Antje Schrupp im Netz

Mädchen und Pädagoginnen in Genderzeiten

Vortrag beim Kongress »Mädchenarbeit in Genderzeiten« der Mädchenarbeit in NRW am 15.10.2008 in Villigst. In Auszügen abgedruckt in: Feminismus und Mädchenarbeit – Duell oder Duett? Schriftenreihe zur Mädchenarbeit und Genderkompetenz in Sachsen, 26/2011.

Ich bin Politikwissenschaftlerin und Journalistin, spreche hier also nicht aus der Praxis der Mädchenarbeit heraus, die ich nämlich nicht kenne, sondern als eine Denkerin, die sich mit der Ideengeschichte des Feminismus beschäftigt. Ich kann Ihnen also keine Handlungsstrategien oder konkrete Ratschläge geben, sondern nur einige Überlegungen anbieten über die Bedeutung und den Sinn von Aussagen, die Frauen über die Welt treffen, über das Wirken weiblicher Freiheit und die politische Praxis der Beziehungen unter Frauen. Inwiefern diese Gedanken für Sie in Ihrer täglichen Arbeit von Nutzen sind, das können nur Sie selbst wissen, und ich bin schon gespannt auf die Diskussion nachher.

Die Debatte über die jungen Frauen und die Frage, was sie vom Feminismus haben beziehungsweise wozu eine geschlechterbewusste Perspektive auf die Welt heute, in Zeiten der Emanzipation und Gleichstellung, eigentlich noch notwendig ist, ist im vergangenen Jahr ganz überraschend wieder aufgeflammt. Dabei ging es für meinen Geschmack etwas zu viel um die Nützlichkeit der Frauen. Das ist ja ein altes Thema, das immer aufs Tablett kommt, wenn in der Gesellschaft über Frauen diskutiert wird, und wir hatten das in letzter Zeit vor allem in der Demografiedebatte, wo wieder mal darüber geklagt wurde, die Frauen würden nicht genug Kinder kriegen.

Dies, wie gesagt, ist nichts Neues. Was mich eher beunruhigt, das ist die Tatsache, dass dieses Argument der Nützlichkeit der Frauen auch mit quasi emanzipatorischen Vorzeichen verwendet wird. Nach dem Motto: Der Frauenanteil in Firmen und Unternehmen muss erhöht werden muss, damit die deutsche Wirtschaft international konkurrenzfähig bleibt. Heutzutage sollen sich Frauen also nicht nur in der Familie nützlich machen, sondern auch in der Wirtschaftswelt.

Gerade junge Mädchen sind sehr von diesen Fragen geprägt. Sie werden mit der unausgesprochenen, aber überall latent vorhandenen Erwartung konfrontiert, dass sie funktionieren sollen im Hinblick auf höhere Ziele der Allgemeinheit, und da macht es meines Erachtens keinen prinzipiellen Unterschied, ob man sie nun auf ihre Aufgabe als Leistungsträgerinnen einer globalisierten Wirtschaft anspricht oder zu Hüterinnen traditioneller weiblicher Werte und Beziehungskultur erziehen will.

Das Funktionieren der Frauen war schon immer der größte Gegner der weiblichen Freiheit. Was ich daher, jenseits aller inhaltlichen Positionen, derzeit für das Allerwichtigste halte, das ist ein Perspektivenwechsel, der die Freiheit der Frauen ins Zentrum stellt. Also glockenklar deutlich macht, dass es dem Feminismus und der Frauenbewegung nicht darum geht, den Kapitalismus zu verbessern oder die Demokratie durchzusetzen oder Lobbyarbeit für Fraueninteressen zu machen, sondern darum, folgende Fragen ins gesellschaftliche und öffentliche Bewusstsein zu holen: Was wünschen sich Frauen, welche Vorstellung haben sie von einem guten Leben für alle, welche Werte verfolgen sie? Wie können sie ihre Wünsche und ihr Wollen in den öffentlichen Diskurs einbringen, sie Männern und anderen Frauen vermitteln und also in die Welt bringen? Dass solche Fragen sehr viel mit dem Arbeitsfeld der Mädchenpädagogik zu tun haben, liegt wohl auf der Hand.

Was mich bewegt, ist also, in anderen Worten, die Frage nach der weiblichen Autorität und dem weiblichen Begehren. Angeregt durch die Thesen italienischer Feministinnen verstehe ich die Beziehungen unter Frauen als Kernpunkt der Frauenbewegung, und zwar vor allem die Beziehungen zwischen Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit. In Deutschland wurde das unter dem Stichwort »Affidamento« diskutiert, das heißt »sich anvertrauen« und bedeutet, dass sich eine Frau mit ihrem Begehren und ihren Wünsche einer anderen Frau »anvertraut«, der sie Autorität zuspricht und von der sie sich Unterstützung verspricht, und aus dieser Wechselbeziehung von weiblichem Begehren und weiblicher Autorität heraus werden Frauen in der Welt handlungsfähig. Weibliche Autorität ist immer dann da, wenn es eine Antwort auf ein Begehren einer Frau gibt, wenn eine Vermittlung gelingt zwischen diesem Begehren und der Welt, so wie sie vorgefunden wird.

Dies ist eine Perspektive, die in den Beziehungen unter Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit den Motor für eine Veränderung der Welt sieht und nicht zum Beispiel in politischen Forderungen oder Wünschen, die an »die Männer« gerichtet werden. Weibliche Freiheit kommt nicht zustande durch gleiche Rechte, die Abwesenheit von Diskriminierung oder die Integration der Frauen in historisch männliche Institutionen, sondern nur durch die Arbeit an einer symbolischen Ordnung, die in einem viel weiteren Sinne die Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche hinterfragt.

Freies Frausein lässt sich weder mit einer Festlegung auf angeblich natürliche oder Gott gewollte Weiblichkeit vereinbaren, noch mit einer Angleichung der Frauen an das Männliche. Die Liebe der Frauen zur Freiheit äußert sich vielmehr darin, dass Frauen mit Autorität sprechen und ihre Wünsche und Erfahrungen selbstbewusst in die gesellschaftlichen Debatten einbringen, auch wenn sie sich von den Werten und Vorstellungen sowohl der Männer als auch der Mehrheit der anderen Frauen unterscheiden.

Es liegt auf der Hand, dass gerade in pädagogischen Beziehungen zwischen erwachsenen Frauen und Mädchen diese Frage nach dem Begehren und der Autorität eine große Rolle spielt. Wenn wir davon ausgehen, und das müssen wir, wenn wir die Ideen der weiblichen Freiheit ernst nehmen, dass es keine allgemein verbindlichen Vorstellungen davon geben kann, was eine Frau zu sein oder zu wollen hat, dann kann die Aufgabe pädagogischer Mädchenarbeit auch nicht darin liegen, bestimmte Verhältnisse für die Frauen durchsetzen zu wollen. Sondern es kommt darauf an, eine Antwort zu finden auf das, was Mädchen begehren, was sich aber in einer Welt, die mit dem Begehren der Frauen nach wie vor nicht viel anfangen kann, nicht leicht umsetzen lässt.

Welche Lebensentwürfe haben junge Frauen heute, welche Sehnsüchte, Wünsche, Vorhaben und Ideen für die Welt? Diese Frage ist eigentlich schon falsch gestellt, denn junge Frauen wollen natürlich das, was alle Menschen wollen: jede etwas anderes. Wozu sich aber durchaus etwas sagen lässt, das sind die Rahmenbedingungen, unter denen junge Frauen heute aufwachsen und in der Welt tätig werden – und diese unterscheiden sich durchaus von denen früherer Frauengenerationen und auch von denen der Männer.

Die Tatsache, dass eine junge Frau eine Frau ist, ist jedenfalls auch im Zeitalter der Emanzipation keineswegs bedeutungslos. »Du bist ein Mädchen« sagt alle Welt von klein auf zu ihr, das ist heute nicht anders als ehedem. Allerdings hat sich die Bedeutung dieser Information sehr gewandelt, und zwar in Richtung auf mehr Uneindeutigkeit. War sich die Welt der Erwachsenen noch vor wenigen Jahrzehnten ziemlich einig darüber, was aus dieser Feststellung »Du bist ein Mädchen« konkret zu folgen hätte, so ist eine junge Frau heute mit einer Vielzahl von teilweise widerstrebenden Erwartungen, Befürchtungen, Zuschreibungen konfrontiert.

Wahrscheinlich ist auch sie, wie Generationen vor ihr, mit Puppen beschenkt und zu Fürsorglichkeit erzogen worden. Will sie dann aber beim »Girls Day« einen Schnuppertag im Kindergarten machen, gibt es vermutlich eine Lehrerin, die ihr stattdessen die Autowerkstatt schmackhaft machen will. Die Schülerin lernt also, dass ihre spontanen Wünsche nicht einfach ihre Wünsche sind, sondern Teil einer sehr komplizierten Angelegenheit: Zum Beispiel haben die Erwachsenen die Welt so organisiert, dass eine Erzieherin weniger verdient als ein Automechaniker. Außerdem stellt sich die Frage, ob ihr Wunsch echt oder anerzogen ist. Aus solchen Dilemmata gibt es keinen Ausweg. Das individuelle Begehren junger Frauen ist belastet mit einer Geschichte der Geschlechterhierarchien, deren Auswirkungen noch immer zu spüren sind.

Was mich in derzeitigen Diskussionen über einen neuen Feminismus so erschreckt, ist, dass immer noch darüber geredet wird, was die Frauen, oder auch die jungen Frauen, angeblich wollen oder nicht. Zwar gehört es inzwischen zum guten Ton, auch die Unterschiedlichkeit von Frauen zu betonen, aber dies bleibt doch weithin nur ein Lippenbekenntnis. Wovon viel die Rede ist, das ist Diversity, also es wird gesehen, dass Frauen zu verschiedenen Kulturen, sozialen Schichten, Religionen oder ethnischen Gruppen gehören. Aber das ist eine sehr soziologische Sicht, die einzelne Frau steht immer noch für eine bestimmte »Sorte« Mensch, die Muslimin, die Deutsche, die Lesbe, die Tochter einer Hartz-IV-Familie, was auch immer. Diese Art von Diversity ist nicht die Differenz der Frauen, die ich meine, sie ist eher wie die bunte Vielfalt von Merci, zwar schmeckt die eine nach Haselnuss und die andere nach Zartbitter, aber es ist doch alles Schokolade.

Die Differenz, die weibliche Autorität ermöglicht und damit Weltveränderung im Sinne weiblicher Freiheit, beschreibt eine andere Differenz, nämlich die, wodurch eine Frau sich von der Mehrheit der anderen Frauen gerade unterscheidet. Die ersten Frauen, die das Wahlrecht forderten, sprachen ja auch keineswegs für die Mehrheit der Frauen. Aber sie hatten ein starkes Begehren, und sie trauten sich etwas zu. Das Begehren der Frauen erkennen wir nicht mit Hilfe von Statistiken oder soziologischen Befunden, sondern nur in einer konkreten Beziehung zu ihr.

Autorität in der Beziehung zwischen Pädagogin und einem ihr anvertrauten Mädchen kommt deshalb auch gerade nicht dadurch zustande, dass sich die Pädagoginnen oder die Einrichtungen bemühen, das zu tun und zu sagen, was den Mädchen gefällt und Spaß macht. Erziehung ist nicht dasselbe wie der Verkauf eines Produktes, bei dem man sich an definierte Zielgruppen richtet und versucht, ihren Geschmack möglichst gut zu treffen. Sondern hier ist ein »Mehr« im Spiel, eine Differenz, die unter Umständen auch konfliktreich sein wird. Deshalb führt die Frage nach dem, »was die Mädchen wollen«, leicht in die Irre. Es kommt nämlich mindestens genauso darauf an, was die Pädagogin will, denn auch sie ist eine Frau, die begehrt.

In der Beziehung zu einer jungen Frau ihre Individualität zu sehen, heißt auch, dass sich ihre jeweiligen Wünsche nicht vereinnahmen lassen für eine politische Strategie. Ob zum Beispiel eine junge Frau, die Verkäuferin oder Friseurin werden möchte, diesen Wunsch tatsächlich hat, oder ob sie das nur sagt, weil sie sich nichts anderes zutraut, oder ob sie ein Kopftuch trägt, weil sie auf diese Weise eine religiöse Position beziehen möchte, oder ob sie das tut, weil sie familiäre Konflikte scheut, das lässt sich schlechterdings nicht allgemein entscheiden. Die einzige Möglichkeit, das herauszubekommen, ist, mit dieser konkreten jungen Frau in eine Beziehung zu treten.

Kürzlich machte mich eine Mädchenpädagogin, mit der ich mich über diese Tagung unterhielt, darauf aufmerksam, dass derzeit unter ihren Kolleginnen sehr häufig von der großen Power und dem großen Selbstbewusstsein der heutigen Mädchen heute die Rede sei. Dies ist sicher richtig, insofern es eine wichtige Veränderung beschreibt im Vergleich zu früheren Generationen. Aber sie war besorgt, weil sie in ihrer Arbeit konkret feststellt, dass durchaus nicht alle Mädchen so tough und stark sind. Dieser Widerspruch liegt meiner Ansicht nach nicht nur in der individuellen Unterschiedlichkeit junger Frauen oder in der soziologischen Differenz begründet – etwa zwischen gut gebildeten Mädchen der Mittelschicht und benachteiligten Mädchen der Unterschicht. Es ist, glaube ich, nicht so, dass manche Mädchen schon stark und emanzipiert sind, andere jedoch nicht, auch wenn solche Unterschiede sicher eine Rolle spielen. Das eigentliche Problem liegt tiefer und betrifft alle Mädchen, eigentlich uns alle Frauen: In gewisser Hinsicht sind wir stark und selbstbewusst und haben uns vom früheren »Opferdiskurs« weit entfernt. Andererseits aber sind wir noch immer schwach und einflusslos, ohne aber so recht zu wissen, woran das eigentlich liegt. Ich zum Beispiel empfinde das im Hinblick auf die Erfolge der Frauenbewegung so: Einerseits haben wir viel erreicht, sind gleichberechtigt, persönlich möglicherweise erfolgreich und fühlen uns nicht mehr aufgrund unseres Frauseins minderbemittelt. Andererseits aber müssen wir feststellen, dass es nicht gelungen ist, wesentliche Kernpunkte des Feminismus in den gesellschaftlichen Mainstream hineinzubringen und im allgemeinen Bewusstsein zu verankern.

Die neue Stärke und das Selbstbewusstsein der Mädchen – und der Frauengenerell – auf der einen Seite und ihre Unsicherheit und Orientierungslosigkeit im Bezug auf das eigene Frausein auf der anderen sind häufig gleichzeitig vorhanden, vermischen sich und schließen einander keineswegs aus. Deshalb brauchen Mädchen auch sowohl Ermutigung und Bestärkung auf ihrem selbstbewusst-emanzipierten Weg als auch die kritische Infragestellung ihres Handelns, vor allem dann, wenn sie zum Konformismus neigen, wenn sie versuchen, an sie gestellte Rollenerwartungen zu erfüllen und also »zu funktionieren«, um Konflikte zu vermeiden, was ja eine alte Versuchung der Frauen ist. Dies geht meines Erachtens nur in der persönlichen Beziehung, der konkreten Auseinandersetzung in einer jeweiligen Situation, in der auch die Pädagogin selbst nicht nur in ihrer beruflichen Rolle, sondern auch als Person, als Frau, zugegen ist, also urteilt und für dieses Urteil auch persönlich einsteht.

Eine guter Ausgangspunkt dabei könnte die Frage sein: Ist das Mädchen, ist die junge Frau, glücklich? Ist der Weg, für den sie meine Hilfe sucht, wirklich einer, der aus ihrem eigenen Begehren heraus kommt, oder will sie damit die Erwartungen anderer erfüllen? Will sie das nur, weil sie glaubt, sie muss, oder ist es ihr eigener Weg? Wofür schlägt ihr Herz? Und: Was habe ich, das ihr auf diesem Weg helfen könnte? Auf welche Gefahren muss ich sie hinweisen? Wo lügt sie sich eins in die Tasche?

Weibliche Autorität verschafft dem Urteil von Frauen einen Platz in der Welt, sie befreit das Begehren, damit es nicht unsortiert und chaotisch oder gar zerstörerisch im Inneren der einzelnen Frau eingesperrt bleibt. Eine solche Autorität hat nichts mit Macht zu tun. Macht ist abhängig von der Mehrheitsmeinung. Macht gerinnt in Positionen und Status, sie muss nicht ständig neu ausgehandelt werden. Macht ist ein Status, den man einklagen, auf den man sich berufen kann. Autorität hingegen braucht keine Mehrheiten. Sie braucht nur die Beziehung zwischen zwei Frauen. Deshalb macht sie sogar von der Macht in gewisser Weise unabhängig und kann sie aushebeln – ich kann zum Beispiel einer Frau Autorität zusprechen, die von der Mehrheit überhaupt nicht anerkannt ist, die aber Antworten auf mein Begehren hat, die mir hilft, mit meinen Wünschen und Absichten in der Welt zu handeln.

Die Autorität einer Pädagogin kann ein Mädchen darin bestärken, sich gegen Machtverhältnisse etwa bei der Arbeit oder in der Familie zu behaupten – und damit meine ich nicht, dass die Pädagogin unter Umständen eine Gegenmacht darstellt, etwa wenn sie gegen den schlagenden Vater die Polizei ins Feld führt, auch wenn das im Einzelfall wichtig sein kann. Sondern ich meine, dass die Pädagogin mit ihrem Urteil dem Mädchen andere Kriterien und Maßstäbe anbietet, so dass sich das Mädchen mit seinen Wünschen nicht mehr allein fühlen muss und daraus vielleicht eine innere Stärke entwickelt, was seine Möglichkeiten, sich in widrigen Umständen zu behaupten, erweitert.

Was die Arbeit einer feministischen Mädchenpädagogik derzeit wohl erschwert ist, dass der Feminismus als solcher unter jungen Frauen keine große Autorität genießt. Das liegt meiner Ansicht nach auch daran, dass Feministinnen allzu häufig selbst die Autorität und Verantwortung anderen zugesprochen haben, den Männern, dem Staat, den anderen, die Schuld sind an der schlimmen Lage der Frauen. Was die Analyse betrifft, so mag dies in weiten Teilen richtig sein. Doch es hilft den jungen Frauen natürlich nicht weiter. Anstatt mit Autorität zu sprechen und gewissermaßen die Position der Älteren einzunehmen, die gesellschaftlich einflussreich sind, Verantwortung tragen und etwas tun können, haben Feministinnen zu oft die Position der Wütenden, der Jungen, übernommen, die anklagen und Forderungen stellen. Forderungen stellen und wütend sein können die Mädchen aber selbst. Was sie brauchen, das ist jemand, an den sie sich mit diesen Forderungen und Wünschen wenden können.

Ich möchte dies deutlich machen an einem Beispiel, das meiner Beobachtung nach viele junge Frauen beschäftigt (inwiefern sie auch schon Mädchen beschäftigt, das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht, weil ich mit Mädchen wenig zu tun habe). Ich meine die Frage nach den Beziehungen zwischen Frauen und Männern. Gute Beziehungen zu Männern zu haben, ist ja bekanntlich ein großes Begehren gerade junger Frauen und ein wichtiger Grund für ihre Ablehnung des Feminismus, dem sie nämlich unterstellen, die Beziehungen zwischen Frauen und Männern geschädigt zu haben. In der Tat ist die Praxis des Separatismus häufig problematisch gewesen und hat der Feminismus häufig zu einseitig die Probleme thematisiert, die es da vor allem auf Seiten der Männer gibt.

Mein Vorschlag wäre, mehr darüber zu reden, wie es gerade feministischen Frauen gut gelingt, Beziehungen mit Männern zu haben. Kürzlich war ich bei einer Diskussion in einem Frauenzentrum, und es kam genau diese Frage auf, gestellt von einer Frau mit nicht-deutschem kulturellen Hintergrund (auch Migrantinnen unterstellen der westlichen Frauenbewegung ja oft, sie würde die Beziehungen zu den Männern schädigen). Die deutschen Feministinnen fingen auch sofort an, die Fragestellerin zu belehren, dass nämlich keineswegs die Frauen die Beziehungen mit den Männern aufgekündigt hätten, sondern dass andersrum die Männer nicht fähig seien, Beziehungen mit emanzipierten Frauen zu haben. Das wird sicher in dem ein oder anderen Fall so sein, neuerdings werden ja auch gerne Studien zitiert, wonach gut ausgebildete Frauen Schwierigkeiten zu haben, Männer für eine Lebenspartnerschaft zu finden und so weiter. Aber das ist natürlich eine fatale Argumentation, denn sie lässt ja nur eine Alternative offen: Entweder bin ich emanzipiert, oder ich habe gute Beziehungen zu Männern. Ist es das, was wir junge Mädchen lehren wollen?

Ich habe daraufhin mal in die Runde gefragt, wie es denn bei uns selber ist, und in der Tat: Im Privaten hatten fast alle der anwesenden Feministinnen sehr gute Beziehungen zu Männern, und viele lebten schon seit Jahrzehnten in einer heterosexuellen Partnerschaft. Es ist also rein empirisch gar nicht wahr, dass Feministinnen schlechte Beziehungen zu Männern haben, sie haben im Gegenteil gute Beziehungen zu ihnen. Und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie bessere haben als die Mehrzahl der nicht-feministischen Frauen, über deren schier unendlich aufreibende Probleme mit den Männern in den Frauenzeitschriften ja so ungeheuer viel geschrieben wird.

Könnte unsere Botschaft an die Mädchen heute nicht sein: Werdet Feministinnen, dann kommt ihr auch besser mit den Männern klar? Das ist natürlich etwas überspitzt gesagt. Aber es wäre vielleicht mal ein spannendes Forschungsprojekt: Dass Feministinnen sich darüber austauschen, wie es ihnen gelingt, gute Beziehungen zu Männern zu haben, und dass sie sie daraus Ratschläge und Hilfestellungen für Mädchen und Frauen erarbeiten würden, die unter schlechten Beziehungen zu Männern leiden und daran etwas verändern möchten. Könnten nicht Pädagoginnen, die mit dem Liebeskummer von Mädchen konfrontiert sind – ich weiß gar nicht, sind sie das? – Geschichten erzählen von glücklichen Paaren und gelingenden Geschlechterbeziehungen?

Eine solche auf Autorität basierende pädagogische Beziehung zwischen Mädchen und erwachsenen Frauen ist heute jedoch dadurch erschwert, dass das Sprechen über die Bedeutung des Frauseins sehr von einer soziologischen Sichtweise dominiert ist. Zur Autorität gehört, dass das Frausein eine Rolle spielt, dass sich Pädagogin und Mädchen sozusagen »von Frau zu Frau« begegnen. Das Wort »Frau« wird aber heute immer noch meist in einem soziologischen, und das heißt, in einem unfreien Sinne benutzt, was es sehr schwierig macht, darüber zu sprechen.

Die Soziologie beschäftigt sich ja – anders als die Philosophie oder die Politikwissenschaft – mit dem Handeln von Menschen, insofern sie sozialen Gruppen angehören. Der gesamte Ansatz des Gender Mainstreaming zum Beispiel betrachtet die Unterschiede der Geschlechter vor dem Hintergrund statistischer (und damit eben gerade nicht individueller) Befunde: das Verhalten von Frauen und Männern wird aufgrund von Mehrheitsverhältnissen gegeneinander abgewogen. Diese Sichtweise bedeutet von vornherein, das Handeln von Frauen im Vergleich zu dem von Männern zu betrachten und zu interpretieren.

Das einzelne Mädchen empfindet sich selbst aber natürlich keineswegs vorrangig als Angehörige einer bestimmten Geschlechtskategorie. Auch dann nicht, wenn es sich so verhält, wie die Mehrheit der Frauen, ihr Handeln also den soziologischen Befunden entspricht. Zum Beispiel sagte kürzlich eine junge Frau empört bei einer Diskussionsveranstaltung: »Wenn ich mich entscheide, wegen meiner Kinder auf Teilzeit zu gehen, dann tue ich das doch nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich Ich bin.« Ähnlich genervt reagierten viele junge Frauen, wenn sie das Wort »Frau« allein schon hören. Und zwar zu Recht, weil das Frausein im allgemeinen Sprachgebrauch noch immer bedeutet, auf bestimmte Inhalte festgelegt zu werden, nur dass es heute keine biologischen, sondern soziologischen sind. In so einem Umfeld haben Pädagoginnen es natürlich schwer, das Frausein zu thematisieren, ohne von den Mädchen in diesem Sinne missverstanden zu werden.

Wie können wir also den offensichtlichen Unterschieden zwischen den Geschlechtern eine Bedeutung geben, ohne damit die Freiheit der einzelnen Frau zu untergraben, sie selbst zu sein, also unter Umständen gerade etwas anderes zu tun als die Mehrheit ihrer Geschlechtsgenossinnen? Im politischen Diskurs ist eine Möglichkeit, die ich gerne wähle, die, nicht von den Frauen zu sprechen (oder auch von den Männern), sondern Relationen hervorzuheben: Mehr Frauen als Männer wünschen sich Kinder, mehr Männer als Frauen streben berufliche Führungspositionen an und so weiter. Dass es für all das immer auch Gegenbeispiele gibt, und möglicherweise sogar viele, versteht sich also von selbst.

Eine zweite Schwierigkeit kommt im Selbstverständnis junger Frauen heute hinzu: und zwar die, dass die realen Unterschiede der Geschlechter nicht mehr eingebettet sind in eine Propaganda der weiblichen Unterordnung, sondern in das Versprechen der Gleichheit. Die Generation der heute jungen Frauen ist die erste, die in Zeiten vollkommener Gleichberechtigung aufgewachsen ist. Nicht nur gab es zu ihren Lebzeiten keine Gesetze mehr, die ihnen aufgrund ihres Frauseins irgendetwas vorschreiben oder verbieten wollten. Sie haben – und das unterscheidet sie von meiner eigenen Generation der heute um die Vierzigjährigen – auch ganz überwiegend Eltern, Lehrerinnen und andere Erwachsene erlebt, die ihrerseits die Gleichberechtigung der Geschlechter ebenfalls schon für selbstverständlich hielten. Das gilt im Übrigen auch für die meisten jungen Frauen aus Migrationsfamilien – dass es allerdings für viele von ihnen auch nicht gilt, ist ein eigenes Thema, das nicht zufällig in der öffentlichen Debatte hohe Wogen schlägt.

Es ist also kein Wunder, dass das Ideal der Gleichheit einen sehr hohen Stellenwert in den Lebensentwürfen junger Frauen hat: Sie wünschen sich Berufe, in denen die Arbeit von Kooperationen und nicht von Hierarchien geprägt ist. Sie wollen, dass nicht nur erwachsene Paare, sondern auch Eltern und Kinder partnerschaftlich miteinander umgehen. Es scheint fast, als wollten sie aus der Erfolgsgeschichte der Frauenbewegung, die ja die Gleichheit von Frauen und Männern gesellschaftlich verankert hat, gewissermaßen das Modell schlechthin für alle Lebenslagen machen.

Das Problem daran ist nur, dass die Gleichheit durchaus zwiespältig daherkommt. Schon 1974 warnte die italienischen Philosophin Carla Lonzi vor diesem Dilemma. Sie schrieb: »Die Gleichheit der Geschlechter ist heute das Gewand, mit dem sich die Unterordnung der Frau tarnt.«

Und damit hat sie recht, denn die Gleichheit ist längst zum Argument derer geworden, die weibliche Autorität zurückweisen. Ich habe ein konkretes Beispiel, in dem das schön deutlich wird: In einem Internetforum fand ich kürzlich den Beitrag eines Bloggers namens »Franklin«, der sich über einen Vortrag lustig machte, in dem ich das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bei der unbezahlten Fürsorgearbeit behandelt hatte. Er schrieb: »Frauen ziehen also immer noch den Kürzeren. Sie müssen sich um Kinder, Alte und Haushalt kümmern (die Haustiere hat sie dabei noch vergessen). Wer sagt eigentlich, dass sie müssen ? Wer zwingt sie dazu? Das Patriarchat, verkörpert durch den Herrn und Gebieter daheim?« Natürlich hat Franklin mit diesen Beobachtungen recht. Nein, die Frauen müssen nicht. Welche Bedeutung hat es, dass sie es trotzdem machen? Und was folgt daraus?

In der Logik der Gleichheit folgt daraus – und das ist ja auch der Schluss, den Franklin zieht – dass Frauen selbst daran schuld sind, wenn sie zum Beispiel beruflich ins Hintertreffen geraten, weil sie wegen der Kinder einige Jahre Teilzeit gearbeitet haben. Sie hätten ja nicht gemusst. Es zwingt sie ja niemand dazu.

Insofern ist die Abwesenheit von Diskriminierung durchaus ein Problem für die weibliche Freiheit. Denn in einem geschlechtsneutralen Diskursrahmen gibt es dann keine Möglichkeit mehr, die eigene Differenz in Worte zu fassen. Wenn Frauen nicht dasselbe machen wie Männer, dann müssen sie eben mit den Konsequenzen leben. In ihrem Handeln ein politisches Urteil zu sehen, das über die Logik der bereits vorgefundenen und historisch männlichen Ordnung hinausführt, kommt uns gar nicht in den Sinn. Wenn wir das Handeln der Frauen aber nur als Unvermögen des Opfers, der Benachteiligten interpretieren, heißt das, dass es für uns keinerlei Autorität hat. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum viele Frauenpolitikerinnen so häufig über nach wie vor bestehende Benachteiligungen von Frauen sprechen. Ich möchte nicht bestreiten, dass es diese Benachteiligungen noch gibt, aber ich glaube nicht, dass sie der wesentliche Kern dessen sind, was heute weibliche Freiheit behindert. Sondern das wesentliche Problem ist das Fehlen weiblicher Autorität, was dazu führt, dass Frauen, die die Welt gestalten wollen, allzu häufig dazu neigen, ihr eigenes Frausein zu verleugnen. Dass sie zum Beispiel männliche Berufsbezeichnungen nutzen oder auf andere Weise die Tatsache ihres Frauseins auf andere Weise herunterspielen oder für unwichtig erachten. Aber das führt natürlich erst recht dazu, dass weibliche Autorität (die diese Welt gestaltenden Frauen sicher haben) unsichtbar gemacht wird – ein Teufelskreis.

Der Verweis auf die nach wie vor bestehenden Benachteiligungen von Frauen ist auch deshalb problematisch, weil er konkret nicht unbedingt die Lebenssituation von Frauen widerspiegelt. So stimmt es zwar, dass Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer. Aber in der IT-Branche zum Beispiel stimmt es nicht, da verdienen Frauen sogar mehr als Männer. Es stimmt auch nicht, dass Frauen unter Doppelbelastung durch Hausarbeit leiden, das stimmt nur für Frauen, die Kinder haben und einen Haushalt führen. Es ist also nicht mehr möglich, von einer »Lebenslage Frau« zu sprechen.

Unser Dilemma, und, wie ich vermute, auch das der jungen Frauen, ist in gewisser Weise, dass wir uns nicht zugehörig fühlen können. Der allgemeine politische Diskurs legt nach wie vor eine traditionell männliche Werteordnung zu Grunde – was man eben zum Beispiel ganz eindeutig an der Geringschätzung von Haus- und Fürsorgearbeit sieht, aber auch daran, das heute traditionell weibliche Tätigkeitsbereiche wie zum Beispiel die Pflege ganz ungeniert den von Männern entwickelten Maßstäben der Professionalisierung und Ökonomisierung unterworfen werden. Die Gleichheit der Geschlechter ist also das Argument, das den Männern dazu dient, sich selbst weiterhin als Norm zu setzen, und das eben auch noch ohne jedes schlechte Gewissen. Denn den Frauen gestehen sie ja zu, sich zu gleichen Bedingungen daran zu beteiligen. Was kann es dann noch bedeuten, eine Frau zu sein?

Für ältere Frauen ist dies kein so großes Problem, denn sie haben noch die Erinnerung daran, wie es früher anders war. Es ist ihnen sozusagen noch möglich, eine Differenz mit Hinweis auf ihr Frausein zu formulieren., weil sie sich an vergangene, patriarchale Zeiten erinnern. Die jungen Frauen hingegen, mit dem Versprechen und weitgehend auch der Realität der Gleichheit aufgewachsen, wissen nicht, wie sie ihr eigenes Begehren in diesen Diskurs einordnen können. Die Zeiten, in denen Frauen diskriminiert wurden, gehören für sie in den Bereich der Historie, und Geschichte finden junge Leute immer ein bisschen langweilig.

Von ihrer Gleichheit sind sie felsenfest überzeugt und deshalb halten sie es auch bis zu einem gewissen Grad für gerecht, wenn sie als Krankenschwester wenig verdienen. Sie haben es sich ja ausgesucht, sie hätten schließlich auch was anderes werden können. Und in dieser Haltung werden sie noch bestärkt durch all die Girls-Day-Aktionen, die sie ja vorab gewarnt hatten: Sie hätten eben besser Ingenieurin werden sollen. Oder vielleicht sind sie ja auch Ingenieurin geworden. Aber so oder so sucht sie ihren Platz im Rahmen der vorgegebenen Ordnung. Sie wissen nicht, was für ältere, am Patriarchat noch geschulte Feministinnen völlig offensichtlich war, nämlich dass weibliche Freiheit nur möglich ist, wenn wir die symbolische Ordnung selbst verändern.

Die Mädchen von heute sind Frauen, das ist eine existenzielle Tatsache. Aber sie haben dafür in der Logik der Gleichheit keine Sprache. Es wird ihnen versprochen, dass das Frausein nichts mehr bedeutet, aber das stimmt nicht. Dieser Widerspruch führt zur Verunsicherung im Hinblick auf die eigene Identität und macht die Mädchen gewissermaßen symbolisch heimatlos. Vielleicht wäre das auch eine Erklärung dafür, warum so viele junge Frauen sich heute extrem kitschig weiblich inszenieren, zum Beispiel in der Kleidung. Ich sehe darin einen hilflosen Versuch, dem Frausein eine Bedeutung zu geben, wenn auch eine unfreie.

Eine Frau zu sein und dem keine freie Bedeutung geben zu können, kann gerade zu tragisch sein, zum Beispiel, wenn eine Frau sexuelle Gewalt erlebt. Der frühere Opferdiskurs bot den Frauen und Mädchen immerhin eine Erklärung dafür, warum sie sexuelle Gewalt erlebten. Es war gewissermaßen ein kollektives Frauenproblem. Heute sind Frauen emanzipiert, aber die Gewalt gibt es immer noch. Wie können wir damit umgehen? Wie kann es sein, dass emanzipierte, selbstbewusste Frauen Opfer von Gewalt werden? In so einem Fall hilft es nichts, einem betroffenen Mädchen zu erklären, dass Frauen eben noch gar nicht wirklich emanzipiert seien und dass die Welt eben immer noch patriarchal ist. Denn damit trifft man nicht das Problem, das dieses junge Mädchen hat. Und es ist meiner Meinung nach auch tatsächlich falsch. Die Frage ist vielmehr: Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass die Emanzipation, die Gesetze, die Anti-Gewalt-Aufklärung, die Polizeischulungen und all das die Gewalt gegen Frauen nicht aus der Welt geschafft hat?

Wir müssen uns sowohl persönlich als auch politisch der Tatsache stellen, dass auch emanzipierte, starke, selbstbewusste Frauen, die in einem Land leben, das gute Gesetze hat weiterhin mit dem Problem der Gewalt konfrontiert sind. Natürlich können wir die Frauen noch stärker und die Gesetze noch besser machen. Aber die Ursprünge des Problems liegen auch hier im Symbolischen: Der Unterordnung des Weiblichen.

Das ist nur ein Beispiel, an dem ich zeigen will, dass es darauf ankommt, unser Scheitern, unser Unbehagen, unsere Dissidenz im Hinblick auf die Welt, so wie wir sie vorfinden, realistisch einzuschätzen ohne in alte, heute nicht mehr plausible Erklärungsmuster zu verfallen. Es ist ein großer Unterschied, ob eine Frau Opfer sexueller Gewalt wird, die in ein Netz von Beziehungen eingebunden ist, in denen weibliche Autorität zirkuliert, und die ihre Erfahrungen daher verarbeiten und aktiv werden kann, ohne sich selbst die Schuld zu geben, oder ob sie kein solches Netz hat. Aber es bleibt dennoch eine Gewalterfahrung, die auf eine Art und Weise mit der symbolischen Bedeutung des Frauseins verbunden sind, für die befreiende Worte zu finden sind. Und es ist ein Unterschied, ob eine gut ausgebildete, selbstbewusste Frau auf den kapitalistischen Arbeitsmarkt geht oder, wie noch vor einigen Jahrzehnten, eine schüchterne Frau, die eigentlich zur Hausfrau und Mutter erzogen wurde. Aber dennoch bleibt auch bei der ersten eine Distanz zwischen ihrem Begehren, dem Begehren einer Frau, und der Arbeitswelt, so wie sie sie vorfindet. Diese Differenz wartet noch darauf, untersucht und in Worte gefasst und in politisches Handeln umgemünzt zu werden.

Sie sehen, es gibt hier noch viele Leerstellen, und das Falscheste, was man wohl glauben kann ist, dass wir im Hinblick auf den Feminismus oder auch nur die Gleichstellung der Geschlechter schon alle offenen Fragen gelöst hätten. Deshalb ist wohl auch der gegenwärtige politische Diskurs über das Frausein so merkwürdig paradox: auf der einen Seite wird die Gleichheit der Geschlechter betont, auf der anderen Seite unter dem Deckmantel des Gender Mainstreaming ständig angebliche Gegenüberstellungen von Frauen und Männern thematisiert. Ein Paradox, das ich auch häufig innerhalb einzelner Personen feststelle, und zwar sowohl bei Frauen wie auch bei Männern: Dieselbe Person, die einerseits alle politischen Konflikte zwischen Frauen und Männern über Gesetze, also im Paradigma der Gleichheit, lösen will, kann zehn Minuten später aus tiefster Überzeugung neueste Erkenntnisse über unterschiedliche Hirnströme bei Frauen und Männern anführen.

Ich bin der Meinung, beide Haltungen widersprechen der weiblichen Freiheit: Frausein erschöpft sich weder in der Angleichung an das Männliche, noch lässt es sich über das definieren, was die Mehrheit der Frauen tut oder für richtig hält. Und schon gar nicht natürlich über irgendwelche biologistischen Determinanten.

Freies Frausein konstituiert sich in der Beziehung von Frauen zueinander in ihrer Unterschiedlichkeit. Dafür ist es notwendig, die andere nicht auf ihre Lebensumstände zu reduzieren, sondern zu sehen, wo ihr individuelles Begehren liegt und welche Ansprüche sie an mich stellt. Die Beziehung zwischen einer Pädagogin und einem Mädchen wird sozusagen dadurch zu einer feministischen Angelegenheit, dass die beiden sich von Frau zu Frau begegnen. Beide repräsentieren Weiblichkeit, und zwar in diesem Setting höchstwahrscheinlich mit klar definierten Unterschieden im Hinblick auf Alter, Motivation, Ressourcen.

Das Begehren des Mädchens kann sich sowohl auf diese Ressourcen richten – wenn etwa die Pädagogin in einer Einrichtung arbeitet, die dieses oder jenes für das Mädchen tun kann. Wirklich fruchtbar im Hinblick auf einen Austausch zwischen weiblichem Begehren und weibliche Autorität wird diese Beziehung aber nur, wenn sie sich nicht nur auf die Funktion der anderen bezieht, sondern auf ihre Person.

Die Professionalität der Pädagogin heißt dabei, dass sie sich über die unterschiedlichen Lebensumstände der Generationen bewusst ist und nicht ihre eigenen Lebenserfahrungen auf die jüngere Frau überträgt. Aber es gibt eben doch eine gemeinsame Konstante in den Lebenserfahrungen verschiedener Frauengeneration, nämlich die, von der ich anfangs sprach: Dass sie einem Diskurs ausgesetzt sind, dem es nicht um die weibliche Freiheit geht, sondern um die Nützlichkeit der Frauen für die Gesellschaft. Die ambivalente Haltung, die viele junge Frauen (und zwar mehr junge Frauen als junge Männer) der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung entgegenbringen, ist also nicht deren Privatangelegenheit. Sondern sie ist eine Folge unserer reichlich verkorksten Historie von Geschlechterhierarchien, die die Emanzipation keineswegs gelöst und aufgehoben, sondern an vielen Punkten einfach nur verschleiert. Daher geht dieses Unbehagen uns alle an, Frauen und Männer gleichermaßen, und zwar auf der politischen und auf der privaten Ebene.

Indem die Pädagogin sich darüber klar ist, dass sie der jungen Frau gegenüber das Frausein verkörpert, und zwar ein ganz bestimmtes Frausein, nämlich ihres, ist der Dialog öffnet. Das bedeutet, dass es auch auf das Begehren der Pädagogin selbst ankommt. Ihre eigenen Wünsche und Ansichten über weibliches Handeln sind keineswegs geschlechtsneutral professionalisiert und universalistisch, sondern gehören zur ihr als Person. Sie handelt, auch im professionellen Kontext, nicht nur als Repräsentantin einer Institution oder eines Geschlechts, sondern in erster für sich selbst. Sie urteilt, diskutiert und argumentiert ausgehend von ihrem eigenen Begehren. Was sie der jungen Frau anbietet, ist ein – unter Umständen durchaus konfliktreiches – Gespräch. Indem unterschiedliche Ansichten und Wege zwischen Frauen sichtbar gemacht werden, entsteht ein weiblicher Diskussionszusammenhang, der Zugehörigkeit schafft.

Mir wird häufig vorgehalten, mein Vorschlag sei zu individualistisch, würde den Feminismus entpolitisieren und zu einer persönlichen Angelegenheit zweier Frauen machen. Ich sehe das nicht so. Denn es geht in dieser Situation zwar natürlich um zwei konkrete Frauen. Aber das, was diese beiden Frauen miteinander verhandeln, hat Bedeutung für die Gesellschaft insgesamt, es ist also im besten Sinne politisch. Und in einer Gesellschaft, die immer noch darüber diskutiert, wie Frauen sich am besten für die Allgemeinheit nützlich machen sollten, ist es sogar ungeheuer radikal. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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