Antje Schrupp im Netz

Streit unter Kommunardinnen

Vortrag beim Festival Kantine Sabot am 1.8.2023 in Chemnitz

Kommunismus, Anarchismus und Feminismus in der Pariser Kommune

Vorbemerkung

Ich möchte die Geschichte von zwei Frauen erzählen, die in der Pariser Kommune aktiv waren. Passend zum Thema der Kantine „Sabot“ habe ich André Léo ausgesucht, die eher zur anarchistischen Strömung gehört und auch mit Bakunin zusammengearbeitet hat, und Elisabeth Dmitrieff, die eher in der marxistischen Ecke zu verorten ist. Beide waren auf sehr unterschiedliche Weise in der Pariser Kommune aktiv.

Der Untertitel meines Vortrags – „Kommunismus, Anarchismus und Feminismus in der Pariser Kommune“ – ist allerdings anachronistisch. Wenn wir über vergangene Zeiten reden, sollten wir uns immer klarmachen, dass sich uns nur ein lückenhaftes Bild erschließt. Wir sehen nicht das Ganze, sondern nur das, was durch Dokumente oder Forschungsarbeiten überliefert wurde. Und wir blicken immer mit unseren heutigen Fragestellungen auf diese Zeit. So hat damals niemand über „Kommunismus“, „Anarchismus“ oder „Feminismus“ gesprochen. Die Menschen haben sich selbst nicht so identifiziert, wie wir sie heute kategorisieren. Und das trifft noch einmal mehr für die Frauen zu. Meiner Dissertation über die Frauen in der I. Internationale habe ich nicht zufällig mit dem Titel „Nicht Marxistin und auch nicht Anarchistin“ versehen. Die Diskussionen, die Frauen damals geführt haben, passen nicht in das Raster, unter dem meist männliche Historiker diese Zei analysiert haben, eben Anarchismus vs. Marxismus.

Wie können wir weibliche Ideengeschichte in unseren heutigen Beschäftigungen mit der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung mitdenken? Früher war es normal, von der Arbeiterbewegung zu reden. In den Veröffentlichungen dazu ging es in der Tat fast ausschließlich um Männer – bestenfalls gab es irgendwo einen zusätzlichen Abschnitt zur „Frauenfrage“. Heute wird durchgängig von „Arbeiter:innenbewegung“ gesprochen, aber ehrlich gesagt bin ich damit auch nicht ganz glücklich. Waren denn Arbeiterinnen in der Geschichte dieser Bewegung wirklich genauso präsent wie Arbeiter. Und wenn, was haben sie gesagt und getan? Ich finde, es braucht dazu noch mehr Forschung. Für meinen Vortrag habe ich einen anderen methodischen Ansatz gewählt. Ich rede nicht über „Frauen in der Pariser Kommune“ oder über die Frage, „was Frauen beigetragen haben“, sondern ich versuche, die die Geschichte aus einer weiblichen Perspektive zu erzählen, also aus der Perspektive konkreter Frauen.

In der linken Geschichtsschreibung wird die Beteiligung von Frauen an linken Bewegungen gerne propagandistisch ausgedeutet. Vor allem Louise Michel wurde popkulturell herausgestellt. Die weibliche Präsenz ist gewissermaßen eine Gewähr dafür, dass wir „die Guten“ sind. Wenn ich nun eine eigene Interpretation zur Diskussion stelle, so weiß ich, dass ich auch schon von diesen Diskursen beeinflusst bin. Und wenn ich zwei Frauen herausstelle, weiß ich gleichzeitig, dass dies auf gewisse Weise eine willkürliche Auswahl ist – denn es waren zahlreiche Frauen, die sich an der Pariser Kommune beteiligt haben.

Das ist problematischer Mechanismus in der Geschichtsschreibung generell: Je länger ein Ereignis zurückliegt, umso mehr fokussiert sich die Debatte auf einzelne Namen. Aber nicht nur Marx und Bakunin haben über den Sozialismus geschrieben, sondern viele andere auch, nur wurden diese Texte nicht tradiert. Die Erinnerung nimmt eine Verengung vor und wir verlieren den breiten Kontext der Debatten. Wir verlieren nicht nur das Wissen über die sozialen Bewegungen, sondern auch zahlreiche Ideen.

Mich interessieren vor allem die politischen Ideen von Frauen, und dabei bin ich oft auf ein Missverständnis gestoßen. So wurde bei meiner Dissertation kritisiert, dass ich zu wenig Sozialgeschichte verhandeln würde. Ich hätte zu wenig darüber geschrieben, wie die Lebensbedingungen von Frauen gewesen wären. Ich wollte aber ein Buch über politische Ideen von Frauen schreiben. Und ich habe ich noch nie gesehen, dass ein Buch über Marx und Bakunin mit der sozialgeschichtlichen Situation von Männern im 19. Jahrhundert begonnen hätte. Es scheint, als ob die Frauen automatisch auf der Seite der Sozialgeschichte und die Männer auf der Seite der Ideengeschichte stehen. Demgegenüber will ich die Ideen der Frauen stark machen – nicht nur ihre soziale Rolle, ihre Ausbeutung, ihre Unterdrückung usw. Denn Frauen haben viele Ideen produziert.

Noch etwas anderes kommt erschwerend hinzu: Wir haben gelernt, die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung durch die Brille des Marxismus zu sehen, seit der Marxismus durch die bolschewistische Revolution zur Leitidee wurde. Viele Forschungen wurden in einem solchen Rahmen gemacht oder finanziert – auch die westeuropäische Linke hat sich daran orientiert. Die Frage war immer: Was hätte Marx dazu gesagt? Auch das ist aber völlig anachronistisch. Aus der marxistischen Verengung entstand eine Tendenz, alles, was Marx schlecht gefunden hat, als zusammengehörig betrachten, etwa Proudhon und Bakunin: Die beiden waren zu ihrer Zeit in unterschiedlichen Galaxien unterwegs – sowohl in Bezug auf ihre Ideen, aber auch, was ihre jeweiligen Anhänger:innen betrifft. Sie waren keine Verbündeten oder Alliierten, in der Internationale waren sie gegnerische Fraktionen. Aber weil Marx beide kritisierte, werden sie im Rückblick zusammengedacht.

Wir müssen uns also bemühen, die Schleier unserer eigenen Vorurteile aufzulösen, um die Vergangenheit zu verstehen.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Die bekannteste Frau der Pariser Kommune ist sicher Louise Michel, Mitglied der IAA und – neben Emma Goldman – heute eine der berühmtesten Anarchistinnen. Sie ist auch deshalb für ihr Engagement in der Kommune bekannt, weil sie ihre Memoiren darüber geschrieben hat. Ich habe sie nicht in den Fokus genommen, weil sie zur Zeit der Kommune noch keine Anarchistin war – sie ist erst aufgrund der Erfahrungen in der Kommune zur Anarchistin geworden. Allerdings war sie damals bereits Feministin. Von ihr stammt der Satz:

„Was wir wollen, ist Wissen und Freiheit. Eure Privilegien? Die Zeit ist nicht mehr weit, wo Ihr sie uns anbieten werdet, um durch diese Teilung zu versuchen, ihnen wieder Glanz zu verleihen. Behaltet diese Lumpen, wir wollen sie nicht.“

Louise Michel weist einen Gleichstellungs-Feminismus zurück, der Frauen Rechte geben will, die die Männer schon haben. Sie sagt das aber auch an die Adresse des Bürgertums zur Befreiung des Proletariats. Hier auf der Kantine „Sabot“ soll diskutiert werden, was der Kern des Anarchismus ist: Autonomie? Herrschaftskritik, Staatskritik, Dezentralität? Ich schlage vor: Es ist das Streben nach einer Welt ohne Privilegien.

Meiner Ansicht nach berührt das ein Kernproblem der bürgerlichen Demokratien. Die Französische Revolution hat mit „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ einen bestimmten Rahmen gesetzt, was als Maxime für Demokratie gilt. Doch wenn man Demokratie als eine Form der Gleichheit definiert, hat man ein Problem: Wer ist gleich und wer ist ungleich? Gleichheit ist eine Fiktion. Wenn wir uns gegenseitig anschauen, werden wir keine Menschen sehen, die gleich sind. Wir sind vielmehr alle ungleich – Gleichheit existiert in der Realität nicht. Deshalb muss man definieren, wen man als gleich betrachtet und wen nicht.

Dieses Problem stellte sich bereits unmittelbar nach der Französischen Revolution in der Frage: Sind Frauen Gleiche oder nicht? Sie wurden Jahrhunderts heftig diskutiert und mehrheitlich mit „Nein“ beantwortet. Frauen bekamen nicht die bürgerlichen Rechte, nicht das Wahlrecht. Die demokratische Freiheit war die Freiheit der Männer. Ähnlich lag es bei den Kolonialisierten. Aber selbst wenn man das anders beantwortet hätte, kommt man die um die Frage herum: Was ist mit den Kindern? Den Tieren? Das Problem ist nicht lösbar, indem man „Alle“ antwortet. Irgendwo bleibt eine Grenze. Daher die Zurückweisung: Behaltet diese Lumpen! Das Problem der westlichen Demokratie ist nicht damit zu lösen, dass Frauen auch Bürgerrechte kriegen oder dass homosexuelle Paare gleichgestellt werden. Sobald man jemanden gleichstellt, hat man die Grenze einfach nur woanders hin verlegt. Wenn man den Anspruch der Herrschaftslosigkeit ernst nimmt, gilt es also zu sagen: Es soll niemand privilegiert sein in der Unterschiedlichkeit, die unsere Realität ist.

Sozialismus und Frauenbewegung
                „Wenn die französische Nation nur aus Frauen bestünde,
                was wäre es für eine schreckliche Nation?“

Dieses Zitat eines englischen Journalisten, der über die Pariser Kommune berichtet hat, zeigt, dass Frauen in der Pariser Kommune sehr präsent waren. Es ist Außenstehenden aufgefallen, dass dies eine Revolution von Frauen war. Schön während der Kommune selbst und unmittelbar danach hat eine Diskussion darüber stattgefunden, was es mit den Frauen in der Kommune auf sich hat und wie ihre Rolle zu interpretieren ist.

Vor allem die bürgerliche Presse war durch dieses Ereignis völlig in Panik geraten, die erste Regierungsübernahme durch revolutionäre Kräfte nach der Französischen Revolution. Dass Frauen dabei mitgemacht haben, hat es noch schlimmer gemacht. Direkt nach der Kommune kam das Phantasiebild der Pétroleuses (= Brandstifterinnen) auf, die Paris in Brand gesteckt hätten, als die Stadt von den Regierungstruppen eingenommen wurde. Dass in der Tat Barrikaden und Häuser gebrannt haben, hat man vor allem den Frauen angelastet, die als Hexen, als Monster, als gefährliche Wesen gezeichnet wurden. Der Schrecken, als der die Pariser Kommune dargestellt wurde, war in der zeitgenössischen Diskussion eng mit dem Umstand verknüpft, dass so viele Frauen daran beteiligt gewesen sind. Dies hatte Gründe und einen Vorlauf.

Feminismus war im 19. Jahrhundert in Frankreich ein großes Thema. In Frankreich wurde das erfunden, was wir später als „Ideologie der getrennten Sphären“ bezeichnet haben, also die Aufteilung von männlicher und weiblicher Sphäre in klar unterschiedene Bereiche: das Öffentliche und das Private, das Politische und das Unpolitische, Familie und Öffentlichkeit usw. Diese strikte Trennung war eine Reaktion auf die oben erwähnte Frage nach Geschlecht und Gleichheit, die sich nach der Revolution von 1789 stellte. Dass Frauen „natürlicherwiese“ in einem eigenen, separaten Bereich leben, rechtfertigt ihre Ungleichheit in Zeiten demokratischer Gleichheitsideale.

Das Konstrukt war von Anfang an umstritten, schon im Frühsozialismus der 1820er und ’30er Jahre wurde es diskutiert. Charles Fourier und seine Anhänger:innen etwa haben sehr interessante Theorien und Praktiken zum Geschlechterverhältnis entwickelt. Die Saint Simonist*innen haben die quotierte Führung politischer Gruppen erprobt und auch den feministischen Separatismus vorweggenommen, der in den 1970er Jahren eine Praxis der Frauenbewegung wurde. Wichtig war in den 1840er Jahren außerdem Flora Tristan, eine große Theoretikerin der Arbeiterunionen. Ihr Buch – L’Union Ouvrière (erschienen 1843, also einige Jahre vor dem Kommunistischen Manifest) – beinhaltete bereits die Idee einer internationalen Assoziation von Arbeiterinnen und Arbeitern,

Frauen in der Internationale

Das Verhältnis von Sozialismus und Feminismus war in dieser Zeit also sehr virulent, auch in der Internationale waren Debatten um das Geschlechterverhältnis nicht nur ein theoretisches Thema. Die Frage, wie die Geschlechter sich zueinander verhalten, musste unmittelbar im Alltag beantwortet werden. Man musste sich konkret den Menschen gegenüber verhalten, die ein anderes Geschlecht hatten. Man musste Entscheidungen für die eigenen politischen Zusammenhänge treffen. Und dann kamen bürgerliche Philosophen und entwickelten die Idee von der Zwei-Sphären-Trennung: Jules Michelet, Auguste Compte und andere. Das war auch ein Angebot für die Arbeiter, denn es war für Einige durchaus verlockend, diesen Status, dieses Privileg des Mann-Seins, einzunehmen. Wenn man schon nur Proletarier war, dann wenigstens ein Mann. Diesen proletarischen Antifeminismus besonders vertreten hat Proudhon, der schrieb:

„Der Unterschied der Geschlechter erhebt zwischen ihnen eine Trennung gleicher Art wie  die der Rassen zwischen den Tieren. So bin ich weit davon entfernt, dem zu applaudieren,    was man heute Frauenemanzipation nennt und neige eher dazu, wenn es zum Äußersten   kommt, die Frauen hinter Schloss und Riegel zu sperren.“ Pierre-Joseph Proudhon: De la Justice dans la révolution et dans lèglise, Band 3, Garnier Frères, Paris 1858, S. 366 Anm.

Das steht in seinem 1858 erschienenen Spätwerk „De la justice dans la révolution et dans l’Église“. Proudhon starb 1865, ein Jahr nach Gründung der IAA, aber seine Ideen waren in der französischen Sektion der IAA anfangs stark vertreten, vor allem in der Pariser Sektion. Deren Führer agitierten gegen Frauenerwerbsarbeit unter Rückgriff auf Prouhons Maxime, wonach Frauen entweder Ehefrau oder Hure sein könnten. Frauen konnten in Paris auch nicht Mitglieder der IAA werden. Sie sollten nach Ansicht der Proudhonisten ausschließlich in der Familie arbeiten, nicht in der Fabrik und auch nicht zum eigenen Gelderwerb, das führe zur Degeneration der menschlichen Rasse. In Frankreich formierte sich dagegen eine starke anti-proudhonistische Bewegung mit wichtigen Publikationen, etwa von Jenny d’Héricourt oder Juliette Adam.

Die eher geschlechteregalitär orientierten anarchistischen französischen Kollektivist*innen, die mit Bakunin zusammenarbeiteten, waren, wenig verwunderlich, gegenüber der IAA skeptisch eingestellt, ebenso wie Vertreterinnen der zeitgenössischen Frauenbewegung, die die IAA für eine antifeministische Organisation hielten: Nicht nur waren fast keine Frauen an der Internationale beteiligt, sie positionierte sich auch aktiv gegen den zeitgenössischen Feminismus. Für die Vertreter:innen der englischen Sektionen traf das allerdings nicht zu, für Marx auch nicht, und ebenso wenig für zahlreiche einfache Mitglieder der IAA. Die englischen Gewerkschaften hatten eingesehen, dass sie sich nicht gegen Frauenerwerbsarbeit sperren konnten, ebenso Marx. Bei den ersten beiden Kongressen der IAA 1866 und 1867 war das Thema der Frauenwerbsarbeit jeweils ein Hauptthema, über das einen ganzen Tag lang diskutiert wurde. Einigkeit konnte nicht hergestellt werden, die französische Delegierten druckten jedoch hinterher eine Broschüre, in der sie ihre eigenen antifeministischen Positionen als Position der gesamten Internationale ausgaben.

1868 wurde in Frankreich das Versammlungsverbot aufgehoben, und es gab einen Boom an politischen Veranstaltungen, bei denen alle möglichen Themen behandelt wurden. Da sie von der Polizei überwacht wurden, gibt es in den Archiven Protokolle, die zum Teil einen sehr detaillierten Aufschluss darüber geben, was gesagt wurde. Ebenfalls, dass zumindest wenn das Geschlechterverhältnis Thema war, auch zahlreiche Frauen das Wort ergriffen – etwa 20 bis 30 Prozent der Redebeiträge.

Im Zuge einer Streikwelle ab 1869 wurden die Proudhonisten (die sich gegen die Streiks stellten) nach und nach aus der französischen Sektion der IAA herausgedrängt wurden und andere, eher liberal, antiautoritär und auch pro-feministisch eingestellte Männer und dann auch Frauen sind in die IAA eingetreten (darunter Louise Michel und André Léo).

Als die Pariser Kommune 1871 ausgerufen wurde, war also die Debatte über Geschlechterverhältnisse in der französischen Öffentlichkeit sehr präsent. Es existierte zudem eine organisierte Frauenbewegung mit entsprechenden Vereinen und Netzwerken. Und es gab gerade in Paris organisierte Feministinnen, die sich zum Teil sozialistisch verstanden, zum Teil aber auch nicht.

Weiblicher Widerstand am Anfang der Kommune

Neben diesen politischen Debatten war ein weiterer Grund, warum die Frauen in der Pariser Kommune so wichtig waren, dass die traditionelle Trennung von Privat und Öffentlich in Paris damals aufgehoben war. Vorangegangen war der Kommune ja der deutsch-französische Krieg von 1870/71, in dessen Folge der französische König im September 1870 abdankte. Es gründete sich eine republikanische Übergangsregierung, die noch eine Zeit lang versuchte, den Widerstand gegen Deutschland weiterzuführen. Paris war den ganzen Winter 1870/71 über von deutschen Truppen belagert, was zu Hunger und Versorgungsengpässen führten. Die Situation berührte unmittelbar das Alltagsleben und forderte insbesondere die Frauen als Familienversorgerinnen heraus. Im Februar 1871 hat die republikanische Regierung dann kapituliert und es kam zu einen Friedensabkommen, das vorsah, dass Frankreich seine Waffen ausliefert. In der Pariser Festung von Montmartre gab es 200 kleine Kanonen – Mitrailleuses – die der Nationalgarde gehörten, also der Kommune. Auch diese Kanonen sollten übergeben und im Morgengrauen abtransportiert werden. Vor allem Frauen, so früh schon auf den Beinen, schlugen Alarm und verhindert den Abtransport. Sie haben versucht, die Soldaten geredet, die die Kanonen holen sollten, zu überzeugen, dass das falsch ist. Diese Methode des Widerstands war bereits eingeübt und auch theoretisch durchdacht worden, vor allem im Zusammenhang mit Streiks. Es gibt Texte dazu von Aktivistinnen aus Le Creusot, einem Streik in einer der größten Fabriken Frankreichs. Dort haben Frauen, als das Militär den Streik niederschlagen sollte, versucht, die Soldaten von ihrem Vorhaben abzubringen. Darüber geschrieben hat Virginie Barbet, eine feministische Aktivistin aus dem Dunstkreis Bakunins. Es ging darum, den Soldaten klar zu machen, dass sie auf die falschen Leute schießen, weil es die eigenen Leute sind. In Le Creusot hat das leider nichts genützt – in Paris nun schon. Zwei Generäle wurden getötet, und viele Soldaten sind zur Nationalgarde übergelaufen, die dann die politische Macht in Paris übernahm. Innerhalb von zehn Tagen wurde eine Wahl zum Kommunerat organisiert. Es war der Versuch, eine Stadtregierung mit sozialistischen Grundsätzen zu etablieren. Dieser Versuch dauerte 71 Tage.

Mythos feministische Kommune?

Innerhalb dieser Zeit befand sich die Pariser Kommune unter Beschuss von zwei Armeen – von der preußischen Armee, die ja immer noch da war, und von der französischen Armee, die kapituliert hatte und gegenüber Preußen Verpflichtungen hatte. Nach 71 Tagen hat die Verteidigung schließlich nicht mehr gehalten. Es gab eine Woche lang Gemetzel, bei dem Zehntausende erschossen wurden – und das war das Ende der Kommune. Es handelt sich um eine kurze Zeitspanne – aber es ist eine außergewöhnliche Zeit, an der sich sehr viel zeigen lässt.

Was hat die Kommune gemacht in Bezug auf die Frauen? Es gab lange das Narrativ, dass die Kommune frauenpolitisch Vorreiterin gewesen sei. Aber das stimmt so nicht. Die Pariser Kommune hatte zum Beispiel kein Frauenwahlrecht und es ist auch gar nicht diskutiert worden, was interessant ist, denn in der Revolution von 1848 hatte es eine Diskussion über das Frauenwahlrecht gegeben und es wurden Kandidatinnen aufgestellt, die dann allerdings nicht zur Wahl antreten durften. Aber 1871 war das überhaupt kein Thema. Gesetze, die später als feministische Gesetze gefeiert wurden, sind ebenfalls zu hinterfragen, wie etwa das Verbot der Prostitution. Was bedeutete das für die Sexarbeiterinnen? Auch die Gleichstellung unehelicher Kinder war keine Gleichstellung von Kindern alleinstehender Frauen. Man könnte auch argumentieren, dass diese familienpolitischen Gesetze der Kommune vor allem dem Schutz der heterosexuellen Familie dienten, nur dass die Paare nicht mehr kirchlich verheiratet sein mussten. Frauen werden in der Kommunepolitik durchgängig in der Rolle als die Partnerin eines Mannes adressiert, als Individuen standen sie nicht im Fokus. Das ist bemerkenswert, weil die Anerkennung von Frauen als individuelle Bürgerinnen (und nicht als Teil einer Familie oder Ehe) eine Hauptforderung des zeitgenössischen Feminismus war. Über all das müsste man noch weiter forschen.

André Léo

Ich komme nun zu den Kommunardinnen, die ich hier vorstellen möchte. Der Name André Léo ist das Pseudonym der Autorin Léodile Béra; es besteht aus den Namen ihrer Kinder, den Zwillingen André und Léo, die zum Zeitpunkt der Kommune 13 Jahre alt waren. André Léo war damals Mitte 40 und Witwe. Den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder verdiente sie als Autorin und Journalistin, ihre feministischen Romane, in denen sie über die Frauenrollen ihrer Zeit reflektierte, verkauften sich gut. 1869 hatte sie das Buch „La Femme et les Mœurs“ veröffentlicht, ein politisches Buch, in dem sie die kritisiert, dass individuelle Freiheit den Männern zukomme, den Frauen aber nicht. Solange es Patriarchat und Herrschaftsverhältnisse innerhalb der Familie gibt, argumentiert Leo, besteht Monarchie in den Köpfen weiter, da der Lebensalltag nicht demokratisch ist. Nur wenn auch private Beziehungen demokratisch sind, kann auch auf politischer Ebene Demokratie verwirklicht werden.

André war Mitglied der IAA und schrieb eine zeitlang für die anarchistische Zeitung „Egalité“ (für die auch Bakunin Beiträge verfasst hat), das IAA-Organ der französisch-sprachigen Schweiz. Darin ist auch eine Kontroverse zwischen ihr und Bakunin überliefert: André war der Ansicht, dass die Fortschrittlichen aus verschiedenen politischen Lagern zusammenarbeiten sollten und hatte keine Berührungsängste gegenüber bürgerlichen und republikanischen Aktivist:innen. Bakunin hingegen war der Ansicht, dass man unter keinen Umständen mit der „Bourgeoisie“ zusammenarbeiten darf. In seiner süffisanten Art hat er ihr vorgehalten, sie würde mit ihren weiblichen Emotionen einfach nicht Nein sagen können.

Tatsächlich ist Léos Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen während der Kommune auf eine Probe gestellt worden. Sie hatte schon seit Ende der 1860er Jahre zusammen mit Noémi Reclus, Paule Mink, Louise Michel und anderen die „Société de la revendication du droits des femmes“ gegründet, also eine Frauenrechtsorganisation, in der sich sozialistische und republikanische Personen zusammentaten. Diese Gruppe hat sich aber über die Pariser Kommune zerstritten – die Bürgerlichen haben die Kommune abgelehnt und sind aus Paris weggegangen, die anderen haben sich bewusst auf die Seite der Kommune gestellt. Ihr Ziel war nicht nur das Erreichen von gleichen Rechten, sondern eine Gesellschaft aufzubauen, die keine Privilegien mehr kennt und in der die Unterschiede zwischen den Menschen nicht mehr zu Herrschaftsverhältnissen führen. Dafür haben sie sich dann innerhalb der Kommune eingesetzt, die meisten im „Wachsamkeitskomitee Montmartre“.

Die Art und Weise des Engagements von Frauen für die Kommune war vielfältig. Louise Michel hat die Pariser Kommune beispielsweise überhaupt nicht in Paris miterlebt, weil sie sich von Anfang an an den kämpferischen Auseinandersetzungen beteiligte – die Kommune war ja die ganze Zeit von zwei Armeen umzingelt und es gab zahlreiche Schlachtfelder. Paule Mink war ebenfalls kaum in Paris, weil die einzige Hoffnung für die Kommune darin sah, dass die Bevölkerung ganz Frankreichs sich diesem Projekt anschließt und die nationale Regierung, die aus Paris nach Versailles geflohen war, durch eine sozialistische Regierung für ganz Frankreich ersetzt wird. Deswegen reiste Mink durchs Land gereist und hielt in den anderen Städten Vorträge, warb um Unterstützung und versuchte, die Vorurteile zwischen Stadt und Land abzubauen. Sie wollte erklären, was in Paris eigentlich geschieht.

Der intellektuelle Kopf der Gruppe war André Léo. Sie veröffentlichte praktisch täglich Kommentare in einer der Zeitungen der Kommune. Darin hat sie die Kommune auch kritisiert und die reale Entwicklung mit ihren Ansprüchen an eine demokratische Revolution abgeglichen. Es war ihr wichtig, gegen autoritäre Tendenzen in der Kommuneregierung anzugehen – sie kritisierte zum Beispiel Maßnahmen wie Hinrichtungen ohne Gerichtsprozesse, Pressezensur oder Verbote, die in die Freiheitsrechte eingreifen. Sie kritisierte auch Generäle, die Frauen nicht in der bewaffneten Verteidigung haben wollten. Sie war der Ansicht, dass die Kommune durch moralisches Handeln überzeugen muss und nicht durch das Recht des Stärkeren – zumal klar war, dass sie auf der rein militärischen Ebene auch gar keine Chance hatte. Dieses Vorbild müsse ausstrahlen, denn nur so bestehe die Chance, Andere auf unsere Seite zu ziehen. Alles, was die Kommune tut, müsse daher ihren revolutionären Zielen bereits entsprechen, der Zweck heiligt die Mittel nicht. Wegen ihrer Kritik war sie nicht nur beliebt unter den Kommunard:innen, viele waren auch der Ansicht, wenn die Kommune bedroht ist, sei es gerechtfertigt, Sachen zu machen, die man unter anderen Umständen moralisch verurteilen würde.

ffff

Bei dieser Gruppe von Feministinnen rund um André Léo handelte es sich um Frauen, die schon vor der Kommune aktivistische Erfahrungen gesammelt hatten: Die meisten von ihnen waren Ende 30 oder in ihren 40ern, hatten bereits einige Jahre von feministischem Aktivismus hinter sich. Sie waren durch die virulenten öffentlichen Debatten über Feminismus und Geschlechterfragen in Frankreich für das Thema sensibilisiert, der Fokus auf Geschlechterverhältnisse war für sie ein unverzichtbares politisches Anliegen, wenn auch nicht das einzige. Bei Elisabeth Dmitrieff hingegn war es anders.

Elisabeth Dmitrieff

Elisabeth Dmitrieff hat in Paris die „Union des Femmes“ aufgebaut, die größte Frauenorganisation der Kommune, die auch an die IAA angeschlossen war – es war gewissermaßen die weibliche IAA-Sektion von Paris während der Kommune.

Die Regierung der Kommune bestand nur etwa zur Hälfte aus Sozialisten, zur anderen Hälfte aus Republikanern. Und auch die sozialistische Hälfte teilte sich noch einmal auf in eine Minderheit, die internationalistische Sozialisten im Sinne der IAA waren, und aus eher national orientierten Sozialisten, vor allem Anhängern Blanquis. Sozialistisch in dem Sinne, wie wir es heute in der Tradition von Marxismus und Anarchismus verstehen, war also ungefähr nur ein Viertel der Kommuneregierung. Sie war also kein wirklich sozialistisches Projekt, sondern eher ein sozialistisch-republikanisches, auf jeden Fall ein anti-monarchistisches.

Elisabeth Dmitrieff war zur Zeit der Kommune erst 21 Jahre alt, also sehr jung. Zwei Jahre zuvor war sie aus Russland in die Schweiz gegangen, wie viele junge russischen Frauen, die sich durch Scheinehen die Möglichkeit zur Ausreise verschafften (Frauen durften in Russland nicht alleine reisen). Dmitrieff ging aber nicht, wie die meisten anderen Frauen, zum Studieren in die Schweiz, sondern weil sie sich politisch betätigen wollte.

Sie war ein Fan von Karl Marx, hatte von ihm schon in Russland Texte gelesen. In Genf gründete sie eine russische IAA-Sektion, die nur aus einer handvoll Leuten bestand. Von denen mit dem Status einer Delegierten ausgestattet, reiste sie Ende 1870 nach London, um Marx persönlich kennenzulernen. Sie nahm dort auch an Sitzungen des Generalrats der IAA teil. Marx war sehr daran interessiert, von ihr etwas über die Struktur der russischen Dörfer zu erfahren, es gab zahlreiche Gespräche zwischen ihnen über die Situation in Russland.

Als im März 1871 die Kommune ausgerufen wurde, stand für sie fest, dass sie nach Paris geht, wo sie am 2. April ankam. Sie konnte nicht verstehen, so viele andere und auch die gesamte Familie Marx nicht ebenfalls nach Paris fuhr. Denn das dort ja jetzt die Revolution! Sie hatte von Marx ein Empfehlungsschreiben an die IAA-Mitglieder der Kommuneregierung erhalten und wurde von denen sozusagen installiert als die Vertreterin der IAA, die die Frauen in Paris organisiert. Und das hat sie mit einer wahnsinnigen Effizienz gemacht.

Wie ist das bei den anderen Pariser Feministinnen angekommen? Dass die IAA sich die Organisation der Pariser Frauen so vorstellte, dass von außen eine 20-jährige Russin anreist, die das erledigt, ohne Kontakt mit jenen aufzunehmen, die schon seit langem aktivistisch unterwegs sind, war schon ein Affront. Aber Elisabeth Dmitrieff war sehr erfolgreich, auch weil sie die Unterstützung der Genossenschaftsbewegung auf ihrer Seite hatte, die bereits eine Vorgängerorganisation aufgebaut hatte. Zu ihren Unterstützerinnen gehörte Nathalie Lemel, eine alte Pariser Aktivistin und Mitbegründerin einer Volksküche, der Genossenschaftskooperative „La Mamite“. Die Arbeit der Union des Femmes war sehr wichtig. Die meisten Unternehmer waren ja aus Paris geflohen, und oft haben die Arbeiter:innen die Werkstätten weitergeführt. Elisabeth Dmitrieff hat zum Beispiel mit der Regierung der Kommune darüber verhandelt, dass nur Werkstätten, die Mitglied der Union des Femmes sind, Uniformen für die Nationalgarde nähen dürfen, und dass sie dafür einen festen Preis bekommen. Sie entwickelte ein System, wie sich Freiwillige zur Unterstützung der Kommune melden konnten – zum Essenkochen die Leute auf dem Schlachtfeld, zur Versorgung der Verwundeten, also die ganze praktische, unterstützende Organisation.

Wofür sich Elisabeth Dmitrieff im Unterschied zur Gruppe um Leo gar nicht interessiert hat, war das Geschlechterverhältnis oder die feministischen Debatten und Theorien der Zeit. Das lag nicht nur an ihrem jungen Alter, sondern auch an ihrer Herkunft aus der russischen Aristokratie. Die meisten Russinnen, die nach Europa kamen, hatten einen aristokratischen Hintergrund – Bäuerinnen konnten nicht ausreisen und einen Mittelstand gab es in Russland nicht. Das heißt, die bürgerlichen Probleme einer Ideologie der „getrennten Sphären“, die in Westeuropa und vor allem in Frankreich diskutiert wurden, waren in Russland kein Thema. Dort verliefen die gesellschaftlichen Differenzen nicht entlang der Geschlechterdifferenz sondern zwischen Aristokratie und häufig noch leibeigenen Bauern.

So hatte Elisabeth Dmitrieff kein Verständnis für André Léos Kritik an der Kommune, sie gehörte eher zu denen, die auf Zusammenhalt gegenüber dem äußeren Feind pochten und interne Kritik tendenziell für Verrat hielten. Dagegen warfen Frauen aus dem Montmartre-Komitee Elisabeth Dmitrieff vor, dass sie sich vollkommen gehorsam gegenüber der Kommuneregierung verhält. Manche vermuteten sogar, sie wäre ein Spitzel. Leider sind diese Differenzen nicht richtig ausdiskutiert worden, denn schon nach 71 Tagen war das Ganze zu Ende. Zum Schluss haben alle Seiten wieder zusammen auf den Barrikaden gekämpft, haben zusammen verloren, sind zusammen verurteilt worden.

Eine strukturelle Differenz feministischer Analyse liegt meines Erachtens in der folgenden Frage: Soll man die Frauen im Sinne der Revolution organisieren und für diese gewinnen, so wie es die Union des Femmes tat? Oder sollen sich die Frauen im Sinne des Feminismus organisieren – und dann sehen, ob das mit der Revolution der Männer zusammengeht oder nicht? Ist die Frauenbewegung also eine autonome Organisation oder ist sie eine Unterabteilung der Revolution? Man müsste über die Diskussion dieser Fragen, die ja bis heute virulent sind, noch viel mehr forschen, und man müsste sich ähnliche Situationen in anderen Kontexten anschauen – leider ist das bislang nicht ausreichend passiert. Hat diese Gegenüberstellung auch etwas mit dem Gegensatz von Anarchismus und Marxismus zu tun? Auch das wäre mal eine interessante Forschungsfrage.

Zu welchem Schluss?

Wir wissen wie die Geschichte der Pariser Kommune ausgegangen ist. Es gab Barrikaden, viele sind ermordet worden, als die Regierungstruppen die Stadt eroberten. Auch Frauen kämpften auf den Barrikaden – insbesondere an der Place Blance. Viele sind gestorben, viele andere sind geflohen oder wurden deportiert, so wie Louise Michel und Nathalie Lemel, die gemeinsam in die französische Kolonie Neukaledonien im Südpazifik verschifft worden. Vielen gelang die Flucht in die Schweiz, auch André Léo und Elisabeth Dmitrieff. Léo wurde dort zu einem führenden Kopf der Juraförderation, dem anarchistisch geprägten Flügel der IAA, der eine Gegenbewegung zum Zentralrat der IAA bildete. Sie hat im Anschluss an die Kommune weiter versucht, Brücken zu den liberalen Republikanern zu bauen, indem sie vor bürgerlichem Publikum Vorträge über die Kommune und ihre Ideale hielt. Sie warf den Republikanern vor, sie hätten die Kommune im Stich gelassen und dadurch eine Mitschuld am Widererstarken der Monarchien und an einer Radikalisierung der Arbeiterbewegung, insbesondere der anarchistischen. Das war sehr mutig, denn zu dieser Zeit herrschte in Europa regelrechte Sozialismus-Panik.

Elisabeth Dmitrieff ging am Ende wieder zurück nach Russland, wo sie sich kaum noch politisch engagierte. Sie war von der Niederlage der Kommune sehr desillusioniert.

Wenn es eine Moral von der Geschichte gibt, dann besteht sie vielleicht in dem, was Louise Michel daraus folgerte. In ihrem Buch über die Pariser Kommune schildert sie ein Gespräch, das sie mit Nathalie Lemel auf dem Schiff nach Neukaledonien führte – wir erinnern uns, Natalie Lemel war die Mitkämpferin von Elisabeth Dmitrieff, es war also ein Gespräch über die Konfliktlinien unter Feministinnen hinweg. Michel schreibt:

„Wenn eine Macht etwas ausrichten könnte, dann wäre es die Commune gewesen, diese   Verbindung von intelligenten, mutigen und unglaublich ehrenhaften Männern, die allesamt,    ob erst seit Kurzem oder seit Langem schon, unbestreitbare Beweise ihrer Aufopferung und    ihrer Tatkraft geliefert hatten. Sie wurden von der Macht zerbrochen, die ihnen nichts  anderes mehr ließ, als den unumstößlichen Mut, sich zu opfern, und sie starben als Helden.  Denn die Macht ist verflucht, und das ist der Grund, warum ich Anarchistin bin.“ (Louise Michel: Die Pariser Commune. Mandelbaum Verlag 2020, S. 162)

Michels Geliebter Théophile Ferré – Mitglied im Kommunerat, Blanquist und einer von denen, die André Léo oft kritisierte – war unmittelbar nach der Kommune erschossen worden. Selbst betroffen von der Brutalität der Gegenrevolution schlussfolgerte sie, dass Machtpolitik (wie unter anderem Ferré sie ausgeübt hatte) nicht dazu verhelfen kann, eine freiheitliche Gesellschaft aufzubauen. Stattdessen, so Michel, muss es die direkte Aktion sein: Das unmittelbare Organisieren des Alltags in einem revolutionären Sinn. Nachdem Michel nach einer Amnestie 1880 nach Frankreich zurückkehren konnte, reiste sie durch die Welt und verbreitete diesen Gedanken.

Heute kann man sich in Paris auf Spurensuche nach diesen Frauen begeben. Fast alle haben da ein Schildchen – außer André Léo, merkwürdigerweise. Aber es gibt einen Square Louise Michel, einen Place Elisabeth Dmitrieff, einen Place Nathalie Lemel. Ich wünsche mir, dass es auch einen Place André Léo gäbe. Sie ist diejenige, die zu Unrecht am meisten vergessen wird. Ich fände es gut, wenn ihre Texte auch einmal auf Deutsch oder Englisch erscheinen würden. Denn es steckt sehr viel Weisheit in ihnen. Ich freue mich auf die Diskussion