Antje Schrupp im Netz

»Gutes zu tun, ist dem Menschen nicht gegeben, sondern nur, Böses fernzuhalten«

(dies ist kein ausgearbeiteter Vortrag, sondern nur mein Konzeptpapier. Dies als Warnung vor dem Weiterlesen…)

Beim letzten Mal haben wir uns mit dem Bösen beschäftigt.

Ein wichtiger Punkt war dabei das Thema »Die Versuchung des Guten« – also das Problem, dass Menschen, die unbedingt das Gute tun wollen, die dem Bösen Widerstand entgegen setzen wollen, dabei in Gefahr geraten, entweder selbst zu zweifelhaften Mitteln zu greifen oder aber das Böse dadurch noch bestärken, dass sie ihm große Bedeutung zumessen.

Wenn Gutes tun aber nicht darin, dem Bösen Widerstand entgegen zu setzen. Was wären also mögliche Wege des Guten?

Wie damals möchte ich auch heute bei dieser Frage das Denken von Philosophinnen zu Rate ziehen, insbesondere Diana Sartori, Hannah Arendt und vor allem Simone Weil, deren Cahiers ich in den vergangenen Wochen gelesen habe, und die sich sehr mit dem Thema beschäftigt hat.

Das Problem ist, dass wir uns sehr an die Vorstellung gewöhnt haben, dass Gut das Gegenteil von Böse ist (eine, wie man vielleicht sagen könnte, eher »männliche« Haltung des Widerstands, des dagegen Ankämpfens). Oder eben, dass es das Böse gar nicht gibt (eine, wie man vielleicht sagen könnte, eher »weibliche« Haltung, die davon ausgeht, dass alles letzten Endes irgendwie »gut« oder »richtig« ist, was ein in der Esoterik auch weit verbreiteter Gedanke ist).

Warnen – Beten – Weggehen: Das waren die drei »Strategien« im Umgang mit dem Bösen, über die wir im ersten Teil dieser Veranstaltung diskutiert haben. Als Möglichkeiten, das Böse zu sehen und zu benennen, sich aber nicht von ihm bestimmen zu lassen.

Diana Sartori: »Eine Politik, die mit dem Negativen rechnet, ohne sich auf die gleiche Ebene mit dem Teufel zu begeben, können wir uns nicht leicht vorstellen. Vielleicht weil die Vorstellung sich nicht auf das stützt, was man nur von Mal zu Mal tun kann, wirklich alleine wir, in diesem Moment, in diesem Kontext, an diesem kleinen Punkt. Der Teufel steckt im Detail, sagt man, und vielleicht gilt das, was für die Arbeit des Teufels gilt, auch für die Arbeit des Symbolischen.«

Wenn das Gute ebenso wenig ein theoretisches, absolutes Prinzip ist, wie das Böse, was ist es dann? Wir kommen hier also auch vom Gebiet der Theorie und der Definitionen hin zum konkreten Handeln in einer bestimmten Situation.

Das Gute ist Kontingent, nur in einer bestimmten Situation

Diana Sartori: »Das Gute wiederholt sich niemals auf dieselbe Art und Weise, es geschieht einmalig in der Zufälligkeit, der Kontingenz, der bestimmten Gelegenheit, die sich bietet, um gut zu sein. Deshalb ist das Gute nicht irgend etwas, das sein müsste, sondern ein Sein, ein Da-Sein im Realen, genau hier, genau wir in Fleisch und Blut. Wir sind es, lebende Vermittlungen des Sinns und der Wirklichkeit, des Guten und des Bösen.«

Das, was das Handeln einbringt, vom Handeln lösen. Nicht für ein Ziel handeln, sondern aus einer Notwendigkeit heraus. Das ist kein Handeln, sondern eine Art von Passivität. Nicht-handelndes Handeln. Die Beweggründe für das eigene Handeln nach draußen, außerhalb seiner selbst verlegen (S. 328) Nicht für etwas handeln, sondern weil man nicht anders kann (Cahiers1, 231).

Ähnlichkeit mit der Ethik Dietrich Bonhoeffers.

Wer die hohe Tugend hat, hat keine Tugend, und auf diese Weise hat er die Tugend. Wer eine gewöhnliche Tugend hat, hat Tugend, und auf diese Weise hat er keine Tugend. Sich auch von der Tugend lösen – Sich ihrer nicht mehr bewusst sein.

Simone Weil: Das Böse, das man sich vorstellt, ist romantisch, phantastisch, vielfältig; das wirkliche Böse trübselig, eintönig, öde, langweilig. Das Gute, das man sich vorstellt, ist langweilig; das wirkliche Gute ist immer neu, wunderbar, berauschend. (Cahiers 1, S. 3559)

Die Schwerkraft auf die Seite des Guten bringen

«Notwendigkeit« ist bei S. Weil ein sehr interessanter Begriff – jedenfalls für mich, die ich ja immer Moral so gar nicht mag, aber sehe, dass Abdriften in postmoderne Unverbindlichkeiten auch nicht das Gelbe vom Ei ist. Und zwar versteht sie das sozusagen nicht inhaltlich (Es ist notwendig, für das gute Leben aller zu sein), sondern methodisch, in Parallele zur Schwerkraft in der Physik. Die Dinge bewegen sich entlang der Schwerkraft, dann ist es ganz leicht, in der Ethik bewegen sich die Dinge entlang der Notwendigkeit, dann ist es ganz leicht.

Sich für etwas Gutes moralisch anzustrengen, das man nicht als notwendig empfindet, ist genauso schwer, wie einen schweren Stein hochzuheben – es widerspricht der Schwerkraft. Wenn ich den Stein hochheben will, muss ich einen Hebel finden, ein Werkzeug. Und ebenso ist es, wenn ich etwas Gutes tun will – ich muss einen Hebel finden, damit es mir eine Notwendigkeit wird. Nur dann mache ich es auch. Aber wenn mein gutes Handeln der Notwendigkeit folgt, ist es auch kein Verdienst mehr, es ist keine Anstrengung dafür notwendig, ich erwarte auch keine Dankbarkeit dafür. So ungefähr. Ich kann noch nicht behaupten, es ganz verstanden zu haben, aber ich finde es sehr spannend!

Wahl, die der Täuschung unterliegt. Wenn man glaubt, die Wahl zu haben, so ist man ahnungslos, gefangen in der Täuschung und also ein Spielball. Man hört auf, ein Spielball zu sein, wenn man sich über die Täuschung zur Notwendigkeit hin erhebt, aber man hat dann keine Wahl mehr, eine Tat wird einem durch die Situation selbst, die man klar erblickt, aufgezwungen. (S. Weil, Cahiers 1, 230)

Gleichgewicht und Gerechtigkeit

Ein anderes Problem: Gleichgewicht, Gerechtigkeit. Jedes Handeln von Menschen untereinander verändert ihre Beziehung, und die Menschen können es nicht ertragen, anderen etwas Schuldig zu bleiben – so entsteht wieder Böses: Geschichte von Mussa: Gutes Tun erfordert Böses Bd 1 169

Nicht Gutes tun, sondern Böses fernhalten

Sokrates Regel: Die Gerechtigkeit, die Wahrheit, nicht verteidigen, sondern keine Ungerechtigkeit begehen, die Wahrheit nicht verraten.

Schreiben – wie übersetzen – negativ – jene Worte fernhalten, die das Vorbild verschleiern, die stumme Sache, die ausgedrückt werden soll. Handeln ebenso. »Mitnichten, nein, du ermordest selbst dich selbst« Von dieser Art ist das Nichteingreifen. Die Tat, die aus einer Situation hervorgeht und diese ausdrückt. Wie soll man sie definieren? Schöne Tat. Die Tat, die das unbestimmte Gespräch der einander entsprechenden Ungleichgewichte beendet und aufhebt, die das einzige Gleichgewicht herstellt, das mit der gegebenen Situation übereinstimmt. Die Tat, in der die Person nicht erscheint. Aber der Fanatismus ahmt dies sehr gut nach; wie soll man unterscheiden? (S. Weil Cahiers 1, 190f)

Simone Weil: Das Böse hat zwei Formen, die Sünde und das Unglück. (Weder Unrecht zu tun noch sich tun zu lassen). Sowohl in der Sünde wie im Unglück verliert man die Welt.

Simone Weil: »Gut ist, was Menschen und Dingen ein Mehr an Wirklichkeit gibt, böse, was es ihnen nimmt.« (Cahiers I, 149)

Darf man Morden oder Gewalt anwenden? /konkrete »Tipps«

Man kann sich auch nicht im Negativen vornehmen, alles »Böse« nicht zu tun, also z.B. niemals jemanden töten. In einer konkreten Situation kann auch das angemessen sein. Wie findet man das heraus? (Bsp. Terrorismus)

Im Falle, dass das Leben von irgend jemandem mit dem eigenen so verbunden wäre, dass der Tod für beide gleichzeitig erfolgen muss, würde man trotzdem wollen, dass er stirbt? Wenn der Körper und die ganze Seele danach trachten zu leben, und wenn man trotzdem ohne zu lügen mit Ja antworten kann, dann hat man das Recht, diesen Menschen zu töten. Sonst nicht. Aber genügt das? Man muss auch wünschen, dass der andere lebens oll, obwohl die Notwendigkeit sich dem entgegenstellt. … Nicht der Zweck zählt, sondern die Konsequenzen, die im Mechanismus der eingesetzten Mittel selbst enthalten sind. (S. Weil, Cahiers 1, 196)

Wenn man sich dabei ertappt, bei solchen an sich guten Taten Selbstzufriedenheit zu empfinden (z.B. geben, sich einschränken etc.), bis auf weiteres aufhören, sie zu vollbringen (S. Weil, Cahiers 1, 337)

Vorsichtig sein bei Taten, von denen man nicht ertragen könnte, dass sie misslingen (S. Weil, Cahiers, S. 346)

Ein wenig unter dem bleiben, was man vermag (Cahiers 1, S. 351)

Es ist gefährlich, einem Menschen, einer Sache etc. mehr zu geben, als man es auf natürliche Weise und ohne Anstrengung kann. Wenn man diese Grenze überschreitet, läuft man Gefahr, ihnen gegenüber Haß zu empfinden. Auch von ihnen abhängig zu werden, denn man erwartet eine Gegenleistung für das, was man zuviel gegeben hat. .. Man darf diese Grenze nie überschreiten; man muss an sich arbeiten, um diese Grenze hinauszuschieben (Cahiers 1, 325)

Das Gute in der guten Gesellschaft suchen

Hannah Arendt ist in ihrem Buch über »Das Böse« zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gekommen. Zuerst hat sie versucht, logisch herzuleiten, was das Böse und was das Gute ist, aber auch sie kommt zu dem Schluss, dass das nicht geht. Sie schlägt daher vor, es am konkreten Einzelfall zu entscheiden. Denn sie stellt fest, dass ich zwar das Gute nicht definieren kann, dass ich aber sehe, wenn ein Mensch etwas Gutes tut, ebenso wie ich sehe, wenn er etwas Böses tut. Ihre Idee ist: Wenn wir uns an diesen Menschen ein Beispiel nehmen, wenn wir ihre Gesellschaft suchen, dann können wir dieses Gute gewissermaßen auf uns abfärben lassen.

Arendt schreibt – am Ende eine Vorlesung über moralphilosophische Fragen: »Ich versuchte zu zeigen, dass unsere Entscheidungen über Recht und Unrecht von der Wahl unserer Gesellschaft von der Wahl derjenigen, mit denen wir unser Leben zu verbringen wünschen, abhängen werden. Diese Gesellschaft wird durch Denken in Beispielen ausgewählt, in Beispielen von toten oder lebenden wirklichen oder fiktiven Personen und in Beispielen von vergangenen oder gegenwärtigen Ereignissen. In dem unwahrscheinlichen Fall, dass jemand daherkommen könnte und uns erzählen, er würde gerne mit Ritter Blaubart zusammen sein, ihn sich also zum Beispiel wählen, ist das einzige, was wir tun können, dafür zu sorgen, dass er niemals in unsere Nähe gelangt. Doch ist, so fürchte ich, die Wahrscheinlichkeit weitaus größer, dass jemand kommt und uns sagt, es sei ihm egal, jede Gesellschaft wäre ihm gut genug. Diese Indifferenz stellt, moralisch und politisch gesprochen, die größte Gefahr dar, auch wenn sie weit verbreitet ist. Und damit verbunden und nur ein bisschen weniger gefährlich ist eine andere gängige moderne Erscheinung: die häufig anzutreffende Tendenz, das Urteilen überhaupt zu verweigern. Aus dem Unwillen oder der Unfähigkeit, seine Beispiele und seinen Umgang zu wählen, und dem Unwillen oder der Unfähigkeit, durch Urteil zu Anderen in Beziehung zu treten, entstehen die wirklichen »skandala«, die wirklichen Stolpersteine, welche menschliche Macht nicht beseitigen kann, weil sie nicht von menschlichen oder menschlich verständlichen Motiven verursacht wurden. Darin liegt der Horror des Bösen und zugleich seine Banalität.«

Vortrag Ev. Frauenbegegnungszentrum Frankfurt, 22.8.07