Antje Schrupp im Netz

Weibliche Autorität – oder wie man der Macht etwas entgegensetzt

Gerade in Deutschland, wo wir in den sechziger Jahren eine antiautoritäre Bewegung erlebt haben, ist Autorität kein beliebtes Wort. Denn: Ist das Ideal nicht, dass man tun kann, was man will? Bedeutet Freiheit nicht, dass man sich von niemandem etwas vorschreiben lässt? Ist es nicht Unabhängigkeit, die wir anstreben, Freiheit und Autonomie, die nur begrenzt sind durch die Freiheit, Unabhängigkeit und Autonomie der anderen?

In dieser Logik werden die Begriffe Macht und Autorität häufig gleichgesetzt. Ich möchte dagegen vorschlagen, zu unterscheiden zwischen Gewalt, Macht und Autorität. Alles drei sind Umstände, die bewirken, dass Menschen Dinge tun, die sie aus eigenem Antrieb und nach ihrem eigenen Willen erst einmal nicht tun würden. Aber Gewalt, Macht und Autorität bewirken dies auf unterschiedliche Weise. Wird Gewalt ausgeübt, so besteht ein Zwang, etwa durch ein Terrorregime, sie wird von wenigen, zum Beispiel mit Waffen, gegen die Mehrheit durchgesetzt, oder von den Stärkeren durch körperliche Überlegenheit gegen Schwächere. Wer durch Gewalt gezwungen wird, etwas tun, handelt gegen den eigenen Willen und ist sich dessen auch bewusst.

Im Unterschied zur Gewalt braucht Macht die Zustimmung der Mehrheit, Hannah Arendt verweist hier etwa auf den Nationalsozialismus, der nur funktionierte, weil er von breiten Bevölkerungsteilen getragen wurde, aber auch in Demokratien herrscht Macht, weil Minderheiten hier den Gesetzen der Mehrheit unterworfen werden. Auch in kleineren Gruppen wie Initiativen oder Vereinen gibt es Macht – Gruppendruck und soziale Ausgrenzung etwa sind Phänomene der Macht, weil sie auf die Zustimmung der Mehrheit bauen. Wer durch Macht gezwungen wird, etwas zu tun, handelt nicht unbedingt gegen seinen Willen – zum Beispiel gibt es gute Gründe, sich einer demokratischen Mehrheitsentscheidung zu unterwerfen, auch wenn man persönlich anderer Meinung ist. Es ist gewissermaßen so, dass Machtverhältnisse dafür sorgen, dass die eigenen, individuellen Interessen und Vorlieben gegenüber den Interessen und Vorlieben der Allgemeinheit hintangestellt werde, wobei dies mit oder ohne meine Einwilligung geschehen kann.

Autorität hingegen ist ein Verhältnis zwischen bestimmten, konkreten Menschen, von denen eine der anderen Kenntnisse oder Fähigkeiten voraus hat und deshalb von dieser als Autorität anerkannt wird. Autorität ist also – anders als Macht – nicht abhängig von der Meinung einer Mehrheit, ich kann zum Beispiel jemandem Autorität zusprechen, die von allen anderen für blöde gehalten wird. Anders als Macht ist Autorität immer freiwillig – ich kann dieser Person jederzeit die Autorität entziehen. Ohne meine Einwilligung ist kann niemand mir gegenüber Autorität haben.

Deshalb meine These: Autorität ist eine starke, vielleicht die einzige Möglichkeit, dem Mißbrauch von Macht entgegenzutreten. Durch Autoritätsbeziehungen können wir Regeln und Ordnungen schaffen, die uns Orientierung und Stärke geben, auch wenn wir nicht mit der Meinung der Mehrheit übereinstimmen.

Das so zu sehen, ist erst einmal ungewöhnlich. Unsere Denktradition, die ich für eine männliche Denktradition halte, hat andere Vorschläge gemacht, um der Macht etwas entgegenzusetzen. Zum Beispiel hat es das Bild des Lone-and-Lonesome-Cowboy, der sich von der Welt lossagt oder sich ihr als Held entgegengestellt, der also der Macht der Mehrheit widerspricht, indem er sich von ihr loslöst. Da auch man irgendwann merkte, dass das in der Wirklichkeit nicht funktioniert, oder immer höchstens für einige wenige, erfand man die Solidarität, ein Bild, in dem sich die vielen Einzelnen in ihrem Kampf gegen die Macht zusammenschließen, wobei der Gegenbegriff zur Macht hier die Gleichheit wurde, also das Prinzip, nach dem die Macht ausgehebelt werden sollte, war das der vielen, gleichen, Einzelnen, die sich verbrüdern.

Dieses Ideal der Gleichheit haben auch die Frauen zunächst einmal aus dem männlichen Denken übernommen. Wird nicht in Frauengruppen wurde oft so getan, als seien wir alle unabhängig, frei und gleich – oder zumindest möchten wir, dass das so ist, auch wenn uns die Wirklichkeit meist eines besseren belehrt. So wird es zum Beispiel oft als ein gutes Zeichen in Frauengruppen gewertet, wenn alle sich an der Diskussion beteiligen. Warum? Was soll das für einen Sinn haben, dass alle mitreden, wenn manche sich doch mit dem Thema viel besser auskennen, als andere? Wenn manche sich über das Problem schon lange Gedanken machen und andere heute zum ersten Mal? Das wirkt sich natürlich auf das Niveau der Diskussion aus: Wenn alle mitreden, sinkt die Qualität des Gesagten schließlich auf das Niveau der Schwächsten herab.

Inzwischen sind aber immer mehr Frauen mit diesen Gruppenstrukturen unzufrieden und suchen nach neuen Formen. Seit einigen Jahren ist meiner Beobachtung nach ein Alternativmodell entstanden, das genaue Gegenteil davon, und zwar würde ich das Phänomen »Gurugruppen« nennen: Also sozusagen Fangemeinden, die sich um eine besonders tolle Frau und Anführerin herum scharen, massenweise ihre Kurse belegen oder Tagungen besuchen, und die ihr Wertesystem aus der kaum hinterfragten Führungspersönlichkeit herleiten, was bedeutet: Entweder man schließt sich der Bewunderung für diese Führungsfrau an, dann kann man zu der Gruppe dazu gehören, oder man schließt sich ihr nicht an und muß draußen bleiben. Häufig wird das mit dem Verweis auf Autorität begründet, damit, dass auch Frauen Macht ausüben müssten. Doch auch in dieser Diskussion wird nicht zwischen Macht und Autorität unterschieden. Auch das Bemühen, Frauen zu wichtigen Ämtern zu verhelfen und in gesellschaftliche Schlüsselpositionen zu kommen, gehört in diesen Bereich.

Beide Wege, das Streben nach Harmonie, einem großen solidarischen »Wir« der Frauen, die alle gleich sind und sich gegenseitig helfen und einander gegen die Übermacht des Patriarchats beistehen auf der einen Seite, und das Streben nach Macht und Einfluß im Rahmen der vorhandenen Gesellschaft, Karriereversuche und ähnliches, sind meiner Meinung nach falsch. Damit will ich nicht sagen, dass Harmonie etwas schlechtes ist, und ich habe auch nichts dagegen, wenn Frauen Posten und Karriere anstreben, das sollen sie ruhig machen. Eine Frau, die reich oder einflussreich werden will, sollte eben diesen Weg der Macht gehen, eine Frau, die keine Konflikte mag und Selbstbestätigung in kuscheligen Frauengruppen sucht, soll entsprechende Gesellschaft suchen, und beides meine ich nicht spöttisch. Ich würde jede Frau auf einem solchen Weg unterstützen. Ich bin nur dagegen, wenn dieses Verhalten als Feminismus verkauft wird. Beide Wege sind ehrenwert und gangbar, aber setzen der Ordnung des Patriarchats nichts entgegenzusetzen, sie sind nicht geeignet, um weibliche Freiheit zu befördern. Dazu braucht es etwas anderes.

Frauengruppen und –initiativen, die nach dem Modell Harmonie oder nach dem Modell Guru funktionieren, wenn ich das hier mal so verkürzt sagen darf, sind oft nicht von langer Lebensdauer. Sie brechen meist irgendwann auseinander, egal, ob sie das Ideal »wir sind alle gleich« anstreben, oder ob sie eine Figur zum Guru erheben. In beiden Fällen entsteht irgendwann eine gewisse Gruppendynamik, man versteht sich nicht mehr, der anfängliche Elan ist weg, es brechen Konflikte auf, und das war es dann. Ein Grund ist meiner Meinung nach der: Beide Gruppenmodelle basieren auf der Logik der Gemeinsamkeit, ihre Grundlage ist das gemeinsame Sichwohlfühlen. Wenn das Sichwohlfühlen und damit das Zusammengehörigkeitsgefühl abnimmt – also wenn der erste Enthusiasmus weg ist oder eine schwierige Situation auftaucht oder äußerer Druck – dann besteht Gefahr für die Gruppe, weil die Basis weg ist.

Eine Gruppe, der genau dies auch passiert ist, die bei dieser Entwicklung aber nicht resigniert hat, sondern kreativ damit umging, ist die Philosophinnengruppe DIOTIMA an der Universität von Verona. Aus der Beschäftigung mit dieser Krise ist eine Theorie der Autorität entstanden, von der, wie ich meine, auch politische Gruppen in Deutschland lernen könnten. Deshalb möchte ich diese Entwicklung kurz schildern, sie ist auch in unserem grünen DIOTIMA-Buch teilweise dokumentiert.

Die Gruppe entstand 1983 als Diskussionsgruppe von etwa 12 Frauen mit Interesse für weibliche philosophische Forschung. DIOTIMA war damals, am Anfang, sozusagen eine Mischung aus den beiden oben beschriebenen Gruppenstrukturen. Luisa Muraro war bereits eine Autorität in dieser Gruppe, sie brachte die meisten Impulse ein, sie schrieb die besten Texte, sie wurde von vielen bewundert. Gleichzeitig war vielen klar, dass diese Autorität auf der Anerkennung der Gruppe beruht, die etwas Entsprechendes suchte. Die Theorie war damals, etwas vereinfacht gesagt, dass DIOTIMA auf der Basis funktioniert, dass es viele Frauen mit gemeinsamen Interessen gibt, die sich orientieren an einer Autorität, die ihnen zeigt, wo es lang geht.

Es zeigte sich, dass dieses Modell nicht funktionierte. Es funktionierte in der Anfangszeit, solange die Zustimmung zur Autorität Luisa Muraros spontan von allen anerkannt wurde. Die Anerkennung ihrer Autorität war unhinterfragt, und so fühlten sich auch die anderen Frauen autorisiert, zu sprechen und so anderen Frauen wiederum Räume zu eröffnen. In dieser Anfangszeit machte Luisa Muraros Autorität die Gruppe produktiv. Doch nach einigen Jahren änderte sich das. Einige empfanden diese Autorität als Behinderung für ihre eigene Produktivität. Es gab also bald einige Frauen, die zwar die Autorität Muraros für die DIOTIMA-Gruppe anerkannten, aber nicht als bindend für sich selbst. Sie erkannten, verkürzt gesagt, Muraro nicht mehr als ihren Guru an, und da sie dies aber für den Zusammenhalt der Gruppe fundamental betrachteten, distanzierten sie sich. Einige Frauen, die Muraro eher als Macht gesehen haben als als Autorität, gingen ihre eigenen Wege und orientierten sich nicht mehr an dem Maßstab, der in der Gruppe galt. Daraus entstand bei den Verbliebenen wiederum Unbehagen: Wie können sie das nur tun, wie können sie zum Beispiel Ergebnisse der Gruppendiskussionen unter eigenem Namen veröffentlichen oder wie können sie sie Gruppeninterne öffentlich machen usw. Spontan kam man auf die Idee, diese Probleme durch das Aufstellen gemeinsamer Regeln zu lösen, aber es war schnell klar, dass das kein Weg ist: Denn die, die gegangen waren, würden sich an die Regeln nicht halten, und die die blieben, brauchten sie nicht.

Beim Nachdenken darüber, warum sie keine gemeinsamen Regeln wollen, zeichnete sich ein Ausweg ab: Giannina Longobardi beschreibt ihn so: »Ich will keine Vereinbarungen von allen mit allen, weil ich mich nicht allen DIOTIMA-Frauen verpflichtet fühle, sondern nur einigen«. Auf den Vorschlag, doch Regeln aufzustellen, die nur für die gelten sollen, die sich DIOTIMA gebunden fühlen, erwiderte Luisa Muraro: »Ich bin hier zwar mehr oder weniger befreundet mit allen Frauen, aber es stimmt nicht, dass ich an alle gebunden bin. Gebunden bin ich nur an Chiara, denn wenn ich hier handeln will, muß ich sie unbedingt berücksichtigen. Seit meine persönliche Autorität in eine Krise geraten ist, macht nur die Offensichtlichkeit dieser Bindung an Chiara mich zu einer vertrauenswürdigen Person für euch. Dadurch bekomme ich nicht meine alte Autorität zurück, aber es entsteht eine neue aus der Tatsache, dass ich gezwungen bin, auf Chiara zu achten, und dass ich dies akzeptiere und offen zeige. Dieses Wissen über mein Angewiesensein auf weibliche Vermittlung schafft symbolische Ordnung im Sinne einer symbolischen Ordnung der Mutter: ohne Regeln aufzustellen, kraft einer vermittelnden Beziehung zwischen meinem Begehren und der Realität«.

Damit ist auch umschrieben, worum es geht: Um die Vermittlung zwischen dem Begehren einer Frau und der Realität, der gegebenen Welt, die sie um sich herum vorfindet. Es geht nicht um mehr Macht und Einfluss für Frauen, nicht um den Kampf gegen das Patriarchat, nicht um Protest gegen Diskriminierung usw. – beziehungsweise um all das mag es auch gehen, und es ist auch wichtig, dass wir uns da engagieren, aber es ist nicht das Wesentliche. Es geht darum, dass wir als Frauen einen Ort in der Welt finden, so dass wir uns heimisch fühlen und die Probleme anpacken können, nach unseren eigenen Vorstellungen. Dass wir nicht hin- und hergerissen sind zwischen unserem Enthusiasmus, unseren Hoffnungen und Wünschen auf der einen Seite, und der Unmöglichkeit, sie umzusetzen, auf der anderen. Dass wir eine finden, die für unsere Wünsche ein offenes Ohr hat, die uns versteht, die uns hilft, sie umzusetzen und Wege dafür aufzeigt, auch wenn sie dabei unseren Idealismus vielleicht mal etwas dämpfen muss. Weibliche Autorität hat eine Aufgabe: Sie vermittelt zwischen unserem Begehren und der Realität.

Das ist ein weiterer Grund, warum Autorität, anders als Macht, eben nicht auf der Zustimmung einer ganzen Gruppe beruht, sondern auf der Anerkennung von einzelnen. Es geht ja um mein Begehren, um meine Hoffnungen, um meine Wünsche und Ideale. Ich komme mit meiner Einzigartigkeit ins Spiel. Autorität ist immer nur in Beziehungen vorhanden zwischen konkreten Frauen aus Fleisch und Blut.

Die Gruppe DIOTIMA erfand dafür den Begriff des »vincolo duale«, das Band zwischen zwei Frauen, das Autorität stabilisiert. Das heißt, es wurde klar, dass Autorität nicht entsteht aus der Anerkennung einer Gruppe, aus einem Guru-Status (das wäre, um mit Hannah Arendt zu sprechen, nicht Autorität, sondern Macht). Autorität entsteht aus der Bindung an eine bestimmte andere Frau. Für DIOTIMA hieß das, die Existenz der Gruppe hing nun nicht mehr von einer kollektiven Übereinstimmung ab und mit dieser Erkenntnis allein waren schon viele Probleme gelöst. Gianna Longobardi schreibt: »Die duale Bindung schafft mehr Leichtigkeit, sie macht die beweglicher, erfindungsreicher und verantwortlicher, denn wenn du dich auf eine Frau beziehst, wirst du von der Bürde befreit, die Zustimmung aller anderen erhalten zu müssen.« – »die dualen Beziehungen werden enger in bestimmten Situationen, in einem bestimmten Kontext: Sie haben etwas Teilhaftes, existieren nur eine Zeitlang und sind an ein Vorhaben gebunden. Diese Bindungen müssen an jedem Ort, an dem gehandelt wird, aktiviert werden, da sie dort die Vermittlung und damit den Maßstab schaffen.«

Das heißt auch: Autorität ist nicht nur auf eine bestimmte Person bezogen, sondern auch auf einen bestimmten Kontext, auf einen bestimmten Inhalt. Dies ist ein weiterer Unterschied zwischen Macht und Autorität. Autorität »hat« man nicht als Person, sondern sie wird immer wieder ausgehandelt. Deshalb kann man sie auch nicht einfordern oder sich auf sie berufen, sondern man kann nur feststellen, dass Autorität da oder nicht. Sie kann sozusagen nicht in Titeln oder sonstigen äußerlichen Zeichen festgefroren werden. Man könnte auch sagen, Autorität ist keine Sache, kein Objekt, sondern eine Beziehungsqualität, also eher ein Adjektiv als ein Hauptwort. Um auf das Beispiel von DIOTIMA zurückzukommen: Luisa Muraro hatte ihre Autorität nicht, weil sie besonders klug und kreativ war, sondern weil Chiara – die ihrerseits wieder von vielen anderen in der Gruppe geschätzt wurde – Luisas Autorität anerkannte. Und diese Abhängigkeit von Chiara mußte Luisa offen zeigen und sich entsprechend verhalten, um ihre Autorität zu behalten. Luisa musste anerkennen, dass nur in ihrer Beziehung zu Chiara ihre Autorität eine Basis hatte – so war Luisa die Autorität für Chiara, und Chiara die Autorität für die anderen und konnte so vermitteln, zwischen Luisas Wunsch, die Frauen von der Richtigkeit ihrer Theorie zu überzeugen, und der Realität, die nämlich so aussah, dass die Frauen Luisas Philosophie etwas überdrüssig geworden waren.

Dass diese Vermittlung funktioniert, konnte ich übrigens am eigenen Leib erfahren, als ich – ein paar Jahre später als diese hier beschriebenen Diskussionen – das erste Mal zu einer DIOTIMA-Tagung eingeladen wurde, übrigens auch von Chiara. Weil Chiara mich eingeladen hatte, wurde ich von den anderen erst einmal akzeptiert, obwohl sie mich nicht kannten. Es war ihre Vermittlung, die mir einen Zugang zur Gruppe verschafft hat. Und wenn wir einmal genau hinsehen, dann funktionieren doch eigentlich viele Gruppen so. Ich habe zum Beispiel große Hemmungen, irgendwo hinzugehen, wo ich niemanden kenne. Früher dachte ich, das wäre ein Defizit: Ich wäre zu schüchtern oder so. Inzwischen glaube ich, dass ich ganz angemessen reagiere – mir fehlt die Vermittlung, jemand, der zwischen meinem Wunsch, die Gruppe kennen zu lernen, und der Realität, dass ich nämlich der Gruppe völlig egal bin vermittelt. Das ist nichts hochdramatisches, sondern etwas ganz alltägliches. Wir müssen es nur sehen und in seiner Bedeutung anerkennen. Das ist auch etwas, was ich an diesem Konzept der Autorität so gut finde – wenn man es einmal verstanden hat, dann findet man plötzlich überall Autorität wieder. Und wird sich schmerzlich bewusst, wenn sie fehlt. Zum Beispiel in dieser Unsitte unter Leuten in meinem Alter, die sich abgewöhnt haben, Neuankömmlinge vorzustellen. Vielleicht kennt Ihr auch diese Situation: Ihr geht mit jemandem zusammen irgendwo hin, und er trifft Leute, die er kennt. Schon sind sie ins Gespräch vertieft und du stehst ziemlich dämlich daneben. Inzwischen klage ich in solchen Situationen die Vermittlung ein, deren Fehlen die Lage für mich so unangenehm macht: Willst du mich nicht vorstellen? Und ich achte drauf, dass ich Leute einander vorstelle. Autorität auszuüben, wenn sie gebraucht wird, das fängt bei ganz kleinen Dingen an.

Ich möchte aber noch über ein paar Mißverständnisse und Vorbehalte sprechen, die häufig von Frauen gegenüber der Autorität vorgebracht werden. Oft besteht der Wunsch, aus der Autorität eine Sache von Gegenseitigkeit zu machen. Nach dem Motto: Die eine ist Autorität in dieser Hinsicht, die andere in jener, also sind wir Autoritäten füreinander gegenseitig. Eine solche Beziehung ist durchaus vorstellbar, zwischen Freundinnen vielleicht, aber sie ist selten, zufällig, und eine solche Gegenseitigkeit ist auch kein Idealzustand, den wir anstreben sollten. Autorität ist eine Beziehungsform, die ihre Stärke ja gerade aus der Ungleichheit bezieht. Auch da ist das Bild der Mutter-Kind-Beziehung hilfreich – was würde es schließlich nützen, wenn die Mutter genauso wenig wüßte, wie das Kind. Das hat aber zur Folge, dass Autorität notwendig Konflikte in sich birgt. Die Mutter spiegelt und bestätigt das Kind nicht nur einfach, sondern sie verweigert sich ihm auch immer wieder, will anderes, besteht darauf, dass sich das Kind die Zähne putzt usw., was zu Konflikten führt. Dies gilt auch für Autoritätsbeziehungen unter Erwachsenen: Eine Frau, die mich nur spiegelt und bestätigt, kann für mich keine Autorität sein, bzw. das würde nichts bringen. Autorität ist nur vorhanden, wenn es Differenzen zwischen den beiden Frauen gibt, man könnte auch sagen, wenn die eine der anderen in gewisser Weise »gehorcht«.

Ein Beispiel, wo Autorität gerade nicht vorhanden ist, obwohl so getan wird, als würde man sie suchen, ist meiner Ansicht nach der wahre Boom von Büchern über große Frauen in der Geschichte, Frauen in den Naturwissenschaften, Frauen in der Politik, Frauen in der Bibel, die Suche nach weiblichen Gottheiten, all das, die in den letzten Jahrzehnten geschrieben wurden. Meistens sind das Bücher über Frauen, die als erste ihres Geschlecht eine klassische Männerposition erreicht haben. Wichtig war den Autorinnen meist, zu zeigen, dass die Frauen auch damals schon, als das Frauen noch verboten war oder schwer gemacht wurde, dasselbe getan haben, wie Männer. Dass sie stark waren, ehrgeizig, unabhängig, berühmt usw. Das heißt aber: Diese Beschäftigung blieb für unsere eigenes Leben meist folgenlos. Was uns freute, war lediglich, dass auch damals schon Frauen Sachen machten, die wir heute machen. Die Suche nach den sogenannten großen Frauen in der Geschichte geriet über weite Strecken zur Selbstbestätigung der Frauen heute. Wir nahmen ihre Ideen und Vorstellungen nicht als Herausforderung für uns selbst, sondern lediglich als Spiegel, indem wir uns sonnen konnten. Es war keine Bereitschaft zum Konflikt vorhanden, und das ist eine wesentliche Voraussetzung für weibliche Autorität.

Wenn ich eine Autoritätsbeziehungen aufbauen möchte (und das geht auch mit Frauen in der Geschichte, zu denen man über ihre Schriften in Beziehung treten kann), darf ich mich nicht auf die Suche nach Frauen machen, die dieselbe Meinung haben, wie ich. Nicht auf die Suche nach Frauen, die ich Klasse finde, und der ich an den Lippen hänge. Nicht eine, zu der ich eine Seelenverwandtschaft fühle oder die mich bestätigt und fördert und mir sagt, wie toll ich doch bin und dass ich ruhig Mut haben soll, mich selbst zu verwirklichen. Ich muss eine suchen, über die ich mich ärgere, die mich dazu bringt, meine eigenen Meinungen über den Haufen zu schmeißen, die mich in Frage stellt oder vielleicht auch mich gar nicht weiter beachtet. Die mir, wenn ich mich als Künstlerin verwirklichen will, aber nur mittelmäßige Tontöpfe zustande kriege, sagt, dass ich auf dem Holzweg bin. Die mir, wenn ich mich beschwere, dass ihre Bücher so kompliziert zu lesen sind, sagt, weibliche Philosophie eigne sich eben nicht als Gutenachtlektüre. Die mir knallhart sagt, wenn ich nicht auf sie höre, dann kann sie mir auch nicht helfen. Das sind natürlich nur Beispiele. All diese Sätze könnten auch in Machtbeziehungen gesprochen werden, und dann wären sie schrecklich. Nur ich selbst kann entscheiden, ob eine solche Frau in der Lage ist, zwischen meinem Begehren und der Welt vermitteln. Alles, was ich damit sagen will, ist: Eine Frau, die mir nur Bestätigung gibt und immer wohlwollend nickt, kann es ganz sicher nicht.

Leider ist die Bereitschaft zum Konflikt unter Frauen noch immer nicht sehr ausgeprägt und vor allem das Konzept der Ungleichheit, die der Autorität zugrunde liegt, wird von vielen Frauen sehr skeptisch gesehen. Nicht ohne Grund hat in Deutschland der Denkansatz der Italienerinnen nicht als eine Theorie von der Autorität Furore gemacht, sondern wird unter dem Stichwort »Affidamento« gehandelt, obwohl dieser Begriff in den Texten von DIOTIMA keine große Rolle spielt. Offenbar möchte man das Wort Autorität lieber vermeiden, daher nimmt man ein italienisches Wort, das niemand übersetzen kann und das auch nicht so vorbelastet ist, und das außerdem den Vorteil hat, dass man alles Mögliche hineinprojizieren kann.

Das Verb »affidare« heißt auf deutsch »anvertrauen«. Was mache ich, wenn ich jemandem anderen etwas anvertraue? Etwa meine Tochter für den Nachmittag oder meine Blumen, während ich in Urlaub fahre? Ich gebe selbst die Kontrolle über diese Dinge ab, ich übertrage der anderen Person für eine begrenzte Situation die Verantwortung für diese Angelegenheit. Und diese Person ist willens und fähig, diese Verantwortung zu übernehmen. Im Anvertrauen liegt eine große Verbindlichkeit von beiden Seiten.

Autorität hat etwas mit Anvertrauen zu tun, mit affidamento also, nur dass es nicht um irgend etwas Drittes geht, sondern um mich selbst. Ich vertraue mich, meine Person, einer anderen an. Affidarsi, sich anvertrauen, heißt nicht, wie im Deutschen, ich erzähle einer anderen mal ein bißchen von meinen Wehwehchen und Problemchen, ich vertraue ihr meine Geheimnisse, Sehnsüchte, Liebeskummer und so weiter an – nein, affidarsi heißt, ich gebe mich in ihre Hände, wenigstens in einem bestimmten Zeitraum, in einem bestimmten Kontext. Ich bin es, die dabei auf dem Spiel steht, wenn es um Autorität geht, und entsprechend groß ist das Vertrauen, und die Verantwortung, die für eine solche Beziehung notwendig sind.

Ich möchte euch ein Beispiel erzählen. Voriges Jahr stand eine meiner WG-Mitbewohnerinnen vor einer schwierigen beruflichen Entscheidung, sie überlegte nämlich, zu kündigen und woanders anzufangen. Im Vorfeld dieser Entscheidung fragte sie alle möglichen Menschen um Rat, unter anderem auch mich. Ich setzte mich mit dem Problem auseinander, brachte Kriterien und Maßstäbe an, und gab ihr dann einen Rat. Bald aber stellte ich fest, dass sie diesen Rat gar nicht suchte. Sie sprach nämlich wirklich mit Hinz und Kunz über dieses Problem, zum Beispiel mit Leuten, die zufällig in unsere Wohnung kamen und die sie überhaupt nicht kannte, zu denen sie also gar keine Beziehung hatte. Sie sammelte unterschiedlos Meinungen von allen möglichen Leuten und setzte sich mit keiner wirklich auseinander. Sie war nicht in der Lage oder nicht bereit, eine Autoritätsbeziehung aufzubauen. Sie suchte nur Spiegelung und Bestätigung.

Das kann man natürlich machen und vielleicht ist ein solches Vorgehen manchmal auch sinnvoll, aber es ist dann eben keine Autorität im Spiel. Meine Reaktion darauf ist, dass ich als Ratgeberin auf diese Weise nicht gerne mißbraucht werde und mir, wenn ich in eine solche Situation komme, auch keine große Mühe mehr gebe, weil mir die Zeit dafür zu schade ist. Die Gegenseite dieser Geschichte sind natürlich Menschen, die sich weigern, einen Rat zu geben. Man fragt sie, und sie sagen auch ihre Meinung, aber mit der Anmerkung: Das ist nur meine Meinung, was du letztlich machst, mußt du selbst entscheiden. Das bedeutet im Klartext: Ich bin nicht willens, Verantwortung für meinen Rat und für unsere Beziehung zu übernehmen, sondern ich will mit den Folgen meines Rates nichts zu tun haben, ich bin nicht bereit, Autorität auszuüben. Wie eine Mutter, die sagen würde, Kind, es ist so warm draußen, zieh lieber nicht die dicke Winterjacke an. Aber es ist natürlich deine Entscheidung, wenn du nachher eine Grippe hast, brauchst du dich bei mir nicht zu beschweren.

Autoritätsbeziehungen setzen eben Verbindlichkeit voraus – von beiden Seiten. Oder, wie Andrea Günter in ihrem neuen Buch schreibt: »Ob es volle weibliche Autorität gibt, wird erst in Konfliktsituationen offenkundig. Autorität gibt es dann, wenn wir mit einer Person hadern und wir dennoch nicht darum herumkommen, sie für das anzuerkennen, was sie tut oder für uns ist und zu sein vermag. Es gibt Autorität dann, wenn wir dem, was eine Person tun will, nicht zustimmen, und dennoch anerkennen, dass sie genau dies tut bzw. unser Verständnis der freien weiblichen Existenz in Frage stellt und somit für uns den menschlichen Horizont weiblicher Freiheit eingrenzt bzw. neu umreißt.«

Damit hat Andrea auch angesprochen, worum es bei weiblicher Autorität geht – um weibliche Freiheit nämlich. Eine Frau hat für mich Autorität, wenn sie mir eine Vermittlung bietet zwischen mir und der Welt, die über das hinaus geht, was ich sowieso schon wußte oder aus eigenem Vermögen schon gemacht habe. Autorität bestätigt mich nicht, sondern fordert mich heraus. Sie eröffnet mir neue Räume und Horizonte, zu denen ich alleine nicht vorstoßen kann. Autorität, und damit komme ich auf die anfängliche Fragestellung zurück, bringt Menschen dazu, Dinge zu tun, die sie aus eigenem Willen nicht tun würden – aber die dennoch zu ihrem Besten sind. Zähne putzen, Bücher lesen, etc. Al das läßt uns die Welt gestalten und führt dazu, dass eine weibliche symbolische Ordnung entsteht, die uns einen Orientierungsrahmen gibt. Weibliche Autorität lässt mich über mich selbst hinauswachsen, öffnet mir ein Schlupfloch, das mich über die Grenzen der Welt, so wie ich sie bisher kannte, hinausführt, macht mich frei von den Zwängen der Mehrheitsmeinung um mich herum. Ich allein könnte das nicht, und wäre ich auch noch so klug, stark und unabhängig.

Das heißt nicht, dass ich der Meinung oder den Forderungen einer Frau, der ich Autorität zuspreche, kritiklos zustimmen soll. Es bedeutet aber, dass ich ihr eine Bedeutung zuspreche. Diana Sartori hat einmal vorgeschlagen, dem kategorischen Imperativ von Kant – handle stets so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit eine allgemeingültige Maxime sein könnte – einen mütterlichen Imperativ entgegenzusetzen: Handle stets so, wie du handeln würdest, wenn ich (deine Mutter) dabei wäre. Das heißt, das Wichtige an weiblicher Autorität ist, dass man die Werte und Meinungen der anderen Frau berücksichtigt und mit in die eigenen Überlegungen einbezieht, nicht, dass man sich danach richtet. Deshalb steht weibliche Autorität auch meiner Freiheit nicht entgegen, sondern sie ermöglicht sie geradezu.

Ein Beispiel aus meiner Erfahrung: Für mich ist im Bezug auf philosophisches Denken Luisa Muraro eine Autorität, oder auch Andrea Günter und ein paar andere. Das heißt nicht, dass ich mit ihren Thesen an jedem Punkt einverstanden bin, bei manchen Fragen bin ich sogar dezidiert anderer Auffassung. Wenn ich nun aber einen Aufsatz schreibe, dann schreibe ich ihn – um mit Diana Sartori zu sprechen – so, als würden ihn Luisa und Andrea lesen. Diese Frage habe ich im Hinterkopf. Und wenn ich ihnen darin widerspreche, dann nach reiflicher Überlegung und einer Auseinandersetzung mit ihren Einwänden. Diese freiwillig eingegangene Autoritätsbeziehung, was mein philosophisches Denken angeht, macht mich gleichzeitig frei: Ich überlege mir nämlich nicht mehr, wie ich mich bei meinen Thesen gegen Einwände von Marx oder Hegel oder den wissenschaftlichen Kapazitäten verteidigen könnte. Sie haben für mich diese Autorität eingebüßt, sie sind mir kein Maßstab mehr, aber ich konnte mich davon nur befreien, indem ich einen anderen Maßstab, eine andere Abhängigkeit sozusagen, dagegen eintauschte.

Ich sagte eben, Diana Sartori hat dem kategorischen Imperativ von Kant einen mütterlichen Imperativ entgegengesetzt. Der Bezug auf die Mutter-Kind-Beziehung ist auch so ein schwieriger Punkt. Ich habe vorhin gesagt, dass das Modell von Gleichheit und Autonomie eine männliche Denktradition ist, und ich spreche dauernd von weiblicher Autorität. Damit meine ich natürlich nicht, dass das eine Modell für Männer gilt und das andere für Frauen, sondern beides gilt für Menschen allgemein. Es ist aber nun einfach so gewesen, dass diese Philosophie der Autorität, wie ich sie euch vorgestellt habe, von Frauen erdacht wurde. Und vielleicht ist das eben kein Zufall.

Die westliche Denktradition der Männer (und faktisch waren es ja nun einmal Männer, diese ganzen Philosophen, die ich an der Uni studieren musste), setzt ein Bild vom Menschen voraus, wonach er von Natur aus frei und autonom ist, und die ideale Welt ist demnach eine, wo all diese Einzelnen sich aus eigenem Antrieb und ohne Zwang organisieren, wobei sie sozusagen von Null ausgehen. Aber ist der Mensch überhaupt so? Das Bild, das die Italienerinnen dem des autonomen Männermenschen entgegensetzen, ist das des neugeborenen Kindes, das wir alle einmal waren: Wir alle werden von einer Frau zur Welt gebracht, das heißt, wir plumpsen nicht von irgendwoher als Einzelne hier auf diese Erde, stellen plötzlich fest, dass es auch noch andere Leute gibt und müssen uns dann mühsam Regeln erfinden, zum Beispiel Gesetze und Verträge, damit wir uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen. In Wirklichkeit kommen wir anders zur Welt: Wie brauchen – und haben – von Anfang an eine Vermittlung zwischen uns und der Welt, zwischen uns und den anderen Menschen. Diese Vermittlung war zuerst unsere Mutter (oder eine andere Person an ihrer Stelle), und das sind später Lehrerinnen, Freundinnen, Vorbilder. Das heißt, Autorität ist nichts, was wir erst erfinden müssen, machen müssen, einfordern müssen, sondern sie ist geradezu das erste, was wir vorfinden, wenn wir das Licht der Welt erblicken.

Um noch einmal auf die Macht und ihren Missbrauch zurück zu kommen: Was genau ist das Problem an der Macht: Ist es dass sie unserer Freiheit und Autonomie im Weg steht (Modell 1)? oder ist es, dass sie keine angemessene Vermittlung zwischen uns und der Welt ermöglicht (Modell 2)? Ich plädiere für Modell zwei, ganz so, wie das Problem einer »schlechten« Mutter auch nicht das ist, dass sie die Autonomie ihres Kindes einschränkt, sondern eher dass, dass sie dem Kind nicht beibringt, wie es sich in der Welt zurechtfinden und orientieren kann. Die Mutter-Kind-Beziehung ist der beste Beweis, dass nicht alle Beziehungen, die auf Ungleichheit gründen, Macht- und Herrschaftsbeziehungen sind. Damit will ich nicht sagen, dass es in der Mutter-Kind-Beziehung niemals Macht und Gewalt gibt, natürlich gibt es das. Aber sie machen nicht das Wesentliche dieser Beziehung aus. Normalerweise, im Allgemeinen oder zumindest häufig genug gibt das Verhalten einer Mutter – also das Verhalten, das wir alle in der einen oder anderen Weise am eigenen Leib gespürt haben – ein Modell ab für mütterliche, für weibliche Autorität. Ein Modell, das eben zum Ausgangspunkt werden kann für philosophisches Nachdenken und die Arbeit an einer neuen symbolischen Ordnung, auch wenn nicht alle Mütter Autorität haben und viele Mütter auch hin und wieder mit Macht und Gewalt operieren, vermutlich auch unsere eigenen, worüber wir uns zu Recht beklagen sollten. Aber neben Macht und Gewalt war und ist dort eben in den meisten Fällen auch noch etwas anderes, nämlich Autorität. Und vielleicht ist es eben kein Zufall, dass es Philosophinnen waren, denen das zuerst aufgefallen ist, aber eigentlich ist das auch unerheblich. Wichtig ist, dass es stimmt, und dass es unser Denken auf der Suche nach weiblicher Freiheit vorangebracht hat.

Wenn es also so ist, dass der Eintritt jedes Menschen in die Welt auf Vermittlung gegründet ist, dass sich die Welt und unser Ort in ihr uns nur erschließt, wenn wir diese Vermittlung finden, dann könnte das doch heißen, dass es einfach zur menschlichen Natur gehört, von anderen abhängig zu sein. Unsere Wahlfreiheit bestünde also nicht darin, abhängig oder unabhängig zu sein, sondern darin, dass wir mitentscheiden können, wovon wir abhängig sein wollen und wovon nicht. Anstatt nach Unabhängigkeit und Autonomie zu streben, könnten Befreiungsbewegungen oder Protestbewegungen daher auch die Frage stellen, welche Abhängigkeiten sie durch welche anderen ersetzen wollen und warum. Im Falle der Frauen hieße das: Ich kann nur die Abhängigkeit der Frauen von Ehemann und/oder Vater, wie sie im Patriarchat herrschte, bekämpfen, wenn ich sage, für welche Abhängigkeit ich sie eintauschen will. Eine Antwort, die viele Frauen gegeben haben und praktizieren ist, dass sie die persönliche Abhängigkeit von einem Ehemann oder Vater eingetauscht haben durch die Abhängigkeit vom Arbeitgeber und dem kapitalistischen Markt. Das ist, so zeigt sich inzwischen, nur teilweise befriedigend. Wäre es auch eine Möglichkeit, sie einzutauschen gegen die Abhängigkeit von anderen Frauen? Wäre also weibliche Autorität eine Möglichkeit, der Macht entgegenzutreten?

Welche Folgerungen könnte man nun aus dieser Theorie von der Autorität konkret in der Organisation von Gruppen und Vereinen ziehen, wie läßt sich das praktisch umsetzen? Erst einmal: Autorität kann man, wie gesagt, nicht einführen, institutionalisieren, herbeiführen, »machen«. Man kann sie nur wahrnehmen, aber entstehen tut sie ganz von selbst – es kommt nur darauf an, sie dann auch bewußt und sichtbar zu machen und anzuerkennen. Und es kommt darauf an, dass diejenigen, die Autorität haben, sich ebenfalls bewußt machen, woher sie die zugesprochen bekommen, von welchen Frauen sie wiederum abhängig sind, und dies auch öffentlich anzuerkennen und auszusprechen.

Mein erster Vorschlag ist also, dass man nicht zuerst überlegen sollte, welche Regeln und Gremien, welche Hierarchiestrukturen eingeführt werden sollen, sondern dass man sich zunächst einmal klar macht, wo bereits Autorität vorhanden ist: Das Urteil welcher Frauen wird besonders geachtet? Welche Autoritätsbeziehungen habe ich als einzelne persönlich zu wem?

Erst danach kann man überlegen, ob man wirklich darüber hinaus noch weitere Strukturen und Regeln und Hierarchiestufen braucht. Denn: Autorität ist niemals etwas unumstößliches, sie ist vom jeweiligen Kontext abhängig und in jedem Augenblick Verhandlungssache. Sobald sie davon abhängig ist, dass sie in Formalien festgeschrieben wird, verwandelt sie sich in Macht und ist nicht mehr hilfreich. Indem ich Verbindlichkeiten eingehe – freiwillig – entsteht meine Freiheit. Ich kann dazu nicht gezwungen werden.

Vortrag am 29.1.2001 bei «Lachesis«, Berufsverband für Heilpraktikerinnen