Antje Schrupp im Netz

0611 Reichtum für Alle? Das Buch zum Grundeinkommen

Grundeinkommen zwischen Selbstverwirklichung und traditioneller Hausarbeit

von Antje Schrupp

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Idee, für die sich bislang deutlich mehr Männer als Frauen einsetzen. Und das, obwohl Frauen doch eigentlich natürliche Verbündete dieses Projekts sein müssten: Denn die Entkopplung von Arbeit und Einkommen, die ja den wesentlichen Perspektivenwechsel der Grundeinkommensidee markiert, ist für Frauen, anders als für Männer, doch eigentlich nichts Neues.

Frauen muss man in der Regel nicht erst erklären, dass Arbeit auch jenseits der Frage, ob man damit Geld verdient, einen Sinn hat. Fast alle Frauen arbeiten ja nicht nur auf dem Erwerbsarbeitsmarkt, sondern auch im Haushalt, in der Kindererziehung, in der Pflege von alten oder kranken Menschen, oder in vielen ehrenamtlichen Projekten. Dass Frauen für ihre Arbeit sehr oft kein Geld bekommen, ist schon immer Realität, und ihr Beispiel ist nun wirklich der beste Beweis dafür, dass der so oft vorgebrachte Einwand gegen das Grundeinkommen, dass nämlich ohne Lohnanreize niemand mehr etwas arbeiten würde, schlicht Unsinn ist. Für die meisten Frauen jedenfalls stimmt das nachweislich nicht.

Auch die Vorstellung, dass Menschen unabhängig davon, was sie auf dem Erwerbsarbeitsmarkt leisten, ein Einkommen haben müssen, ist Frauen schon lange vertraut. Wer 60 Stunden die Woche arbeitet und dabei ständig von anderen Erwerbsarbeitsmenschen umgeben ist, mag vielleicht im Laufe der Zeit Scheuklappen entwickeln und vergessen, dass es auch noch andere Formen des menschlichen Tätigseins gibt. Wer aber täglichen Umgang pflegt mit Kindern, Kranken und Alten, wer oft mit anderen Hausfrauen und Müttern, mit anderen sozial und ehrenamtlich Engagierten zu tun hat, weiß natürlich aus unmittelbarer Anschauung um die vielfältigen Aspekte menschlicher Tätigkeiten, die sich abseits der Leistungsgesetze des Marktes abspielen.

Außerdem sind ja viele Frauen selbst auf ein erwerbsunabhängiges Einkommen angewiesen, und zwar in genau dem Maße, wie sie solche gesellschaftlich notwendigen »Care-Arbeiten«, für die es aber kein Geld gibt, leisten. So, wie die Geldströme derzeit organisiert sind, stehen Frauen vor vier gleichermaßen schlechten Alternativen: Sie können entweder trotz Hausarbeit voll erwerbstätig sein, was schlicht heißt, dass sie Doppelschichten fahren und kaum Freizeit haben – dafür aber selbst verdientes Geld. Oder sie können mit den Männern darüber verhandeln, dass diese ihrerseits einen gerechten Anteil an unbezahlter Hausarbeit, Kindererziehung, häuslicher Altenpflege übernehmen – ein Projekt, das bislang bekanntermaßen wenig Erfolg hatte und meistens zermürbende und langwierige Diskussionen erfordert. Drittens können Frauen ihre Erwerbsarbeit reduzieren oder zeitweise ganz aufgeben, was aber zur Folge hat, dass sie finanziell von Männern oder von staatlichen Transferleistungen abhängig sind. Das war schon immer riskant und wird heute immer riskanter.

Oder die Frauen könnten, viertens, einfach aufhören, diese unbezahlten Arbeiten zu erledigen. Manche (bislang wenige) Frauen wählen diese Option bereits, und schon sind die gravierenden gesellschaftlichen Probleme offensichtlich, die das nach sich zieht. Denn wir haben reden hier ja keineswegs über Peanuts: Im Haus- und Carebereich werden mehr Arbeitsstunden geleistet als in der Erwerbsarbeit. 80 Prozent aller Fürsorge für pflegebedürftige Menschen in Deutschland werden auch heute noch unbezahlt von Frauen im familiären Kontext erledigt – und trotzdem sind die Pflegekassen schon am Rande des Ruins. Fast alle Frauen reduzieren immer noch ihre Erwerbsarbeit, wenn sie kleine Kinder haben, und trotzdem sprengt die Nachfrage nach Betreuungsplätzen bei weitem das Angebot. Und das, obwohl die Bezahlung von Krankenschwestern, Erzieherinnen, Altenpflegerinnen alles andere als gut ist.

Sämtliche Krisen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsektor, die uns dauernd in den Nachrichten begegnen, sind eine direkte Folge davon, dass schlicht und einfach nicht geklärt ist, wer eigentlich die unbezahlten, aber gesellschaftlich notwendigen Arbeiten übernehmen soll, die Frauen über Jahrhunderte hinweg stillschweigend und gratis oder zu lächerlich niedrigen Löhnen erledigt haben, wenn diese dazu nicht mehr bereit sind. Dass dies meist unter dem verharmlosenden Stichwort »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« diskutiert wird, ist fatal. Erweckt es doch den Eindruck, als seien es die Frauen, die mit dieser »Vereinbarkeit« ein Problem hätten und denen dabei netterweise geholfen werden müsse. Wer hier aber ein Problem hat, das ist die Gesellschaft als Ganze, der nämlich jedes Konzept zur politischen und wirtschaftlichen Integration von Care-Arbeit fehlt – eine Arbeit, die unbedingt gemacht werden muss und deren Ausmaß angesichts der demografischen Entwicklung in Zukunft noch steil ansteigen wird. Ein »Frauenproblem« ist das nur deshalb, weil deutlich mehr Frauen als Männer sich hier verantwortlich zeigen und versuchen, das Problem zu lösen: indem sie, gegen jede marktrationale Logik, auf Freizeit oder Geld verzichten.

Diese Gesellschaft wird gegenwärtig nicht von Spielern auf dem globalen kapitalistischen Markt zusammen gehalten, sondern von einem weit gespannten weiblichen Netzwerk, das irgendwie (und jenseits aller kapitalistischen »Gesetzmäßigkeiten«) versucht, die alltägliche Sorge um die Bedürfnisse realer Menschen zu bewältigen und mit der Notwendigkeit, Geld zu verdienen, in Einklang zu bringen. Ein Netzwerk aus Hausfrauen, Erwerbstätigen, Großmüttern, Nachbarinnen, Krankenschwestern und Erzieherinnen, das im Übrigen inzwischen ebenso global ist wie die gesamte Wirtschaft. Schon längst funktioniert dieser Kraftakt nämlich nur mit Hilfe von Putzfrauen, Kindermädchen und Altenpflegerinnen aus Polen, Ungarn, Afrika oder Südamerika, die einen größer werdenden Anteil dieser Arbeit in privaten Haushalten leisten, bezahlt vom Erwerbseinkommen ihrer Auftraggeberinnen, denen dieses Geld dann für den persönlichen Konsum fehlt. Sie arbeiten meist illegal und in ungeschützten und prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen, werden aber verschämt geduldet von einer Politik, die diesen Zusammenhang ignoriert, aus dem einfachen Grund, dass sie keine bessere Lösung weiß. Ein Netzwerk, das sich rund um den Globus zieht, denn die Polinnen, die in Deutschland alte Menschen pflegen, Küchen putzen und Kinderhosen waschen, haben zu Hause wiederum Kinder und Alte, die von Weißrussinnen versorgt werden, und so fort. Maria S. Rerrich hat diese Zusammenhänge glänzend nachgezeichnet und gezeigt, dass auch diese Arbeit, obwohl sie über Geld, also den Markt vermittelt ist, unbilanziert bleibt. Sie taucht in keiner Statistik auf, fließt in kein Bruttosozialprodukt ein, sondern bleibt »schwarz«, »illegal« – und ist damit genauso wenig »richtige Arbeit« wie die traditionelle Hausarbeit einheimischer Frauen.

Wäre das Grundeinkommen eine Lösung für diesen Zustand? Ja und nein. Ja, insofern auch Menschen, die diese gesellschaftlich so notwendigen Care-Arbeiten bislang gratis erledigen, ein Einkommen hätten – wobei allerdings das ansonsten so befreiend klingende Beiwort »leistungsunabhängig« hier doch einen schalen Beigeschmack bekommt. Trotzdem ließe sich auf diese Weise nicht nur sicherstellen, dass diese Care-Arbeiterinnen ein Minimum an »eigenem Geld« hätten, sondern es könnte auch die Diskussion neu eröffnet werden. Denn die bisherigen Ansätze, diese Arbeiten über den Geldmarkt und die kapitalistische Wirtschaftslogik abzugelten, sind nicht gerade überzeugend. Care-Arbeiten erfordern kein rationales Kosten-Nutzen-Kalkül, sondern persönliche Zuwendung, funktionierende Beziehungen, Empathie und Freude, sicher auch ein gewisses Maß an Selbstaufopferung – alles Aspekte, die diese Arbeit nach Marktkriterien teuer und wenig gewinnbringend macht. Und nur Zyniker können wohl auf die Idee kommen, für solche Arbeiten möglicherweise unmotivierte und unqualifizierte 1-Euro-Jobber einzusetzen.

Im Zuge der bereits ein Stück weit fortgeschrittenen Marktrationalisierung von Care-Arbeiten stellt sich schon jetzt die Qualitätsfrage. Es zeigt sich, dass überhaupt noch nicht evaluiert ist, worin genau eigentlich die Qualität der Arbeit einer »Hausfrau« besteht. Eine ganze Reihe von Ethikerinnen und Ökonominnen haben sich zwar bereits mit diesem Problem beschäftigt und Modelle erarbeitet, wie dieser Komplex wirtschaftlich und gesellschaftlich integriert werden könnte, im Allgemeinen werden ihre Arbeiten aber nicht zur Kenntnis genommen.

Und genau hier liegt auch die Gefahr in der Grundeinkommens-Debatte. Vor allem dann, wenn dessen Möglichkeit und Notwendigkeit mit der Produktivitätsentwicklung begründet wird, nach dem Motto: Wir haben einen Grad der Rationalisierung erreicht, dass wir uns von der Arbeit befreien können. Diese Analyse ist zwar richtig, sie gilt aber nur für Produktion und Handel. In diesen Bereichen brauchen wir tatsächlich nicht mehr so viele Arbeitskräfte wie früher, und der hier erwirtschaftete Wohlstand ist so hoch, dass es angemessen wäre, über ein Grundeinkommen alle daran zu beteiligen.

Dass uns gesamtgesellschaftlich die Arbeit ausgehen würde, ist aber schlichtweg falsch. Was uns ausgeht, das ist die klassische Erwerbsarbeit. Es bleiben aber trotzdem noch jede Menge Dinge übrig, die notwendigerweise getan und erledigt werden müssen. Die fatale Leerstelle, die die herkömmliche Ökonomie im Bezug auf die von Frauen geleistete Care-Arbeit aufweist, wiederholt sich leider auch bei vielen, die diese Ökonomie in Richtung Grundeinkommen weiter entwickeln möchten. Richtig ist zwar, dass sich Care-Arbeit unter marktkapitalistischen Gesichtspunkten nur schlecht organisieren lässt. Zu meinen, das Problem könnte durch ein Grundeinkommen gelöst werden, ist aber zu kurz gedacht. Denn das würde bedeuten, die gesellschaftliche Bedeutung dieser Arbeiten erneut zu verschleiern, in der Hoffnung, die Frauen würden das wie bisher einfach erledigen, oder, sogar noch besser: Sie könnten, statt auf eine angemessene Wertschätzung (sowohl symbolischer als auch materieller Art) zu pochen, umso leichter an Heim und Herd zurück kehren, weil ja ihre Existenz gesichert ist. Heute können Frauen mit dem Argument, dass die Marktlogik sie nun einmal zur Erwerbsarbeit zwingt, immerhin in gewissem Rahmen darauf pochen, dass diese Probleme angegangen werden. Ein Grundeinkommen könnte ihnen dabei den Wind aus den Segeln nehmen.

Dies ist ein wichtiger Grund für die verbreitete weibliche Skepsis gegen ein Grundeinkommen. Es war ein schwerer Kampf der Frauenbewegung, für Frauen den Zugang zur Erwerbsarbeit zu öffnen. Und es werden ja auch schon wieder Stimmen laut, die es falsch finden, wenn Frauen Karriere machen, weil sie in der Haus- und Pflegearbeit eine speziell weibliche Berufung ausmachen. Zwar haben sich die meisten Frauen in der Tat bis heute dem Erwerbsarbeitsmarkt nicht in gleichem Maße mit Haut und Haaren ausgeliefert wie Männer. Sie haben keine Identitätsprobleme, wenn sie nicht mehr ins Büro gehen dürfen, und sie müssen nicht erst lernen, dass sich ihr Wert nicht an der Höhe ihres Erwerbseinkommens bemisst. Frauen wissen aber auch, dass jenseits der Erwerbsarbeit nicht nur Selbstverwirklichung, Lebensfreude, Müßiggang und Kreativität auf sie warten, sondern eben auch ein Berg von Arbeit.

Es ist deshalb notwendig, im ökonomischen Denken noch eine dritte Kategorie neben »Erwerbsarbeit« und »selbst bestimmtem Leben« einzuführen. Diese beiden Faktoren sind wichtig, und für die erste sorgt der Markt, für die zweite könnte ein Grundeinkommen sorgen. Aber als drittes wäre da eben noch die Kategorie der gesellschaftlich notwendigen Arbeiten, die der Markt nicht oder nur schlecht organisieren kann, die aber unter dem Aspekt der Selbstverwirklichung auch nicht gewährleistet sind. Ein Grundeinkommensmodell, das den Beisatz »bedingungslos« ernst nimmt, muss schließlich mit der Möglichkeit rechnen, dass vielleicht niemand Lust darauf hat, alte Menschen zu füttern oder Kinder zu wickeln oder Fenster zu putzen oder das Klo zu schrubben. Einfach darauf zu setzen, dass die Frauen das auch weiterhin erledigen werden, weil sie sich dafür verantwortlich fühlen, wäre schlicht und ergreifend unfair. Und die Idee, Frauen könnten doch einfach per Arbeitsverweigerung einen Care-Engpass herbeiführen, sodass diese Arbeiten irgendwann durch höhere Löhne wieder auf dem Markt attraktiv würden, ist zynisch jenen Menschen gegenüber, die auf die Care-Arbeit anderer angewiesen sind – und zwar nicht erst in einer besseren Zukunft, sondern hier, jetzt und sofort.

Zu fragen wäre vielmehr: Wieso eigentlich tun Frauen all diese Arbeit, die weder Geld bringt noch Selbstverwirklichung ermöglicht? Woher kommt ihr Engagement, ihre Sorge um die alltäglichen Bedürfnisse konkreter Menschen, woraus beziehen sie ihre Motivation? An ihren Genen liegt es nämlich nicht, und auch nicht an der Evolution oder den Hirnströmen, wie einige uns neuerdings wieder weismachen wollen. Nicht die weibliche Natur ist hier am Werke, sondern eine weibliche Kultur. Es ist die zivilisatorische Leistung von Frauen, dass sie diese im männlichen Denken chronisch unterbelichteten Aspekte ernst nehmen und für Lösungen sorgen. Worauf es heute ankommt ist, diese »Kultur der gegenseitigen Sorge« zu verallgemeinern und mit der Grundeinkommensidee zu verknüpfen.

Einen solchen Versuch haben feministische Denkerinnen in einem Text unternommen, der den Titel »Gutes Zusammenleben im ausgehenden Patriarchat« trägt. Darin wird vorgeschlagen, das Grundeinkommen nicht als ein Recht zu verstehen, auf das jeder Mensch »bedingungslos« einen Anspruch hat, sondern als ein Geschenk von uns allen an uns alle. Ein Geschenk, das symbolisch darauf fußt, was ausnahmslos jeder Mensch bereits bekommen hat: Das Geschenk des Lebens durch die Mutter. So wie wir jeden Neuankömmling auf der Welt begrüßen, ohne dafür irgend eine Gegenleistung zu erwarten, wie wir versprechen, ihn oder sie mit Nahrung, Kleidung, Liebe, Zuwendung und notwendiger Hilfe zu versorgen (und Politik ist letztlich nichts anderes als das Bemühen, dieses Versprechen einzulösen), ebenso wäre es sinnvoll und notwendig, den gemeinsam erwirtschafteten gesellschaftlichen Reichtum auf eine Weise zu verteilen, die allen Menschen, unabhängig von jeder Gegenleistung, genug Geld zum Leben gibt.

Dies würde auf einer symbolischen Ebene deutlich machen, dass wir uns mit einem Grundeinkommen nicht nur von der kapitalistischen Marktlogik verabschieden, sondern auch von der heutigen Logik der Rechte und der Gesetze. Worum es geht, ist ein neues Verständnis der Art und Weise, wie Menschen zueinander in Beziehung stehen: Nämlich in ständiger gegenseitiger Abhängigkeit, vom Moment ihrer Geburt bis zum Tod – und auch die ganze Zeit dazwischen, was die männliche Philosophie mit ihrer falschen Gleichsetzung von Freiheit und Autonomie und ihrer systematischen Unsichtbarmachung weiblicher Care-Arbeit immer zu leugnen versuchte. Diese gegenseitige Abhängigkeit ist dann kein Problem, wenn sie von der Gewissheit getragen ist, dass ich alles, was ich brauche, auch bekomme – nicht, weil es vom Himmel fällt oder ich ein »Recht« darauf habe, sondern weil andere Menschen da sind, die für mich sorgen. Wer sich selbst als Beschenkter sieht, als willkommen und geschätzt und geliebt, wird nicht nur dankbar sein und Mittel und Wege finden, um diejenigen, die diese Sorgearbeiten leisten, angemessen wertzuschätzen. Er wird langfristig auch selbst bereit sein, einen eigenen Beitrag zum guten Zusammenleben aller zu leisten.