Antje Schrupp im Netz

Bin ich schön genug? Warum Frauen (und Männer) Körperkult betreiben.

Sie trainieren und sie hungern. Sie legen sich unters Messer. Sie geben ein Vermögen für Kosmetik und Klamotten aus. Sie behängen sich mit Schmuck, malen sich an, stechen sich Löcher in den Bauchnabel. Ein Zeitgeist-Phänomen? Nicht nur. In allen Kulturen und zu allen Zeiten haben Menschen ihre Körper verändert, gestylt, hergerichtet. Und das alles nur, um schön zu sein.

Der menschliche Körper durfte noch nie einfach so bleiben, wie er ist. Schon die antiken Griechen bewunderten die hart trainierten Muskeln der Männer, und im alten China galten Frauen nur als schön, wenn sie ihre Füße verkrüppelten. Es braucht offenbar keine Schönheitsindustrie und keine Massenmedien, damit der Körper bestimmten Idealen unterworfen wird. Auch wenn sich die Vorstellungen von dem, was schön ist, immer wieder verändern – klar ist: es gibt sie, und kein Mensch kommt sozusagen »ungeschoren« davon.

Es ist auch kein Wunder, dass Menschen schön sein wollen. Denn wer schön ist, ist in der Regel erfolgreicher, knüpft leichter Bekanntschaften, hat mehr Chancen im Beruf, wie soziologische Studien erwiesen haben. Das war vermutlich schon immer so. Doch noch nie waren die technischen und medizinischen Möglichkeiten für Manipulationen am eigenen Körper so groß und leicht zugänglich wie heute.

Früher galt Schönheit als »Gottesgeschenk«, das manchen gegeben war und anderen eben nicht. Heute ist das anders. Dank ästhetischer Chirurgie und Fitness-Studio muss niemand mehr so bleiben, wie Gott ihn oder sie geschaffen hat. Im Gegenteil: Es gilt geradezu als Pflicht, die eigene »Marktfähigkeit« aktiv und »eigenverantwortlich« zu pflegen. Und das körperliche Erscheinungsbild gehört definitiv dazu.

Schönheit wird heute, vor allem in den Medien und in der Werbung, als Frucht harter Arbeit und verantwortlichen Konsumverhaltens inszeniert. Wer beim Modellieren des eigenen Körpers scheitert, steht rasch im Verdacht, auch sonst nicht genügend Selbstdisziplin aufzubringen: Wieder auf der Couch geblieben, statt zum Joggen gegangen? Das Geld für Theaterkarten ausgegeben statt für die Nasenkorrektur? Auf Mitleid können Hässliche jedenfalls mehr zählen. Alles ist machbar, und wer hässlich bleibt, ist selber schuld.

Viele kritisieren – und ganz zu Recht – den Druck, der dadurch gerade auf jungen Frauen lastet. Und zunehmend auch auf Männern: Sie mussten in früheren Zeiten nicht unbedingt schön sein, Macht und Reichtum machten sie ebenfalls anziehend. Heute hat sich das relativiert: Auch Männer dürfen sich nicht mehr jede Hässlichkeit erlauben. Andererseits: Ob die Menschen, die früher wegen ihrer abstehenden Ohren gehänselt wurden (die zu »korrigieren« heute eine Routineoperation ist), wirklich so glücklich waren?

Gerade die Religionen sind traditionell der äußerlichen, körperlichen Schönheit gegenüber skeptisch eingestellt. Vor allem der der Frauen. Fromme Christinnen durften sich nicht schminken, keinen Schmuck anlegen, mussten schlichte Kleidung tragen, um nicht die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen. Genauso begründen viele muslimische Theologen heute das Kopftuch. Auch im orthodoxen Judentum sollen Frauen lange Röcke und dicke Strümpfe tragen. Der Grund ist immer derselbe: Schönheit, vor allem die Schönheit der Frauen, ist haarscharf an der Grenze zur Sünde.

Doch besteht das Streben nach Schönheit wirklich nur darin, sich Konventionen anzupassen, dem gesellschaftlichen Druck nachzugeben, Äußerlichkeiten hochzuhalten? So einfach ist es nicht. »Ich tue das für mich selber«, sagen die meisten Frauen, wenn sie sich ihrer Schönheit widmen, »es geht mir darum, meinen individuellen Stil zu finden, ich will mir vor allem selbst gefallen.« Und irgendwie haben sie auch Recht damit.

Denn das genau ist der Witz an der Schönheit: Sie ist immer ein Wechselspiel zwischen dem eigenen Urteil und der gesellschaftlichen Norm. Sich einfach nur anzupassen, quasi ohne jede Individualität, funktioniert nicht. Wenn alle Frauen gleich groß, gleich dünn, gleich blond und langhaarig sind, wird’s langweilig – weil man dann all die Jennifers, Christinas und Angelinas kaum noch auseinander halten kann.

Die Gefahr, dass Schönheit austauschbar wird (und damit keine mehr ist), ist heute in der Tat sehr viel größer als früher, weil sich Abweichungen von der Norm so gut ausbügeln lassen wie noch nie. Doch eine pauschale Ablehnung der neuen »Körpertechnologien« führt nicht weiter. Warum soll es moralisch besser sein, schiefe Zähne gerade zu rücken, als sich die Brüste zu vergrößern oder zu verkleinern? Im Bezug auf Schönheit ist niemand unabhängig von gesellschaftlichen Normen, und Nichtstun keine Option: Eine Frau, die sich heutzutage nicht die Beine rasiert, gibt damit ein klares »Statement« ab – anders als vor dreißig Jahren, als behaarte Frauenbeine noch nicht als hässlich galten.

Nur »für sich selbst« schön zu sein ist vielleicht nicht unmöglich, auf jeden Fall ist es sinnlos. Wer sich »schön macht«, sendet eine Botschaft aus: Ich will dir gefallen. Ich will dir etwas von mir zeigen. Das Streben nach Schönheit sagt nichts anderes als: Schau mich an! Etwas für »schön« zu halten ist deshalb zwar tatsächlich ein subjektives Gefühl, aber gleichzeitig meinen wir doch, dass es auch für andere gelten müsste.

Und obwohl Schönheitsideale immer eine Mode sind, bleibt es uns nicht erspart, immer wieder selbst darüber zu urteilen, was wir schön finden und was hässlich. Wer dieses Urteil an die Modeindustrie delegiert, wird langweilig und austauschbar. Wer sich um Schönheit hingegen gar nicht schert, bleibt vermutlich ziemlich einsam.

Körpermanipulation in Zahlen

Die »Arbeit« am eigenen Körper hat in den vergangenen Jahrzehnten einen wachsenden Dienstleistungssektor hervorgebracht.

Schätzungsweise sieben Millionen Menschen sind in Deutschland Mitglied in einem Fitnessstudio, das sind etwa 8,5 Prozent der Bevölkerung – 1980 waren es gerade mal 300.000.

Zudem werden jedes Jahr kosmetische Körperpflegemittel im Wert von 10 Milliarden Euro verkauft, der gesamte »Wellness- und Fitness-Markt« wird auf ein Volumen von 40 bis 60 Milliarden Euro geschätzt, bei prognostizierten Wachstumsraten von 6 Prozent.

Die Zahl der Schönheitsoperationen, also medizinisch nicht notwendiger chirurgischer Eingriffe, beläuft sich nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Ästhetische Medizin derzeit in Deutschland auf rund eine Million pro Jahr – das sind fast zehn Mal so viele, wie noch 1990 – bei einem Umsatz von zwei Milliarden Euro. Vier von fünf Operationen werden an Frauen durchgeführt, allerdings hat sich der Männeranteil zwischen 1998 und 2008 von zehn auf zwanzig Prozent verdoppelt. 37 Prozent aller Eingriffe werden an jungen Menschen bis 30 Jahre vorgenommen.

Zahlen nach: Paula-Irene Villa: Schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst, transcript-Verlag, Bielefeld 2008, sowie Schätzungen der GÄCD (Gesellschaft für ästhetische Chirurgie in Deutschland) und der IGÄM (Internationale Gesellschaft für Ästhetische Medizin).

In: Blick in die Kirche, Februar 2009