Antje Schrupp im Netz

Feminismus in Zeiten der Emanzipation:

Stimmt die These vom Backlash?

*In: Fama Nr. 1/2007, neu abgedruckt in Monika Egger, Jacqueline Sonego Mettner (Hg): Einfach unverschämt zuversichtlich. FAMA – 30 Jahre feministische Theologie, TVZ, Zürich 2014.«

Es ist inzwischen schon 15 Jahre her, dass die US-amerikanische Feministin Susan Faludi in ihrem Buch »Backlash. Die Männer schlagen zurück« auf einen Trend hingewiesen hat, der dazu neigt, die Siege der Frauenbewegung in eine Niederlage umzuinterpretieren: Hat die Emanzipation die Frauen nicht unglücklicher gemacht, indem sie ihnen die Bürde der doppelten Verantwortung auftrug? Hat sie Frauen nicht dazu gedrängt, männlichen Idealen nachzueifern und damit ihr »natürliches« weibliches Wesen zu verleugnen? Sind sie nicht heute zerrissener, unsicherer, ratloser als damals, wo der weibliche Lebensweg noch schön patriarchal geordnet vor ihnen lag?

Jetzt hat diese Debatte mit voller Wucht auch den deutschsprachigen Raum erreicht. Allerdings sind es nicht so sehr die Männer, als vielmehr die Frauen, die hier zuschlagen: Schon letztes Jahr behauptete die Zeit -Redakteurin Susanne Gaschke in ihrem Buch »Die Emanzipationsfalle«, die Frauenbewegung habe die Frauen »erfolgreich, einsam, kinderlos« gemacht. Und in diesem Herbst kam auch noch Eva Herman, prominente deutsche Nachrichtensprecherin, und will uns »das Eva-Prinzip« wieder nahe bringen, das bedeutet: Schluss mit Beruf und Karriere, zurück bitte schön an Heim und Herd und Apfelkuchen backen.

Stimmt sie also, Faludis These vom »Backlash«? Ich glaube nicht. Denn erstens zeigt sich ja in den Diskussionen, dass kaum jemand Thesen wie die von Apfelkuchen-Eva teilt. Das war ein kurzes Strohfeuer, das in sämtlichen Talkshow selbst konservative Gestalten dazu gebracht hat, sich zu den wesentlichen Errungenschaften der Emanzipation zu bekennen. Selbst diejenigen, die an so etwas wie eine »natürliche« Rolle der Frau glauben, leiten daraus heute nicht mehr wie früher die Notwendigkeit ab, Frauen durch Verbote und Reglementierungen in diese Rollen zu zwingen. Es geht also längst nicht mehr um die Frage, ob Frauen alles können und dürfen. Natürlich können und dürfen sie, sie haben das Recht dazu. Worum es heute geht, das ist die Frage, was Frauen tun sollen und tun wollen. Das ist etwas völlig anderes. Auch wenn die Themen denen vor drei Jahrzehnten manchmal ähneln, hat die Debatte damit ein neues Niveau erreicht: Es geht nicht mehr um Rechte, sondern um Inhalte.

Und das ist genau der Grund, warum ich davon überzeugt bin, dass die Frauenbewegung und der Feminismus in den nächsten Jahren wieder wichtiger werden: Denn gerade wenn Frauen gleichberechtigt und emanzipiert sind, brauchen sie ein Forum, in dem sie sich darüber austauschen können, nach welchen Maßstäben und Kriterien sie diese Möglichkeiten nutzen wollen. Einfach alles genauso machen wie die Männer ist ja ganz offensichtlich keine besonders gute Idee. Aber die »Krise der Emanzipation«, wenn man die gegenwärtigen Debatten mal so deuten will, sind alles andere als eine Krise des Feminismus. Ganz einfach deshalb, weil das Anliegen der Frauenbewegung ja nie einfach die Gleichstellung mit dem Mann war, sondern die Freiheit der Frauen. Was etwas völlig anderes ist.

Wenn Emanzipation und Feminismus einfach gleichgesetzt werden, dann steht das ja ohnehin in einem merkwürdigen Widerspruch zu dem, was die Mehrheit der Frauen denkt. Gerade jüngere Frauen sagen ja oft, dass sie es zwar gut finden, dass Frauen heute emanzipiert und gleichberechtigt sind. Aber Feministinnen seien sie keine. Sie sind also ganz offensichtlich der Meinung, dass es Emanzipation ohne Feminismus geben kann. Und damit haben sie Recht. Es gibt viele Beispiele für Emanzipation ohne Feminismus, denken wir nur an die so genannten real-sozialistischen Länder, in denen die Gleichstellung der Frauen von oben verordnet war. Oder an die Versuche, westliche Gleichheitsvorstellungen, notfalls auch mit Kriegen, in andere Länder zu exportieren. Das alles ist Emanzipation, die mit Feminismus nichts zu tun hat.

Dasselbe gilt aber dann natürlich auch anders herum: Nicht alle, die bestimmte Folgen und Begleitumstände der Emanzipation in Frage stellen oder kritisieren, sind darum gleich Antifeministinnen. Wenn wir den Maßstab in der Freiheit der Frauen suchen – und nicht im Grad ihrer Emanzipation – dann könnten sich auch ganz neue Bündnisse schließen lassen. Mit feministischen Muslimas zum Beispiel. Oder mit solchen Frauen, die sich nicht an die immer noch männerdominierten Regeln der Erwerbsarbeit anpassen wollen und sich deshalb für das interessieren, was sie mangels Denkalternativen »natürliche Weiblichkeit« nennen. Die große Herausforderung für die Frauenbewegung liegt darin, hier Lösungen und Antworten zu finden und anzubieten. Wenn sie es schafft, überzeugend zu vermitteln, dass die Freiheit der Frauen nicht eine Gefahr, sondern eine Ressource für die Gesellschaft ist, gerade auch da, wo deren männliche Kulturtradition sie in so manche Sackgassen manövriert hat, dann könnte sie eine ganz neue Autorität gewinnen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass wir Feministinnen uns nicht in alten Schützengräben verbarrikadieren.

Die weibliche Freiheit ist heute eine unbestrittene Tatsache, und sie ist so offensichtlich, dass sie uns nicht mehr nur in feministischen Freundinnenkreisen begegnet, sondern auf der Straße, im Fernsehen, im Büro, selbst an der Kasse im Supermarkt. Schlimmer noch: Die Freiheit der Frauen ist sogar schon zum Exportartikel einer hegemonialen westlichen Weltpolitik geworden. Auch der globalisierte Kapitalismus schreibt sich die Freiheit der Frauen auf die Fahne. Umso wichtiger ist es, daran zu erinnern, was nach feministischer Überzeugung die Basis der Freiheit der Frauen ist: Nicht die allgemeinen Menschenrechte nämlich und auch nicht die Marktwirtschaft, nicht das Christentum und nicht die Aufklärung. Sondern es sind die Beziehungen unter Frauen in ihrer Verschiedenheit. Unsere Freiheit ist keine Manövriermasse der Weltpolitik. Sie wird uns durch kein Gesetz und keinen Staat und keine Emanzipation garantiert, sondern sie hängt ganz davon ab, ob wir die konkreten Beziehungen zwischen Frauen zu einem politischen Faktor machen. Denn nur so sind wir davor gefeit, in einen weiblichen Konformismus zu verfallen.

Das Begehren der Frauen lässt sich nicht in klare und eindeutige politische Forderungen einspannen. Es ist unberechenbar, auch für uns selber. Aber es ist wichtig, dass es einen Ort in der Welt findet, wo es sich artikulieren kann. Die Frauenbewegung war einmal ein solcher Ort. Sie könnte es wieder werden.

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