Antje Schrupp im Netz

Was ist weiblich?

(Dieser Vortrag ist nicht abschließend ausformuliert und insbesondere am Ende »franselt« er etwas aus. Bitte also um Nachsicht :)

Was ist weiblich? Das Thema des heutigen Abends ist ein Schwieriges. Schwierig deshalb, weil ich nicht objektiv darüber sprechen kann. Denn ich bin eine Betroffene. Ich bin weiblich. Ich bin eine Frau.

Dass ich weiblich bin, ein Mädchen, weiß ich schon länger, als irgend etwas anderes. Länger jedenfalls, als ich weiß, dass ich eine Deutsche bin, eine Weiße, eine Gesunde. Woher weiß ich das, dass ich weiblich bin?

Wahrscheinlich einfach daher, woher ich überhaupt weiß, was Worte bedeuten. Weil ich es gelernt habe. Weil meine Mutter und andere Menschen, die mir die Sprache beigebracht haben, die von mir gesagt haben: »Es ist ein Mädchen«. In dem Moment meiner Geburt, denn damals gab es noch keine Ultraschalluntersuchungen.

Definiere Weiblichkeit. Zum Beispiel die Wikipedia. Dort steht: »Das weibliche Geschlecht ist im Rahmen der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung dasjenige Geschlecht, das die größeren Gameten, bei den höheren Tieren also die Eizellen, bereitstellt, die von den kleineren Gameten, meist Spermien genannt, des männlichen Geschlechts befruchtet werden und so jeweils einen Nachkommen entstehen lassen.«

Selbstverständlich ist das nicht das, was ich mir als Kind unter meiner Weiblichkeit vorgestellt habe. Wenn ich mich zurück erinnere, was das in meiner Kindheit bedeutet hat, erinnere ich mich vor allem daran, dass es etwas mit meinem Namen zu tun hatte. Wäre ich ein Junge gewesen, hätte ich nämlich Andreas geheißen. Meine Mutter erzählte oft, dass sie sich eigentlich einen Jungen gewünscht hätte, den Namen für ihn hatte sie sich schon ausgesucht. Nun hieß ich aber Antje, und lernte also, dass weiblich sein bedeutet, dass bestimmte Namen gehen und andere nicht. Andreas war nicht möglich.

Eine andere Erinnerung an die Bedeutung von Weiblichkeit in meiner Kindheit ist, dass ich lange Haare hatte und meine Mutter mir jeden morgen Frisuren kämmte, Zöpfe und dergleichen, mit Spangen und Schleifchen. Ich wusste schon früh, dass das nicht möglich gewesen wäre, wäre ich ein Junge gewesen.

Natürlich sind diese zufälligen Erinnerungen an meine kindliche Weiblichkeit genauso wenig überzeugend, wie die Definition aus der Wikipedia. Ich kannte einen italienischen Jungen, der hieß Andrea, genauso wie eine Freundin von mir. Hier begann also schon das Durcheinander. Weiblichkeit, das hieß offensichtlich nicht in jedem Land dasselbe – in Deutschland war Andrea ein Mädchenname, in Italien ein Jungenname.

Ich lernte auch schon früh, dass Mädchen keineswegs lange Haare tragen mussten mit Schleifchen drin, sie konnten die Haare auch kurz tragen. Einige in meiner Klasse taten das. Es gab allerdings keine Jungen, die lange Haare und Schleifchen hatten. War Weiblichkeit, ein Mädchen zu sein, vielleicht die umfassendere Kategorie, diejenige, die mehr Möglichkeiten zuließ? Für diese These gab es zahlreiche Indizien: Mädchen trugen Röcke oder Hosen, Jungen nur Hosen. Frauen konnten arbeiten gehen oder Hausfrauen sein. Männer gingen immer arbeiten.

Ja, Frauen hatten definitiv mehr Möglichkeiten – aber nicht alle. »Du bist doch ein Mädchen« war durchaus ein Argument, wenn es darum ging, zu beurteilen, was ich tun durfte und was nicht. Irgendwie hatten Mädchen sauberer zu sein und sie durften sich nicht raufen. Meine Mutter nannte das »vernünftig sein«. Was das Raufen betraf, war mir das ganz recht, denn vor dem Raufen hatte ich Angst. Da wollte ich lieber vernünftig sein und Konflikte zum Beispiel mit Reden und Argumenten lösen.

Ich kann mich auch nicht daran erinnern, mir irgendwelche Gedanken darüber zu machen, woher meine Mutter – und die anderen Erwachsenen – eigentlich wussten , dass ich ein Mädchen bin. Sie wusste das so, wie sie alles wusste: Dass dieses runde Ding zum Spielen ein Ball ist, und das Ding, in dem wir wohnten, ein Haus, und das ein Stuhl, ein Messer, ein Fenster, ein Vogel. Dass ich weiblich bin, war einfach eine Tatsache. Meine Mutter sagte mir das, und ich stellte das nicht in Frage.

Keinerlei Erinnerung habe ich an die Entdeckung des »kleinen Unterschiedes« im Genitalbereich. Dass es Menschen gibt, die »untenrum« anders aussahen als ich, blieb mir lange verborgen, und ich maß dem auch keine Bedeutung bei. Der Körper kam für mich aber dann mit umso größerer Wucht ins Spiel, als ich anfing, einen Busen zu bekommen. Und als ich die erste Menstruation hatte. Beides fand ich äußerst unangenehm. Nicht, weil es mich als »weiblich« stigmatisiert hätte – meine Weiblichkeit war für mich kein Problem. Sondern weil ich es lästig fand. Das mit der Menstruation fand ich einfach ungerecht: Warum hatten Jungs dieses Problem eigentlich nicht? Das mit dem Busen fand ich ebenfalls ungerecht. Allerdings nicht deshalb, weil die Jungs keinen hatten, sondern weil die anderen Mädchen viel weniger Busen hatten und ihn auch später erst bekamen.

Vielleicht war das meine Entdeckung der sexuellen Differenz als Differenz der Frauen untereinander. Dass nicht alle Mädchen und Frauen gleich sind, wusste ich natürlich längst. Aber ich dachte, das hätte mit den individuellen Unterschieden zu tun – jeder Mensch ist eben anders. Ich wusste natürlich auch, dass Frauen unterschiedlich sind, insofern manche von ihnen sozusagen ins »männliche« Lager überwechseln, also »Jungssachen« machen. Ich wusste, dass ich, auch wenn ich weiblich war, nicht alle Klischees mitmachen müsste, dass ich mich von meiner Weiblichkeit und dem, was angeblich aus ihr folgt, bis zu einem gewissen Grad entfernen kann.

Aber erst die unterschiedliche Busengröße gab mir Anlass, über die Differenz unter weiblichen Menschen nachzudenken, über die Unterschiede unter ihnen, insofern sie Frauen sind. Denn die Mädchen mit den kleineren Busen waren meist auch schlanker, sportlicher und – irgendwie sexier. Die Unterschiede zwischen uns bedeuteten also keineswegs, dass die eine mehr und die andere weniger weiblich ist. Sie waren anders weiblich. Auf eine Weise anders, wie ich auch gerne anders sein wollte. Hier erfuhr ich also etwas über das weibliche Begehren: Ich begehrte nicht nur einfach dieses und jenes, sondern ich begehrte, auf eine bestimmte Weise Frau zu sein. Mit der Folge, dass ich mir weite Hemden anzog, die Haare (die inzwischen kurz waren) wieder wachsen ließ, mir ein Stirnband umzog und zum Hippie wurde.

Ich hoffe, Ihr verzeiht mir diesen langen Ausflug ins persönliche Erinnern. Aber ich glaube, über Weiblichkeit zu sprechen, ist auf eine unpersönliche Art nicht möglich. Sondern wir reden hier ja über eine Realität, die uns selbst konkret betrifft. Im Bezug auf die Frage »was ist weiblich« kursiert viel Abstraktes und Theoretisches. Aber »Die Vernunft ist nicht auf der Suche nach Wahrheit, sondern nach Sinn« hat Hannah Arendt das Wesen des Denkens beschrieben »Und Wahrheit und Sinn sind nicht dasselbe.«

Also würde ich die Frage gerne anders formulieren. Nicht: »Was ist weiblich?« sondern: »Welchen Sinn hat das Frausein?« Die Suche nach Sinn ist das, was die Theorie an die Realität anknüpft, denn Sinn ist niemals abstrakt, sondern an eine konkrete Situation gebunden.

Natürlich gibt es eine ganze große Palette von Reflektionen, Definitionen, Interpretationen und Analysen über das Phänomen Weiblichkeit. Ihr kennt sie. Bevor ich mich ihnen zuwende war mir diese Hinführung wichtig, denn worum es mir geht ist – das habe ich von den Italienerinnen gelernt – dass politische Praxis nur relevant ist, wenn sie im Austausch mit der Realität steht.

Also, nun zu den verschiedenen Theorien. Da gibt es die biologistische Erklärung, die besagt, dass Weiblichkeit sich aus bestimmten biologischen Faktoren herleitet – den Eizellen eben. Ihr wisst natürlich, dass dies eine überaus problematische Definition ist. Erstens ist unter tausend Menschen mindestens eine/einer, bei dem diese Zuordnung nicht stimmt. Intersexualität ist ein recht verbreitetes Phänomen, es reicht von zu kurzen Penissen oder einer zu langen Klitoris bis hin zum XXY-Gen.

Nun könnte man natürlich einwenden, dass diese Fälle zwar durchaus relevant sind, aber gleichwohl die Ausnahme. Trotzdem finde ich die Argumentation von Judith Butler überzeugend, dass auch der Körper und die Biologie kulturell geformt sind. Sex ist nicht eindeutig. Das beweisen auch die Menschen, die sich in ihrem biologischen Geschlecht nicht heimisch fühlen, die biologisch Mann sind, aber Frau sein wollen und anders herum. Menschen also, die irgendwann die Tatsache, die ihnen von ihrer Mutter oder den anderen Erwachsenen gesagt wurden: Du bist ein Junge, du bist ein Mädchen, nicht akzeptieren.

Eine andere Definition von Geschlecht, die oft mit der biologistischen zusammenhängt, ist die ontologische. Die Ansicht also, es gäbe so etwas wie ein weibliches Wesen, das quasi natürlich mit bestimmten Inhalten und Eigenschaften zusammen hängt. Dieses »Wesen« kann zum Beispiel in psychologischen Archetypen ausgemacht werden, oder in der Evolution, in der Tatsache der Mutterschaft, die zu bestimmten Eigenschaften und Verhaltensweisen geführt hätte oder auch in einem göttlichen Schöpferwillen. Auch Transgender-Personen stützen sich oft auf diese Annahme. Sie fühlen sich zum Beispiel »weiblich« im Sinne dieser Inhalte, haben aber einen »männlichen« Körper. Die Ontologie kann also mit der Evolution in Konflikt geraten.

Dieses ontologische Geschlecht nun finde ich noch weniger überzeugend, als das biologische. Zu vieles ist davon offensichtlich hineininterpretiert. Nicht nur hat es in verschiedenen Zeitaltern ganz unterschiedliche Inhalte und Eigenschaften gegeben, die diesem angeblichen weiblichen »Wesen« zugeschrieben wurden – und gibt sie in verschiedenen Kulturen noch heute. Es ist auch so, dass diese Inhalte meist ganz offensichtlich den beobachteten Phänomenen übergestülpt werden.

Ich habe über das 19. Jahrhundert geforscht und darüber, wie in dieser Zeit bestimmte Rollenstereotypen entstanden sind – die schwache, Migränegeplagte Frau und der starke, ins Leben hinaus ziehende Mann. Es ist ganz offensichtlich, dass diese historisch zufälligen Maßstäbe dann auf alles mögliche übertragen wurden, auf die Geschlechterverhältnisse in der Antike ebenso wie auf das Familienleben der Pinguine – es gab doch da kürzlich so einen Film, mit Papa, Mama und Kind Pinguin. Und über Gottes Willen kann ich zwar nichts sagen, aber ich halte es doch für sehr verdächtig, dass er so exakt mit den Vorstellungen antifeministischer bürgerlicher Geschlechtsrollenkonzepte zusammenpassen sollte, wie er das angeblich tut.

Eine dritte Weise, Weiblichkeit zu definieren, ist die soziologische. Sie ist direkt aus einer Kritik der beiden vorhergehenden heraus entstanden. Wenn so offensichtlich das, was in einer jeweiligen Kultur von angeblich natürlicher, wesentlicher Weiblichkeit gesagt wird, mit den jeweiligen Rollenstereotypen übereinstimmt, die ganz andere Ursachen haben, dann ist der Gedanke ja sehr nahe liegen, die real anzutreffende Weiblichkeit, also ihr und ich, sei gesellschaftlich geformt. Also gerade nichts Wesentliches oder Natürliches, sondern Produkt einer bestimmten Kultur. »Man wird nicht als Frau geboren, man wird es«, hat Simone de Beauvoir das auf den Punkt gebracht.

Das ist natürlich ganz ohne Zweifel richtig. Es ist so evident, dass ich, glaube ich, an dieser Stelle auf jede Beweisführung verzichten kann: Die individuelle Erziehung – inklusive Zöpfchen flechten und »Ein Mädchen darf das nicht« – ist natürlich eine wichtige Quelle dafür, wie Frauen sich real verhalten und welches Selbstverständnis sie haben. Ebenso kann kaum der Einfluss der äußeren Umstände, der Sitten und Gebräuche, der Gesetze, der Geldverteilung usw. auf das, was wir als Weiblichkeit bezeichnen, geleugnet werden.

Große Teile der Frauenbewegung in den letzten dreißig Jahren haben ihren Schwerpunkt darauf gelegt, diese Zusammenhänge aufzuzeichnen und ihnen etwas entgegen zu setzen. Die Konstruktion von Weiblichkeit wurde analysiert, hinterfragt, aufgelöst – Dekonstruktivismus. Das reicht von einer banalen Änderung diskriminierender Gesetze über Programme zur Förderung von Frauen wie etwa beim Girlsday, die Erarbeitung neuer pädagogischer Konzepte bis hin zu Gender-Mainstreaming und dergleichen. Dieser Prozess hatte etwas Zwiebelartiges: Hülle um Hülle der Konstruktion wurden entfernt, bis sich zeigte, dass am Ende nichts übrig bleibt. Nichts von dem, was wir weiblich nennen, hat einen natürlichen oder ontologischen Kern. Es ist alles »gemacht«, es ist also alles veränderbar, es gibt nichts, worauf wir uns berufen können. Und ich finde, diese Analyse ist voll und ganz zutreffend. Wenn es um’s Definieren geht, um das Herausfinden von Tatsachen und universellen Wahrheiten, dann gibt es nichts, worauf wir uns berufen können und womit wir es rechtfertigen können, überhaupt noch von Weiblichkeit zu sprechen. Weiblichkeit gibt es nicht.

Für manche – sogar für viele – Feministinnen ist der Prozess an dieser Stelle zu Ende. Die »Abschaffung der Geschlechter« ist ihre Vision, die Auflösung der sexuellen Differenz in eine Differenz unendlicher Identitäten. Der Rest ist sozusagen Kleinarbeit. Denn was theoretisch bewiesen ist, ist praktisch ja alles andere als leicht umzusetzen.

Hier ist ein Unterschied wichtig, den Chiara Zamboni in einem Artikel aufzeigt, den Dorothee Markert kürzlich für bzw-weiterdenken übersetzt hat. Sie vergleicht dabei die politische Praxis der Italienerinnen mit dem Praxisverständnis angloamerikanischer Feministinnen, die in Anlehnung an Foucault die Realität als durch Sprache konstituiert verstehen. Sprache, Kommunikation – zum Beispiel über Geschlechtercodes – ist so gesehen eine Methode, eine Technik, um die Realität zu verändern.

Die politische Praxis der Frauen, die Zamboni bevorzugt, ist hingegen anders. Sie schreibt: »Der Unterschied zwischen einer Technik und einer Praxis ist sehr groß, vor allem aus folgendem Grund: Eine Technik wird als Instrument betrachtet, um bestimmte Resultate zu erzielen. Im Laufe einer Praxis dagegen verändern wir uns selbst gleichzeitig mit der Realität. Beides, die Selbstveränderung und die Veränderung der Realität, ist eng miteinander verbunden, da wir in den Prozess verwickelt sind, auf den wir uns eingelassen haben.«

Das verstehe ich wiederum parallel zu Hannah Arendt: Eine Wahrheit zu finden, dafür braucht man nur Instrumente der Wissenschaft. Einen Sinn zu finden, das ist nur möglich, wenn ich persönlich beteiligt bin.

Zum Beispiel spreche ich von weiblicher Philosophie. Aber das ist eben heikel, weil damit assoziiert wird, dies sei irgendwie eine »besondere« Philosophie, die sich von der »normalen« Philosophie unterscheidet. Einfach nur von Philosophie zu sprechen, hilft aber auch nicht weiter, denn dann wird die Illusion der Neutralität bekräftigt. Eine Lösung für dieses Dilemma kann es nicht geben. Eine Möglichkeit ist es, hier je nach Kontext zu variieren – von weiblicher Philosophie zu sprechen und gleichzeitig deren Allgemeingültigkeit zu betonen, oder aber nur einfach von Philosophie zu sprechen und gleichzeitig das eigene Frausein und die Bedeutung der Geschlechterdifferenz sichtbar zu machen.

Nur wenn die beiden Seiten zusammengehalten werden, obwohl es in unserer symbolischen Ordnung eigentlich nicht denkbar ist, beides zusammenzuhalten, können wir an dem Dilemma zumindest kratzen. Leider gehen Teile der Frauenbewegung einen genau anderen Weg. Es ist ja leider ein gewisses Auseinanderdriften festzustellen: Auf der einen Seite die – meist an den Universitäten beheimateten – postmodernen Theoretikerinnen, die die Geschlechter »dekonstruieren«, andererseits die Alltags- und Populärwissenschaft, die Fernsehsender und die normalen Leute, die wieder betont auf Geschlechterklischees zurückgreifen, also Weiblichkeit inhaltlich eingrenzen und festzurren wollen. Beispiel Mode, Muslime usw. Die Theorie, dass es die Geschlechter »eigentlich« gar nicht gibt, scheint also im realen Leben und Handeln der Menschen irgendwie nicht durchsetzbar.

Ich glaube, das ist nicht nur eine Frage von Aufgeklärtheit oder eine Folge davon, dass die »normalen« Leute eben noch nicht so weit sind, oder dass der Gedanke zu radikal ist. Auch von Teilen der Linken und Feministinnen ist diese Spaltung bewusst forciert worden. In den USA heißt das »Strategischer Essentialismus« – die Bewegung einer Identitätspolitik, die besagt: Auch wenn wir auf der einen Seite wissen, dass Identitäten wie Geschlecht, Rasse usw. sozial und kulturell konstruiert sind, so ist es doch in der politischen Arbeit aus strategischen Gründen sinnvoll, diese Identitäten zu benennen, und z.B. im Namen der Schwarzen, der Frauen usw. zu sprechen. Sodass also die Theoretikerinnen selbst ihre Theorie aus der praktischen Arbeit außen vorlassen.

Ich finde diesen Ansatz nicht sehr überzeugend, denn ich bin der Meinung, dass Denken und Handeln sich nicht trennen lässt. Oder anders gesagt: Ein Denken, das für das Handeln nicht praktikabel ist, enthält wahrscheinlich einen Fehler.

Gehen wir noch mal zurück in die Realität. In der Soziologie wird das »Trimmen« auf eine bestimmte Geschlechtszugehörigkeit im Kindheitsalter durch so genannte »Gender-Cops« thematisiert. Dies ist die Beobachtung, wie das »Gendering«, also das Einordnen von Menschen und auch schon von kleinen Kindern in bestimmte Geschlechtsrollen funktioniert. Es funktioniert nämlich deshalb, weil wir von klein auf umgeben sind von »Gender-Cops«, also von anderen, die uns zurechtweisen, wenn wir uns nicht so verhalten, wie wir es als Mädchen und Jungs eigentlich sollten. Und zwar übernehmen nicht nur Erwachsene diese Ordnungsfunktion, sondern auch schon die Kinder untereinander. Sie weisen sich gegenseitig zurecht, wenn sie Geschlechterrollen übertreten. Und gerade bei kleinen Kindern finde ich, dass sich hierin die ganze Ambivalenz zeigt: Cops stiften durchaus Ordnung, sie sorgen für Ruhe und Sicherheit, wenn ich mich an die Regeln halte, weiß ich, wo mein Platz ist.

Wie das Wechselspiel zwischen Realität und Praxis immer beides verändert, die Praxis und die Realität, zeigt sich auch daran: Die Zuweisungen sind zwar immer noch eindeutig – Mädchen rosa, Jungens blau, Mädchen Schminkkoffer, Jungens Baukasten. Aber die Wertigkeit dieser Aufteilungen hat sich doch sehr verschoben. Ein Mädchen zu sein bedeutet heute nicht mehr (und die Mädchen wissen das sehr gut), dass ich später mal nicht studieren oder Bundeskanzlerin werden oder zum Mond fahren darf. Insofern hat vielleicht gerade die Emanzipation dazu beigetragen, dass klischeehafte Aufteilungen der Geschlechterrollen wieder an Attraktivität gewinnen konnten: Weil mit der Farbe Rosa nicht mehr Unterordnung, Benachteiligung, Schwäche verbunden ist.

Meiner Meinung nach kommt es also mehr darauf an, mit einer politischen Praxis sich aktiv am Gendering zu beteiligen, ohne eine krasse Gegenüberstellung zu machen. Hier könnten dann Erkenntnisse des Dekonstruktivismus einfließen, ohne dass damit aber die Realität ignoriert wird.

Linda Alcoff, eine amerikanische Philosophin, hat in einem sehr interessanten Artikel »Who’s Afraid of Identity Politics?« die These vertreten, dass die Moderne und die Postmoderne eigentlich denselben Fehler machen: Sie gehen nämlich davon aus, dass die Tatsache, dass Menschen von ihrer Kultur, also von außen, beeinflusst sind, insgesamt etwas Schlechtes ist. Es widerspricht sozusagen dem, wie das Subjekt definiert wurde – als autonom. Das »wahre« Ich ist sozusagen das, was nicht von Anderen beeinflusst wurde. Der Unterschied zwischen der Moderne und der Postmoderne liegt nach Alcoff nur darin, dass sie mehr oder weniger optimistisch sind im Bezug darauf, wie dieses Subjekt in der Lage ist, sich von äußeren Einflüssen gewissermaßen zu »befreien«: Während die modernen Philosophen glauben, dass das Ich in Abgrenzung von äußeren Einfluss sich bis zu einem gewissen Grad behaupten kann, sind die postmodernen Philosophen und Philosophinnen da pessimistischer. Sie zeigen, dass es praktisch unmöglich ist.

Aber könnten wir das Subjekt nicht auch anders definieren? Alcoff stellt die These auf, dass diese Angst vor der Beeinflussung der eigenen Identität durch die Anderen eine direkte Folge von Herrschaft und Unterdrückung bzw. dominanten Machtstrukturen ist. Denn nur ein Subjekt, das andere immer unterdrückt hat, muss ja Angst vor diesem Blick der Anderen haben, die nämlich ihm diese Unterdrückung spiegeln werden. Insofern ist also auch diese Konstruktion eines Subjekts, das unabhängig sein will, eine kulturelle Erscheinung und nichts »normales«.

In dem Buch »Sich in Beziehung setzen. Zur Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit« haben wir einen ähnlichen Ansatz verfolgt. Wir interpretieren Freiheit nicht als Unabhängigeit und Autonomie. Nicht aus Unabhängigkeit, sondern aus Bezogenheit entsteht Freiheit. Dass die Freiheit der Frauen aus Beziehungen entsteht, ist ja schon ein älterer Gedanke, angestoßen von den italienischen Philosophinnen und ihrem Konzept des »Affidamento«, also dem Gedanken, dass eine Frau ihrem Begehren dann folgen kann, wenn sie es einer anderen Frau »anvertraut«, die im Bezug auf dieses Begehren ein Mehr hat, eine Autorität ist. Dies war die Praxis der Frauenbewegung. Die Beziehungen von Frauen untereinander stärken die Freiheit der einzelnen Frau.

Mit der Idee der »Freiheit in Bezogenheit« gehen wir nun noch einen Schritt weiter. Nicht nur die konkreten Beziehungen sind Grundlage von Freiheit, sondern auch die Akzeptanz dessen, dass wir gewissermaßen nicht wie Marsmännchen auf diese Erde fallen, sondern geboren werden hinein in ein Netz von Beziehungen, von Vorgegebenem: Die Familie, die Kultur, eine bestimmte historische Situation usw. Dieses Vorgegebene nun steht unserer Freiheit nicht entgegen, sondern ist der Ausgangspunkt, von dem aus wir unterwegs sind. Was wir mitbekommen haben an Erziehung, an Ausbildung, an Weltanschauungen, das ist jeweils unterschiedlich. Aber es ist nicht in erster Linie eine Begrenzung unserer Freiheit, sondern eher so etwas wie das Handwerkszeug, mit dessen Hilfe wir unsere Freiheit ausleben können.

Natürlich hat diese Erziehung, unsere Biologie, die Kultur, also all das, was das Andere an Bestimmendem hat, manchmal auch negative Auswirkungen. Und es ist sicher gut, die dekonstuktivistische Theorie zu bedenken und von ihr zu lernen, dass das, was in dieser jeweiligen Kultur und historischen Situation als »normal« gilt, nichts Übergeschichtliches ist, sondern etwas historisch gewachsenes, das in anderen Kulturen anders ist und das wir verändern können. Doch es ist nicht gut, wenn wir all das nur als »schlecht« ansehen. Denn wir können nicht darauf verzichten. Wir handeln immer in einem konkreten Kontext. Die Identitäten, die wir von unserer Kultur mit auf den Weg bekommen, sind gleichzeitig einschränkend und auch ermächtigend. Wir sind es, die sie aktiv gestalten und mit gestalten – in Bezogenheit eben sind wir frei.

Problem/Irrtum: Weiblichkeit wird als Gegensatz/Ergänzung/Komplementarität zum Männlichen gedacht. Dies ist nicht nur problematisch, weil das Weibliche so nicht aus sich heraus eine Bedeutung hat, sondern nur etwas aus dem Männlichen Abgeleitetes ist. Es ist auch deshalb problematisch, weil es verschleiert, dass symbolisch und historisch Weibliches und Männliches durchaus nicht als zwei Seiten einer Medaille gedacht wurden, sondern vielmehr als Verhältnis zwischen Norm und Abweichung, als Eines und Anderes, als Identität und Differenz.

In der Tat glaube ich, dass diese Konstruktion eines männlichen Subjekts das Hauptproblem darstellt – und nicht, dass man Phantasiekonstrukte von einem weiblichen Wesen macht. Das Problem ist, dass der Mann nicht für das Männliche steht, sondern für das Allgemeine – das Weibliche hingegen nicht.

Deutlich wurde mir das, als ich den Vorspann des Filmes »THX«, ein alter Film von George Lukas, sah. Es ist ein Science Fiction, und dabei spielen vier Personen mit, die im Vorspann abwechselnd gezeigt wurden: Ein weißer Mann, ein alter weißer Mann, ein schwarzer Mann und eine weiße Frau. Diese Köpfe wurden immer abwechselnd gezeigt, und plötzlich hatte ich die Idee: Ja, so ist es: Das Weibliche ist nichts für sich, es ist nur eine Variante des männlich-normalen, so wie die schwarze Hautfarbe oder das fortgeschrittene Alter nur eine Variante des männlich-normalen sind. So denkt unsere Kultur die Differenzen: Als Varianten des Normalen.

In so einer Kultur ist es natürlich gefährlich, über Weiblichkeit überhaupt zu sprechen, denn damit spreche ich dann automatisch über die Abweichung von der Norm – und gleiches gilt auch für andere Varianten wie Hautfarbe oder Alter. Wie können wir also über Weiblichkeit sprechen, ohne dass wir damit über Varianten des Männlichen sprechen? Das ist meiner Ansicht nach die entscheidende Frage.

Was heißt das nun für unsere Frage: Was ist weiblich?

Alcoff zitiert in ihrem Aufsatz den schwarzen Philosophen Robert Gooding-Williams, der auf die Frage, »was ist ein Schwarzer, was macht schwarze Identität aus« so argumentiert: »Von anderen rassenmäßig als schwarz klassifiziert zu werden ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, um eine schwarze Person zu sein. Man wird nur dann eine schwarze Person, wenn man beginnt, sich selbst als schwarz zu identifizieren und wenn man beginnt, Entscheidungen zu treffen und Pläne zu machen und Ansichten auszudrücken im Lichte der eigenen Selbstidentifizierung als schwarz.«

Dies ist eine Definition, die ich sehr hilfreich finde, auch um über die Frage »Was ist eine Frau« nachzudenken. Ich habe das selbst vor einiger Zeit einmal so ähnlich formuliert: »Eine Frau ist jemand, die von anderen als Frau angesehen wird und die diesem Urteil der Anderen selbst zustimmt.« Diese Antwort fand ich auf die Frage, wie es sich mit Transgender-Personen verhält, mit Mann-zu-Frau-Geschlechtsumwandlungen.

Weiblichkeit wäre also nach dieser Definition nichts mehr, was aus einem bestimmten Körper notwendig folgt, aber auch nichts, was unabhängig vom Körper Bestand haben kann. Weiblichkeit ist ein Zusammenspiel zwischen dem Blick der anderen auf mich und meiner eigenen Antwort auf diesen Blick. Eine Frau bin ich dann, wenn diese Tatsache sowohl mir als auch den anderen plausibel ist, und zwar nicht in der Theorie, sondern in der Realität – wie auch immer diese Plausibilität zustande kommt.

Und hiervon ausgehend kann Weiblichkeit dann etwas werden, was der freien Verhandlung unter Frauen anvertraut wird. Faktisch ist Weiblichkeit ja genau das: Was eine jeweilige Gesellschaft für weiblich hält, ergibt sich aus dem, was die konkreten Frauen in dieser Gesellschaft so tun und diskutieren. Nur dann ist es nämlich plausibel und real. Die schönsten Theorien und Behauptungen über Weiblichkeit sind unglaubwürdig, wenn sie sich nicht in konkreten Frauen bestätigt finden. Andererseits wüssten diese konkreten Frauen gar nicht, was sie tun sollten, wenn sie sich nicht in einem konkreten Kontext bewegen würden, der die Kategorie »Frau« überhaupt bereit hält und dafür inhaltliche Angebote macht.

Hiervon ausgehend kommen wir also wieder zu den Gender-Cops. Erwachsen werden bedeutet auch, sich nicht nur einfach an die Gesetze, deren Einhaltung die Polizei überwacht, halten zu müssen, sondern diese Gesetze mit zu bestimmen. Wer sagt eigentlich, dass ein Mädchen nicht auf Bäume klettert? Wer hat dieses Gesetz gemacht? Die Frauenbewegung hat zahlreiche Gesetze geändert. Gesetze ändern heißt aber nicht, die gesamte Gesetzgebung abzuschaffen.

Zum Schluss möchte ich euch noch einige Beispiele vorstellen, die mir im vergangenen Jahr untergekommen sind, und die für unser Thema relavant sind.

Ein wichtiger Punkt ist dabei natürlich dies, wie wir die Unterschiedlichkeit von Frauen denken können, ohne uns vom Frausein selbst zu verabschieden. Dies ist meiner Ansicht nach der Dreh- und Angelpunkt, denn nur so ist weibliche Freiheit denkbar – also die Freiheit der Frauen, bei der weder die Freiheit fehlt (insofern das Frausein inhaltlichen Konventionen unterworfen ist) noch die Frauen (insofern es gar keine Frauen mehr gibt).

Noch immer haben wir es uns nicht abgewöhnt, über Frauen im Kollektiv zu denken. Nur zwei Beispiele, wo mir das im vergangenen Jahr begegnet ist. In einem Artikel in der Schlangenbrut las ich: »Was die interviewten Frauen zu sagen hatten, ist so unterschiedlich wie ihre Herkunft, ihr Alter, ihre sexuelle Orientierung, ihre Kultur und Religion. Doch alle erzählten von Frauenerfahrungen.«1Das heißt, die Unterschiede unter Frauen kommen nicht aus dem, was sie jeweils Unterschiedliches tun, sondern sind ihnen quasi extern übergestülpt – Herkunft, Kultur, Alter…

Ein zweites Beispiel, aus einem Brief, in dem ein Beitrag von mir für eine Anthologie über die Geschichte der Frauenbewegung abgelehnt wurde. Ich hatte über vier Frauen geschrieben, die im 19. Jahrhundert als Feministinnen in die Internationale, den Dachverband der Arbeiterbewegung, eingetreten waren. In dem Brief heißt es: »In ihrem aktuellen Beitrag versucht Schrupp, die offenen Fragen über die Bedeutung der Frauen in der Internationale (oder eigentlich ihre Nicht-Beachtung) ‚feministisch’ zu deuten – in vollem Bewusstsein ihrer Marginalität hätten sich diese Frauen trotzdem zur Mitgliedschaft entschlossen. Das scheint mir nicht überzeugend und quellenmässig nicht ausreichend belegt. … Frauen traten ja in der Regel über ihre Verbände, also kollektiv, der IAA bei.« Das heißt, das Beispiel meiner vier Frauen kann deshalb nicht feministisch gedeutet werden, weil die Frauen in der Regel anders handelten, als diese vier Frauen. Es ist hier immer noch das alte Denken drin, dass Frauen, die etwas anderes tun als die Mehrheit der Frauen, nicht wirklich weiblich sind oder sich aus ihrem Handeln jedenfalls nichts Feministisches ableiten kann.

Das Problem, von Frauen zu sprechen. Wenn ich sage: »Frauen tun dieses oder das«, dann wird das in der Regel verstanden als »Alle Frauen tun dies oder das« (wenn z.B. das Gegenargument kommt: Aber diese Frau tut etwas anderes) und/oder es wird verstanden als »Im Unterschied zu Männern« (wenn gesagt wird: Aber dieser oder jener Mann tut das auch). »Frauen tun dies oder das« heißt aber nicht, dass alle Frauen das tun, oder dass Männer das niemals tun, sondern dass ich finde, es hat eine Bedeutung, dass es (einige) Frauen sind, die das tun…

Wenn wir Frausein aber als das Ergebnis einer Verhandlungssache unter den konkret vorhandenen Frauen verstehen, dann gewinnt aber andersherum gerade das, was eine Minderheit von Frauen tut, besondere Bedeutung – denn diese Minderheit führt diese Verhandlungen über das Frausein auf neue Gleise, sei es zum Guten oder zum Schlechten – darüber ist dann jeweils zu diskutieren.

Sehr skeptisch bin ich inzwischen, wenn von weiblicher »Vielfalt« die Rede ist, denn hinter dieser Vielfalt steckt in Wahrheit doch Einheitlichkeit. Zum Beispiel ist das ganz sichtbar im Bereich der Körpervorstellungen von Frauen. Die viel gelobte Dove-Kampagne etwa, die nicht ganz so dünne Models genommen hat, hat auf der anderen Seite doch wieder zu Konformität geführt, insofern nun ein »Korridor« des Erlaubten geöffnet wurde, den frau aber umso weniger überschreiten darf. Dass wir fast alle nicht die Ideal-Model-Maße erreichen, ist klar. Aber so wie die Dove-Frauen auszusehen, das können wir doch schaffen! Ähnlich ist es mit Diskussionen über Schönheits-OPs. Einen Korridor von »unterschiedlichen« Möglichkeiten zu definieren, markiert immer Grenzen zu dem, was dann verboten ist. Cher macht definitiv zu viele Schönheits-OPs heißt es. Oder wenn wir den Body-Mass-Index bei Frauen auf 18 Minimum festlegen, was viele ja gut fanden. Heißt das, das 18 jetzt erlaubt ist und 17,9 verboten? Gute Frauen – schlechte Frauen? Das Ganze geht natürlich nicht nur für das Dick- und Dünnsein, sondern auch für alles: Wenn etwa darüber geredet wird, dass Frauen auch die Regeln verändern, wenn sie in Männerdomänen vordringen – was ist erlaubt und was nicht? Ein bisschen zu erlauben heißt immer auch, zu viel dann wieder nicht zu erlauben. Also Vielfalt und Differenz sind zwei sehr verschiedene Sachen und der Diskurs um Vielfalt läuft häufig Gefahr, die Differenz erst recht auszulöschen.

Ein anderer Punkt ist das so genannte »Lob der Weiblichkeit«. In einem Text des Mystikers Willigis Jäger habe ich folgende Passage gelesen. Er schreibt: »Ich habe wiederholt feststellen können, dass Frauen eher für eine mystische Erfahrung offen sind als Männer. Ich vermute, das hat etwas damit zu tun, dass Frauen ganzheitlicher veranlagt sind. … Das führt dazu, dass Frauen andere psychische Ebenen unmittelbar in ihre Lebensform und ihren Denkstil einfließen lassen. Wenn man diese Ganzheitlichkeit des Lebens und Denkens als spezifisch »weiblich« versteht, wird man ein generelles Defizit an Weiblichkeit in unseren westlichen Gesellschaften beklagen müssen.«2– Das heißt, ausgehend von seiner zutreffenden Beobachtung dessen, was Frauen tun (sie sind offen für mystische Erfahrungen, in seinem Fall, man könnte sich aber auch jeden beliebigen anderen Fall vorstellen) kommt er zu Überlegungen, wie dies von ihrer Weiblichkeit beeinflusst sein könne, und ob er als Mann das auch haben könnte. So als sei Weiblichkeit irgend etwas, das auf der Straße herumliegt, geprüft, für gut befunden und sich angeeignet werden könnte. Aber es ist eben etwas, das aus dem Handeln von Frauen folgt. Die einzige Möglichkeit, von der »Weiblichkeit« zu profitieren, ist, mit Frauen eine Beziehung zu haben. Frauen aus Fleisch und Blut sind die Subjekte von Weiblichkeit, nicht andersrum Objekte, die von einen natürlichen Wesen namens »Weiblichkeit« gelenkt werden.

Ein weiterer Punkt ist das Schwanken zwischen stereotypen Rollenbildern einerseits und der Versuchung des Neutrums andererseits. Leutnant Claudia Spiers, USA-Soldatin in Irak, sagt: »In meiner Einheit sind alle gleich. Ich werde nicht als Frau betrachtet, sondern als Soldat. Und wenn ich ihnen etwas befehle, dann nehmen sie den Befehlt nicht von einer Frau, sondern von einem Leutnant entgegen.«3Was bedeutet es, wenn eine Frau so über ihr Frausein spricht? Auch bei der Fußball-WM ist mir diese Spaltung der Frauen in »Frauen« und »richtige Leute« aufgefallen. Denn da gab es einerseits »echte« weibliche Fußballfans (nicht als Frauen identifizierbar, Fan kommt vor Geschlecht) und »Groopies« (überbetonte Weiblichkeit, Geschlechterklischees).

Am Ende möchte ich doch noch eine Definition von Weiblichkeit versuchen, die meiner Ansicht nach sowohl die Freiheit, als auch die Notwendigkeit von Geschlechtlichkeit festhält als auch die Bedeutung des Kontextes und der Beziehung sichtbar macht. Und die es möglich macht, über Weiblichkeit zu sprechen ohne damit eine Variante des Männlichen zu meinen. Und hier ist sie:

Eine Frau ist eine, die vom selben Geschlecht ist, wie ihre Mutter.

Vortrag am 25.4.2007 bei Frauenstudien in München und

Workshop am 17.11.2007 in Reichelsheim/Unterostern (Odw.) und

Vortrag am 14.5.2008 in der Immanuelkirche in Aachen.

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  1. Lutz Ruth Wotzlaw/Maria Barbara Benoit: Vagina-Kriegerinnen. In: Schlangenbrut Nr. 93, Mai 2006. 

  2. Willigis Jäger: Die Welle ist das Meer, S. 24f. 

  3. »An der Front«; taz vom 24.10.2006, S. 3.