waren, und das ist etwas von den Sachen, die mir besonders geblieben sind: Warum freuen sich nicht mehr Manner uber Gleichstellungsfortschritte? Ich muss sagen, dass sich mein Harmoniebedurfnis (und das ist sehr stark, obwohl ich auch eine profilierte Meinung habe) wahnsinnig freut uber Gleichstellung. Naturlich, die Gleichstellung ist nicht perfekt, es fehlt vor allem am "Gynozentrischen" (im Gegensatz zum "integrativen" Feminismus, ich finde das zwar eine holzschnittartige, aber fur mich hilfreiche Unterscheidung), das in der Flugschrift sehr stark vertreten ist, aber so was wie ein Frauenstimmrecht finde ich eine tolle Sache. Sich mehr uber Erreichtes freuen - als Mann sich freuen uber mehr Gleichstellung, oder noch besser gesagt: uber bessere Geschlechterverhaltnisse (naturlich, gut sind sie noch lange nicht, aber sie werden davon auch nicht besser, dass mann sich uber echte Forschritte nicht freut, sich dafur nicht begeistert). (21.2.01)

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