Antje Schrupp im Netz

Der Reiz der Verschwörung

Auch Dan Browns »Sakrileg« ist nur phantasieloses Männerdenken

Verschwörungstheorien sind immer beliebt. Vor allem wenn dunkle Kirchenmächte darin verwickelt sind. So wie in Dan Browns Bestseller »Sakrileg«, der jetzt als Film im Kino läuft. Die Story: Jesus habe mit Maria Magdalena Kinder gehabt, deren Nachkommen heute noch in Frankreich leben. Prompt dreht sich ein großes Medienbohei von Stern bis Spiegel um die Frage: Könnte das wirklich so gewesen sein?

In etwas kleinerem Format, aber ähnlich gelagert, wird auch über ein kürzlich wieder entdecktes Judasevangelium diskutiert. In diesem Text aus dem 2. Jahrhundert wird Judas als Eingeweihter und engster Vertrauter Jesu dargestellt. War also der angebliche Verräter in Wirklichkeit gar nicht böse?

Solche Diskussionen spielen mit der offenbar reizvollen Vorstellung, dass, wenn erst einmal ans Licht käme, was damals »wirklich« passiert ist, die Grundfesten der Kirche ins Wanken gerieten. Doch mit den vermeintlich objektiven historischen Fakten ist es so eine Sache, zumal wenn sie 2000 Jahre zurück liegen. Die frühen Anhängerinnen und Anhänger Jesu jedenfalls bewegte (zum Beispiel, wenn sie Briefe und Evangelien schrieben) keineswegs die Frage: »Wer war Jesus wirklich?« Sondern: »Wer war Jesus für uns?« Das ist auch heute noch die entscheidende Frage, und sie wird damals wie heute unterschiedlich und kontrovers beantwortet. Historische Tatsachen sind dabei natürlich nicht ganz uninteressant, sie spielen aber nur eine Nebenrolle. Was und wem wir glauben und wer Jesus für uns ist – darauf kann es keine objektiv beweisbare »richtige« Antwort geben. Jede und jeder muss das selbst entscheiden. Das nennt man »Bekenntnis«.

Schwierig wird es natürlich, wenn kirchliche Instanzen eine bestimmte Interpretation als die einzig wahre behaupten, wie es vor allem die katholische Kirche immer noch tut – was sich erst kürzlich wieder an der Aufregung um die harmlose Witzsendung »Popetown« zeigte. Kein Wunder, dass Rom auch gegen den Film »Sakrileg« wettert. Das alles nährt aber nur die Verschwörungsphantasien der Gegenseite. Solchen Leuten traut man eben alles zu.

Dabei wird übrigens leicht übersehen, dass auch hinter dem »Sakrileg«-Szenario nur phantasieloses Männerdenken steckt. So soll es ein Hinweis auf die Verschwörung sein, dass Leonardo da Vinci in sein berühmtes Abendmahls-Bild Maria Magdalena hineingemalt hätte. Aber was wäre daran eigentlich ungewöhnlich? Die feministisch-theologische Forschung hat doch längst ans Licht gebracht, dass Maria Magdalena eine wichtige Jüngerin in der Jerusalemer Urgemeinde war. Wieso soll dann ihre eventuelle Darstellung im Kreis der Jünger ein Beweis dafür sein, dass sie Jesu Geliebte war? Für Dan Brown können Frauen offenbar nur von Bedeutung sein, wenn sie mit wichtigen Männern ins Bett gehen.


In: Kirche Intern, Juni 2006