Antje Schrupp im Netz

Was erwarte ich von der Religion und der Kirche?

Tischrede beim Frauenmahl in Frankfurt am Main, 14.4.2013

Vielen Dank für die Einladung.

Ich finde diese Form der Frauenmahle eine ganz tolle, weil es so eine halböffentliche Form ist. Es kommen also nicht einfach irgendwelche Menschen zusammen, sondern Menschen, die gemeinsames Interesse teilen – in dem Fall heute die Frage: Was können die Kirchen, was können Religionen eigentlich beitragen angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, und die sind groß und breit. Ich will sie nicht im Detail aufzählen.

Wir wissen alle, was für Schwierigkeiten wir haben. Wir haben den Klimawandel, wir haben knappe Ressourcen, wir haben die ungelöste Frage der Fürsorgearbeit und der Sorgearbeit generell in Zukunft. Wir haben die ansteigende Armut usw. usf. Welchen Beitrag erwarte ich diesbezüglich von der Kirche und von den Religionen, war die Frage, die wir Referenten bekommen haben und meine spontane Antwort war – wir sollen ja offen sprechen: Nichts.

Was erwarte ich von Kirchen und Religionen? Die Frage hat ja schon im Hintergrund die Vermutung, dass die Kirchen etwas beizutragen hätten zur Lösung dieser Probleme. Ich schlage vor, wir gehen noch einen Schritt zurück und fragen uns: Ist das überhaupt so? Haben Kirchen und Religionen denn wirklich was beizutragen zur Lösung dieser Probleme? Wir behaupten das immer so.

Ein anderer Grund, warum ich spontan gesagt habe „nichts erwarte ich“, ist, dass ich selber mich als Teil der Kirche sehe und nicht als ihr Gegenüber. Also wenn ich frage, was können Kirchen und Religionen beitragen, dann ist das die Frage: Was kann ich beitragen? Ich bin ja evangelische Christin, was interessante Begegnungen in der sogenannten Bloggosphäre nach sich zieht. Das finden die Leute dann nämlich echt krass, also dass das eine nicht nur ist, sondern auch tatsächlich sagt.

Außerdem bin ich auch nicht nur Christin, ich bin auch Mitglied in der evangelischen Kirche, ich bin sogar Angestellte der evangelischen Kirche. Also ich bin schon ein Teil der Kirche und alles, was ich da erwarte und fordere, fordere ich also von mir selbst. Und da muss ich, wenn ich mir anschaue, was Kirchen und Religionen machen, und sagen in Bezug auf die großen Herausforderungen, dass nicht viel dafür spricht oder vielleicht auch gar nichts, dass sie bessere Antworten haben als andere gesellschaftliche Kräfte. Also wenn man zum Beispiel so ein banales Beispiel nimmt wie die Entlohnung von Putzhilfen in der Diakonie, dann werden die auch nicht besser bezahlt als anderswo. Ich meine, Sie sind ja alle wahrscheinlich auch in entsprechenden Zusammenhängen. Wenn man sich das mal anschaut, wir sind nicht so viel besser als der Rest der Welt und – wenn – sind wir es aus individuellen Gründen vielleicht, weil eine Einrichtung eine gute Leitung hat oder so.

Aber hängt der Grund für das besser sein, wenn man es denn mal diagnostiziert, wirklich am christlich sein? Wer sagt, dass wir den anderen helfen können bei der Lösung unserer gemeinsamen Probleme? Ich glaube, dass die besten Lösungen für Probleme immer von den Betroffenen selbst gefunden werden. Also wenn man zum Beispiel überlegt, wir haben ein Armutsproblem, wir haben eine wachsende Armut und ich denke, für die Lösung der Armutsproblematik sind die Armen die ersten Expertinnen und Experten und nicht unbedingt die, die das Problem gar nicht haben.

Kirchenmitglieder sind auch nicht sozialer und toleranter als andere. Wenn wir in der Redaktion von Evangelisches Frankfurt manchmal frotzeln, wir bräuchten mal wieder ein paar mehr Leserbriefe, wie können wir die kriegen? Naja, schreiben wir was Positives über den Islam. Dann können wir mit extremen Protestbriefen rechnen. Es ist also nicht wahr, dass sozusagen der Appell an religiöse Toleranz bei unseren eigenen Glaubensgeschwistern auf einen fruchtbareren Boden fallen würde als außerhalb.

Allerdings würde ich schon sagen, dass die Kirchen als Institutionen in der letzten Zeit bei einigen Themen eine positive Rolle gespielt haben in Bezug auf religiöse Toleranz. Ich denke da zum Beispiel an die Diskussion um Beschneidung, wo sie gegen einen doch großen gesellschaftlichen Trend die Freiheit sage ich mal der einzelnen Religionen, über die Kindererziehung selbst zu entscheiden, moderiert haben auch gegenüber ihren eigenen Mitgliedern oder auch in Bezug auf religiöse Toleranz schlechthin. Hier in Frankfurt denke ich da beispielsweise über die Diskussion über den Moscheebau in Hausen. Auch in Bezug auf Homophobie. Also viele religiöse Menschen gehen ja immer noch davon aus, dass gleichgeschlechtliche Liebe eine Sünde ist. Da haben die Kirchen Institutionsspitzen einige gute Erklärungen abgegeben, die mir persönlich natürlich bei weitem nicht weit genug gehen. Da bin ich immer froh, dass sie nicht noch schlimmer sind. Aber man muss ja sehen, innerhalb der eigenen Mitgliedschaft ist es dann schon eine Botschaft.

Und da komme ich schon zu einem Punkt, wo ich tatsächlich eine Aufgabe der christlichen Kirchen heute sehen würde: Wir haben ja eine auseinanderdriftende Gesellschaft vor allen Dingen in Bezug auf Milieus. Man spricht ja auch von der Milieuverengung der Kirche, die bedeutet zum Beispiel, dass von zehn Sinusmilieus, also wie soziologisch die Gesellschaft in verschiedene kulturelle Milieus eingeteilt werden, also von zehn, die es insgesamt gibt, haben nur drei überhaupt noch irgendeine Anbindung an die Kirche. Und diese drei sind allesamt dem konservativ Spektrum zuzuordnen: die armen Konservativen, die Traditionalisten und die Reichen.

Es sind genau die Milieus, die momentan zum Teil so ein bisschen überrollt werden von der gesellschaftlichen Entwicklung. Da werden auf einmal Sachen erlaubt, die immer verboten waren. Sollen Schwule auch noch Kinder adoptieren? Dann gibt es dieses Internet, dieses Teufelszeug. Also diese ganzen Modernisierungsschübe, die in der Gesellschaft gerade in ihren traditionelleren Milieus Unsicherheit auslösen, das sind genau die Milieus, die Kirchenmitglieder sind und ich glaube, dass da die Kirche eine große Rolle hat, die sozusagen mitzunehmen in dieser allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung und zu vermitteln, dass das alles gar nicht so schlimm ist, wie es sich vielleicht anschaut.

Bei meinen Begegnungen außerhalb des engen Kreises der Kirche stelle ich ansonsten fest, dass die Kirche und Glauben und Religion keine Rolle spielt oder – wenn überhaupt – nur in der Abwehr. Soziologen sprechen davon, dass wir momentan ein Phänomen erleben, das sie die Exkulturation der Kirche aus der Gesellschaft nennen. Also so wie das Christentum zum Beispiel in afrikanischen Kulturen inkulturiert wird, indem eine Verbindung hergestellt wird zwischen den christlichen Glaubensinhalten und der dortigen Kultur, erleben wir im Westen eine Exkulturation des Christentums. Das heißt, das Christentum entfernt sich aus der Kultur der Mehrheitsgesellschaft und das hat zur Folge nicht nur, dass es immer schwerer wird die Botschaft zu vermitteln.

Ich bin ja auch in der Öffentlichkeitsarbeit im weitesten Sinne und da gibt es oft an uns den Wunsch: Hier, wir haben so eine gute Botschaft, wir müssen die besser verkaufen, wir müssen mehr Plakate haben, wir müssen tollere Zeitungen machen, um das besser zu vermitteln. Aber ich glaube, es ist nicht nur ein Vermittlungsproblem, sondern das ist auch ein Inputproblem, denn wie wollen wir von Gott reden oder darüber, was Gott bedeutet in der heutigen Welt, wenn wir in dieser Welt gar nicht mehr verankert sind?

Also wir müssen den Austausch haben mit der Kultur und den Problemen, die die Leute jetzt haben, weil nur die wissen, was die gute Botschaft vom Reich Gottes auf Erden heute konkret in irgendeiner Situation möglicherweise bedeutet. Das können wir nicht für andere Kulturen sagen und je mehr sich die Kirche exkulturiert, desto mehr wächst nicht nur ihr Vermittlungsproblem, sondern desto mehr vermindert sich auch das, was sie über Gott weiß.

Das ist jetzt dann auch schon meine letzte steile These. Das Problem dieses Verschwindens der Kirche und der Religionen aus der westlichen Kultur ist nicht ein Problem wegen der Diakonie oder der Kultur oder der Sozialarbeit. Sozialarbeit können auch andere Institutionen machen, Wachkonzerte können auch andere Institutionen geben, dafür braucht man nicht unbedingt die Kirche. Die Kirche hält sich da aber oft dran fest als wäre es ihre letzte Legitimation. Ich halte das für keine besonders gute Strategie. Das sozusagen, was die Kirche beitragen könnte, wäre Wissen über den Gottesbezug und der geht unserer Gesellschaft momentan verloren.

Wir müssen also mehr über Gott reden und weniger über die Kirche. In dem Zusammenhang finde ich auch sozusagen aus der Internetszene bedenklich, dass es dieses Jahr eine große Tagung gibt. Die Kirche hat das Internet entdeckt und macht jetzt eine Tagung zum Thema „Reden über Kirche im Web 2.0“. Ich finde das völlig unwichtig. Wichtig ist, wie reden wir im Web 2.0 über Gott. Meine These ist – damit komme ich zum Ende: Wir müssen lernen über Gott zu sprechen, ohne das Wort zu benutzen, denn das Wort Gott produziert momentan mehr Missverständnisse als Verständigungsmöglichkeiten. Also unser Missionsauftrag ist die Verbreitung einer guten Botschaft. Der Missionsauftrag ist nicht: Bringt die Leute dazu, über Gott zu reden oder dazu, in die Kirche einzutreten. Sondern die gute Botschaft ist: Gutes Leben für alle auf der Welt ist möglich, wenn Menschen einander nicht töten, wenn sie mit den Armen teilen, wenn sie ihre feine Leben… trallalala, muss ich Ihnen nicht alles erzählen.

Das ist die gute Botschaft. Das Reich Gottes ist möglich. Ich übersetze das immer: Gutes Leben für alle ist auf der Erde möglich. Und ich merke, dass das Wort Gott mir sozusagen bei der Verkündigung dieser guten Botschaft mehr Steine in den Weg legt als aus dem Weg räumt, weil sobald ich das Wort benutze kommt dann: Gott existiert doch gar nicht und die Kirchen früher und die Kreuzzüge usw. und wir kommen nicht mehr dazu, über die eigentliche Botschaft zu reden. Also meine Frage an uns, an Sie vielleicht auch ist: Wie können wir über Gott reden, ohne das Wort zu benutzen und wollen wir das überhaupt?

Vielen Dank.