Antje Schrupp im Netz

Von wegen Mars und Venus

Frauen können nicht einparken und Männer nicht zuhören – Theorien über die angeblich natürlichen Unterschiede der Geschlechter sind wieder schwer in Mode. Doch während früher die Frauen als minderwertig galten, kriegen heute meist die Männer den schwarzen Peter zugeschoben. Das ist auf den ersten Blick verführerisch. Aber trotzdem falsch, und gefährlich obendrein.

Dem Mann im Supermarkt steht die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben: Er findet offenbar nicht, was er sucht. Schon zum dritten Mal geht er jetzt die Regalreihe ab, prüft die Aufschriften auf den Packungen, rauft sich die Haare. Entnervt fährt eine Frau mit Einkaufswagen um die Ecke: »Wo bleibst du denn? Hast du’s etwa immer noch nicht gefunden?« Kurz prüft sie das Angebot, greift zielsicher eine Packung heraus und schiebt energisch Richtung Kasse davon. »Typisch Männer mit ihrem Tunnelblick« seufzt sie kopfschüttelnd in meine Richtung, »was nicht direkt vor ihrer Nase liegt, das sehen sie nicht.«

Ich grinse zurück, ein bisschen schuldbewusst, weil ich ihrer komplizenhaften Anrede nicht widerspreche. Denn eigentlich kenne ich das selbst nur zu gut: vor dem unübersichtlichen Regal zu stehen und nichts zu finden. Schon als Kind habe ich keine Ostereier gefunden. Ich bringe es sogar fertig, den Stift, mit dem ich gerade noch geschrieben habe, auf meinem Schreibtisch zu verlegen, obwohl ich mich gar nicht von dort weg bewegt habe. Ich dachte immer, das sei meine persönliche Dusseligkeit. Jetzt heißt das also »Tunnelblick«.

Das Merkwürdige ist nur: Ich bin eine Frau. Deshalb dürfte ich eigentlich gar keinen Tunnelblick haben. Der soll nämlich in den männlichen Genen verankert sein und noch aus der Steinzeit stammen, als die wilden Jäger immer fest ihr Opfer im Visier hatten. Frauen dagegen haben den Panoramablick: Sie mussten die Brut beschützen und rundum alles im Blick behalten, damit sie jegliche Gefahr möglichst früh wittern. Ganz klar, es liegt an den Genen, an der Evolution, und plötzlich sind alle einer Meinung: Frauen und Männer sind einfach von Natur aus verschieden.

Es ist schick, Frauen für das bessere Geschlecht zu halten

Was aussieht wie ein Griff ganz tief in die Mottenkiste des Patriarchats, kommt heutzutage allerdings in pseudo-feministischem Gewand daher. »Die Männer« geben einen guten Sündenbock ab. Sie sind es, die Kriege führen, ihre Socken überall herumliegen lassen, politisches Chaos veranstalten. Beziehungsfähig sind sie sowieso nicht, schließlich fehlt ihnen die emotionale Intelligenz. Wie ein Elefant im Porzellanladen tappen sie neuerdings auch durch die Hollywoodfilme, und Jack Nicholson ist ihr bester Darsteller: In seinem jüngsten Film »Was das Herz begehrt« muss er erst einen Herzinfarkt kriegen, bevor er merkt, dass das Leben mehr ist als Parties feiern und mit jungen Frauen ins Bett gehen – und selbst das gelingt ihm nur mit ganz viel weiblicher Nachhilfe.

Es ist schick geworden, die Frauen für das bessere Geschlecht zu halten. Sie retten nicht nur alte Patriarchen vor der Sinnlosigkeit ihres Lebens, sondern auch die CDU vor der Korruption und die Fernsehshows vor sinkenden Einschaltquoten. Sie bringen es sogar fertig, dem angestaubten Fußball wieder neuen Glanz zu verleihen. Und sie führen die Männer an der Nase herum. Ein aktueller Werbespot zeigt drei Mädels, deren Wohnung dringend renoviert werden muss, der Strom funktioniert nicht, die Tapete fällt runter. Kein Problem: Sie schicken einfach ein paar sexy Bildchen über’s Handy, und schon traben die Jungs an und kriegen kurzerhand Schraubenzieher und Spachtel in die Hand gedrückt. Still fügen sie sich in ihr Schicksal. Wie der Mann im Supermarkt. Warum eigentlich? Warum widerspricht hier keiner mal laut?

Nicht die Männer haben versagt, sondern das männliche Prinzip

Vielleicht deshalb, weil die Männer das gar nicht wirklich nötig haben. Sicher, es mag ein wenig an ihrer Ehre kratzen, dass sie derzeit bei Partygesprächen so schlecht wegkommen. Aber faktisch hat sich für sie ja gar nicht so viel geändert. Sie verdienen, statistisch gesehen, immer noch mehr Geld als Frauen, haben immer noch die Mehrheit im Parlament (und in den viel wichtigeren Aufsichtsräten sowieso). Sie haben auch immer noch mehr Sendezeit. Wozu also die Aufregung? Wenn es die Frauen zufriedener macht, sich ein wenig in ihrer angeblichen Überlegenheit zu sonnen – sollen sie doch! Man könnte auch sagen: Männer nehmen Frauen immer noch nicht ernst.

Aber dann gibt es da auch noch die Netten. Die Männer, die sich von den alten Macho-Rollen befreien wollen. Sie glauben meist, den Frauen irgendwie recht geben zu müssen. Denn wer wollte leugnen, dass sich allzu viele Männer immer noch wie ihr eigenes Klischee benehmen? Der fehlende männliche Widerspruch gegen den neuen Biologismus zeugt deshalb in der Tat auch von Ratlosigkeit. Aber nicht, weil Männer ratloser wären als Frauen, das sind sie nicht. Die Ratlosigkeit betrifft vielmehr die Männlichkeit als solche. Was wir derzeit in Politik und Wirtschaft beobachten können, ist nicht das Versagen der Männer, sondern das Versagen des männlichen Prinzips: Dass man die Dinge auseinander nehmen und zerstören muss, um sie verstehen zu können. Dass sich die Welt mit Hilfe immer größerer Waffen besiegen und beherrschen lässt. Dass es im Leben vor allem darum geht, viel Geld zu verdienen, und dass Erfolg heißt, möglichst höher zu stehen als die anderen. Auch viele Frauen haben inzwischen dieses männliche Prinzip akzeptiert und folgen seiner Logik – nicht so zahlreich wie die Männer, das ist wahr, aber es sind auch längst keine Einzelfälle mehr.

Vielen Männern ist ihre Männlichkeit nicht mehr wichtig

Die Frauenbewegung hat erreicht, dass es heute ganz unterschiedliche Weisen gibt, als Frau in der Welt zu sein – als Hausfrau oder als Kriegsministerin, als Mathematikerin oder als Ayurveda-Köchin, als Krankenschwester oder als Fußballerin. Aber es ist schwer, als Mann in der Welt zu sein. Es fehlt an positiven Bildern von Männlichkeit, an Vielfalt. Wer nicht ins Klischee vom »Macho« oder vom »Softie« passt, hat schlechte Karten. »Welche Bedeutung hat es für dich, ein Mann zu sein?« fragte ich bei der Vorbereitung dieses Heftes einige meiner Freunde. Keiner wusste darauf so recht eine Antwort. Sie verstanden die Frage nicht. Das waren keine ratlosen Männer. Aber sie waren ratlos, was ihre Geschlechtszugehörigkeit betraf.

Ich glaube, vielen Männern ist ihre Männlichkeit heute nicht mehr wichtig. Sie halten sie für unbedeutend. Das ist der Grund, weshalb sie nicht widersprechen, wenn Frauen sich über »die Männer« lustig machen oder ihnen die Schuld an den Problemen der Welt aufladen. Wie sein Geschlecht als Ganzes wegkommt, ist dem einzelnen Mann ziemlich egal. Hauptsache er persönlich kommt durch. Eine solche Haltung ist verständlich, doch sie tut der Welt nicht gut. Denn unterschwellig zirkulieren weiterhin die alten Männlichkeitsbilder, sie wirken, auch wenn ihr Versagen längst offensichtlich geworden ist. Und es ist auch gefährlich: »Niemand ist den Frauen gegenüber aggressiver oder herablassender als ein Mann, der seiner Männlichkeit nicht ganz sicher ist«, warnte schon Simone de Beauvoir. Deshalb wäre es gut, wenn mehr Männer wieder zu ihrer eigenen Männlichkeit stehen könnten. Und zwar gerade die, die weder Macho noch Softie sein wollen, sondern auf der Suche sind, nach neuen Wegen, neuen Lösungen, neuen Ideen. Männer, die mit ihrem Mann-Sein experimentieren. Frauen sollten sie dabei ermutigen, anstatt sich über »die Männer« zu mokieren – nur um ihnen am Ende doch wieder um den Hals zu fallen.

Neue Männer haben weibliche Nachhilfe nicht nötig

So wie Diane Keaton (um noch einmal auf die Hollywoodversion des Themas zurück zu kommen), die sich schließlich aus unerfindlichen Gründen für Jack Nicholson entscheidet, den alten, wenn auch ein bisschen zugänglicher gewordenen Patriarchen. Ich an ihrer Stelle wäre bei Keanu Reeves geblieben. Dem anderen Mann, der auch ohne meine weibliche Besserwisserei bereits offen ist, klug, interessiert an einer Beziehung. Nicht, weil er seine »weiblichen Seiten« entdeckt hätte, sondern weil er die männliche Differenz lebt. Er ist eindeutig ein Mann, nur eben ein anderer. Die »neuen Männer«, die die Sängerin Ina Deter in den Achtzigern forderte, die gibt es bereits. Ich kenne jedenfalls welche. Sie haben es verdient, mehr zu sein, als nur eine Nebenfigur der Geschichte.

~

aus: Frauen unterwegs, Mai/Juni 2004