Affidamento

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Sandra Robin:

Im moment schlagen die wellen ziemlich hoch, in verschiedenen bereichen meines lebens stoße ich auf das, was in der diskussion von vor drei wochen für mich thema war: einerseits die "praxis des affidamento" die im scheinbaren  widerspruch zum "partire de sa", dem von-sich -selbst-ausgehen steht. schauplatz ist die ganze zeit das thema "frauen und spiritualität", ich rede jetzt offener, als mein gefühl es eigentlich erlaubt, aber ich weiß auch von mir, daß ich es mit der diskretion in der öffentlichkeit oft übertreibe, aus dem bedürfnis heraus, einen geschützten rahmen aufrechtzuerhalten. mit dem folgenden lehne ich mich nun recht weit aus dem fenster. es gibt eine diskussion um spirituellen mißbrauch, in der es darum geht, daß eine frau innerhalb feministischer spiritueller gruppen andre mißbraucht haben soll, sie via gruppendruck zu handlungen gezwungen haben soll,  die sie unter normalen umständen für sich ablehnen. dazu gibt es eine gegendarstellung, die u. anderem folgende passagen enthält: (die gegendarstellung ist von heide göttner-abendroth, gegen die auch die vorwürfe erhoben worden sind, im anschreiben an die mitfrauen der akademie hagia heißt es:"...bitte ich euch um die weitergabe dieser aufklärenden analyse wo immer ihr es für richtig haltet", na dann.) ich zitiere hier aus einem brief von sabine kröner an h. göttner- abendroth: "fragen, die sich angesichts deiner und meiner erfahrungen  ( und vieler feministischer "mütter") aufdrängen : sind frauen heute an einem historischen ort angekommen, von dem aus die solidarische verbundenheit der schwesterlichkeit der neuen frauenbewegung um die neidische , konkurrente seite zwischen "töchtern und müttern" ergänzend und grunddlegend thematisiert werden muß? in den 70ger und 80ger jahren waren die aktivistinnen politische schwestern und bestärkten sich mit "sisterhood is powerful" . heute rückt das generationsthema in den vordergrund. (...)auf der einen seite ist es erforderlich, daß feministische töchter sich mit theorien und politischen überzeugungen ihrer feministischen mütter/ lehrerinnen auseinandersetzen. fair sollte diese auseinandersetzung sein und in wertschätzung der historischen leistung der jeweiligen frauen, damit deren erfolge als geschichtliches basiswissen sichtbar und im bewußtsein aller menschen- besonders aber in dem der frauen verankert werden. dieses wissen kann frauen als kollektiv stärken und ein historisches kontinuum schaffen, welches frauen-macht erweitern hilft. auf der anderen seite müssen die pionierinnen und politischen lehrerinnen ihrerseits bereit sein, ihre theorien und politischen überzeugungen auf den prüfstand zu stellen. um diesen zielen auf breiter kollektiver basis näher zu kommen, ist es unerläßlich, daß feministische töchter und mütter ihre beziehung miteinander klären. diese beziehungsklärung ist dann sinnvoll, wenn sie bezug nimmt auf die emotionale und soziale zurichtung von müttern und töchtern in einer patriarchalen familie und gesellschaft, einer zurichtung, die vielfach einhergeht mit abwertung und wenig chancen zur autonomiebildung . "ich denke, um solcherart "mißbrauch" künftig zu verhindern braucht es natürlich auch reflexion über das vorgehen der leiterInnen spiritueller gruppen aber- und das kommt meiner ansicht nach in solchen diskussionen oft zu kurz ,es braucht grundlegende reflexion über die eigene fähigkeit der wahrnehmung der selbstverantwortung. meiner ansicht nach ist der terminus mißbrauch in diesem zusammenhang problematisch, erstens empfinde ich den gebrauch dieses wortes inflationär, in meinem sprachgebrauch gehört er in den themenkreis kindsmißbrauch, und in diesem zusammenhang ist es unverantwortlich, von einer selbstverantwortung des opfers, des kindes, zu sprechen. durch die übertragung des begriffs mißbrauch auf alle möglichen problemfelder geht meiner ansicht nach eine übertragung der inhalte einher- es ist auch hier geradezu anstößig, von einer selbstverantwortung des opfers zu reden. und das ist für meine begriffe ein verräterischer hinweis auf die obengenannte mutterproblematik. die praxis des "partire de sa", des von mir selbst ausgehens, hat mir in solchen wackligen situationen geholfen, meine selbstverantwortung nicht aus dem blick zu verlieren. gerade in therapeutischen und spirituellen gruppen, wo der gruppendruck auf subtile weise sehr hoch ist, hat es mir geholfen , meine grenzen unter allen umständen zu wahren, auch das kleinste gefühl für unstimmigkeit wahr- und ernstzunehmen.und das, was im moment verstärkt in mein blickfeld rückt ist, daß ich in den unterschiedlichsten zusammenhängen sehe, daß frauen ihren standpunkt nach der zustimmung von anderen frauen richten und sich auf die praxis des affidamento beziehen, daß es aber das uralte thema von autorität ist- ich vertraue nicht dem, was ich mit meinen sinnen wahrnehme und brauche richtungsweisung, zustimmung, bestärkung um mich sicher zu fühlen. was also, wenn ich mit den inhalten der frauen in deren tradition ich stehe, nicht übereinstimme? die lösung, für die ich nun drei wochen gebraucht habe , sehe ich darin, daß aufgrund der prägungen und verletzungen innerhalb der gesellschaftlichen realität -patriarchal und kapitalistisch- , die den erwerb einer autonomen identität so schwierig machen,die praxis des "partire de sa" für die einzelne in den vordergrund rücken sollte. wobei die praxis des affidamento für mich bedeutet, daß die bezugnahme  auf die äh-altvorderen in form einer kritischen auseinandersetzung geschehen kann, es ist nach wie vor bezugnahme. und das ein " mich anvertrauen" auch bedeutet, ich vertraue mich der auseinandersetzung mit einer anderen frau an, das nährende daran ist  einerseits, daß ich in der auseinandersetzung bestärkung in der fähigkeit des hinterfragens erhalte , auch wenn wir inhaltlich anderer meinung sind, und andererseits daß eine andere, die von sich selbst ausgeht, mit ihrer kraft der meinen ein gegenüber ist, daß sie "meine individution überlebt" weil sie sich als subjekt definiert. und das bestärkt mich darin, mein begehren im jetzt zu verankern. uff. ja, soweit. es würde mich interessieren, wie ihr darüber denkt. (3.12.2000)

 

Antje Schrupp:

Deine Schilderung ist ein schönes Beispiel dafür, was mir an vielen Bereichen, wo hier in Deutschland sich angeblich auf "affidamento" berufen wird, so mißfällt. Es bekommt den Charakter einer Aufforderung an ein dubioses Frauenkollektiv (die jüngeren Frauen), einem genauso dubiosen Frauenkollektiv (ältere Frauen) sich anzuschließen. Und genau das kann es ja nicht sein. Natürlich ist das ein ganz komplexes Thema (und ich soll darüber ja auch im Januar noch einen Vortrag halten, also will ich mal nicht mein ganzes Pulver hier schon verschießen :)) Aber doch ein paar Anmerkungen: 1. Nicht Autonomie feit uns vor spirituellem Mißbrauch und Abhängigkeit (ich glaube übrigens schon, dass es das gibt, weil spirituelle Sehnsucht eine ziemlich starke Kraft sein kann), jedenfalls: Nicht Autonomie feit uns davor, sondern gerade das Eingehen von Autoritätsbeziehungen unter Frauen. Eine Folge von weiblicher Autorität ist nämlich u.a., dass man das dubiose Kollektiv aufgebrochen hat und nicht mehr dem Gruppendruck unterworfen ist. Ein Beispiel aus dem echten Leben: Manchmal, wenn ich einen Text geschrieben habe, bei dem ich mir selbst nicht wirklich sicher bin, gebe ich ihn einer zu lesen, die für mich Autorität hat. Danach kann ich ihn veröffentlichen, selbst wenn er anderen nicht gefällt. Das funktioniert genauso innerhalb einer Frauengruppe: Ich und eine andere Frau in einer Autoritätsbeziehung - damit ist der Gruppendruck nicht mehr wichtig. Und der Gruppendruck ist in deinem Beispiel ja offenbar auch das Problem gewesen. Es war da wohl von Seiten der Leiterin weniger Autorität im Spiel, als Macht, die ja, wie wir von Hannah Arendt (Macht und Gewalt) wissen, auf der Zustimmung der Masse beruht. Also: Der Ausweg daraus heißt Autorität, nicht Autonomie. 2. Was daraus folgt: Es ist auch nicht unsere durch das Patriarchat gehandicapte Sozialisierung, die es verursacht, dass sich Frauen in solchen Situationen unterbuttern lassen. Das zu behaupten, verschleiert das Problem und es führt wieder ein falsches Frauen-Kollektiv-Denken herbei, wenn wir dort die Schuldigen suchen. Löst das Problem also nicht nur nicht, sondern verschlimmert es. 3. Partire da se und affidamento sind kein Widerspruch, da es ja darum geht, eine Alternative für die symbolische Unordnung des Patriarchats zu finden - das geht nur, wenn ich von mir selbst ausgehe (denn mein Erleben ist das einzige, dessen ich mir sicher sein kann) und mich damit einer anderen Frau anvertraue (Autoritätsbeziehungen eingehe), dann, wie Chiara Zamboni irgendwo mal so schön gesagt hat, eine allein könnte meinen, sie wäre verrückt. Das geht mir ganz oft so. Das ist ganz leicht im Alltag wiederzufinden (s.o.). Und somit sind partire da se und affidamento zusammen ein möglicher Ausweg aus der symbolischen Unordnung des Patriarchats ebenso wie aus den von dir geschilderten fatalen Folgen des Denkens in Frauenkollektiven, was aber vielleicht ja auchsowieso dasselbe ist, denn nur im Patriarchat macht es Sinn, von den Frauen als Kollektiv zu sprechen. (3.12.2000)

 

Sandra Robin:

das würde in letzter konsequenz bedeuten, daß autoritätsbeziehungen in deinem sinne quasi einen quantensprung im weiblichen bewußtsein bedeuten würde.ich glaube nicht an quantensprünge (höchstens mal einen kleinen, ab und an, in teilbereichen),aber an organische entwicklung. ich denke, es ist kein allheilmittel. dem gegenüber steht unsere sozialisation, die tatsache, daß kommunikation schon ein weites und u. u. problematisches feld ist-lauter stolpersteine die weiterbestehen. trotz verliehener autorität an eine andere.  allein der terminus "autorität" wird nicht von allen gleich gefüllt, es findet sich die gesamte bandbreite des umgehens mit autorität wie im richtigen leben- vom abgeben der eigenmacht an andere bis hin zu einem souveränen umgang damit. und um dahinterzukommen, wie jede für sich den terminus füllt (was üblicherweise von der reinen lehre abweicht) brauchts reflexion. und dann stoße ich auf meine sozialisation. und da besteht eine wechselwirkung zwischen gesellschaft und individuum. durch bloße umdeutung der gegenwart kann ich mich nicht aus meinem geschichtlichen und sozialen kontext lösen. wie siehst du das ? (11.12.00)

 

Antje Schrupp:

es geht mir nicht darum, Frauen zu Quantensprüngen zu treiben (also anders zu machen, als sie sind), sondern darum, zu beobachten, wie Beziehungen jetzt bereits funktionieren. Anders gesagt: es geht darum, die Wirklichkeit zu verstehen, nicht darum sie zu "machen" - wobei ein anderes Verständnis meinerseits natürlich bewirkt, dass mein Verhältnis zur Wirklichkeit sich ändert und ich anders handle, was dann wiederum die Welt selber verändert. Es funktioniert natürlich nicht so, dass wir sagen: Autorität ist das und das und wird so und so gemacht und dann ist alles besser. Sondern es geht darum, weibliche Autorität zu erkennen, wenn sie da ist (und sie ist in ganz vielen alltäglichen Situationen da, wenn man erstmal einen Begriff dafür hat -  denn was ich nicht benennen, nicht sagen kann, das kann ich auch nicht denken). Und wenn ich (nicht durch  Behauptungen aufstellen, sondern durch Beobachten, Erleben und darüber zusammen mit anderen Frauen reflektieren) verstanden habe, was weibliche Autorität ist, was sie befördert oder was ihr schadet, dann habe ich Handlungsmöglichkeiten, die ich vorher nicht hatte. Dazu muss sich gar nichts erst geändert haben, ich gehe von der Welt aus, so wie sie derzeit schon ist. Zum Beispiel hat mir dieser Begriff und das darüber Nachdenken geholfen, die Situation des "spirituellen" Missbrauchs, die du geschildert hast, als "Macht" zu identifizieren, auch wenn manche da vielleicht das Wort Autorität gebrauchen würden. Und entsprechend würde ich mich dann verhalten, wenn ich mit so einer Situation konfrontiert wäre ... Dafür ist es auch gar nicht nötig, dass alle Frauen das gleiche unter "Autorität" verstehen, wie ich. Die Frage ist doch: Ist der Begriff geeignet, um bestimmte Sachverhalte und Beziehungen zu beschreiben, um Unterscheidungen zu treffen (zum Beispiel zur Macht) und so fort. Das heißt: Hilft mir der Begriff, die Welt zu verstehen und mich in ihr zu orientieren und zu handeln. Das tut er, so wie er von den Italienerinnen wieder in die philosophische Debatte gebracht worden ist. Er hat sich für mich schlicht als praxis- und alltagstauglich erwiesen. Oder noch anders gesagt: Es gibt ja einerseits die philosophisch-feministische Auseinandersetzung, so wie wir sie hier z.B. führen  (auf dieser Ebene denken wir über Autorität nach und über vieles andere mehr) und dann gibt es die Alltagsebene, wo wir arbeiten, leben, einkaufen, was weiß ich - und da muss sich unser Denken dann sozusagen bewähren. Dafür, dass in meiner Arbeitssituation z.B. weibliche Autorität da ist (zum Beispiel der langjährigen Sekretärin) ist nicht notwendig, dass sie selber und meine KollegInnen das auch mit diesem Wort beschreiben würden. Oder wenn ich merke, dass eine jüngere Kollegin sich an mir orientiert, d.h. mich, wenn sie unsicher ist, ihre Sachen lesen läßt und meinem Urteil mehr vertraut, als meinem Chef (was natürlich eine Menge Komplikationen haben kann), dann hilft es mir doch, wenn ich das verstehe und dafür Begriffe habe, und es heißt nicht, dass ich im Büro jetzt über Autorität reden muß (11.12.00)

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