Antje Schrupp im Netz

Was kommt nach der Gleichstellung?

Warum Feminismus und Emanzipation nicht dasselbe ist.

»Frauen machen Gesellschaft« – das war natürlich schon immer so, aber es ist heute viel offensichtlicher als vor zwanzig Jahren. Frauen in wichtigen Positionen sind keine Seltenheit mehr. Das Bekenntnis zur Gleichstellung ist offizielle Linie des Staates, Mechanismen zu deren Implementierung durch das Gender Mainstreaming sind auf europäischer Ebene vereinbart.

Was kommt also nun, nach der Gleichstellung? Dass Sie mich, also eine Feministin, eingeladen haben, zu diesem Thema zu sprechen, freut mich sehr. Denn gegenwärtig ist das Image des Feminismus ja nicht besonders gut, vor allem nicht in den Medien. Von einer »Emanzipationsfalle« hat zum Beispiel letztes Jahr die Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke geschrieben und dabei die Behauptung aufgestellt, der Feminismus hätte die Frauen »erfolgreich, einsam, kinderlos« gemacht, so der Untertitel ihres Buches. Noch deutlicher wurde vor einigen Wochen erst die Tagesschau-Moderatorin Eva Herman: »Die Emanzipation – ein Irrtum« hat sie ihren Artikel überschrieben. Beide greifen explizit die Frauenbewegung an. Mit ihren Emanzipationsbestrebungen hätte sie die Probleme der Frauen eher vergrößert, als verkleinert.

Das ist natürlich Unsinn, denn wenn man sich mal einen Moment zurückerinnert, wie das Leben der Frauen in Deutschland vor der Frauenbewegung war, dann wird es wohl nur sehr wenige Frauen geben, die dahin zurück wollen. Richtig ist aber, dass auch die Emanzipation uns keineswegs das Paradies gebracht hat: Frauen kriegen weniger Kinder, als sie eigentlich möchten, sind hin- und hergerissen zwischen Privatem und Beruflichem. Aber ist der Feminismus daran schuld? Oder anders gefragt: Ist die »Krise der Emanzipation«, wenn ich das Gegrummele im Zeitgeist mal so nennen möchte, wirklich auch gleichzeitig eine Krise des Feminismus? Ich glaube nicht.

Die Gleichstellung der Frauen mit den Männern war für die Frauenbewegung ja nie ein Zweck an sich. Eine Gesellschaft, in der Frauen zwar gleichgestellt und nicht diskriminiert sind, in der aber sonst nicht viel funktioniert, die ist ja nicht erstrebenswert. Leben wir heute in so einer Gesellschaft?

Einiges spricht leider dafür. Frauen haben zwar gleiche Rechte und sind in wichtigen Schlüsselpositionen. Aber gleichzeitig wächst die soziale Ungleichheit, die Schere von arm und reich. Frauen übernehmen immer mehr wichtige Positionen in den Medien, gleichzeitig sind die Medien immer weniger eine kritische Kraft. Allerorten bekennt man sich zu weiblichen Kompetenzen wie Beziehungsfähigkeit, emotionaler Intelligenz, der Wichtigkeit von Kommunikation, gleichzeitig erleben wir Vereinsamung, um sich greifende Skrupellosigkeit in wirtschaftlichen Belangen, wird es immer schwieriger, soziale oder familiäre Bindungen einzugehen. Erhofft hatten wir uns doch eigentlich etwas anderes. Am Beginn der Gleichstellungsbewegung waren viele der Überzeugung, dass allein die Präsenz von Frauen zu Verbesserungen führen würde, zu einer gerechteren, sozialeren Welt für alle. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Woran liegt das? Am Feminismus?

Wenn in den Medien heutzutage Emanzipation und Feminismus einfach gleichgesetzt werden, dann steht das in einem merkwürdigen Widerspruch zu dem, was die Mehrheit der Frauen denkt. Und damit meine ich nicht nur Feministinnen, die betonen, dass es ihnen nicht einfach um Gleichheit mit den Männern geht, sondern um viel mehr. Sondern ich meine auch die vielen Frauen, gerade unter den jüngeren, die ja oft sehr dezidiert sagen, dass sie es zwar gut finden, dass Frauen heute emanzipiert und gleichberechtigt sind. Aber Feministinnen seien sie keine.

Sie sind also ganz offensichtlich der Meinung, dass es Emanzipation ohne Feminismus geben kann. Und damit haben sie Recht. Es gibt in der Tat viele Beispiele für Emanzipation ohne Feminismus, denken wir nur an die so genannten real-sozialistischen Länder, in denen die Gleichstellung der Frauen von oben verordnet war. Oder an die Versuche, westliche Gleichheitsvorstellungen, notfalls auch mit Kriegen, in andere Länder zu exportieren. Ein anderes Beispiel ist die Idee, das Bekenntnis zur Gleichberechtigung sollte ein Kriterium für die Integrationswilligkeit von Migranten und Migrantinnen sein. Das alles ist Emanzipation, die mit Feminismus nichts zu tun hat.

Der Unterschied ist folgender. Der Emanzipation geht es um die Gleichstellung der Frauen mit den Männern: Sie fragt: Haben Frauen dieselben Rechte, sind sie in gleicher Zahl in bestimmten Positionen präsent, haben sie dieselben Chancen und Möglichkeiten? Dem Feminismus hingegen geht es um die weibliche Freiheit in einem viel umfassenderen Sinn. Hier steht nicht der Vergleich mit den Männern im Zentrum, sondern das Begehren der Frauen selbst.

Bei vielen Kämpfen der Frauenbewegung ging natürlich beides Hand in Hand, etwa beim Wahlrecht oder beim Zugang zu gut bezahlten Arbeitsplätzen: Aber dass sich das Begehren der Frauen hier auf Dinge richtete, die Männer hatten und nicht hergeben wollten, das war gewissermaßen Zufall. Das weibliche Begehren kann sich auch auf ganz andere Dinge richten, die es nicht in Konkurrenz zu männlichen Privilegien bringt. Und manchmal kann die Emanzipation der Freiheit der Frauen sogar entgegenstehen, wie wir es derzeit bei der Kopftuchfrage beobachten: Hier wird die weibliche Freiheit im Namen der Emanzipation beschnitten, denn nicht die Frauen selbst sollen entscheiden, wie sie sich kleiden, sondern man macht gesetzliche Vorschriften. Wir müssen uns klar machen, dass Frauen ein Begehren haben können, das dem westlichen Emanzipationsmodell entgegensteht.

Der Grund dafür ist, dass es kein einheitliches Begehren der Frauen gibt. Begehren ist immer individuell, ich begehre, du begehrst. Daraus entstehen logischerweise auch Konflikte. Was machen wir mit solchen Differenzen? Ich finde, wir sollten sie nicht länger als eine Krise, als ein Problem sehen, sondern als einen sichtbaren Ausdruck der weiblichen Freiheit. Schon Rosa Luxemburg hat ja gesagt, dass Freiheit immer die Freiheit der Andersdenkenden ist. Häufig wird das nur als Aufruf zur Toleranz verstanden. Aber es geht hier noch um viel mehr: Die Unterschiedlichkeit ist nämlich nicht nur eine lästige, aber nun mal nicht zu vermeidende Begleiterscheinung der Freiheit, sondern geradezu ihre Quelle. Ich habe das durch die Frauenbewegung gelernt.

Der Frauenbewegung haben wir nämlich die Erkenntnis zu verdanken, dass Frauen frei sind. Das muss man heute ja extra betonen, weil alle Welt sich inzwischen die Freiheit der Frauen auf die Fahnen schreibt, die Aufklärung, die Demokratie, das Christentum. Nein, es war die Frauenbewegung, die diese Idee der weiblichen Freiheit in die Welt setzte.

In der Schule habe ich die Logik der Gleichstellung gelernt. Meine emanzipierten Lehrerinnen sagten mir, dass ich alles erreichen kann, auch als Mädchen. Das fand ich natürlich gut, aber es hörte sich immer ein bisschen so an, als sei mein weibliches Geschlecht irgendwie ein Handicap, eine Behinderung, die aber heutzutage nicht mehr so schlimm ist. Der Feminismus hingegen hat mich gelehrt, dass ich mein Frausein keineswegs überwinden muss, um frei zu werden. Sondern dass ich diese Tatsache akzeptieren kann, indem ich davon ausgehend meine Freiheit lebe. Wenn mein eigenes Begehren der Maßstab ist, dann muss ich mich nämlich nicht länger am Maßstab der Männer orientieren, muss mich weder an sie angleichen noch von ihnen abgrenzen. Und ich muss auch nicht so sein wie die Mehrheit der Frauen. Denn ich, eine Frau, bin frei.

Natürlich hat es auch in der Frauenbewegung Tendenzen zum Konformismus gegeben. Auch wir sind nicht gefeit davor, uns Modelle von der idealen Frau zu machen. So manche feministische Wortführerin hat sich die Frauenbewegung als eine Art Lobbyinstanz für Fraueninteressen vorgestellt und ihre eigene Aufgabe darin gesehen, im Namen »der« Frauen zu sprechen und Forderungen zu stellen. Auch viele von uns haben gedacht, wir könnten den langwierigen und mühsamen, den gewundenen und Spiralen ziehenden, aber auch lustvollen und entdeckungsreichen Weg der weiblichen Liebe zur Freiheit gewissermaßen abkürzen, indem wir die Frauenbefreiung sozusagen von oben verordnen. Jetzt sehen wir, dass das nicht geht.

Es kann also nicht schaden, manche Selbstverständlichkeiten und eingefahrene Denkmuster der Gleichstellung immer wieder feministisch zu hinterfragen, und das heißt konkret: Sie daraufhin zu befragen, wie sie es denn mit der weiblichen Freiheit halten. Weibliche Freiheit bedeutet nicht die Einführung eines neuen Frauenstereotyps, zum Beispiel der Karrierefrau anstelle des Hausmütterchens, sondern die Abschaffung aller Stereotypen. Wohin das führt, ist offen, da das Begehren der Frauen eine unendliche Fülle beinhaltet. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt und wie sie sein soll. Weibliche Freiheit öffnet Räume für das Unvorhergesehene, für das noch nicht Gedachte, sie ist ein nie endendes Experiment.

Genau das unterscheidet sie grundlegend von der Emanzipation, die nämlich keineswegs eine Überraschung war, sondern ganz und gar vorhersehbar. Die Emanzipation ist ja eigentlich eine Erfindung der Männer – denn das männliche Denken war es ja, das die Idee der Gleichheit aller Menschen hervorgebracht hat. Als dieses Prinzip am Ende des 18. Jahrhunderts in Europa politisch wirksam wurde, spätestens mit der französischen Revolution, war die Frauenemanzipation eine logische Konsequenz. Auch wenn die meisten Männer diesen Gedanken damals natürlich noch weit von sich gewiesen hätten. Aber wenn man die Gleichheit aller Menschen erst einmal proklamiert hat, dann ist ja nicht wirklich viel Phantasie nötig, um vorherzusehen, dass früher oder später auch die Frauen dieses Recht für sich einklagen. Die Emanzipation war also nur eine Frage der Zeit, und sie kam kein bisschen überraschend.

Schon deshalb ist es unsinnig zu glauben, die Emanzipation könne weibliche Freiheit sicher stellen, auch wenn das ein verführerischer Gedanke ist. Aber nicht zufällig waren die größten Kritikerinnen des Emanzipationismus schon immer Feministinnen gewesen. Im 19. Jahrhunderts etwa haben die meisten Frauenrechtlerinnen davor gewarnt, einfach männliche Werte zu übernehmen. Ihr Ziel war es, durch die Einbeziehung der Frauen in das politische System eine Veränderung anzustoßen und den Ideen und Positionen von Frauen mehr Einfluss zu verschaffen. Ich erinnere auch an die Matriarchatsforschung, die auf der Suche machte nach Gesellschaftsformen, die von anderen Werten als dem patriarchalen Konkurrenzdenken geprägt sind. Auch in der Frauenbewegung der 1970er Jahre ging es nicht um Gleichstellung, sondern um eine bessere Welt für alle. So spielte die »Kinderfrage« dabei eine sehr große Rolle, was heute oft in Vergessenheit geraten ist.

Natürlich hat die rechtliche Gleichstellung den Aktionsrahmen für viele Frauen größer gemacht. Einerseits. Andererseits setzte die Emanzipation aber auch neue Normen und kann das Begehren der Frauen auch schwächen. Und zwar deshalb, weil sie zu der irrigen Ansicht verleitet, dass mit der Gleichstellung doch alles erreicht sei und die Frauen mehr nicht zu wollen hätten. Ihr seid doch emanzipiert – wozu braucht ihr dann noch den Feminismus? Diese Frage wird uns doch immer wieder gestellt. Natürlich können wir nun Statistiken hervorziehen, die belegen, dass es hier und dort mit der Emanzipation noch immer hapert, dass die Männer immer noch mehr verdienen und so weiter.

Aber das ist nicht wirklich prickelnd, und es ist mir auch nicht genug. Meine Antwort wäre: Ja, wir sind gleichgestellt, wir haben eine Bundeskanzlerin und so weiter, und trotzdem bin ich noch nicht zufrieden. Ich will nämlich noch mehr als gleichgestellt sein. Und was ich alles noch wollen kann, das weiß ich derzeit selber noch gar nicht. Weil ich nämlich frei bin, eine freie Frau, und weil deshalb die Zukunft offen ist für all das, was ich mir vielleicht noch wünschen kann und wofür ich mich noch engagieren werde.

Die Freiheit der Frauen lässt sich nicht von oben dekretieren. Sondern sie ist abhängig davon, ob Frauen sich selbst und ihresgleichen Autorität geben, ob sie untereinander auf eine Weise in Beziehung treten, die es einzelnen Frauen ermöglicht, auch im Widerstand gegen den Zeitgeist, die so genannten Marktgesetze und natürlich auch gegen patriarchale Überreste, politisch aktiv zu handeln und ihr Leben zu gestalten. Die weibliche Freiheit führt uns, anders als die Emanzipation, in eine Zukunft, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Sie lehnt sich über diese Welt hinaus, wie die Philosophin Luisa Muraro es einmal formulierte, sie macht Unmögliches möglich, sie macht Undenkbares denkbar, und sie spricht Unsagbares aus. Deshalb macht sie uns manchmal auch Angst. Sie stellt nämlich unsere Gewissheiten in Frage. Aber das ist befreiend. Denn es lädt uns ein, uns nicht mit dem Zweitbesten oder dem Machbaren zufrieden zu geben.

Ob weibliche Freiheit da ist, das lässt sich also nicht an der äußeren Gesellschaftsform ablesen, also zum Beispiel am Grad der Gleichberechtigung, sondern nur daran, ob und wie Frauen in einer Gesellschaft aktiv werden. Ob sie den Mut haben, auch abweichende Wege zu gehen – sowohl abweichend im Hinblick auf patriarchale Zumutungen, als auch abweichend im Hinblick auf das, was die Mehrheit der Frauen für richtig hält. Die konkreten Beziehungen unter Frauen, unter zwei Frauen zunächst, zwischen mir und dir, diese konkreten Beziehungen, in denen wir uns über unser Begehren verständigen, uns unterstützen und Rat geben, aber uns auch kritisieren und auf Gefahren aufmerksam machen – sie sind der Schlüssel zu unserer Freiheit. Denn diese konkreten Beziehungen unter Frauen ermöglichen es uns, auf dem Weg des eigenen Begehrens zu bleiben. Als Einzelkämpferinnen werden wir das nicht schaffen, aber auch nicht als Mitglied in irgend einer Frauen-Lobbygruppe, in der wir unsere persönlichen Anliegen der Solidarität unterordnen müssen.

Wenn wir uns die Geschichte anschauen, dann hatten die Pionierinnen der Frauenbewegung, diejenigen also, die neue und unkonventionelle Wege gingen, ja meistens keineswegs die Mehrheit ihrer Zeitgenossinnen hinter sich. Als die Suffragetten für das Wahlrecht kämpften, waren die meisten Frauen der Ansicht, dass Frauen nicht wählen sollten. Als in den 1970er Jahren Frauen für die Straffreiheit der Abtreibung eintraten, war die Mehrheit der Frauen in Deutschland dagegen.

Die ideale feministische Welt, wenn man so will, ist keine, in der Frauen dasselbe machen, wie Männer. Und sie ist auch keine, in der alle Frauen dasselbe machen. Sondern eine, in der Frauen – möglichst viele Frauen – das machen, was sie selbst wollen. Den Weg gehen, wohin ihr eigenes Begehren sie zieht. Eine Welt, in der Frauen miteinander darüber streiten, auch konfliktreich, was gutes Leben ist. Eine Welt, in der weibliche Autorität anwesend ist und geschätzt wird, auch dann, wenn sie andere Maßstäbe setzt, als die männlichen Autoritäten und Machthaber – oder auch Machthaberinnen.

Haben wir heute so eine Welt? Manchmal ja und manchmal nein. Es gibt in der Tat viele Beispiele dafür, dass Frauen heute auf diese freie Weise die Gesellschaft prägen: Frauen, die auf der Spur ihres eigenen Begehrens bleiben, ob es sie nun auf den Chefsessel führt oder in die Schule, an den heimischen Herd oder in die Autowerkstatt oder eben ins Bundeskanzlerinnenamt. Immer dann, wenn Frauen nicht einfach nur die Erwartungen anderer erfüllen wollen, sondern selbst denkend und urteilend in der Welt aktiv werden, machen sie Politik. Manche gehen diesen Weg innerhalb der Institutionen – und werden zum Beispiel Gleichstellungsbeauftragte. Andere gehen diesen Weg außerhalb der Institutionen. Und beides ist gut, solange es vom Begehren der jeweiligen Frau getragen ist.

Viele Frauen gehen den Weg ihres Begehrens aber eben auch nicht – trotz und vielleicht manchmal sogar wegen der Emanzipation. Es gibt Hausfrauen und Sekretärinnen, aber ebenso Politikerinnen und Managerinnen, die einfach nur funktionieren. Wir müssen heute leider beobachten, dass viele Frauen zwischen den Anforderungen der modernen Arbeitswelt und ihren privaten Lebenswelten, zwischen dem Druck der Schönheits- und Medienindustrie und ihrem eigenen Begehren, zwischen Emanzipationsansprüchen und der Sehnsucht nach Geborgenheit zerrissen und erschöpft werden. Der Grund dafür ist nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an weiblicher Freiheit. Es ist nämlich ein Zeichen dafür, dass Frauen trotz Emanzipation und Gleichstellung immer noch bestimmten Weiblichkeitsbildern und Stereotypen nacheifern, und manche dieser Stereotypen sind sogar vom Emanzipationismus erst neu geschaffen worden.

Das heißt: Wir haben auch heute nicht zu viel Feminismus, sondern zu wenig. Denn gerade wenn Frauen gleichgestellt und emanzipiert sind, brauchen wir den Feminismus dringender denn je. Wenn Frauen die Möglichkeit haben, einflussreiche Positionen und Ämter zu übernehmen, wenn sie nicht mehr einfach überlieferten Rollenklischees folgen können, sondern wenn jede Frau ihre eigenen Lebensentscheidungen treffen muss, beruflich und privat – Lebensentscheidungen, mit denen sie die Gesellschaft prägt und für die sie selbst auch die Konsequenzen zu tragen hat – in so einer Situation ist es doch wichtiger denn je, dass Frauen sich untereinander darüber verständigen, was sie wollen, was sie richtig finden, was sie tun.

Aber die Frage, was nach der Gleichstellung kommt, betrifft natürlich nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer. Im Zuge der Emanzipationsforderungen haben sie einiges gelernt: Dass Frauen auch Ansprüche stellen, dass eine inklusive Sprache besser ankommt, dass die klassischen männlichen Verhaltensweisen manchmal zerstörerisch sind und vielleicht überdacht werden müssen. Aber das Wichtigste, so beobachte ich immer wieder, haben viele Männer noch nicht gelernt. Sie scheinen zu glauben, die weibliche Differenz wäre etwas, das sie einfach der Welt, so wie sie bisher war, hinzufügen könnten. Etwas mehr emotionale Intelligenz, etwas mehr Kommunikationsfähigkeit, ein paar mehr Gefühle und kooperatives Gesprächsverhalten.

Aber das, was freie Frauen in diese Gesellschaft an Positivem einzubringen haben, lässt sich nicht in einem Handbuch für Gendergerechtigkeit zusammenfassen. Gerade bei solchen Männern, die eigentlich dem Thema gegenüber aufgeschlossen sind, die zum Beispiel dafür eintreten, dass unsere Gesellschaft »weiblicher« wird, habe ich manchmal den Eindruck, sie glauben, dass diese Weiblichkeit irgendwo herumliegt und sie sie nur aufheben müssten. Dass Feminismus also sozusagen ein Schulfach ist, das sie lernen können. Aber Weiblichkeit ist nicht ohne Frauen aus Fleisch und Blut zu kriegen, weil Weiblichkeit nämlich kein bestimmter Inhalt ist, sondern das, was freie Frauen sagen und tun. Es geht also nicht darum, dass Männer an dieser oder jener Stelle inhaltlich ihr Weltbild ergänzen, sondern darum, dass sie weibliche Autorität anerkennen. Männer können nur vom Feminismus profitieren, wenn sie sich mit dem auseinandersetzen und auf das hören, was Frauen ihnen sagen. Wenn sie erkennen, wo eine Frau mit Autorität spricht, sei es ihre Kollegin, ihre Chefin, ihre Ehefrau, ihre Nachbarin, ihre Mutter. Und was diese Frauen sagen, wird Unterschiedliches sein, denn Feminismus ist kein inhaltlich feststehendes Programm. Was nach der Gleichstellung kommt ist hoffentlich auch das: Dass mehr Männer verstehen, dass sie von Frauen etwas lernen können, dass es sinnvoll ist, wenn sie ihnen zuhören, nachfragen, sich mit ihnen auseinandersetzen. Nicht, weil die Quote es vorschreibt. Sondern weil hier Antworten für gesellschaftliche Probleme zu finden sind, die Männer alleine nicht lösen werden.

Mit anderen Worten: Worum es heute geht, das ist nicht mehr »Frauenpolitik«, sondern die »Politik der Frauen«. Mir hat die Rede von »Frauenpolitik« noch nie gefallen, also die Vorstellung dass irgendjemand Politik für Frauen macht. Mich hat schon immer viel mehr die Frage interessiert, welche Politik denn Frauen selbst machen – und Frauen handeln ja nicht nur dann politisch, wenn sie irgendwelche Ämter und Funktionen haben, sondern immer, wenn sie das, was sie tun, reflektieren und in einen Zusammenhang mit der Gesamtgesellschaft stellen. Auch dann, wenn dieses Handeln nicht im Parlament, sondern in der Familie, in der Schule, im Büro oder in der Bürgerinitiative stattfindet.

Deshalb habe ich – und damit komme ich zum Schluss – auch einen konkreten Vorschlag für die Frage, was nach der Gleichstellung kommt: Ich bin der Meinung, dass Frauen sich häufiger öffentlich streiten sollten. Oder noch besser: Dass Feministinnen sich häufiger öffentlich streiten sollten. Dass wir uns also ganz konkret und praktisch von der Idee trennen, es gebe eine einheitliche »Frauenmeinung« oder einheitliche »Fraueninteressen«. Die gibt es nicht. Dass wir vielmehr eine Kultur des Konflikts erfinden, die nicht kriegerisch ist wie die der Männer, und die auch nicht nach höheren Instanzen ruft wie Gott oder dem Verfassungsgericht. Dass wir im Gegenteil in der Unterschiedlichkeit und der Differenz, in der Pluralität der Menschen also, die eben auch eine Pluralität der Frauen ist, weil Frauen das ganze Menschsein repräsentieren und nicht nur einen Teil davon, dass wir also in dieser Differenz nicht eine Gefahr sehen, sondern eine Ressource, die Grundlage des Politischen schlechthin. Das ist übrigens auch keine neue Idee. Hannah Arendt, für mich eine der wichtigsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts, hat es schon vor Jahrzehnten so geschrieben.

Ich stelle mir vor, dass Gleichstellungsstellen und Frauenreferate Orte sind, die solche öffentlich bedeutsamen Konflikte unter Frauen initiieren und moderieren. Die Räume und Gelegenheiten schaffen, wo wir uns über unterschiedliche Auffassungen auseinandersetzen können, ohne dabei der anderen ihren Feminismus oder gar ihr Frausein abzusprechen, wie es leider so häufig geschieht. »Sie verrät die Sache der Frauen« oder »sie verhält sich ja wie ein Mann« – das sind schon immer Totschlagargumente gegen Frauen gewesen, die aus vorgegebenen Rollenmustern ausbrachen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin nicht für Relativismus, also dafür, dass jede ihre Meinung hat und wir alles gleichgültig nebeneinander stehen lassen. Im Gegenteil. Wir müssen uns streiten über das, was wir für richtig und für falsch halten. Aber dieser Streit ist nicht ein Problem für den Feminismus, sondern er ist im Gegenteil gute feministische Praxis, weil wir in diesem Streit unsere eigene Freiheit, die Freiheit der Frauen, sichtbar machen und vergrößern: Denn nur im Austausch mit dem Anderen, mit dem, was mich herausfordert, was mir fremd ist, was mir neu ist, liegt ja die Chance dafür, dass ich meine eigene Meinung überdenken und mich vielleicht verändern kann. Und diese Chance, mich selbst zu verändern, neue Einsichten zu gewinnen, die brauche ich, um auf dem Weg meines Begehrens voran zu kommen. Sie ist ebenso wichtig oder vielleicht sogar noch wichtiger als die Möglichkeit, dass ich andere von meinen Ideen überzeuge.

Dies wäre im übrigen auch ein anderes Verständnis von Politik, eine Politik des nicht kriegerischen Konflikts, eine politische Praxis, die Frauen in Wirklichkeit schon lange pflegen, die aber noch viel zu wenig öffentlich sichtbar wirksam wird. Eine Politik der Frauen, zu der wir aber natürlich auch die Männer einladen. Eine Politik, die von echtem Begehren und Engagement getragen wird und nicht von instrumentellen Absichten und vorgefertigten Positionen und Standpunkten.

Vor allem aber liegt in diesem Konflikt unter Frauen die Chance, dass wir zu Lösungen und Wegen finden, die ein gutes Leben für alle Menschen auf dieser Erde und für die folgenden Generationen ermöglichen. Und dafür lohnt es sich nach wie vor zu kämpfen und zu streiten, zu experimentieren und sich zu engagieren. Nach der Gleichstellung ebenso wie vor ihr.


Vortrag zum 20. Jubiläum der Gleichstellungsstelle Freising, 30.6.2006 und – leicht verändert – am 19.1.2007 im Ev. Frauenbegegnungszentrum Frankfurt/M.