Antje Schrupp im Netz

Mit Netzwerken zum Erfolg

Vortrag zur Eröffnung der Frauenwirtschaftstage in Baden-Württemberg am 15.10.2014 in Ravensburg

Vor einiger Zeit traf ich bei einer Tagung zur Geschichte der Frauenbewegung die Soziologin Frigga Haug, die seit den 70er Jahren in der Frauenbewegung aktiv ist. Und sie sagte etwas, das mir sehr eindrücklich war. Das hauptsächliche Werkzeug der Feministinnen sei damals ihr Adressbuch gewesen.

Beziehungen und Netzwerke sind nicht nur die Grundlage der Frauenbewegung, sondern überhaupt jeden Engagements, sei es beruflich, politisch oder privat.

Andere zu kennen, denen man sich anvertrauen kann, die Informationen weiter geben können, die man mobilisieren kann für eine Aktion oder auch eine Geschäftsidee, der Austausch von Informationen, von Schlafplätzen, von Adressen. Zu wissen, wen man fragen kann, wenn man selbst oder eine Freundin oder die Freundin einer Freundin ein Problem hat oder eine Idee verwirklichen möchte. Namen von Frauen, die irgendwo in einer einflussreichen Position sind und ihre Ressourcen für eine gute Sache zur Verfügung stellen können.

Das Netzwerken als Methode, um „Erfolg zu haben“ oder, wie ich lieber sagen würde, in der Welt etwas zu bewegen, ist natürlich uralt. Es beruht auf persönlichen Beziehungen, folgt nicht festen Regeln. Das Netzwerken steht quer zu der Art und Weise, wie unsere Gesellschaft ansonsten geregelt ist, nämlich in Form von Institutionen und Organisationen, Verträgen und Gesetzen. Es hat immer noch einen negativen Beigeschmack, wenn jemand „die Beziehungen spielen“ lässt.

Trotzdem wird inzwischen die Wichtigkeit von Netzwerken anerkannt. Es ist nämlich klar geworden, dass Institutionen und Regelwerke immer begleitet sind von Netzwerken, dass sie nie so objektiv und neutral sind, wie sie vorgeben.

Frauen haben das zum Beispiel im Zuge ihrer Emanzipation herausgefunden. Sie waren ja ursprünglich von den Institutionen der Männer ausgeschlossen und mussten lange um ihre Gleichberechtigung kämpfen. Aber dann, als wir gleichberechtigt waren, stellten wir fest, dass uns das nur zum Teil etwas nützte. Wir stellten zum Beispiel fest, dass das, was auf den offiziellen Meetings besprochen wird, nur ein Teil des Ganzen ist. Dass die eigentlichen Strippen ganz woanders gezogen werden. Dass viele Entscheidungen schon gefallen sind, bevor sie irgendwo offiziell vereinbart werden – nämlich in den Hinterzimmer der sprichwörtlichen „Old Boy’s Networks“.

Wenn wir über das Netzwerken sprechen und inwiefern es unverzichtbar dafür ist, erfolgreich zu sein, müssen wir deshalb immer die Wechselwirkung bedenken zwischen dem Netzwerken (also der informellen Beziehungspflege und dem persönlichen Austausch jenseits von Funktionen und Hierarchien) und den Institutionen und Organisationen, in denen „neutrale“ Gesetze und Regeln gelten, die man notfalls auch einklagen kann. Zwischen jenem informellen Bereich, in dem gerade die Unterschiede zwischen den Einzelnen von Bedeutung sind und fruchtbar gemacht werden sollen, und jenem vertraglich-gesetzlichen Bereich, in dem alle als „Gleiche“ behandelt werden.

Eigentlich könnte man ja vermuten, dass die Seite der Institutionen und Organisationen eher „männlich“, die der Beziehungen eher „weiblich“ ist. Schließlich waren die Institutionen ursprünglich, wie gesagt, nur Männern vorbehalten, während im Privaten bis heute eher die Frauen für die Beziehungspflege zuständig sind.

Dennoch ist sehr oft die Klage zu hören, dass Frauen das berufliche oder politische Netzwerken nicht gut hinkriegen. Jedenfalls lange nicht so gut wie die Männer. Weshalb sie sich über ausbleibenden Erfolg in Punkto Gleichstellung auch nicht wundern müssten. Frauenpolitisch setzen viele deshalb ihre Hoffnungen auf das Formale, auf Gesetze. Gleichstellungsgesetze oder Quoten etwa sollen den Erfolg von Frauen befördern.

Woher kommt dieses Missverhältnis? Sind Frauen im Netzwerken nun besonders gut oder besonders schlecht?

Ich glaube, das Rätsel löst sich, wenn wir verstehen, dass die Art und Weise, wie Frauen „Beziehungen“ verstehen, nicht ganz dasselbe ist, wie das, was heute unter „Networking“ verstanden wird. Auch wenn es natürlich Ähnlichkeiten gibt.

Ein Hauptunterschied: „Networking“ ist eben nur zu verstehen im Wechselspiel mit den Institutionen und den Orten gesellschaftlicher Macht. Offensichtlich ist das ja zum Beispiel bei Mentoringprogrammen, wo „etablierte“ Mentorinnen und Mentoren ihr Wissen und ihre Ressourcen den Mentees zur Verfügung stellen. Networking ist immer auch instrumentell, und das verträgt sich nicht gut mit dem, was sich viele Frauen unter guten Beziehungen vorstellen.

Ein anderer Unterschied ist die Definition von „Erfolg“. Was bedeutet eigentlich Erfolg? So, wie das Wort meist gebraucht wird, meint es messbaren Erfolg anhand der üblichen gesellschaftlichen Kriterien: viel Geld, viel Macht, hoher sozialer Status.

Wir sagen, Frauen seien in Punkto Networking weniger erfolgreich als Männer, weil es ihnen ja offenbar nicht genauso viel Geld, Macht und Status einbringt. Dabei gehen wir aber von einer Annahme aus, die möglicherweise gar nicht zutrifft: Nämlich dass Frauen im selben Maß wie Männer nach Geld, Macht und Status streben. Ist das denn so?

Oder müssten wir nicht Erfolg daran messen, wie nah jemand den Zielen kommt, die sie oder er sich selbst setzt? Wir dürfen nicht das, was Frauen tun, immer gleich als Defizit im Hinblick auf das interpretieren, was Männer tun. Das würde ja bedeuten, dass das, was Männer im allgemeinen tun, das Vernünftigste, Erstrebenswerteste und Wünschenswerteste ist, was ein Mensch tun kann. Ich akzeptiere eine solche Norm des Männlichen nicht.

Ich gehe lieber so vor, dass ich mir anschaue, was Frauen tun, und dann überlege, welcher Sinn und welche Absichten darin eventuell liegen. Auf diese Weise ist es nämlich möglich, auch tiefer gehende Differenzen und Konflikte aufzudecken. Was wäre, wenn Frauen gar nicht innerhalb der von einer männlichen Kultur vorgegebenen Parameter „erfolgreich“ sein möchten, sondern wenn diese Parameter vielleicht grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen? Wenn Frauen bei dem, was sie tun, ganz andere Ziele verfolgen?

Italienische Feministinnen vom Mailänder Frauenbuchladen haben die Praxis der Beziehungen unter Frauen und vor allem in der Frauenbewegung grundlegend analysiert. In ihrem 1990 erschienenen und auch in Deutschland weit verbreiteten Buch „Wie weibliche Freiheit entsteht“ stellten sie die These auf, dass Beziehungen unter Frauen notwendig sind, um in einer von Männern und ihren Institutionen dominierten Welt einen unabhängigen Standpunkt einnehmen zu können.

„Affidamento“, sich anvertrauen, ist das Stichwort, unter dem dieser Gedanke die Runde gemacht hat. Es bedeutet, dass wenn eine Frau einen Wunsch hat, eine Idee, ein Vorhaben oder auch Zweifel, Probleme, Ängste, dass es dann wichtig ist, dass sie dabei auf die Unterstützung, die Erfahrung und auch die kritische Auseinandersetzung anderer Frauen zurückgreifen kann. Weil die Welt nämlich auf die Wünsche und Ambitionen von Frauen nicht unbedingt gewartet hat.

Aus diesem „sich Anvertrauen“, aus dieser Qualität der Beziehungen unter Frauen, so die These der Italienerinnen, entsteht weibliche Freiheit. Nicht aus staatlicher Anerkennung, aus Frauenfördergesetzen, Quoten und so weiter. Die Freiheit der Frauen basiert nicht darauf, dass sie von einer männlichen Kultur anerkannt wird – etwa in Form von „Gleichstellung“, die ja immer die Gleichstellung der Frauen mit den Männern ist – sondern darauf, dass Frauen sich selbst ernst nehmen, dass sie ihre eigenen Maßstäbe entwickeln, dass sie bedeutsame Beziehungen untereinander aufbauen. Das ist dann die Basis dafür, dass Frauen sich für das, was sie für richtig halten, einsetzen, Konflikte eingehen, ohne sich am Urteil, dem Lob oder der Kritik von Männern zu orientieren. Und nur dann können sie wirklich etwas Substanzielles verändern.

Dieses Konzept des „Affidamento“, also der Beziehungen unter Frauen, war nicht nur gegen die Gleichstellungsidee gerichtet, sondern auch gegen die früher sehr beliebte feministische Idee der „Sisterhood“. Also die Annahme, alle Frauen hätten dieselben Probleme und Interessen und müssten sich gegen die Männerwelt verbünden. Es gibt aber kein gemeinsames „Wir“ der Frauen. Frauen sind unterschiedlich, sie sind keine homogene Gruppe. Und zwar sind Frauen nicht nur unterschiedlich, was ihre Herkunft angeht – soziale Schicht, Kultur, Bildungshintergrund, und so weiter, was heute unter dem Stichwort „Diversity“ im Blick ist. Viel wichtiger ist noch, dass Frauen sich auch aktiv voneinander unterscheiden, indem sie unterschiedliche Ansichten vertreten, unterschiedliche Wünsche haben und so weiter.

Statt diese Unterschiede zu verwischen und unter dem Stichwort „Frauensolidarität“ so zu tun, als würden alle Frauen gemeinsame Forderungen stellen, zum Beispiel an den Staat oder die Männer, schlugen die Italienerinnen vor, diese Unterschiede fruchtbar zu machen. Dass eine Frau einer anderen etwas voraus hat, dass sie ein „Mehr“ in die Beziehung einbringen kann, ist doch keine Gefahr, sondern ein Potenzial: Gerade weil Frauen unterschiedlich sind, können sie voneinander lernen, können sie sich gegenseitig bereichern, inspirieren, kritisieren weiterbringen.

Ich glaube, dass die gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser weiblichen Praxis einer „Politik der Beziehungen“ noch nicht gut analysiert ist. „Affidamento“ ist ja offenbar viel mehr als einfach nur Networking – auch wenn die Übergänge natürlich fließend sind.

Beim Affidamento geht es anders als im Networking nicht um Hierarchien, sondern um Unterschiede. Wer ein „Mehr“ und wer ein „Weniger“ hat, lässt sich nicht anhand allgemeiner gesellschaftlicher Wertigkeiten ablesen, wie etwa dem unterschiedlichen Status von Mentee und Mentorin. „Mehr“ hat nicht unbedingt diejenige, die mehr Macht, mehr Einfluss, mehr Geld hat, sondern das „Mehr“ bemisst sich an dem, was die jeweils andere erreichen will und sich wünscht. Ob es ihr dabei hilft, das in die Welt zu bringen und zu verwirklichen.

Wenn wir eine Professorin und eine Studentin, eine Abteilungsleiterin und eine Praktikantin, eine Grafikerin und die Art-Direktorin eines großen Magazins sehen, dann ist unter „Networking“-Gesichtspunkten klar, wer hier wem hilft. Unter „Affidamento“-Gesichtspunkten hingegen nicht – denn je nach dem individuellen Begehren kann auch eine Studentin einer Professorin und eine Praktikantin einer Abteilungsleiterin etwas voraus haben.

Die weibliche Politik der Beziehungen richtet sich also nicht einfach nach den üblichen Erfolgsmaßstäben, sondern nach dem individuellen Begehren Einzelner, die etwas lernen und verändern möchten und dafür Hilfe und Unterstützung suchen. Es hat deshalb auch mehr „revolutionäres“, gesellschaftsveränderndes Potenzial.

Diese Praxis der Beziehungen ist nicht instrumentell – und das ist ja einer der großen Einwände, die viele Frauen gegen das traditionelle „Networking“ haben. Ich weiß nicht, ob es die Wirklichkeit wiedergibt oder nur ein Klischee ist, aber ich selbst habe schon Karriereratgeber gelesen, in denen stand, man solle die eigenen Kontakte bewusst daraufhin pflegen, wer einem vielleicht mal nützlich sein kann und wer nicht. Auf keinen Fall soll man sich zu viel mit unnützen Leuten abgeben.

Klassisch ist inzwischen auch schon der Ratschlag, dass Frauen in Führungspositionen sich dicke Autos zulegen müssten, um von den Männern in der Firma ernst genommen zu werden, oder dass sie nach dem offiziellen Teil der Tagung unbedingt noch mit zum Saufen an die Bar gehen müssten, weil da die wirklich wichtigen Gespräche laufen. Das ist meiner Meinung nach Assimilierungspropaganda. Manchmal gibt es vielleicht tatsächlich keinen anderen Weg. Aber als genereller Rat an Frauen, die erfolgreich sein möchten, ist es genauso albern, wie es klingt.

Natürlich kann es im Einzelfall sinnvoll sein, dass man nett zu Leuten ist, die man eigentlich fürchterlich findet, weil man ihre Unterstützung braucht. Aber wir sollten darin doch nicht der Weisheit letzten Schluss sehen.

Was mir am Beziehungskonzept des Affidamento besonders gut gefällt ist die große Betonung, die dabei auf dem individuellen Begehren liegt. Seit ich diese Praxis versuche zu leben, also seit ungefähr zwanzig Jahren, habe ich nach und nach gelernt, meinen eigenen Gefühlen mehr zu trauen, mir selber zu glauben, wenn mir etwas Unbehagen bereitet.

In diesen emanzipierten Zeiten von heute stehen wir Frauen ja vor zwei Problemen, die teilweise widersprüchlich sind: Einmal vor dem Problem, dass wir immer noch um den Zugang zu den früher exklusiv männlichen Orten kämpfen müssen, also gläserne Decken durchstoßen und dergleichen. Aber andererseits stehen wir auch vor dem Problem, dass es einen großen Anpassungsdruck gibt, nach dem Motto: Wenn ihr hier mitspielen wollt, müsst ihr die Spielregeln akzeptieren, denn die sind nun mal so wie sie sind.

Aber wenn schon Emanzipation, dann muss das ja wohl bedeuten, dass auch die Spielregeln neu verhandelt werden. In diesem Prozess, in dem wir uns momentan befinden, müssen Frauen also sowohl die Regeln der Macht verstehen und mit ihnen umgehen, als auch eine kritische Distanz dazu behalten. Und dazu gehört als erstes einmal, sich selbst ernst zu nehmen, wenn man die existierenden Spielregeln nicht gut findet.

Mir hilft dabei mein feministisches Beziehungsnetz, wobei ich „Netz“ gar nicht für ein so gutes Bild halte. Ein Netz ist auch irgendwie bedrückend, man kann sich darin verheddern. Außerdem ist ein gutes Netz gleichmäßig geknüpft, während mein Beziehungsgewebe aber total unordentlich aussieht. Ich habe mit manchen Frauen intensivere Beziehungen und mit anderen weniger intensive, manche Fäden sind also dick, andere dünn. An manchen Stellen knäult sich das Gewebe regelrecht zusammen, anderswo gibt es riesige Löcher.

Die Italienerinnen sprechen statt von einem Netz von „dualen Beziehungen“. Das, was im Zentrum steht, ist nicht das Netzwerk einer undefinierten Masse von Frauen, sondern die konkrete Beziehung zwischen einer Frau und einer anderen. Um die herum siedeln sich andere Beziehungen und Verknüpfungen an und so weiter. Die Italienerinnen nennen das einen „fleischlichen Kreis“, also ein Gefüge, das nicht durch Regeln oder formale Rahmenbedingungen zusammengehalten wird, sondern durch konkrete Frauen in Fleisch und Blut, die gemeinsame Beziehungsgeschichten mit konkreten anderen Frauen verbindet. Das Netz hat kein Zentrum, und es ist auch keine gleichmäßige dezentrale Fläche, sondern es sieht von jedem Standpunkt aus anders aus.

Mein Beziehungsnetz ist nicht nur unordentlich und durcheinander gewebt, sondern es verändert sich auch ständig. Unsere Wünsche ändern sich, unsere Vorlieben, und dann werden an der einen Stelle Beziehungen gelockert oder aufgelöst, an anderer Stelle neu geknüpft. In einer Frauengruppe, in der wir darüber einmal diskutierten, wie unsere politische Praxis der Beziehungen eigentlich funktioniert, entstand das Bild des Knäuels. Manchmal knäulen sich unsere Beziehungen an einer Stelle sozusagen zusammen, und dann entsteht ein gemeinsames Projekt, das sehr oft dann auch das Licht der großen Öffentlichkeit erblickt und institutionelle Formen annimmt.

Zum Beispiel, wenn ich mit anderen zusammen einen Verein gründe, einen Kongress organisiere oder ein Buch herausbringe. Oder wenn irgendwo ein Projekt gegründet oder eine politische Aktion gestartet wird. Dann werden für einen gewissen Zeitraum die Beziehungen an dieser Stelle sehr intensiv und dicht, man hat oft miteinander zu tun, trifft sich regelmäßig, verbindet sich enger. Es entsteht also eine Eisbergspitze, die die Meeresoberfläche durchdringt. Diese Meeresoberfläche markiert den Übergang zwischen Privat und Öffentlich – ein Teil von dem, was diese Beziehungen prägt, ist privat, aber sie haben einen Einfluss auf mein und unser öffentliches In-Erscheinung-Treten.

Zum Beispiel habe ich voriges Jahr zusammen mit politischen Freundinnen die Denkumenta organisiert, einen internationalen Feminismuskongress in Österreich. Ein Jahr vorher hatten wir ein „ABC des guten Lebens“ herausgebracht. Das sind solche sichtbaren Erzeugnisse unseres Netzwerkens, aber sie sind nicht sein Zweck. Wir treffen uns nicht, damit wir etwas auf die Beine stellen können, das uns dann sichtbar und berühmt macht, sondern weil wir gerne miteinander diskutieren und uns das Spaß macht und weiter bringt. Und manchmal wird eben etwas von dem, was wir tun, für andere sichtbar – während der große Eisberg unserer Praxis unter der Meeresoberfläche bleibt, also für die meisten Menschen unsichtbar ist.

Ein solches „politisches Gewebe“ ist nicht einfach die informelle Gegenseite von Institutionen und Organisationen wie das traditionelle Networking. Sondern es existiert von diesen völlig unabhängig. Wenn wir uns zu treffen, spielt es keine Rolle, wer von uns Professorin an einer Universität ist und wer Freelancerin, wer einen Doktortitel hat und wer nicht, wer viel Geld hat und wer wenig (außer dass wir versuchen, beim Geld etwas umzuverteilen, etwa wegen der Fahrtkosten). Was uns aneinander interessiert ist nicht der potenzielle Nutzen der anderen für mich selbst, sondern das, was jede von uns einzubringen hat, ausgehend von einer gemeinsamen Geschichte, die wir miteinander teilen.

Diese Art des Beziehungsgeflechts, das nicht eine Ergänzung der klassischen Machtstrukturen ist, sondern davon unabhängig, finde ich teilweise auch im Internet. Die Sozialen Medien – also zum Beispiel Facebook, aber auch andere, Blogs, Twitter und so weiter – machen die Wichtigkeit von sozialen Beziehungen sichtbar und bewusst. Dass sie durch ihre Unabhängigkeit und Selbstorganisation die klassischen Institutionen herausfordern oder sogar ihre Existenz gefährden, wird inzwischen häufig diskutiert.

Zum Beispiel ist es mit Hilfe solcher Plattformen möglich, Beziehungen zu viel mehr Menschen zu pflegen, als das früher möglich war, als man auf Faxe, Briefe oder Telefon angewiesen war – man braucht also weniger Parteien oder Vereine, um sich zu organisieren. Es ist Dank Internet möglich, zu publizieren und sich in öffentliche Diskurse einzumischen, ohne den Weg über Mainstreammedien oder Institutionen gehen zu müssen. Gruppen und Bewegungen können etwas bewirken, ohne repräsentative Institutionen und Sprecherinnen auszubilden. Im Netz spricht tatsächlich jede für sich selbst, und trotzdem sind gemeinsame Aktionen möglich.

Viele der Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit der so genannten „Netzpolitik“ jetzt „neu“ zu Bewusstsein kommen, sind mir aus der Frauenbewegung schon lange vertraut. Zum Beispiel auch, dass die Unterscheidung zwischen Privat und Öffentlich eine künstliche ist, die in dem Moment, wo Menschen sich direkt miteinander vernetzen und das Politikmachen nicht mehr an Repräsentanten, Parteien und Institutionen delegieren, nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Das Private ist politisch! Deshalb wundert es mich auch gar nicht, dass in den sozialen Netzwerken mehr Frauen als Männer aktiv sind.

Allerdings sieht das auf den ersten Blick nicht so aus, das Internet gilt ja vielen immer noch als Männermedium. Und wenn man sich die typischen Evaluationswerkzeuge anschaut, dann scheint das zu stimmen: Mehr Klicks, mehr Zitierungen, mehr Reichweite für die männlichen Alpha-Blogger, es sind Männer, die in allen möglichen Rankings die ersten Plätze besetzen.

Aber was bei einer Politik der Beziehungen zählt, ist nicht die schiere Masse der am Netzwerk beteiligten Personen, sondern die Qualität des Austauschs. Ein Blogartikel, der zwei Menschen dazu bringt, ihre Meinung zu überdenken, hat mehr Einfluss und Reichweite als einer, der zwanzigtausend Menschen in ihrer Meinung bestätigt.

Die gesellschaftsverändernde Kraft von Beziehungen liegt darin, dass es einen qualitativen Sprung geben kann, wenn im gemeinsamen Austausch zwischen Begehren und Autorität eine Idee geboren wird, die vorher noch nicht auf der Welt war. Ein fruchtbares und inspirierendes Gespräch zwischen zweien, dreien oder vieren kann für die Welt bedeutsamer sein als eine Demonstration von zweitausend, dreitausend oder viertausend, bei der nur altbekannte Forderungen wiederholt werden.

Wie und auf welche Weise sich unsere Gesellschaft durch das Internet verändern wird, ist jetzt noch nicht abzusehen. Es gibt neben den ermutigenden Entwicklungen auch problematische und bedenkliche, in punkto Datenschutz zum Beispiel oder auch in Punkto Diskussionskultur. Umso wichtiger finde ich es, dass Frauen sich mit ihrer Expertise an diesen Debatten beteiligen und darauf Einfluss nehmen. Das Wissen der Frauen darüber, wie Beziehungsnetze auf der Grenze von Privat und Politisch funktionieren, das eben schon viel älter ist als das Internet, sollte hier unbedingt einfließen.

Vielleicht sind Frauen sich dieser Stärke nicht immer bewusst, weil sie wenig darüber reflektiert haben und die Maßstäbe ihrer „Frauenpolitik“ in der Vergangenheit oft von den Maßstäben der Institutionenpolitik abgeleitet haben. An diesem Maßstab gemessen konnte die Bilanz der Politik der Frauen manchmal kläglich aussehen: Keine großen Zahlen, keine mitgliederstarken Vereine, keine sichtbare Lobby, wenig Berichterstattung in den Mainstream-Medien.

Aber ist es nicht der Frauenbewegung trotz dieser scheinbar mickrigen Bilanz gelungen, unsere Gesellschaft in den letzten vierzig Jahren ganz maßgeblich zu verändern? Im Verhältnis von Frauen und Männern ist doch kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Natürlich sind wir immer noch nicht zufrieden, natürlich gibt es noch viel zu tun. Aber dass die Frauenbewegung keine Erfolge gehabt hätte, das kann man nun wirklich nicht behaupten. Ich meine sogar, es war die erfolgreichste soziale Bewegung, die wir jemals hatten.

Allein, es fehlt uns das Instrumentarium, um diese Erfolge zu messen und zu bewerten. Dass Frauen in den Spitzengremien unserer Gesellschaft trotz allem nicht in gleichem Maße vertreten sind, wie Männer, ist vielleicht – um eine etwas steile These aufzustellen – überhaupt kein Zeichen ihres Scheiterns, sondern im Gegenteil ein Zeichen ihrer Stärke. Vielleicht sind die Frauen längst schon anderswo, vielleicht sind sie bereits dabei, eine postpatriarchale Gesellschaft aufzubauen, die nach anderen Maßstäben funktioniert und den Herausforderungen unserer Zeit besser gewachsen ist. Vielleicht sind sie dort, wo neue Formen des Politischen bereits am Entstehen sind.

Allerdings müssen wir an dieser Stelle aufpassen, nicht ins Gegenteil zu verfallen. Es gibt derzeit einen Rückzug der Frauen aus dem Bereich der strukturellen Macht, aus den Institutionen, Parteien und Organisationen und so weiter. In 1980er Jahren kämpften viele Frauen aktiv dafür, Zugang zu den Institutionen zu bekommen. Sie aktivierten ihre persönlichen Netzwerke, um für frei werdende Positionen Kandidatinnen zu finden, bestärkten sich gegenseitig, kämpften gegen eine meist skeptische oder missgünstige Männermehrheit und die damals noch oft geäußerten Zweifel, ob Frauen das denn überhaupt können.

Heute, dreißig Jahre später, ist dieser Elan verflogen. Wir haben alles schon erreicht. Und wenn es noch aufregend war, die erste weibliche Bürgermeisterin zu sein, so ist es weitaus weniger aufregend, die fünfte zu sein. Wir haben längst bewiesen, dass Frauen alles können. Die Frage, die sich heute stellt, ist, ob wir das alles denn überhaupt wollen? Und die Antwort lautet offenbar: Eher nicht. Alle Parteien, alle herkömmlichen Institutionen haben Schwierigkeiten, Frauen zu finden, die sich in ihnen engagieren wollen, vor allem in Spitzenämtern. Manche Parteien veranstalten schon regelrechte Werbekampagnen oder schalten Anzeigen, um Frauen zu gewinnen. Ähnlich geht es Vereinen, Kirchen, Gewerkschaften – überall Frauenmangel in der Führungsriege. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Manche geben sich Mühe, Frauen zu gewinnen, andere stellen sich auf den Standpunkt: Ist uns doch egal, wenn die Frauen nicht wollen, selber schuld.

Diese Wiedervermännlichung der institutionellen Welt ist ein bedenklicher Trend, der unsere Aufmerksamkeit verdient. Der Rückzug der Frauen ist nicht einfach ein Zurück zu voremanzipatorischen Zeiten. Institutionen, denen es nicht gelingt, Frauen für sich zu motivieren, müssen sich heute zunehmend dafür rechtfertigen. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Zeit vor der Frauenbewegung, und auch der Grund, warum sich immer mehr gesellschaftliche Kräfte für eine Frauenquote aussprechen. Die Kluft wird einfach zu groß zwischen dem vielfältigen Engagement von Frauen in allen möglichen Bereichen und der großen Bedeutung, die das für unsere Gesellschaft und unser aller Leben hat, und der Männerdominanz in den klassischen Führungsgremien der Parteien, Universitäten, Wirtschaftskonzerne oder Medien.

Deshalb sollten wir diese offensichtliche „Unvereinbarkeit“ von Frauen und Institutionen nicht einfach achselzuckend hinnehmen. Chiara Zamboni warnt vor einer Illusion, die es gerade unter Frauen manchmal gibt, nämlich der Illusion, dass Beziehungen und persönliche Netzwerke reichen und dass wir uns um die Institutionen gar nicht kümmern müssen. Sie schreibt:

„Trotz der Bedeutung von Beziehungen für die Politik dürfen wir die Politik keineswegs auf Beziehungen reduzieren. Beziehungen sind die Bedingungen, um den politischen Raum zu eröffnen. Sie sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen. Sie sind wie Brücken. Aber Brücken bringen einen entweder ans andere Ufer, oder sie werden zu einer Art Falle. Es ist gefährlich, sein Herz an Brücken zu hängen und anzufangen, sie zu bewohnen, als ob sie die ganze Welt wären. In anderen Worten: Wer sich mit Beziehungen begnügt, verliert die Welt aus dem Blick. Und diesen Fehler, sich für Beziehungen zu begeistern und den Blick von der Welt abzuwenden, habe ich bei vielen Frauen gesehen, die manchmal schließlich die Beziehungen mehr liebten oder mehr an sie gebunden blieben als an den Sinn und die Veränderung des Realen.“

Das Zitat stammt aus einem neuen Buch der italienischen Feministinnen mit dem Titel „Macht und Politik sind nicht dasselbe“, das ich zusammen mit Dorothee Markert ins Deutsche übersetzt habe. Die Unterscheidung zwischen Macht und Politik fand ich sehr hilfreich, weil sie meines Erachtens den Kern dessen betrifft, was Frauen von „erfolgreichem“ Handeln innerhalb von Organisationen und Institutionen abhält:

Und zwar, dass sie glauben – oder vermittelt bekommen – man müsste sich der Logik der Macht unterwerfen, um an Orten der Macht etwas bewirken zu können. Die Italienerinnen schlagen hingegen vor, an diese Orte zu gehen, um dort Politik zu machen.

Macht bedeutet, dass da feste Strukturen sind, die Hierarchien festlegen und zum Beispiel manchen Menschen die Befugnis geben, Entscheidungen zu treffen, ohne sich mit dem Begehren der anderen auseinanderzusetzen. Wer Macht hat, kann Dinge durchsetzen, auch gegen den Willen der anderen. Politik hingegen bedeutet, dass man sich um Lösungen bemüht, die das Zusammenleben von Verschiedenen möglich machen, dass man gemeinsam mit anderen Regeln herausbildet und sich auf diese Weise organisiert. Viele Frauen denken immer noch, dass beides nicht zusammen geht. Und unsere Erfahrungen mit der Gleichstellung sind ja nicht nur eitel Sonnenschein. Vieles von dem, was Frauen schildern, die in Führungspositionen waren oder sind, klingt in der Tat entmutigend. Und das müssen wir ernst nehmen. Aber die Alternative kann eben nicht der Rückzug sein.

Für alle, die innerhalb von Machtstrukturen und traditionellen Institutionen etwas bewirken wollen, bietet das Buch der Italienerinnen ein gutes Handwerkszeug und hilfreiche Analysen. Das Netzwerken ist dafür jedenfalls ein ganz wichtiges Tool. Denn wer starke und vertrauensvolle Beziehungen hat, so wie ich es oben im Sinne von „Affidamento“ beschrieben habe, ist unabhängiger von den Mechanismen der Macht und kann sie daher eher herausfordern. Wer einen anderen Ort des Austauschs, der Anerkennung und der Heimat hat, muss den eigenen „Erfolg“ nicht nur in den Maßstäben der Organisationen denken.

Zum Beispiel kann ich mich für ein Amt zur Wahl stellen und dabei offen mein Programm und meine Absichten erläutern – und wenn ich dann nicht gewählt werde, muss ich das nicht als Niederlage begreifen, weil mein Ziel ja nicht war, um jeden Preis gewählt zu werden, sondern bestimmte Vorhaben umzusetzen. Oder ich kann mich um eine Führungsposition in meiner Firma bewerben mit der Absicht, bestimmte Dinge zu verändern, ohne dass ich mich dafür verstelle, und wenn ich die Stelle dann nicht bekomme, dann ist das zwar schade, aber ich habe es immerhin versucht.

Wir scheitern aber nicht immer. Und wenn ich auf diese Weise doch mal in eine Machtposition komme, habe ich viel mehr Möglichkeiten, dort dann auch auf die Weise zu wirken, die mir vorschwebt. Ich habe nämlich keine falschen Versprechungen gemacht, mich nicht im Vorfeld schon angepasst oder anders dargestellt, als ich bin. Es ist auffällig und schon häufiger analysiert worden, dass diejenigen Frauen, die innerhalb von etablierten Machtstrukturen am meisten bewirkt haben, fast immer aufgrund von unvorhergesehenen Entwicklungen in diese Position gekommen sind und nicht aufgrund der üblichen Ochsentour. Angela Merkel ist dafür übrigens ein gutes Beispiel.

Eine Politik der Beziehungen schließt jedenfalls politisches Engagement innerhalb der bestehenden Institutionen oder beruflicher Erfolg in einer Firmenhierarchie nicht aus. Es gibt nicht bessere und schlechtere Orte, um Politik zu machen, schreibt Fulvia Bandoli in dem erwähnten Buch. Ob eine Bundeskanzlerin ist oder Aktivistin in der lokalen Umweltgruppe ist egal. Ob eine Managerin ist oder Verkäuferin, selbstständig oder angestellt, ist egal – nicht für ihren Geldbeutel freilich, aber für ihre Möglichkeit, etwas zu bewirken.

Erfolgreich sind wir dann, wenn wir unserem Begehren in der Welt folgen. Wenn wir etwas tun, das wir für sinnvoll halten, wenn wir Einfluss nehmen auf unsere Umwelt. Und dieser Erfolg ist unabhängig von der formalen Machtposition, die wir haben. Eine Top-Managerin, die nur die Vorgaben der Konzernleitung erfüllt und sich jegliche Eigenwilligkeit versagt aus Angst, dann entlassen zu werden, ist weniger erfolgreich als eine Verkäuferin, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für bessere Arbeitsbedingungen in ihrer Filiale einsetzt. Ein Redakteur einer großen Zeitung, der beim Schreiben seiner Artikel dauernd auf

Quote und Werbeanzeigen achtet, ist weniger erfolgreich als eine Bloggerin, die genau das schreibt, was sie schreiben will.

Aber andersrum stimmt eben auch, dass eine Verkäuferin oder eine Bloggerin nicht automatisch bessere Möglichkeiten haben, bloß weil sie weniger in Machtstrukturen verwickelt sind. Macht korrumpiert nicht zwangsläufig. Und auch eine Verkäuferin kann sich völlig ihrem Chef unterordnen, oder eine Bloggerin kann beim Schreiben dauernd überlegen, was andere denn wohl lesen wollen.

Außerdem: Wer sich wirksam mit den eigenen Wünschen und Vorstellungen in das Weltgeschehen einmischen will – und das ist es ja, was ich unter „Erfolg“ verstehe – ist unweigerlich mit der Macht und ihren Strukturen konfrontiert. Wir können dem nicht aus dem Weg gehen oder uns in eine heile private Frauenwelt zurückziehen. Wir müssen Zwänge und Notwendigkeiten realistisch einschätzen und mit ihnen umgehen.

Aber wir können versuchen, unsere Leidenschaft und unsere Wünsche, unsere Vorstellungen von Kultur und echtem politischen Austausch auch an solche Orte zu tragen, die herkömmlicherweise von der Logik der Macht geprägt sind. Wir können uns dort aufhalten, ohne die eigenen Ideale aufzugeben, ohne uns einfach nur anzupassen an das Bestehende.

Das ist es, wofür wir Netzwerke und Beziehungen brauchen. Sie geben uns Rückhalt, Ressourcen, Bestätigungen, Ideen, und vor allem machen sie uns unabhängig von angeblich unveränderlichen Spielregeln, die andere ohne uns bereits festgelegt haben. Sie halten uns in Kontakt mit unserem eigenen Begehren, jedenfalls haben sie das Potenzial dazu. Sie geben Warnzeichen, wenn wir dabei sind, uns zu assimilieren, aber auch, wenn wir uns resigniert in die private Kuschelecke zurückziehen wollen.

Aber dafür müssen wir sie auch bewusst pflegen. Oft höre ich von Frauen, mit denen ich über meine politische Praxis der Beziehungen spreche, dass sie das total toll finden, aber selber dafür keine Zeit haben. Sie haben zu viele Termine und Verpflichtungen, um drei oder vier Mal im Jahr ein Wochenende zusammen mit politischen Freudinnen wegzufahren. Sie lassen wegen überfüllter Terminkalender öfter mal den frauenpolitischen Stammtisch in ihrem Ort ausfallen. Sie finden keine Zeit, um sich einmal die Woche mit Kolleginnen oder anderen einfach mal ohne konkrete Aufgabe auszutauschen und zusammen zu sitzen. Und im Internet sind sie auch nicht, das ist ja erst recht ein Zeitfresser.

Aber wer keine Zeit findet, um Beziehungen zu pflegen, um sich ein Gewebe von Freundinnen aufzubauen, ist in dieser Welt verloren und wird kaum Erfolg haben, davon bin ich wirklich überzeugt. Ich erteile nicht gerne Ratschläge, aber an dieser Stelle tue ich es doch mal: Nehmen Sie sich Zeit für Beziehungen, nehmen sie sich Zeit, um gemeinsam mit anderen zu denken, zu planen, sich auszutauschen, ohne dass das gleich ein konkretes Ziel und Ergebnis haben soll. Das müssen gar nicht immer nur Frauen sein, sondern interessante Menschen generell. Nehmen Sie sich Auszeiten vom Trott, also inhaltliche, politische Auszeiten. Dass wir Auszeiten für Regenerierung und Entspannung brauchen, ist inzwischen anerkannt. Wir brauchen aber auch inhaltliche Auszeiten zum Gewinnen von Distanz und für die Perspektiven des eigenen Tuns, damit wir den Sinn unseres Tätigseins nicht verlieren. Sagen Sie dafür anderes ab, lassen Sie andere Termine ausfallen – aber geben Sie sich Zeit zur Pflege von inhaltlichen, qualitätsvollen Beziehungen, auch wenn Sie dafür vielleicht andernorts Konflikte auszutragen haben oder sich bei manchen Leuten unbeliebt machen.

Um erfolgreich zu sein, schreiben die Italienerinnen, brauchen Frauen den „Willen zu siegen“, also den festen Wunsch, etwas umzusetzen. Diesen Willen haben wir nur, wenn wir von dem, was wir tun, überzeugt sind, wenn wir einen Sinn darin finden. Viel zu oft höre ich Frauen sagen, sie hätten sich zu irgendetwas „breitschlagen“ lassen, zum Beispiel dazu, auf irgendeiner Liste zu kandidieren, damit eine Frauenquote erfüllt wird. Aber so wird das natürlich nichts.

Erfolg, so wie ich ihn verstehe, kann sich nicht einstellen, wenn wir das tun, was andere für richtig halten, sondern nur dort, wo wir selbst einen Sinn sehen. Nur dann sind wir auch bereit, uns unbeliebt zu machen, Konflikte auszutragen, uns Anfeindungen auszusetzen – und ohne das ist die Weltveränderung nicht zu haben, damit müssen wir rechnen. Mit guten Freundinnen und vielleicht auch Freunden an der Seite, mit einem lebendigen Beziehungsgewebe, das Halt und Heimat gibt, ist das durchaus möglich.

Realismus und Utopie sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Es ist wichtig, dass Frauen sich mit anderen offen über Ihre positiven wie negativen Erfahrungen austauschen, ohne Tabus. Das ist meiner Ansicht nach die Aufgabe der Frauenbewegung heute: Diesen Austausch bewusst zu pflegen, ohne sich etwas schönzureden, aber auch ohne sich resigniert zurückzuziehen. Wenn uns das gelingt, davon bin ich überzeugt, werden sich auch wieder mehr Frauen finden, die sich an den Orten der Macht engagieren, die für Spitzenämter kandidieren, die in Unternehmen Führungspositionen anstreben. Die sich die Frage: Warum tue ich mir das an? So beantworten:

Weil ich wirklich einen Sinn darin sehe und die begründete Hoffnung habe, etwas verändern zu können. Weil ich etwas bewirken will in der Welt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.