Geld

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Ina Praetorius:

Ich würde gern mal über das Thema "Geld" diskutieren, d.h. also darüber, wie dieses Thema in der Flugschrift thematisiert ist. Dies sind die Voraussetzungen: 1. Geld ist in der Politik der Beziehungen nicht unwichtig, aber zweitrangig, jedenfalls keinesfalls wichtigstes Thema der Politik. 2. Geld ist - wie Recht - ein nützliches Mittel, um Beziehungen zu formalisieren und um "schöne Dinge zu erwerben". 3. Das Geld ist heute faktisch ungerecht verteilt, insbesondere, weil die Care-Arbeit der Frauen nicht in den Geldkreislauf eingeht. Care-Arbeit ist aber angemessen zu honorieren. 4. Kriterium für eine gerechtere Geldverteilung ist die weibliche Freiheit. So, und jetzt? Kein Ehegattensplitting, wer erwachsen ist und sich nicht selbst "cart", soll dafür bezahlen... Von jetzt an reisst bei mir irgendwie der Faden ab. Was sollen wir wie in die laufende politische bzw. auch feministische Debatte einbringen? Wie stehen wir zum garantierten Mindesteinkommen? Soll das Prinzip "Lohn für Leistung" aufrechterhalten oder aufgehoben werden? Welche Position nehmen wir zur internationalen Finanz"politik" ein, wo ja mit Abstand die grösste Ungerechtigkeit steckt? Viele Fragen. Ich seh da irgendwie nicht klar. Es macht auch mehr Spass, über die Politik der Beziehungen jenseits der leidigen Geldfrage zu diskutieren (ging das den Autorinnen etwa auch so?), aber irgendwie müssen wir da wohl mal ran.

 

Gisela Meier:

Apropos Geld - heute schon spendabel gewesen? Nein? Dann nix wie ab zu http://www.hungersite.com/. Da kann man per Mausklick Essen in die Dritte Welt spendieren. Pervers, was? Aber that's life. Der einen Essen liegt in der anderen Maus. So let's klick again...

 

Susan Drye:

Ich finde es schwierig, diese Fragen nach dem Geld so absolut zu beantworten, bzw. sie in Gesetzesvorhaben umzuwandeln. Nicht mal das Ehegattensplitting ist immer schlecht. Ich habe eine Freundin, die hat einen Afrikaner geheiratet, damit er in Deutschland bleiben kann, und durch das Ehegattensplitting hat er jetzt immerhin ein bisschen Geld. Die Frage ist doch, ob jemand wenigstens nachdenkt, wann Geld (mehr oder weniger) gerecht verteilt ist, oder ob nicht inzwischen allgemein schon die Frage als naiv gilt. Zum Beispiel die Leute, mit ihren Managerjobs zehn- zwanzigtausend im Monat verdienen, sie glauben, dass das ganz normal ist, soviel Geld zu haben und kommen gar nicht auf die Idee, nachzudenken, ob das gerecht ist. Ich selber bin jedenfalls der Meinung, das Existenzgeld ist eine gute Idee, und wenn wir das haben, kann man auch das Ehegattensplitting abschaffen. Und ich finde auch dass die Renten- und Sozialversicherungen steuerfinanziert sein sollten, damit die formale Erwerbsarbeit in diesem Sektor an Bedeutung verliert. Aber ist so was jetzt feministisch gedacht?

 

Ina Praetorius:

Das ist ein Dilemma: einerseits hast Du vollkommen recht, dass man das nicht so allgemein entscheiden kann/sollte. Und dass es vor allem drauf ankäme, dass die einzelnen überhaupt ein Sensorium für Gerechtigkeit haben. (Dann nämlich liesse sich vieles tatsächlich über Beziehungen regeln, wie die "Konservativen" ja auch immer so schön behaupten, womit sie gar nicht unrecht hätten, wenn eben die Leute anders wären etc.) Die Welt ist aber anders. Es gibt die vielen Leute, die ihren Reichtum normal finden oder Angst haben vor jedem Anflug von Grosszügigkeit (ich kann sie in gewisser Weise verstehen, bin auch nicht "unschuldig"). Und deshalb braucht es eben diese Geld-Formalisierung und also auch "allgemeine" Kriterien, wie das anzustellen ist. Ich bin für den Grundlohn und damit für die Aufhebung des sowieso nicht funktionierenden Prinzips "Lohn für Leistung". Manchmal habe ich aber den Verdacht, dass ich nur für diese Lösung bin, weil sie sich so schön einfach anhört, so eine Art Gordischer-Knoten-Lösung. Aber warum soll Geldverteilung eigentlich nicht ganz einfach sein, frage ich mich dann wieder? Bei und in der Schweiz ist es aber im Moment tatsächlich nicht zum Aushalten, wie die Parlamente (demokratisch gewählt!) bei den armen Leuten sparen und gleichzeitig z.B. die Erbschaftssteuer ersatzlos streichen, einfach so, als wäre nichts dabei. Und die Alten, z.B., denken nicht daran, auf der Bahnhofstrasse zu demonstrieren. Nein, sie wählen brav weiterhin die falschen Parteien. Ja was soll frau denn da machen? Zynisch werden? Und morgen rede ich an einer Veranstaltung zum Thema Flugschrift in eben diesem Zürich, wo ebendieses geschieht. Was werd ich denn da den Leuten erzählen?

 

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Antje Schrupp:

Mit der Frage nach dem Geld sind wir jetzt schon wieder an einem alten Thema aus der Philosophiegeschichte gelandet (wie schon beim Thema Staat und Recht, oder Freiheit). Meiner Meinung nach kommen wir bei all diesen Sachen nicht drum herum, uns auch auf andere Diskussionen zu beziehen (Sozialismus, Ökonomietheorie etc.), die allerdings aufgrund unserer "neuen", feministischen Einsichten neu gelesen werden müssen. Also nicht, wie leider bisher so oft, die Frage stellen, ist Marx für oder gegen Frauen, sondern versuchen, diese alten Kontroversen, die ja durchaus auch einen gewissen Sinn hatten, für uns nutzbar machen. Ich sehe nicht, dass wir das alles von Null aus noch einmal durchdenken können.

 

Ina Praetorius:

Zum Thema Geld geh ich jetzt mal von der "Makroebene" voll auf die "Mikroebene" (das ist Oekonomenslang) und erzähl euch wieder mal eine von diesen wahren Geschichten aus dem Leben: In meinem Dorf gabs vor ein paar Jahren einen Konflikt um die Sonntagsschule (=Kindergottesdienst). Die Gruppe der "Soschuhelferinnen" bestand damals aus vier Frauen, zwei jüngeren und zwei älteren. Die jüngeren stellten einen Antrag auf Bezahlung ihrer Einsätze mit folgenden Argumenten: 1. Eine Sonntagsschulstunde ist eine Leistung, und Leistung gehört bezahlt. 2. Die Sonntagsschule soll in der Rechnung der Gemeinde auftauchen. 3. Es könnte ja mal eine Frau kommen, die das Geld, das sie mit der Soschu verdient, wirklich zum Leben braucht. Die älteren waren gegen die Bezahlung mit dem Argument, wenn sie bezahlt würden, dann könnte man sie ja dazu zwingen, die Soschu auf eine bestimmte Art und Weise zu erteilen und Fortbildungen zu besuchen. Sie argumentierten also nicht, wie die jüngeren geneigt waren, ihnen zu unterstellen, mit "Aufopferungsbereitschaft", sondern mit (Liebe zur) Freiheit, wogegen die jüngeren allerdings einwandten, sie hätten ja nur Angst vor ihren Männern, die dagegen seien, dass sie tagelang auf Fortbildungen seien und dort gar noch aufmüpfige Gedanken aufläsen. Ausserdem sahen sich die jüngeren ausserstande, das Besuchen von bezahlten Fortbildungsveranstaltungen als Einschränkung ihrer Freiheit anzusehen, denn für sie fühlten sich solche Veranstaltungen im Gegenteil als ein Freiheitsgewinn an. Die Situation also: Frau gegen Frau, jung gegen alt, Freiheit gegen Freiheit. Und was ist nun eine gute Lösung? Faktisch bekommen die Soschuhelferinnen heute zu Weihnachten einen Büchergutschein im Wert von SFR 180.-, die Gemüter haben sich darob beruhigt, und die Besetzung hat gewechselt. Ist dies nun ein Beispiel für gelungenes Aushandeln?

 

Ingeborg Dietzsche:

Genau, das ist ein gutes Beispiel. Frauen fordern. Und manche Frauen finden dies unmöglich, da sie ihre Arbeit doch als Dienst ansehen, den sie gerne tun und deswegen doch nicht bezahlt werden können. Gibt es in unserem Verband genauso, diese zwei Haltungen.

 

Antje Schrupp:

Zum Thema Geld, da haben wir beim Schreiben der Flugschrift nämlich in der Tat einen halben Tag darauf verwendet, ein ziemlich ausführliches System zu erfinden, wie man die Care-Arbeit ins Geldsystem einbeziehen könnte (das hat uns sehr viel Spaß gemacht, wir fanden das Thema nicht "leidig"). Ausgegangen sind wir dabei auch vom Existenzgeld, das wir aber zweiteilen wollten: Ein Teil wird pro Kopf ausgezahlt (im Sinne einer negativen Einkommenssteuer, je mehr man verdient, desto weniger Existenzgeld bekommt man, und wenn man über eine Grenze kommt , muss man Steuern bezahlen). Und der andere Teil ist ein pro-Kopf-Care-Geld, das immer die Person bekommt, die Care-Arbeit leistest. Also: Wer sich Care-mäßig selbst versorgt, bekommt das Geld, wenn sich jemand von der Ehefrau versorgen lässt, dann bekommt sie doppeltes Care-Geld (für sich selbst und die andere Person).  Das heißt z.B., eine Frau, die nicht arbeitet, aber Hausarbeit für einen Mann und  zwei Kinder macht, bekommt ihr eigenes Existenzgeld sowie Care-Geld für vier Personen. Während das Existenzgeld relativ zum Erwerbsarbeitskommen abnimmt oder sich sogar zur Steuerpflicht umkehrt, bleibt das Care-Geld immer gleich. Man könnte dann auch rumspinnen, dass zum Beispiel in einer WG eine Person vom Care-Geld der anderen WG-Mitglieder lebt und dafür den gesamten Haushalt schmeißt. Was uns an dem Modell gefallen hat, ist dass die Beteiligten vorher aushandeln und öffentlich machen müssen, wer die Care-Arbeit für wen leistet. In gewisser Weise wäre damit auch dem Problem deutsche Frau und afrikanischer arbeitsloser Mann abgeholfen, denn die müssten dann nicht mehr auf den Umweg Ehegattensplitting zurückgreifen, im Gegenteil, wenn der Mann für Haushalt zuständig wäre, hätte er mit seinem Existenzgeld und zwei Mal Care-Geld ja auch was in der Tasche (und zwar in der eigenen, nicht auf dem Konto der erwerbstätigen Frau). Er müsste dann aber auch die Hausarbeit machen und nicht einfach nur jammern, dass er so arm dran ist. Was haltet ihr von dem Vorschlag? Noch was ist mir eingefallen: Das Ausdenken neuer, besserer Regeln für die Geldverteilung ist natürlich nur das eine. Das andere ist, dass sie nicht umsetzbar sind in unserem politischen System. Stellt euch mal einen Gesetzesentwurf vor, der so etwas ähnliches wie unsere Care-Geld-Idee enthält. Wo die schon bei viel popeligeren Dingen monatelang Debatten führen und wirkliche Hammer-Dinge (Erbschaftsteuer) einfach so durchflutschen. Soll ich euch was sagen, als alte Anarchistin? Es ist eben das System Parlamentarismus, das nicht funktioniert. Auf diese Weise kommt man zu keinen Entscheidungen. Seit ich mir das klar gemacht habe, brauch ich auch nicht mehr zynisch zu werden, wenn ich Nachrichten gucke. Es geht mir einfach nicht mehr so nahe. Ich nehme das Phänomen unserer "Demokratie" mangels Alternative hin wie die Ausläufer des Patriarchats oder eine Schlechtwetterfront: Es ist wie es ist, und ich versuche in meinem Rahmen das Beste draus zu machen.

 

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Ingeborg Dietzsche:

Was Du über das Care-Geld schreibst, finde ich sehr beachtenswert. Denn das ist doch gerade das Problem, daß die manche Leute jede Menge Arbeit haben, die absolut notwendig ist, getan werden muß, aber kein Geld dafür bekommen und andere Leute keine Arbeit haben, trotzdem aber Geld bekommen, wenn auch nur wenig, wiederum andere für Arbeit - ob notwendig oder nicht - viel Geld bekommen.

Übrigens, kennt Ihr die Internetseiten: http://www.geldreform.de/ und http://www.moneymuseum.ch/? Beide sind bei diesem Thema wirklich empfehlenswert, finde ich.

Übrigens, im neuesten Publik-Forum steht gerade ein Interview mit Gorbatschow: "Wir brauchen mehr Jesus und mehr Marx". Er tritt darin für Gerechtigkeit, Solidarität und Ökologie ein. Das sagt die Agenda 21 auch, nur ob wir das überhaupt für Menschen, die Familienarbeit machen, jemals noch erreichen....in hundert Jahren vielleicht! Ich mußte gerade einen Vortrag ausarbeiten: "Geldbeziehungen in der Familie". Das Thema ist bei uns schon länger "in", mit dem ersten Geldseminar haben wir im Frauenforum vor 6 Jahren begonnen....!

 

Anderl:

Also das mit dem Care Geld ist ja eine prima Sache, die Frage ist nur, wie man das differenziert, wenn z.B. die berufstätige Frau, die ein Auto hat, mal eben zum Aldi fährt und Büchsen kauft. Bekommt dann der Mann etwas vom Care Geld abgezogen, weil er keinen Führerschein hat, oder auch Kindererziehung wird ja nicht genau auf Prozentpunkte geregelt, wenn also die Oma für ein Wochenende die Enkelchen hütet, gibt denn dann der Care Geld Empfänger auch was ab? Irgendwie würde dann soziales Leben nicht mehr nach, sagen wir mitmenschlichen Bedürfnissen nach Kontakt, Familiensinn und einfach nach  gesellschaftliche Pflichten bewertet, vielmehr spielt dann immer die Kohle mit. Also besuche ich meine Angehörigen nicht im Altersheim, weil ich mich auch Alten zuwenden möchte, sondern sehe eher darin eine Chance, mein CareGeld oder Einkommen zu verbessern. Ich denke, es sollte nicht alles in Geld bewertet sein , vor allem mal ganz praktisch gesehen, wer soll das denn kontrollieren, ein Caregeldschnüffler, der beobachtet, wieviel Stunden ich mit meinen Kindern verbringe, aufschreibe, wie lange ein Bügelvorgang dauert? momentan fehlt mir bei diesem Gedanken die Praxisnähe, vielleicht hilft ja jemand

 

Ingeborg Dietzsche:

Dieses Argument ist immer wieder zu hören, wenn über ein Erziehungsgehalt, das die Deutsche Hausfrauengewerkschaft schon lange fordert, gesprochen wird. Der Deutsche Frauenrat lehnt ein Erziehungsgehalt ab, genau mit der obigen Begründung. Aber, deswegen fällt es Frauen nicht leicht, Geld für Tätigkeiten im Ehrenamt zu fordern, das sie sogar schon ausgegeben haben, also die Aufwandsentschädigung. Von einer Entlohnung ganz zu schweigen. Warum - weil sie die emotionale Ebene, die sie mit dieser Tätigkeit verbinden, nicht mit der finanziellen verbinden können. Geld für Liebe, Liebe für Geld, Geld statt Liebe, Liebe statt Geld oder alles zusammengemixt - diese Frage stellt sich für Frauen immer wieder. Welche Folgerung können wir daraus ableiten? Für die hauswirtschaftliche und erzieherische Betreuungstätigkeit existieren schon Studien in der Ökotrophologie genug. Schließlich werden diese Arbeiten in Großhaushalten und Kindergärten auch bezahlt. Das ist nicht die Frage, sondern "Arbeit aus Liebe für Geld"? Dann dürfte eigentlich jede andere Arbeit nicht mit Hinwendung und Begeisterung verbunden werden!

 

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Ina Praetorius:

Also: mein Mann ist Pfarrer. Er verdient ziemlich gut. Und das heisst: jeden Monat hat er einen bestimmten Betrag auf dem Konto. Was er dafür tut? Also, es gibt ein paar wenige sichtbare und kontrollierbare Dinge: den Sonntagsgottesdienst, den Altersnachmittag, den Konfirmandenunterricht. Ansonsten ist das, was er leistet, ebensowenig kontrollierbar wie die Arbeit einer Care-Workerin. Er muss vor allem da sein (Präsenzpflicht) und offen für das, was die Leute von ihm wollen. Und dass er die Leute "liebt", das steht zwar nicht im Pflichtenheft, ist aber doch irgendwie vorausgesetzt, oder? Was ich damit sagen will: es gibt auch im bezahlten Sektor viel "unkontrollierbare" Leistung, die "auf Treu und Glauben" (wie das so schön heisst) verrichtet wird. Da brauchts normalerweise keine Schnüffler. Es funktioniert auf der Beziehungsebene, was natürlich nicht heisst, dass es keine Reibungsflächen, Meinungsverschiedenheiten etc. gibt. Aber: wenige Leute bestreiten trotz allem, dass ein Pfarrer ein Recht auf Bezahlung hat. Was ich an Antjes Vorschlag gut find, ist eben diese Verpflichtung, grundsätzlich und nach Art einer Leitplanke festzulegen, wer im Carebereich wofür verantwortlich ist. Warum sind wir eigentlich bei unserer eigenen Carearbeit so furchtbar kleinlich (von wegen: Dosenkauf bei Aldi etc.), schauen aber vergnügt zu, wie im Geldsektor sehr grosszügig mit dem Prinzip Lohn-für-Leistung umgegangen wird? Als ob ein Professor an der Uni stets das täte, was in seinem Arbeitsvertrag steht! (Da muss ich lachen).

 

Gruppe Chora:

Auch wir haben gestern über die Geld für Care-Arbeit Ideen diskutiert. Wir stehen dieser Idee kritisch gegenüber, und zwar aus folgenden Gründen: Woher kommt das Geld??? Die Idee geht davon aus, dass es eine übergeordnete Struktur (Staat, Behörde) gibt die das Geld verteilt, doch woher nimmt sie es? Schöpft sie es ab aus der durch globale Märkte erzeugten Überschüsse der hier ansässigen Konzerne? Care Arbeit ist Subsistenzarbeit, die eigentlich jeder Mensch zum Erhalt des Lebens für sich und die Personen für die er/sie die Verantwortung hat leisten muss und zwar ständig, wie will sie also bemessen werden mit einem solch ungeeigneten Massstab wie Geld? Wird damit nicht der Vermarktung aller menschlichen Fähigkeiten Vorschub geleistet? Ist Wertschätzung überhaupt in Geld ausdrückbar? Unserer Meinung nach ist die Frage der Care-Arbeit und Subsistenz eine Frage der symbolischen Ordnung in der jede sich verortet und deren Massstäbe sie an die Welt und an ihre Beziehungen zu anderen Menschen anlegt. Aus der Perspektive der symbolischen Ordnung der Mutter kann ich sagen, dass ich mir eine andere Stelle suchen werde, wenn meine jetzige Arbeit durch veränderte Arbeitszeiten die Beziehungen zu meiner Lesegruppe zerstört. Wie in der Flugschrift so schön stand stellen Frauen in der Wahl ihrer Arbeitsbedingungen nämlich mehr in Rechnung als nur das Geld!

 

Ina Praetorius:

Euer Argument ist in sich stimmig. Bloss: bewegt Ihr Euch da nicht in der Nähe dieser eindimensional subsistenzorientierten "Verachtung" des Geldes, wie sie in der Flugschrift auf S. 29 oben (in, übrigens, meiner Meinung nach nicht besonders gesprächsfördernder Form) kritisiert wird? Ich finde es auch unsympathisch, dass die Caregeldidee viel Bürokratie und Staat voraussetzt. Bloss: was tun Frauen hier und heute in dieser Gesellschaft ohne Geld? Und wo soll es herkommen wenn nicht von dort, wo es fehl am Platze ist? Irgendwie komme ich dann immer wieder auf die einfache Lösung "Grundlohn" zurück. Auch wenn ich ein Leben ohne Staat, Geld, Konzerne, Steuern und Bürokratie vielleicht schön fände.

 

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Antje Schrupp:

Hallo, Anderl, hallo, Ingeborg, ihr habt beide Recht. Das Horrorszenarium von der Care-Überwachung finde ich durchaus bedenkenswert. Wir müssen uns schon klar machen, dass mit Geld keine gerechte Lösung herstellbar ist. Aber, meine Frage an Anderl: Wäre unser (wie du zu Recht schreibst völlig ungerechter) Care-Geld-Vorschlag nicht vielleicht immerhin ein kleines bisschen weniger ungerecht als die derzeitige Art der Geldverteilung, wo schwer schuftende Familienfrauen gar nix in der Tasche haben und andere Leute für im Büro- Rumsitzen die Tausender kassieren? Und, Ingeborg: Überschätzt du nicht die möglichen positiven Auswirkungen von Geld für Haushaltsarbeit? Übrigens, Ina: Ich war aus diesen von Anderl angeführten Gründen total dagegen, diesen Vorschlag des Caregeldes in dieser konkreten Form in die Flugschrift aufzunehmen (und die anderen haben sich auch nicht sehr dafür eingesetzt, dass er reinkommt). Für mich ist das keine politische Forderung, mit der ich jetzt auf die Strasse gehen will und für die ich meinen Kopf hinhalte. Ich stelle mir jedoch häufiger mal die Frage, ob mir das Geld, das ich so auf dem Konto habe, eigentlich legitimerweise auch gehört. Und ich stelle auch die Frage, ob das Geld, das andere Leute auf dem Konto haben, ihnen eigentlich legitimerweise gehört... Unser Care-Geld-Vorschlag ist für mich keine politische Forderung, sondern ein Kriterium, um diese Frage, wer welches Geld eigentlich zu Recht hat, zu beantworten. (Aber wenn Ingeborg dafür sorgt, dass er irgendwann doch Gesetz wird, find ich das bestimmt besser, als die Gesetze, die wir jetzt haben). In der Zwischenzeit frage ich mich: Ist es nicht möglich, im persönlichen Bereich schon mal eine Annäherung an das Care-Geld zu wagen? Wer hindert uns eigentlich dran, unser persönliches Geldverhalten daran zu überprüfen? Und vielleicht von diesem oder jenem Care-Geld einzufordern oder hier oder da mal vom eigenen Geld was abzugeben?

 

Ingeborg Dietzsche:

Das ist wohl wahr! Wer hindert uns eigentlich daran, das Familieneinkommen als das zu betrachten, was es ist, Care-Geld. Warum arbeiten wir überhaupt? Müßte ich nicht zuerst Geld abgeben, wenn ich was anderes tun will, als das was ich für mich selbst tun muß und dann die Aufgaben, die mich selbst betreffen, nicht mehr machen kann. Und solange meine Kinder noch nicht selbständig sind, muß ich sie letztendlich als das betrachten, was sie ja sind, ein Teil von mir, der von mir wegwächst, immer mehr für sich selbst sorgen muß und kann - wie bei den Tieren ja auch!!! Letztes Frühjahr hat eine Hausrotschwänzchenpaar in unserer Garage gebrütet. Da konnte ich das schön beobachten. Als so ein Vogelelternpaar wären wir ja ständig am Futter suchen, abwechselnd, um die schreiende Brut zu befriedigen. Wenn nun der eine Vogel sagen würde, also dieses ewige Hin und Her gefällt mir nicht so gut, ich schaffe Dir die Nahrung bis zur Garagentüre und Du fütterst sie, so wäre das die gleiche Arbeitsteilung, wie bei Familienfrauen. Was spricht dagegen, daß jeder Familienvater automatisch seinen Verdienst mit seiner Frau teilen muß, und wenn beide arbeiten, das Ehegattensplitting nicht nur steuerlich gemeint wäre, sondern auch auf die Konten ausgedehnt würde. Wenn jemand nur für sich selbst sorgen will, muß ja nicht mit einer konkreten Person teilen (hat aber trotzdem Eltern, denen er was abgeben muß - siehe unten!)  - aber sehr wohl selbst für sein Alter vorsorgen......usw. Bei den Ehepaaren könnten dann die eigenen Kinder einen Teil davon übernehmen. Einen echten Anteil eben von dem Geld, das die Eltern für ihre Ausbildung usw. aufwenden mußten und deswegen nicht für ihr Alter anlegen konnten. Klingt eigentlich ganz plausibel!! Oder ist das schon anarchistisch gedacht? Steuer nur für die absolut notwendigen Dinge im Gemeinwesen - und dieses Gemeinwesen so schlank wie möglich.

Es muss doch ein psychologisch erklärbares Phänomen sein, daß ehrenamtlich arbeitende Frauen in der Kirchengemeinde so schlecht Geld fordern können. Und einfach zu erklären die Hälfte Deines Netto-Gehaltes mußt Du auf mein Konto überweisen und dann gucken wir, wie wir wirtschaften. Wir überweisen einen Teil auf unser Gemeinschaftskonto, von dem die Rechnungen bezahlt werden und der Rest gehört dann wieder hälftig uns. Geht bei uns hier, denn wir haben ein Geschäft - ein ziemlich kleines - und da heißt es sowieso - mitgegangen, mitgehangen. Je mehr der Mann jedoch verdient und je weniger er auf die Mitarbeit seiner Frau angewiesen ist (so wie das bei uns glücklicherweise der Fall ist, wo ich die ganze Büroarbeit managen muß) je weniger wird er damit einverstanden sein. Und damit fing das Elend der gut situierten Familienfrauen an und aus dieser Ecke kam schließlich auch der Protest. Denn oft war sie nicht die berühmte dumme Blondine, sondern ebenso klug, wie er, studierte jedoch nicht, sondern blieb für ihn zuhause - damit er hinaus ins feindliche Leben konnte. Das Futter bis zur Garagentüre schaffen - gell! Aber die herrschende Moral - sie kann doch nicht fordern. Ihre Familienarbeit nicht gegen seine honorige Managerarbeit setzen - schließlich ist sie nach seinem Tod ja gut versorgt.....!

 

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Ina Praetorius:

Ingeborg, du hast zwar inzwischen schon ganz viel Neues zum interessanten Geldthema geschrieben. Trotzdem möchte ich Dir noch antworten auf die Reaktion, die Du auf meine Sonntagsschulgeschichte geschickt hast: Du hast Dich auf die Seite der geldfordernden jungen Frauen gestellt. Und dann sagst Du, dass die anderen, die kein Geld wollen, ihre Arbeit als "Dienst" verstehen. Der Witz meiner Geschichte - und sie ist nicht erfunden! - besteht nun aber gerade darin, dass die älteren Frauen eben nicht mit diesem Dienstbarkeitsklischee argumentieren (das wurde ihnen lediglich von den Jüngeren unterstellt), sondern mit der Freiheit (von Fortbildungszwängen z.B.), die sie behalten, wenn sie kein Geld bekommen. An diesem Punkt trifft sich diese Geschichte mit der These der Flugschrift, dass "Frauen die Freiheit lieben" und dass sie - wenn ich genau hinsehe und nicht Klischees von der immer dienstbereiten Frau aufsitze - mit sich und anderen darüber verhandeln, welche Abhängigkeit und welche Freiheit sie für sich wollen. Die älteren Sonntagsschulfrauen meiner Geschichte fanden offensichtlich, dass sie die finanzielle Abhängigkeit von ihren Ehemännern der finanziellen Abhängigkeit von der Kirchgemeinde vorziehen. Und weshalb sollen sie das eigentlich nicht finden? Diesen Gedanken, dass Abhängigkeit als solche etwas Unabschaffbares ist und dass es deshalb nicht darum gehen kann, "finanzielle Unabhängigkeit" anzustreben (weil selbige nämlich eine Illusion ist), sondern darum, für sich selbst immer wieder auszuhandeln, welche Abhängigkeit ich welcher anderen vorziehe, ist doch gerade das Neue und Geniale am Ansatz der Flugschrift (bzw. Hannah Arendts und wie die Ahninnen der Flugschrift alle heissen mögen). Dass wir trotzdem über Caregeld diskutieren, liegt daran, dass Frauen eine Wahl haben sollen zwischen verschiedenen Formen der Abhängigkeit. Und diese Wahl hatten sie nicht in einer patriarchalen Gesellschaft, die die Abhängigkeit vom Ehemann als "weibliches Wesen" definierte (Fichte etc.). Das von uns geforderte Caregeld ist also nicht als Mittel zu verstehen, "unabhängig" zu werden, sondern als Erweiterung des Verhandlungsspielraumes von Frauen. Ich selbst habe diesen Ansatz noch nicht so weit durchgedacht, dass ich von ihm her entwerfen könnte, wie eine wirklich gerechte gesetzliche Regelung aussehen würde. (Dies bleibt vorerst, Anarchismus hin oder her, mein Ziel.) Nachdem ich jahrelang mit dem Gefühl gelebt habe, als Feministin unzweideutig zu wissen, wo die Wahrheit hockt (nämlich "natürlich"  bei den geldfordernden Frauen), finde ich es derzeit sehr faszinierend, diese ganze Geschichte mit einem anderen Denkansatz durchzuspielen, der mir auf der Ebene der "Ordnung des Seins" einleuchtet, der aber die "richtigen" Lösungen nicht so (allzu) schlicht und einfach auf den Tisch legen zu können glaubt wie der gängige Feminismus der Siebziger- und Achtziger Jahre des letzten (!) Jahrhunderts. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?

 

Anna Cardoso:

Was ihr grade alle in der Diskussion um Geld und Care vergesst ist die Frage, die Ina ganz am Anfang gestellt hat, ob wir uns nicht vom Lohn / Leistung-Prinzip verabschieden sollten. Anderl und Chora kritisieren die Caregeld-Idee weil sie finden, Carearbeit kann nicht in Geld umgerechnet, also bezahlt werden, Ingeborg findet die Idee gut, weil es nicht geht, dass die Frauen soviel arbeiten, ohne Geld zu bekommen. Im Prinzip liegt das Problem schon bei Antjes Vorschlag selber, weil das Caregeld ausbezahlt wird für die Care-Arbeit, also Leistung. Die Idee vom Existenzgeld ist aber eine andere, da kriegt man das Geld, weil man es braucht (Arbeitslose, StudentInnen, Kranke, Dumme). Sollen wir nicht den Caregeld-Vorschlag dahingehend modifizieren, dass es bezahlt wird, nicht wegen geleisteter Arbeit, sondern um den Lebensunterhalt der Leute zu sichern (sie freizustellen von der Notwendigkeit, Erwerbsarbeit zu leisten), damit sie sich anderen wichtigen Dingen wie Carearbeit (oder auch Studium? Ehrenamt? Kunst?) widmen. Das Geld, das sie bekommen, ist dann nicht ein Lohn, sondern eine Art Stipendium oder so. Es ist das Leistungsprinzip, was in dem Schema nicht funktioniert und so viel Kritik hervorruft. Ganz abgesehen davon, wenn wir Care-Arbeit nach ihrem echten Wert, also der Leistung bezahlen wollten, wird sie ja so teuer, dass sich das sowieso niemand leisten kann.

 

Marion Droste:

Welch tolle Idee und wie gut würde es uns allen tun, endlich einmal inne zu halten und auf die faule Haut legen, damit die andere Haut wiederbelebt werden kann. Dann würden wir noch intensiver spüren, wie unmenschlich wir z.T. leben und arbeiten und handeln müssen, bzw. meinen das zu müssen.

 

Ina Praetorius:

Ich liege seit drei Jahren mehr oder weniger auf der faulen Haut, weil ich die Krankheit, die ich seit drei Jahren habe, als Impuls begreife, mich aller sinnlosen Betätigungen konsequent zu enthalten. Was übriggeblieben ist an sichtbaren/messbaren Tätigkeiten, ist im wesentlichen das Kochen, das Aufräumen, das Schreiben (und das Mailen...). Du hast recht: ein solcher Lebenswandel verschafft ungeahnte Einsichten, wenn frau die Durststrecke des schwarzen Gefühls, ohne vorzeigbares Funktionieren nichts wert zu sein (übrigens: auch dies hat mir meine Mutter vermittelt, wofür ich ihr nur mittelmässig dankbar bin) hinter sich hat. Diese Gesellschaft, meine ich, braucht nichts dringender als Leute, die faul sind, ohne sich deshalb zu verstecken und unnütz zu fühlen.

 

Antje Schrupp:

Beim Lesen von Annas Einwand ist mir eingefallen, dass es schon im 19. Jahrhundert einen Streit über leistungsorientierte bzw. bedürfnisorientierte Entlohnung gegeben hat. Am Anfang des Kapitalismus hat es nämlich beides gegeben, was man zum Beispiel daran sieht, dass Frauen weniger verdient haben - das wurde nicht damit begründet, dass sie weniger leisteten als Männer, sondern damit, dass sie weniger zum Leben brauchten (weil Frauen normalerweise arbeiteten, wenn sie unverheiratet waren, während man davon ausging, Männer müssten von ihrem Lohn Frau und Kinder mit finanzieren). Das ging solange gut, wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung das Übliche war. Als Frauen dann nicht mehr nur Näherinnen, Wäscherinnen, Textilarbeiterinnen sein wollten, sondern auch Druckerinnen, Metallarbeiterinnen etc., hatte man ein Problem, denn da sie weniger Geld bekamen (und verlangten!), wollten die Unternehmer natürlich lieber Frauen als Männer einstellen. Es waren deshalb ursprünglich auch die Gegner der Frauenerwerbsarbeit, die konservativen Teile der Arbeiterbewegung, die die Forderung "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" einbrachten - also auf leistungsorientierte Entlohnung umsteigen wollten. Die radikaleren, freiheitlicheren hielten dagegen lange am Bedürfnisprinzip fest (und erfanden andere Lösungen, um die darin steckende Benachteiligung der Frauen zu beseitigen). Es ist, finde ich,  im Nachhinein zwiespältig zu bewerten, dass - übrigens nach Kontroversen - "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" schließlich zu der wirtschaftspolitischen Forderung des Feminismus schlechthin geworden ist, denn das hat dazu beigetragen, dass wir uns heute kaum noch vorstellen können, dass Geld bekommen vielleicht nichts mit Leistung zu tun haben muss (wofür unsere Diskussion ein schönes Beispiel ist). Ich frage mich: Hätte es historisch einen anderen Ausweg gegeben? Es wäre im Zusammenhang unserer Diskussionen bestimmt lohnend, sich noch mal die alternativen Vorschläge der "radikaleren" Frauen/Arbeiterbewegung zugunsten des Bedürfnisprinzips anzuschauen. Jedenfalls sehe ich es als ein gutes Zeichen, dass diese Lohn-für-Leistung-Vorstellung historisch gesehen sehr jung ist und dass es immer alternative Ideen gegeben hat. Außerdem ist die Wirtschaft heute ja über das Lohn/Leistungs-Prinzip in Wahrheit schon hinaus. Die Frage ist doch nicht mehr, wie viel jemand leistet, sondern wie hoch sein/ihr Marktwert ist (wer leistet schon soviel, dass er Millionen im Jahr "verdient" hat). Noch ein konkreter Vorschlag, der mir dabei einfällt - sollten wir nicht einfach grundsätzlich darauf verzichten, von "Geld verdienen" zu reden und statt dessen immer "Geld bekommen" sagen?

 

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Ina Praetorius:

Deine historischen Ausführungen zu den verschiedenen Lohnmassstäben sind sehr aufschlussreich. Ich liebe solche Aha-Erlebnisse. Dann wären wir also von verschiedenen Ausgangspunkten her soweit: Am Prinzip "Lohn-für-Leistung" sollten wir nicht festzuhalten versuchen. Weder Geld noch Leistung sind absolute Grössen, was sich u.a. darin zeigt, dass dieses "Prinzip" fast immer in Form der Forderung "Gleicher Lohn für gleiche Leistung" - also als Relation - in Erscheinung tritt.( Die anderen Argumente muss ich nicht wiederholen, sie stehen in den letzten paar mails.) Heisst dies nun, dass das Existenzgeld den verschiedenen Care-Bemessungsmodellen eindeutig vorzuziehen ist? Ich meine: ja. Das würde bedeuten, dass die Sichtbarmachung des Care-Bereichs als eines Arbeitsbereiches – eine Bewusstseins(um)bildung, die die Frauenbewegung seit Jahren und immer noch leistet, zumindest auf der symbolischen Ebene mit Erfolg - nicht auf eine "gerechte" Bezahlung der Carearbeit hinausläuft, sondern auf eine grundsätzliche Infragestellung der Vorstellung, Geld werde mit Leistung "verdient" (Ja genau: dieses Wort sollten wir wohl einfach mal weglassen.) Und dies wiederum bedeutet, dass wir uns darauf konzentrieren, öffentlich zu zeigen, dass gerechter "Lohn-für-Leistung" sowieso nirgends gilt, es illusorisch ist, das geltende Geldverteilungssystem "gerechter" machen zu wollen und wir deshalb auf das Prinzip "Geld-für-Existenz" zurückkommen (was - dies für die Chorafrauen – auch beinhalten würde, dass wir dem Geld die Fähigkeit, Wertschätzung auszudrücken, absprechen...) Stimmt das so? (Wenn es so stimmt, dann wüssten wir, worüber wir eine nächste Flugschrift schreiben könnten/sollten. Denn an diesem Punkt ist die Flugschrift diffus, was auch schon einige berechtigte Kritik hervorgerufen hat...)

Und noch was: Es stimmt wohl irgendwie, dass es heute weniger die Leistung (was ist das eigentlich genau?) als vielmehr der "Marktwert" ist, an dem sich der Lohn misst. Wenn ich aber versuche, mir diese These anhand von wirklichen Existenzen klarzumachen, dann werde ich verwirrt. Warum bekommt ein Manager, wenn er abtritt, eine Riesenabfindung? Zeigt sein Abtritt nicht, dass er keinen Marktwert mehr hat? Und ich zum Beispiel: ich werde immer berühmter, meine Bücher verkaufen sich gut, ich werde dauernd irgendwohin eingeladen. Und trotzdem bleibe ich angewiesen auf Geld, das von anderswoher kommt. Dieses Geld-von-anderswo ist gewissermassen die Bedingung dafür, dass ich mir – durch Unabhängigkeit von bezahlten Jobs - diesen Marktwert überhaupt schaffen konnte. Warum bekomme ich trotzdem so wenig Geld für das, was ich dauernd auf den ausgetrockneten Gedankenmarkt werfe? (Geht nicht nur mir so, sondern vielen Schreiberlingen...). Und damit wären wir vielleicht beim Thema "Innovation durch Ehrenamt" angelangt - einem Flugschrift-Thema, über das wir noch gar nicht geredet haben bis jetzt.

 

Anna Cardoso:

Ich bin beeindruckt, wie sich aus dieser Diskussion so ein ziemlich konkretes Ergebnis herausstellt. Was den Marktwert etc. betrifft, vielleicht sollten wir einfach noch deutlicher sagen, dass die Geldverteilung heute einfach vollkommen unlogisch ist? Also weder Leistung, noch Marktwert, sondern einfach willkürlich? Lotterie? Wie zum Beispiel die Aktienkurse? Da sagen doch inzwischen die Eingeweihten, dass es oft irrational, ohne Grund hoch und runter geht.

 

Susan Drye:

Naja, ob die Geldverteilung immer nur unlogisch ist, weiss ich nicht. Man hat schon auch einen gewissen Einfluss, was? Ina, dein Marktwert ist wahrscheinlich nur bei denen hoch, die nicht so viel Geld haben, was? Oder vielleicht liegt dir nicht so viel am Geld verdienen, sonst würdest du mehr Bezahlung raushandeln? Ich finde jedenfalls, dass ich selber schon auch Einfluss haben, wieviel Geld ich verdiene (sorry: bekomme), bis zu einem gewissen Grad jedenfalls: Wieviele Stunden bin ich bereit zu arbeiten, was bin ich bereit, zu machen? Man muss es halt kalkulieren. Die Sache ist nur die, wie ja in der Flugschrift steht, dass Geld nicht das einzige Kriterium ist, was?

 

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Ina Praetorius:

Du hast recht: frau könnte sich besser verkaufen. In meinem Fall müsste ich dann aber schuften wie ein Pferd und oft die langweiligen (gutbezahlten) Angebote den interessanten (schlechtbezahlten) vorziehen. Das wäre der Qualität meines Denkens abträglich (habs schon ausprobiert.) Und deshalb meine ich, dass wir hier tatsächlich beim Thema "Innovation durch Ehrenamt" angelangt sind. Gute SchriftstellerInnen oder KünstlerInnen sind oft arme Kirchenmäuse (und werden es bleiben? Bis zu einem gewissen Grad wohl ja, selbst wenn wir das Existenzgeld einführen.). Warum? Weil Freiheit sich nicht verkaufen lässt.

 

Ingeborg Dietzsche:

Das ist wirklich gut, es hat mich immer gestört, wenn jemand sagt, ich habe so und so viel Geld "verdient", obwohl er oder sie es vielleicht gar nicht verdient hat. Statt dessen immer "Geld bekommen" sagen? Ja, Geld bekommen, weil der Marktwert, der Werbewert gestiegen ist, z. B. bei Martin Schmitt, dem Skispringer, er ist noch der gleiche junge Mann wie vor fünf Jahren, als sein "Marktwert" in Tannheim bei Villingen genauso hoch war, wie irgendeines anderen jungen Mannes vom Dorf! Aber heute bekommt er Millionen dafür, daß sein Bekanntheitsgrad so groß ist und er ein ungeheurer Werbeträger darstellt, nicht weil er Martin Schmitt heißt, aus dem Schwarzwald stammt, die Begabung für's Skispringen hat (die sicher auch noch viele haben usw.) Er ist praktisch austauschbar gegen den nächsten Skispringer, der zufällig wieder am weitesten springt, und sobald dies ein anderer ist, sinkt sein Marktwert rapide. Und das ist beim "Rentenwert" von Männern praktisch dasselbe. Zwei Frauen erziehen jeweils zwei, drei, vier Kinder. Wenn ihr Mann stirbt, ist es für die Witwe ein großer Unterschied, ob sie Kinder in einer Ehe mit einem gutverdienenden Beamten erzogen hat oder in einer Ehe mit einem ungelernten Arbeiter. Obwohl sie im zweiten Fall noch mehr "leisten" mußte, weil sie sich weniger Hilfen "leisten" konnte. Sind die Bedürfnisse der zweiten Frau so viel geringer, war ihre Leistung geringer oder hatte die Frau im ersten Fall einfach eine gute Partie gemacht, den Mann mit dem höheren "Rentenwert geangelt"?

 

Ina Praetorius:

Rund ums Geld und seine horrend ungerechte (irrationale? gemessen an welcher Ratio?) Verteilung lassen sich Tausende von schönen Geschichten erzählen. Und das Ergebnis davon ist irgendwann einfach, dass wir uns darüber einig sind, in einer schrecklichen Welt zu leben. Das wusste ich aber schon vorher, also bevor ich auch diese Geschichte noch gehört hatte und jene und unendliche weitere... Dieses Diskussions"ergebnis" reicht mir jetzt aber nicht mehr. Und den Zweck der Flugschrift sehe ich auch darin, über dieses Sichaufregen und Einandererzählen über die Ungerechtigkeiten der Welt hinauszukommen. Dies ist der Grund, weshalb ich in meinem letzten mail versucht habe, ein konkretes Ergebnis unserer Diskussionen zu formulieren, an das die "Flugschriftbewegung" anknüpfen oder an dem sie weiterdenken kann. So sehr ich das Geschichtenerzählen liebe... Aber jetzt möchte ich gerne von Euch wissen, ob Ihr mit meinen Argumentation zum Existenzlohn einig seid oder nicht. Und falls Ihr es seid, dann möchte ich weiterüberlegen, was wir mit dieser Einigkeit jetzt politisch tun.

 

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Antje Schrupp:

Ich bin mir nicht so sicher, ob unsere Diskussion das Ergebnis hatte, dass Existenzgeld das Non-Plus-Ultra ist. Wir hatten jede Menge Kriterien, nach denen momentan das Geld verteilt wird – ein Teil ist irrational oder Glück (Börsengewinne), ein Teil ist wohl tatsächlich noch Leistung (hin und wieder zählt doch auch die Qualität der abgelieferten Arbeit), ein Teil ist Marktwert (Sportler), ein Teil ist, ja was, Schweigegeld? (abgesetzte Manager), ein Teil ist Verhandlungssache (für wen schreibt Ina wie billig oder teuer ihre Gedanken auf). Offensichtlich fehlt uns dringend eine fundierte neue ökonomische Analyse, die mal untersucht, nach welchen Mechanismen Geld derzeit eigentlich von wem und an wen verteilt wird.

Vielleicht ist das Existenzgeld tatsächlich derzeit der einzige Gedanke aus der politischen Diskussion, den man unterstützen kann. Aber in der Theorie will ich mich nicht so ganz von dem Gedanken verabschieden, dass Leute Geld bekommen sollten, damit sie etwas Nützliches tun können. Sozusagen würde ich gern eine dritte Kategorie einführen zwischen dem Pro-Kopf-Existenzgeld und dem, was sich so auf dem neokapitalistischen Irrsinnsmarkt an Kohle scheffeln lässt, oft genug ja gegen jede Nützlichkeitserwägungen. Also, ich will dass Leute Geld bekommen, die studieren (Sachen, für die sie keine Drittmittel locker machen können), die Carearbeit machen, die schöne Dinge schaffen (Kunst), die Sozialarbeit machen oder Hausarbeit, halt all diese Dinge, die sich nach kapitalistischer Logik nicht rechnen. Wir hatten das ja schon mal in der Diskussion über die
Professionalisierung der Sozialarbeit, wo wir herausgearbeitet haben, was für ein Unfug es ist, dass Kirchen und andere Sozialträger sich in ihrer Arbeit immer mehr Marktgesetzen anzupassen versuchen. Meine Idee wäre es, diesen ganzen Bereich von nützlicher, aber nicht kapitalistisch gewinnbringender Arbeit zusammenzufassen, sowohl die heute privaten (Hausfrauen, Kindererziehung) als auch die professionalisierte (Sozialarbeit, Krankenhäuser, Pfarr- und Lehramt) und nach dem Bedürfnisprinzip zu bezahlen.

Also, mein konkreter Gegenvorschlag gegen Inas Existenzgeld-pur (bitte nicht als Gesetzesvorhaben verstehen): Es soll schon ein Existenzgeld bezahlt werden, damit auch die, die gar nichts Nützliches tun wollen, das Lebensnotwendige haben (sagen wir mal 1000 bis 1500 Mark). Daneben wird ein Gesellschaftsgeld bezahlt für alle, die im Sozial-, Bildungs-, Forschungs-, Umwelt-, Hausarbeits-, Erziehungs-, Kunst-, Pflegebereich arbeiten, also Dinge tun, die für die Gesellschaft nützlich sind, aber nicht in kapitalistischer Logik abgerechnet werden können. Denn diese Leute sollten nicht nur das Lebensnotwendige haben, sondern auch gut leben und nicht wie die armen Hanseln dastehen (sagen wir mal so um die 3000 Mark). Und auch Leute, die nicht arbeiten können (Kranke, Alte etc.) kriegen das Gesellschaftsgeld. Bezahlt wird das alles aus Steuern von denen, die im globalen Kapitalismus, im Internet, an der Börse, im Sport, mit Werbung etc. Geld scheffeln. Sozialversicherungen, Kirchensteuer und Ehegattensplitting werden abgeschafft. Die Politik legt keine starren Kriterien fest, sondern delegiert die Entscheidung nach unten. Zum Beispiel könnten Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Vereine beauftragt werden, Leuten die Berechtigung zum Gesellschaftsgeld zu erteilen, oder auch Museen, Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Universitäten, der Hausfrauenverband, was weiß ich. Dieser ganze Bereich wird der Leistungslogik entzogen: Die Leute bekommen Gesellschaftsgeld, nicht, weil sie etwas Messbares leisten, sondern damit sie von der Notwendigkeit, Geld zu scheffeln, freigestellt sind und sich diesen nützlichen Dingen widmen können. Das Kriterium wäre nicht: Was leisten sie? Sondern: Engagieren sie sich? Setzen sie sich ein? Machen sie sich Gedanken über die Nützlichkeit und den Sinn ihrer Tätigkeit? Da es nicht um Leistung geht, kann es keine festen Kriterien geben, die einen "Anspruch" auf Gesellschaftsgeld nach sich ziehen (den hat man nur auf Existenzgeld), sondern es wäre ein System von Vertrauensbeziehungen notwendig. Es muss genügend anderen Leuten plausibel sein, dass ich was Nützliches tue, und zwar solchen, die sich auf dem Gebiet auskennen. Und die gegenüber der Politik als vertrauenswürdig gelten, so dass man sich an ihr Urteil hält. So ähnlich wie das Pfarrersiegel. Mich hat immer beeindruckt, dass Pfarrer mit ihrem Siegel rechtsgültig Kopien beglaubigen können. Vertrauenssache, sozusagen.

Auch die innovative Kraft des Ehrenamtes käme dann deutlicher raus, denn all die "etablierten" und gesellschaftlich anerkannten Arbeiten wären kein Ehrenamt mehr, sondern fielen unter das Gesellschaftsgeld. Ehrenamtlich tätig wären nur die Leute, die Dinge tun wollen, die nicht allgemein als nützlich gelten und die daher keine Gesellschaftsgeld-Berechtigung kriegen (die Initiative für die Legalisierung von Marihuana zum Beispiel oder das Aktionskomitee gegen Zwangsheterosexualität oder die Soldaritätsgruppe für die Zapatisten...) die müssten halt mit privaten Spenden und ihrem Existenzgeld auskommen. Was haltet ihr davon?

 

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Ina Praetorius:

Dieser Vorschlag ist wirklich gut. Da kann ich prima dran rumdenken. Was mir jetzt gerade in den Kopf kommt, ist die Frage, welchen gesellschaftlichen bzw. moralischen Status in einem Gemeinwesen, wie Du es entwirfst (ich stell mir halt immer gleich "das Ganze" vor...), diejenigen hätten, die nach wie vor profitabel wirtschaften wollen. Mir fällt dazu die aristotelische Unterscheidung von Oekonomie (Haushaltungskunst) und Chrematistik (Gelderwerbskunst) ein. Für Aristoteles ist ersteres die eigentliche Oekonomie - das Notwendige - und die Chrematistik ist ein grenzenloses Unterfangen, eine unnatürliche Begierde und daher - im Sinne der klassischen Tugendlehre – eine Gefahr für das Allgemeinwohl. Würde sich diese sinnreiche (Rang-)Ordnung von Haushalt und Gelderwerb in einem Gemeinwesen, in dem die nutzbringend Tätigen zwar nicht im Überfluss, aber anständig und gut lebten, während die "Faulen" arm und die GeldschefflerInnen schlecht angesehene komische Heilige wären, wiederherstellen? Das Ganze ist fast zu schön um wahr zu sein (ist ja auch vorerst nicht wahr), erinnert mich ein bisschen an Morus u.Co.., was aber keineswegs gegen diesenVorschlag spricht, zumal das mit den Vertrauensbeziehungen meines Wissens in den klassischen Utopien eher nicht vorkommt, da sind eher die zentralistischen Regelungen in. Was also würde Reichtum (an Geld) und Geldvermehrung  in einem solchen Gemeinwesen (noch) bedeuten? Vielleicht das, was beides für unsereins heute schon bedeutet: ein eigentümliches Geschenk-von-anderswo oder ein seltsames Hobby für gestresste SpinnerInnen? Naja, aber um die ganze schöne Gesellschaft zu finanzieren, wären sie uns ja immerhin noch nützlich oder gar notwendig, die Geldbonzen...

In meinen faulen Morgenstunden sind mir noch zwei Sachen zu Antjes "Modell" eingefallen: 1. Wenn ich mir die LehrerInnen in meinem Dorf ansehe (drei an der Zahl, Kindergarten, Unter- und Mittelstufe), dann kann ich erkennen, wie das funktioniert mit dem Gesellschaftsgeld. Sie leisten eine anerkannt sinnvolle Arbeit, Engagement wird erwartet, und sie bringen es auch. Sie bekommen ein Gehalt aus Steuergeldern, von dem sie gut leben können. Und alle sind darauf angewiesen, dass ständig Beziehungsarbeit/Vertrauensarbeit geleistet wird: zwischen Schulbehörde (die ist bei uns lokal), SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen, Vereinen, Kirche... Das geht alles nicht ohne Konflikte, logisch,aber es geht gut. 2. Wo wäre die Ur-Wirtschaft, die Landwirtschaft lokalisiert? Die BäuerInnen in meinem Dorf produzieren zwar via ihre Kühe etwas Verkaufbares (vor allem Milch), aber davon können sie nicht "leben" (daher die vielen Subventionen). Gleichzeitig aber sind sie es, die dieses Dorf bewohnbar erhalten, denn ohne die "Landschaftspflege" der BäuerInnen wäre das Dorf in kurzer Zeit unbewohnbar. Die Bäuerinnen bekämen sicher das "Gesellschaftsgeld", denn sie haben fast alle Kinder. Und der Bauer? Gehört der zum Kommerzsektor oder zum Gesellschaftssektor, oder ist er - wie heute schon - eine Mischung?

 

Antje Schrupp:

Das mit der Landwirtschaft ist eine gute Frage. Überhaupt stellt sich ja bei meiner Idee vom Gesellschaftsgeld die Frage nach der Abgrenzung zwischen "nützlich" und "kapitalismustauglich". Was die alten Utopien betrifft, natürlich wäre es am Allerbesten, es gäbe überhaupt keinen Kapitalismus und alles Tätigsein in der Gesellschaft orientiere sich allein an dem Kriterium Nützlichkeit und alles Bekommen an dem Kriterium Bedürfnis. Also, in der Utopie brauchen wir den Kapitalismus und das Geldscheffeln überhaupt nicht (das wäre dann der Fall, wenn alle nur noch Nützliches tun wollen und niemand mehr Geldscheffeln – oder anders gesagt: Je mehr Leute nützliches tun, ohne damit Geld scheffeln zu wollen, desto weniger Kapitalismusgeld brauchen wir, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Hier könnten wir einen kleinen Exkurs in Richtung Tauschringe etc. unternehmen). Mit meinem Vorschlag wollte ich aber sozusagen der Realität des globalen Kapitalismus Rechnung tragen, (wobei das Problem, wie gesagt, aber ist, dass ich gar nicht so genau weiß, wie der funktioniert). Und auch der Realität, dass es offenbar (merkwürdigerweise) viele Leute gibt, die auf Nützlichkeit und Bedürfnisse gar keinen Wert legen. Da ich daran ohnehin nichts ändern kann, will ich sie einfach Kapitalismus oder Börse spielen lassen und bestehe nur darauf, dass sie nicht alle anderen zwingen, dabei mitzumachen und dass notwendige Tätigkeiten wie Pflege, Erziehung etc. nicht auf der Strecke bleiben.

Also, das Szenarium wäre dann folgendermaßen: Jede Tätigkeit ist eine Kombination aus nützlich (im Gesellschaftskonsens) oder nicht nützlich – und aus Kapitalismusgeld-bringend (nach den "irrationalen" Regeln, die wir noch rausfinden müssen und die vorläufig als faktisch hinzunehmen sind) oder eben nicht. Das ergibt vier Möglichkeiten:

a: Ich tue etwas nicht nützliches, nicht geldbringendes,  dann muss ich vom Existenzgeld leben oder Spenden sammeln (nicht-konsensfähige Initiativen, Spleens, Hobbies...)

b: Ich tue etwas nicht nützliches, aber geldbringendes, dann kann ich es verkaufen, reich werden und muss aber Steuern zahlen (Rüstungsindustrie, Fußballstars, Börse...) – weil sie Steuern zahlen, sind diese Leute durchaus ehrenwert und wichtig, vor allem wenn sie mit einer nicht-schädlichen Tätigkeit sehr viel Geld verdienen  (Internet, Schauspielerei oder so)

c: Ich tue etwas nützliches und geldbringendes (Pharmaindustrie, Kunst z.T., Handwerk, Landwirtschaft...), dann kann ich es entweder verkaufen, reich werden und muss Steuern zahlen, oder ich begnüge mich mit Gesellschaftsgeld und der Gewinn geht in den Topf, aus dem das Gesellschaftsgeld bezahlt wird.

d: Ich tue etwas nützliches, aber nicht geldbringendes, dann bekomme ich Gesellschaftsgeld, das aus b und c finanziert wird (Hausarbeit, Sozialarbeit, Seelsorge...)

Merkt ihr, dass ich in der Schule Mathe-Leistungskurs hatte? Das Schema hat den Vorteil, dass es nicht "moralisch" ist, denn die konfliktträchtige Unterscheidung zwischen b und c (ist Pharmaindustrie nützlich? oder Fußballspielen?) ist entschärft, weil die Leute ja mit diesen Tätigkeiten Geld verdienen wollen, und dann müssen sie sowieso Steuern bezahlen, es läuft also aufs Gleiche raus. Ob eine nützliche Tätigkeit Geld bringt (die Unterscheidung zwischen c und d) wäre einfach etwas, was sich faktisch rausstellt. Nützliche Tätigkeiten dürfen, aber müssen nicht Geld bringen. D.h. der Star-Arzt, der zwar gut operiert, aber auch einen großen Geltungsdrang hat, dürfte sich ruhig an die High Society verkaufen und Geld scheffeln, aber der Druck auf den Beruf wäre raus, weil auch seine Kollegin, die an Beratung und alternativen Heilmethoden interessiert ist, ihre Vorstellung umsetzen könnte, denn sie bekäme ja Gesellschaftsgeld. Ergibt das Sinn?

 

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Chora:

Auch wenn ihr uns nun wieder in die Subsistenz-Schublade steckt: Wir können dem Modell von Antje nichts abgewinnen! Gut, dass endlich mal benannt wird wo das Geld herkommen soll, von denen, die es "scheffeln". Wir jedoch lehnen gerade dieses weltumspannende kapitalistische Wirtschaftsystem ab: dieses Geld wollen wir nicht haben, denn es beruht auf der Ausbeutung/Abschöpfung jener Kräfte für die hier nun Gesellschaftsgeld gezahlt werden soll. Schon allein die sprachliche Unterscheidung in "kapitalistisch verwertbare" und "kapitalistisch nicht verwertbare" Tätigkeiten drückt die Akzeptanz eines für uns nicht akzeptablen Systems aus. Das Modell Existenzgeld + Gesellschaftsgeld hat zudem stark den Geschmack von einer Versorgungsmentalität, die für uns kaum mit der Entfaltung weiblicher Freiheit vereinbar ist. Wir wollen nicht versorgt werden, sondern wir brauchen die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen daß jede/jeder für sich selbst sorgen kann - und das kann zum Beispiel auch bedeuten mit anderen in Verhandlung zu treten um care-Arbeiten für sie zu leisten oder zu empfangen. Ein wichtiger Punkt zum weiterdenken ist für uns die Einführung der Primärproduktion (Landwirtschaft) in die Diskussion durch Ina. Wir sind gespannt was daraus entsteht.

 

Anna Cardoso:

Ich finde, ihr seid viel zu prinzipiell mit eurer Position. Was soll denn heissen, dass ihr dieses Geld nicht haben wollt? Mit welchem Geld geht Ihr denn einkaufen? Ihr seid doch nicht "unschuldig" an dem Hunger und sonstigen Folgen des Kapitalismus, nur weil ihr ihn krass genug kritisiert! Wenn man nur so fundamentalistisch dagegen ist, macht man sich eigentlich doch auch schuldig, weil damit das System gar nicht wirklich in Frage gestellt wird. Es geht nicht drum, was prinzipiell richtig oder falsch ist, sondern was man machen kann. Wobei das aber auch bei Antjes Vorschlag die Frage ist, oder?

 

Claudia von den Choras:

Du hast natürlich recht, doch geht es uns nicht darum unsere Eingebundenheit in dieses kapitalistische Wirtschaftsystem zu verleugnen, sondern unser Begehren offenzulegen was für ein Wirtschaftssystem wir uns wünschen, nämlich eines, in dem Geld tatsächlich ein Tauschmittel ist und kein Selbstzweck. Das schone an diesem Zirkel ist auch, dass frau mal Gedanken in "Reinform" zur Diskussion stellen kann. In unserem Alltag leben wir drei mit relativ wenig Geld (1200 - 1800 netto / Monat) und sehr ausgeprägten materiellen und immateriellen Tauschbeziehungen. Wir wüssten schon, was wir mir mehr Geld anfangen würden aber es ist für uns kein primäres Ziel mehr Geld zu haben sondern gut zu leben (wie das so schön in der Flugschrift gesagt wurde.

 

Antje Schrupp:

Ihr habt recht, auf die Bedeutung von "verhandeln" hinzuweisen, das ist auf der Liste bisher etwas zu kurz gekommen. Aber das was Ihr beschreibt, ist ja einfach genau das, was Frauen sowieso schon immer tun. Sie verhandeln, wenn sie wirtschaftlich tätig sind (mit Chefs über Geld und Arbeitsbedingungen, mit Ehemännern über Hausarbeit, vor allem aber mit sich selbst: Welche Kompromisse mache ich, welche Bedürfnisse habe ich, worauf bin ich wofür zu verzichten bereit usw.). Jetzt geht es mir aber darum, nicht nur einfach dies festzustellen, sondern auch "die Welt zur Welt zu bringen", wie die Italienerinnen so treffend sagen. In diesem von uns übersetzten gleichnamigen Buch geht es in fast allen Aufsätzen genau um dieses Thema, darum, wie die "Welt" in der Frauen leben (in der über Bedürfnisse und Nützlichkeit verhandelt wird) mit der Welt (der realen, so wie sie nun mal ist, inklusive Kapitalismus Hunger usw). zusammengebracht wird. Oder, mit anderen Worten, um der Verhältnis von (weiblicher) Subjektivität und Objektivität. Und das hatte ich bei meinem Vorschlag vom Gesellschaftsgeld im Hinterkopf: Also, dass dieses wirtschaftliche Tätigkeit von Frauen mit Verhandeln, Nachdenken über Bedürfnisse und Nützlichkeit, Sinn etc. nicht mehr nur einfach eine private Sache von (einzelnen oder vielen) Frauen bleiben soll, sondern "zur Welt gebracht" wird, also eine gesellschaftliche (symbolische) Ordnung wird, die an die Stelle der derzeitigen symbolischen (und realen) Unordnung treten kann. Und das kommt mir bei eurer Vision etwas zu kurz. Das kommt mir eher so wie ein Gegenüber vor, da der böse Kapitalismus und hier wir. Das reicht mir nicht mehr.

 

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Ina Praetorius:

In den letzten Tagen war ich im Bildungshaus Hertenstein am Vierwaldstättersee (besuchenswert! 20 Schiffminuten von Luzern entfernt), das von den "Baldegger Schwestern", einer ausnahmsweise mal nicht überalterten franziskanischen Frauenkongregation geleitet wird. (Dass sie mich zu einer ihrer "Hertensteiner Begegnungen" eingeladen haben, zeigt, dass es sich auch nicht um einen verknorzt-altmodischen Orden handelt.) Es waren reihenweise junge Schwestern da, die mit mir über "die Welt als Haushalt und der Haushalt Gottes" diskutiert haben. Einen Aspekt in diesen Diskussionen fand ich für unser Thema "Geld" besonders interessant: Die Baldegger Schwestern führen seit mehr als 100 jahren eine Frauenschule für Hauswirtschaft, in der heute ca. 80 Schwestern und Laiinnen unterrichten. Jetzt, wo die ganze Hauswirtrschafts-Ausbildungsszene so stark im Umbruch ist, müssen und wollen sie alles mögliche umstrukturieren, neuorganisieren, neu-benennen. Und da zeigt es sich, was ein lebendiges "Ordensleben" für grosse politische Chancen (Politik im Sinne der Flugschrift verstanden) birgt. Während die Laiinen-Lehrerinnen immer gleich kurzfristig einen neuen Job brauchen, sobald z.B. ein Ausbildungsgang ausläuft, und deshalb fast keine Zeit haben (zu haben meinen?), über den Sinn dieses gesellschaftlichen Wandlungsprozesses nachzudenken, sind die Schwestern mehrfach abgesichert: finanziell, spirituell, durch die Gemeinschaft. Das gibt ihnen die Möglichkeit, in aller Ruhe darüber nachzudenken, wohin ihr "Frauenbildungswesen" sich entwickeln soll, wie sie ihre neuen Ausbildungsgänge nennen wollen, wo sie politisch eingreifen wollen etc.. Dieses gelassene und spirituell verankerte Über-den-Sinn-Nachdenken, das einen wirklichen Kontrast bildet zur individuellen Geldanhängigkeit der Laiinnen, fand ich sehr beeindruckend. Und viele der Schwestern sind wirklich topfit im Kopf! Es ist gut zu sehen, dass es sowas noch gibt und dass es Politik ist. (2.4.2000)

 

Anna Cardoso:

Zum Thema Geld hat mich gestern eine Freundin drauf hingewiesen, dass Virginia Woolf in "Ein Zimmer für sich allein" schon ganz ähnliche Gedanken hatte. Sie meint, wenn eine Frau unabhängig denken (oder Literatur schreiben) will, braucht sie 500 Pfund im Jahr (weiß nicht, wieviel das heute wäre) und eben ein Zimmer. Und dann wundert auch sie sich schon über "die Börsenmakler und die großen Rechtsanwälte, wie sie in die Gebäude gehen, um Geld zu machen und mehr Geld und noch mehr Geld, während es doch eine Tatsache ist, daß einen fünfhundert Pfund im Jahr im Sonnenschein am Leben erhalten". Und dann schreibt sie auch, dass es sinnlos ist, den Wert einer Leistung zu bemessen: Ist es besser, ein Kohlenträger oder ein Kindermädchen zu sein; ist die Putzfrau, die acht Kinder großgezogen hat, weniger wert, als der Rechtsanwalt, der underttausend Pfund gemacht hat? Es ist sinnlos, solche Fragen zu stellen, denn niemand kann sie beantworten. Es steigen und fallen nicht nur die vergleichbaren Werte von Putzfrauen und Rechtsanwälten von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, sondern wir haben auch keine Maßstäbe, mit denen wir sie messen könnten, so wie sie im Augenblick sind". Am interessantesten fand ich aber die Vision, die sie (im Jahr 1929) für die Frauen in hundert Jahren (also 2029) hat. Sie versucht die Frage zu beantworten, warum Frauen in der Literatur immer nur Romane über familiäre oder Liebes-Verwicklungen schreiben, und wünscht sich, dass in Zukunft die Frauen "menschliche Wesen nicht immer nur in ihrer Beziehung zueinander sehen, sondern in Beziehung zur Wirklichkeit; und auch den Himmel und die Bäume oder was immer es sein mag, als das sehen, was sie sind ... dass wir der Tatsache ins Auge sehen - denn es ist eine Tatsache - daß es keinen Arm gibt, auf den wir uns stützen könnten, sondern daß wir allein gehen und daß unsere Beziehung eine Beziehung zur Welt der Wirklichkeit und nicht zur Welt der Männer und Frauen sein sollte ...". Ich finde das alles sehr ähnlich zu dem, was hier auf der Liste diskutiert wurde. Ist doch irgendwie irre, oder?

 

Antje Schrupp:

in der neuen brandeins war ein Artikel zum Thema Grundeinkommen/Existenzgeld drin, und abgesehen von der guten Nachricht, dass auch Wirtschaftsmagazine sich inzwischen für das Existenzgeld stark machen, kam da drin ein Argument vor, das ganz nahe liegend ist, mir bisher aber nicht in den Sinn kam: Dass nämlich ein Existenzgeld auch für die Wirtschaft gut wäre, weil es die Bereitschaft zum unternehmerischen Risiko erhöhen würde, d.h. Leute wären eher bereit, sich mit einer Idee selbstständig zu machen (und dafür einen sicheren Job aufzugeben), weil wenn sie pleite gehen, haben sie immer noch ihr Grundeinkommen. (28.12.01)

 

Ina Prätorius:

ich komme interessanterweise zur Zeit auch von ganz verschiedenen Ausgangspunkten her zum Existenzgeld. Zum Beispiel habe ich kürzlich - auch in einem Radiogespräch - meinen St.Galler Vortrag "Advent fürs Business" (in der "Jungen Kirche" gekürzt erschienen unter dem Titel "Warum Weihnachten frei macht") kurz zusammengefasst. Da gings vor allem um einen Freiheitsbegriff, der von der Geburtlichkeit statt von der Abgrenzung/Befreiung her gedacht ist. Das Thema Existenzgeld entwickelte sich ganz logisch, obwohl ichs mir vorher überhaupt nicht überlegt hatte, und zwar genau in diesem Sinne: Existenzgeld fördert die (u.a. unternehmerische) Freiheit im Sinne von Weltgestaltungsfreiheit. Dummerweise hat der Radiomann diese paar Sätze ausgerechnet nicht gebracht.  (29.12.01)

 

Ursula Knecht: 

Danke Antje und Ina für die Hinweise und Gedanken zum Thema Existenzgeld, das mich auch schon lange umtreibt. Es ist gut, wenn es jetzt in sog.Wirtschaftskreisen ‚entdeckt’ wird. Vor mehreren Jahren, als der Sozialethiker Hans Ruh das Thema in der CH lanciert hat, u.a. mit seriösen Berechnungen, dass es der Volkswirtschaft nicht schadet und die Steuern nicht emportreibt etc etc, schien es mir nicht über den Insiderkreis hinaus zu gelangen, leider. Bei der Weiberwirtschaftstagung in Freiburg (März 2000) schlug ich vor, vielleicht erinnern sich ein paar, das Existenzgeld (Bürgerrente, Grundeinkommen etc) als „BEGRUESSUNGSGELD“ in den Diskurs (und in die Politik?) einzuführen. Ein Begrüssungsgeld für die ‚Neuankömmlinge in der Welt“ (flugschrift s 14), nicht eine Geburtsprämie! Jedes neu auf die Welt gekommene Kind hat Anspruch auf eine Existenzsicherung – auch in finanzieller Hinsicht.  Ausgehend vom Gedanken an die „Neulinge“ wird er dann auf alle hier Lebenden übertragen... Ich erinnere mich, dass diese Idee Andrea Günter gefallen hat, weil er an die Frauen-Tradition der Patinnenschaft anknüpft. Oft engagierten sich (vielleicht z.T. immer noch) PatInnen auch od. v.a. finanziell für ihre Patenkinder. Paten wurden – so ist mir aus der eigenen Familientradition erzählt worden – von den Eltern bewusst entsprechend ausgewählt, um später z.B. die Berufsausbildung ( = Weltgestaltungsmöglichkeit und –freiheit!, Ina) des Patenkinds zu finanzieren. In unserer Gesellschaft, wo die familialen Verantwortungsstrukturen sozialisiert und formalisiert werden mussten, übernehmen wir alle patInnenschaftliche Verpflichtungen... ganz selbstverständlich, nicht wahr? Jetzt „riskier’“ ich’s, Euch zwar nicht ein Begrüssungsgeld, aber einen Begrüssungswunsch fürs Neue Jahr zu schicken (30.12.01)

 

 

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