Antje Schrupp im Netz

Ein Kommentar gegen den Antidiskriminierungs-Feminismus

Im Radio gab es kürzlich eine Umfrage: »Nur sieben Prozent aller Internet-Nutzer in Deutschland sind Frauen«, sagte der Moderator und fragte: »Liegt das daran, daß Frauen technisch unbegabter sind, oder haben sie im Durchschnitt nicht soviel Geld, daß sie sich einen teuren Computer leisten können?«

Na toll: Wenn es irgendwo einen signifikanten Unterschied im Verhalten von Frauen und Männern gibt, dann kommen dafür offenbar nur zwei Gründe in Frage: Entweder es liegt an der verschiedenen »Natur« der Geschlechter, oder die Frauen sind eben immer noch diskriminiert. Dabei war zuvor ein Interview eingespielt worden, das auf eine andere Fährte hätte locken können: Ein Computerfachmann sagte nämlich, daß das Angebot im Internet ziemlich dürftig sei und noch wenig Inhaltliches zu bieten hätte. Die naheliegendste Erklärung – daß Frauen schlicht im Internet nicht surfen wollen (obwohl sie könnten) – kam dem Radiomann gar nicht erst in den Sinn. Solche Blindheit kann man heute häufig beobachten: die Unfähigkeit, im Handeln und in der Wertsetzung von Frauen einen Ausdruck ihres Willens zu erkennen.

Mitverantwortlich für diese Ignoranz ist auch der deutsche Feminismus, der sich im Fahrwasser des US-amerikanischen auf zwei Grundbekenntnisse festgelegt hat: darauf, daß die Gleichheit der Geschlechter das Ziel sein müsse; und auf die Diagnose, daß das Patriarchat trotz der weitgehend verwirklichten rechtlichen Gleichstellung von Frauen immer noch bestehe.

Dieser »Gleichheitsfeminismus« wird immer obsoleter. Sehr viele Frauen fühlen sich subjektiv gar nicht so diskriminiert, wie sie das nach Meinung der feministischen Vorkämpferinnen sind. Sie sind zwar mit vielem in dieser Gesellschaft nicht einverstanden, aber das Etikett »Feminismus« lehnen sie ab. Eine Alternative, die dem Feminismus sein griesgrämiges und dogmatisches Image nehmen könnte, schlagen italienische Feministinnen vor: Nicht die Gleichheit der Geschlechter, sondern die »weibliche Freiheit« ist für sie das Ziel feministischen Engagements. Sie sprechen vom »freien Sinn der weiblichen Differenz« und wollen so den Blick weg von der Boshaftigkeit der Männer, hin zur Stärke der Frauen lenken. Jetzt haben die Italienerinnen noch eins draufgesetzt: In Mailand feierten sie kürzlich provokativ das Ende des Patriarchats und grenzten sich damit deutlich von jenen Feministinnen ab, die eher vom »Backlash« reden, vom gewaltigen Gegenschlag der Männermacht. »Wir wollen das Ende des Patriarchats nicht diskutieren oder beweisen, sondern diesem Gedanken einfach einen Platz einräumen«, sagt eine von ihnen, die Philosophiedozentin Luisa Muraro von der Universität Verona.

Und es hat sich in der Tat einiges verändert: Meine Mutter hat noch ihren Beruf aufgeben müssen, als ich zur Welt kam. Vieles in ihrem Leben erscheint ihr – und fast allen Frauen ihrer Generation – als erzwungen, ohne daß sie sich dazu entscheiden hätte. Das ist Patriarchat: Wenn Männer und gesellschaftliche Normen über das Leben von Frauen entscheiden. Und damit ist es vorbei. Heute entscheiden Frauen über vieles in ihrem Leben: Ob sie Kinder bekommen oder nicht, ob sie Karriere machen oder nicht, ob sie mit diesem oder jenem Mann zusammenleben oder nicht.

Vieles hat sich verändert im Leben von Frauen – weil sich die Frauen verändert haben. Ich persönlich kenne keine einzige, die noch glaubt, daß ihr Leben von Rollenfestschreibungen vorgegeben sei. Frauen übernehmen heute die Verantwortung für das, was aus ihnen wird, für das, was in ihrer Umgebung geschieht, für ihre Gedanken und Handlungen. Sie haben ihren Einfluß in der Gesellschaft geltend gemacht – trotz aller Hürden, die die alten patriarchalen Institutionen und Vorurteile ihnen noch immer in den Weg stellen. Deshalb ist das Patriarchat zu Ende: weil die Frauen nicht mehr daran glauben.

Nicht oder nur sehr wenig haben sich dagegen die Männer geändert. Sie nehmen nach wie vor kaum Erziehungsurlaub, ruinieren ihr Privatleben für eine weitere Stufe auf der Karriereleiter, ertragen geduldig die langweiligsten Gremiensitzungen. Und für diese Leben beanspruchen sie die Insignien und Rituale der Macht, die Parlamentssitze, Schlagzeilen, Gehälter und Ehrungen. Deshalb, so reden sie sich ein, bestehe das Patriarchat weiterhin, hätten sie noch immer das Sagen.

Aber stellen wir uns einmal vor: Frauen feiern das Ende des Patriarchats, nicht weil die Männer ihnen dieses oder jenes von ihrer »Macht« abgeben, sondern weil sie, die Frauen selbst, sicher sind, das Richtige zu tun: Wenn sie – trotz aller Widrigkeiten – versuchen, Kinder und Arbeit unter einen Hut zu bekommen, wenn ihnen die Pflege von Alten und Kranken wichtiger ist als ein riesiges Monatseinkommen, wenn ihnen Freizeit und Freundschaften wichtiger sind als ein Managerposten, wenn ihnen die Arbeit in der Umweltinitiative interessanter erscheint als langweilige Parlamentsdebatten. Wenn sie das tun, was sie für richtig halten, unabhängig davon, was Männer tun oder von ihnen erwarten. Und dabei stehen Frauen heute alle Optionen offen: Die weibliche Chefin gibt es inzwischen doch ebenso überall wie die weibliche Automechanikerin. Aber sind sie wirklich von vornherein »emanzipierter« als die »typisch weibliche« Hausfrau und die »typisch weibliche« Krankenschwester?

Frauen, die wichtigtuerisch mit ihrem Doktortitel protzen, sind mir ebenso unangenehm, wie Männer, die das tun. Ich weigere mich, durch meine weibliche Präsenz neuen Schwung in die marode Wirtschaft und die abgewirtschaftete Politik zu bringen. Denn darum geht es bei all diesen Frauenförderprojekten letztlich, und so mancher Herr Quotenbefürworter gibt das längst ungeniert zu: Der Gleichheitsfeminismus ist – zumindest in Gesellschaften, in denen die rechtliche Gleichstellung der Frauen weitgehend erreicht ist – systemkonform und konservativ geworden.

Wenn Frauen gleich zu Diskriminierten erklärt werden, bloß weil sie nicht das tun, was Männer tun, dann werden ihre Entscheidungen und Wertvorstellungen nicht nur ignoriert, sondern es wird auch das gesellschaftliche Veränderungspotential ihres »weiblichen« Umgangs mit der Welt ausgeblendet. So als hätten sich die Frauen nichts dabei gedacht, auf den Chefsessel der Chemiefabrik zu verzichten. Aber Frauen haben die Verantwortung für ihr Tun längst übernommen: Wenn überhaupt jemand, dann sind sie es, die dafür sorgen, daß die Zivilisation nicht zusammenbricht, daß die Welt gerechter wird und die Gesellschaft human bleibt. Den Männern und ihren überlebten politischen und ökonomischen Spielregeln können sie diese Aufgabe nicht mehr überlassen – und sie tun es auch nicht: ein weiterer Beleg dafür, daß das Patriarchat zu Ende ist. Gerade Feministinnen sollten Frauen Autorität zusprechen, ihr Handeln wertschätzen, anstatt sich in scheinradikalen Elfenbeintürmen zu verschanzen. Vielleicht hätten dann auch wieder mehr Frauen Lust auf Feminismus.

ps: Diesen Kommentar schrieb ich 1998. Inzwischen hat sich, meine ich, auch bei den Männern etwas mehr getan (oder zumindest mit meiner Sicht auf die Männer) mehr auf der Seite: Männer und Frauen