Antje Schrupp im Netz

Hinduismus im Rhein-Main-Gebiet

O-Ton 1: Wir haben nicht eine bestimmte Richtung, dass man sich auf einen Gott konzentrieren muss. Wir haben mehr als 480.000 Götter und es ist freiwillig, an wen man glaubt und wem man vertraut. Das ist nicht zwanghaft. Jeder kann sich selber aussuchen, was er macht. Auch hier, die Kinder laufen herum, auch die Erwachsenen müssen nicht die ganze Zeit hier sitzen, sie können aber, wenn sie Lust haben und wenn sie überhaupt glauben, dass das der richtige Weg ist, hier reinkommen.

Seit seiner Flucht aus Afghanistan vor elf Jahren ist für Talva Ramish Kumar die hinduistische Gemeinde in Frankfurt zu einer Art Heimat geworden. Wie oft bei ausländischen Glaubensgemeinschaften bietet sie nicht nur einen Ort für Gebet und Spiritualität, sondern auch sozialen Zusammenhalt. Jeden Sonntag treffen sich über hundert Menschen, die oft von weither anreisen, in dem etwas heruntergekommenen Arreal im Frankfurter Industriegebiet. Der Gottesdienstraum ist winzig und bietet doch Raum für zahlreiche Abbildungen und Statuen der verschiedenen Hindugottheiten. Neben kleinen Büroräumen gibt es aber vor allem auch eine Küche, in denen auf großen Töpfen Reis köchelt, Männer und Frauen in traditionellen Gewändern sitzen in Gruppen zusammen, nicht viele von ihnen sprechen deutsch.

Gegründet wurde die hinduistische Gemeinde in Frankfurt 1984 von indischen Geschäftsleuten, die größtenteils schon seit vielen Jahren in Deutschland lebten. Einer davon ist Briij Aurora, der in den sechziger Jahren hier Betriebswirtschaft studiert hat und sich danach als Importeur von indischen Lebensmitteln etabliert hat.

O-Ton 2: Das war unser Grund, warum wir den Tempel gegründet haben, dass die Leute die alte Kultur, ihre alte Heimatsprache nicht vergessen, damit jüngere Leute, wenn die Hindi lernen und in den Tempel gehen, sagen, das ist unser Gott, denn wenn sie hier geboren sind, sagen viele, wir haben keine Ahnung, …. Die müssen darum zusammentreffen , damit sie die alten Sachen von Eltern dann wissen, was ist unsere Religion, was ist Gott, und diese Namen. Das war unser hauptsächlicher Grund, dass unsere nächste Generation nicht alles vergessensoll , was unsere Eltern waren.

Bei ihrer Vereinsgründung schlossen sich die Hindus in Deutschland der indischen Dachorganisation Vishwa Hindu Parishad an. Diese 1964 gegründete Vereinigung zur Förderung der Hindu-Identität wird allerdings von Religionswissenschaftlern sehr kritisch gesehen. Lutz Lemhöfer, Beauftragter für Weltanschauungsfragen im Bistum Limburg:

O-Ton 3: Das ist ein weltweiter Kongress der Hindus, einerseits zur Pflege der Hindukultur überall in der Welt, allerdings auch sehr stark politisch organisiert in Indien selbst. Die Viswa Hindu Parishad hat einen sehr nationalistischen-fundamentalistischen Zugriff, war beteiligt an der Stürmung der Moschee in Ayodhya, vertritt also einen sehr militanten und gegen Christentum und Islam aggressiven Hindu-Nationalismus, und das macht natürlich Sorge.

Brij Aurora als Vorsitzender von Viswha Hindu Parishad Deutschland hält dies jedoch für ein politisches Problem, das mit seinem Gemeindeleben nichts zu tun habe. In der Tat tritt die Vereinigung in Deutschland nicht mit politischen Forderungen auf. Dennoch sind auch hier die Auswirkungen religiöser Konflikte anderswo zu spüren, zum Beispiel, nach der Machtübernahme der islamisch-fundamentalistischen Taliban in Afghanistan. Damals flohen zahlreiche afghanische Hindus in den Westen. Sie stellen derzeit fast die Hälfte der Mitglieder des Frankfurter Hindu-Tempels. Der muslimisch-hinduistische Dialog wird dadurch natürlich nicht leichter. Kontakte suchen die Hindus eher zu anderen östlichen Religionen wie dem Buddhismus oder den Sikhs, im Mittelpunkt steht die Pflege der asiatischen Kultur.

O-Ton 4: Wir haben verschiedene Kulturprogramme, nicht nur im Tempel, Gebet, sondern wir feiern so viele Feste, da ist zum Beispiel Krishnas Geburtstag, dann haben wir Diwali, das ist das Lichterfest, wie Weihnachten in Deutschland, da treffen sich alle jungen Leute, wir haben Musikprogramm, klassischen indischen Tanz, modernen indischen Tanz, wir haben so viel Programm. Dann mieten wir diesen Saal, wo immer 800, 900 Leute zusammen kommen. Wir haben eine Gruppe von 7 bis 18jährigen Mädchen, die tanzen hier, wir trainieren die, das ist die alte Kultur, die müssen wir auch die Kinder lehren .

Erst als das Tonband ausgeschaltet ist, sagt Aurora, dass auch einige pakistanische – also muslimische – Mädchen bei der indischen Tanzgruppe mitmachen. Eine gute Sache zwar, die aber nicht an die große Glocke gehängt werden soll. Auch in der hessischen Gemeinde gibt es offenbar hinduistische Hardliner, für die die Pflege der eigenen Kultur nicht unbedingt Hand in Hand geht mit Toleranz gegenüber Andersgläubigen.


Diese Sendung lief am 23.5.2001 in hr2