Antje Schrupp im Netz

Wo ist der Zusammenhang?

Zukunftsperspektiven der Frauenbewegung

Dankbarkeit – angesichts der vielen Probleme kam gestern eine leicht melancholische Stimmung auf. Ich wäre aber nicht dieselbe, die ich bin, ohne Frauenbewegung, der Feminismus war meine Rettung, hilft mir bei der Orientierung in der Welt, ist meine politische Heimat, Dank an alle Frauen, die das ermöglicht haben.

Aber auch denken an Feministinnen durch die Jahrhunderte, die teils in noch widrigeren Zeiten für die weibliche Freiheit kämpften und uns wertvolle Einsichten, Erfahrungen, Ideen überliefert haben.

Gestärkt durch dieses Wissen können wir uns also der Frage zuwenden, was Feminismus heute bedeutet, also in emanzipierten und neoliberalen Zeiten.

Manche sagen – nicht hier, aber vielerorts anderswo – , der Feminismus sei gerade deshalb überflüssig geworden, weil er so erfolgreich war. In emanzipierten Zeiten sei eine Frauenbewegung nicht mehr notwendig.

Dieses Argument überzeugt mich nun ganz und gar nicht. Und zwar nicht nur deshalb, weil es mit der Gleichberechtigung der Frauen noch nicht überall hundertprozentig klappt, weil es immer noch Machos, Diskriminierung, Hürden und Hindernisse für Frauen gibt. Wenn wir so die Notwendigkeit des Feminismus begründen würde das ja bedeuten, dass der Feminismus vom Fortbestehen des Patriarchats abhängig ist.

Der Kampf gegen Diskriminierung Schon immer ging es nicht nur darum, die Interessen von Frauen als spezieller Gruppe zu vertreten, sondern um soziale Fragen, um Umweltthemen, um Wirtschaft, um Kultur. Das wesentliche Anliegen des Feminismus, der politischen Ideen von Frauen und ihrer politischen Praxis ist die Suche nach Ideen und Wegen für ein gutes Zusammenleben aller Menschen auf dieser Erde.

Es ging nicht um einen Machtkampf mit den Männern, jedenfalls war das niemals das Ziel, und es ist ein wirkliches Problem, dass viele Männer uns immer noch so wahrnehmen.

Weil es der Frauenbewegung also nicht um Lobbyarbeit für Frauen geht, sondern um ein gutes Leben für alle, ist der Feminismus gerade in einer Gesellschaft, in der Frauen nicht nur rechtlich gleichgestellt sind, sondern auch faktisch Einfluss haben, der Feminismus wichtiger ist, denn je. Denn auch trotz Gleichberechtigung und Emanzipation gibt es eben in dieser Gesellschaft und in der Welt noch eine Menge Probleme. Und je mehr Möglichkeiten und Einfluss Frauen in der Welt haben, umso größer ist auch ihre Verantwortung, umso wichtiger ist, was sie tun und lassen, was Frauen denken und sagen, wie sie handeln.

Und, davon bin ich überzeugt, die Frauenbewegung und der Feminismus haben Antworten anzubieten auf diese gesellschaftlichen Probleme.

Der Feminismus stellt die Frage nach einer freien Bedeutung der sexuellen Differenz, danach also, was es bedeutet, eine Frau zu sein, und wie ich, eine Frau, ausgehend von dieser Tatsache sinnvoll in der Welt tätig werde.

Wir haben viele Frauen in wichtigen Positionen, die für weit reichende Entscheidungen verantwortlich sind. Wir haben Frauen in den Medien und in der Politik. Wir stehen im Berufs- und im Familienleben. Wir haben Entscheidungen zu treffen, die gesellschaftspolitische Auswirkungen haben: Bekommen wir Kinder? Wie viele? Welchen Beruf ergreifen wir? Wie gestalten wir das Arbeitsleben? Wo und wie engagieren wir uns politisch?

Dies alles sind nicht einfach private Fragen, sondern politische Fragen. Sie sind nicht nur individuell, sondern setzen Verhandlungen in Gang, haben Auswirkungen auf die Gesellschaft. Sie sind Politik. Umso wichtiger ist also auch der Feminismus, der genau dies reflektiert.

Und hier gibt es eben inzwischen diese unglaubliche Fülle an Projekten, Büchern, Forschungsarbeiten, Initiativen und Ideen, die Frauen hervorbringen – und oft sind das Frauen, die ihren Aufbruch in der Frauenbewegung hatten.

Allerdings ist all das inzwischen eben so »zerfleddert«, wie gestern schon vielfach beklagt wurde, hat sich aufgespalten in die berühmte »diversity«, in teilweise entgegen gesetzten Schützengräben versteckt oder lehnt sogar das Etikett Feminismus ab. Was fehlt ist ein »Zusammenhangsdenken«, wie Frigga Haug das gestern nannte. Also das, was all diese Gruppen, Einzelfrauen, Initiativen verbindet.

Die große Entdeckung der Frauenbewegung war die weibliche Freiheit. Das heißt, das Wissen, dass Frau sein und Frei sein sich nicht gegenseitig ausschließt, wie uns eine jahrhundertelange patriarchale Tradition weismachen wollte. In der nämlich von Frauen, die aus den für sie vorgesehenen Bahnen ausbrachen, gesagt wurde, sie tut das, obwohl sie eine Frau ist. So als sei das Frausein eine Behinderung.

Nein, heute, der Frauenbewegung sei Dank, weiß ich, dass ich nicht frei bin, obwohl ich eine Frau bin, sondern weil ich eine Frau bin. Diese Veränderung im Selbstbewusstsein der Frauen war die Entscheidende.

Dass Frauen frei sind, wird heute aber ja gar nicht mehr bestritten. Dazu brauche ich keine Feministin sein. Im Gegenteil: Diese Freiheit und der Protagonismus von Frauen ist in globalisierten, wirtschaftsliberalen Zeiten geradezu eine Notwendigkeit geworden. In den Vorträgen von Frigga Haug und von Gundula Ludwig gestern haben wir davon gehört, wie der Neoliberalismus sich ehemals feministische Inhalte angeeignet hat und feministische Theorie Gefahr laufen kann, sich hier in eine Entwicklung einzufügen, die sie doch eigentlich kritisieren müsste.

Auch die Freiheit der Frauen ist also längst zum Jargon des offiziell-politischen Tagesgeschäftes geworden – ich denke nur an den Muslim-Test oder an die Begründungen für alle möglichen Kriege, die die Demokratie und mit ihr die Freiheit der Frauen in alle Welt exportieren sollen.

Darüber ist aber in Vergessenheit geraten, was eigentlich die Grundlage dieser Freiheit war.

Diese Grundlage war die politische Praxis der Beziehungen unter Frauen, eine genuine Entdeckung der Frauenbewegung. Das »Irgendjemand kannte irgendjemand« von dem Frigga Haug gestern sprach. Mit Hilfe solcher Beziehungen, in denen sich Frauen über ihre eigenen Wünsche und ihr eigenes Begehren verständigten und nach Wegen suchten, dieses Begehren in die Welt zu tragen. Und zwar Beziehungen nicht einfach zu »den Frauen«; sondern zu konkreten Frauen aus Fleisch und Blut mit einem Namen und einer Telefonnummer, die in unserem Adressbuch steht.

Diese Beziehungen unter Frauen machte die Frauenbewegung zu einem politischen Faktor, das war ihre Praxis. Die Frauenbewegung entdeckte, dass aus den Beziehungen unter Frauen weibliche Stärke und Autorität entsteht – nach den Aktionen waren wir andere Frauen geworden, hat Frigga Haug das beschrieben.

Dass mit dem Kampf für die Freiheit der Frauen jedoch eine solche politische Bewegung und Haltung verbunden war, ist heute kaum noch im Bewusstsein. Vielmehr sieht es so aus, als sei – Hokuspokus – plötzlich jede Frau individuell frei geworden. Und plötzlich tun alle so, als seien sie es – die Politiker, die Ökonomen, die Armeen – die sich ja schon immer die weibliche Freiheit auf die Fahnen geschrieben hätten.

Nur zwei Beispiele: Neulich bekam ich einen Artikel für die Zeitung, bei der ich als Redakteurin arbeite, in dem stand, die zehn Gebote seien die Grundlage für die Emanzipation der Frau – wo bitte schön steht davon etwas in den zehn Geboten? Andere behaupten allen Ernstes, es sei die Aufklärung, die uns diese Freiheit beschert habe – als hätten nicht gerade die Hauptprotagonisten der Aufklärung Frauen dezidiert aus ihrem Projekt ausgeschlossen!

Aber nicht nur die Männer sind es, die sich jetzt die weibliche Freiheit auf die eigenen Fahnen schreiben und als Verdienst anrechnen. In dem neuen Buch von Nekla Kelec über das patriarchale Weltbild mancher türkischen Männer bringt die Autorin es fertig, eine gewaltige Anklageschrift gegen das Patriarchat zu schreiben, und sie beruft sich dabei auf alle möglichen Traditionen von den alten Griechen über Jesus bis hin zu Rousseau (ausgerechnet Rousseau). Aber vom Feminismus ist weit und breit keine Spur zu finden.

Wir haben also das Problem, dass alle möglichen Leute vom Protagonismus der Frauen redet, ihre Gleichheit vorantreibt und gegen ihre Unterdrückung kämpft – ohne dass dabei das Wort Feminismus auch nur fällt.

Traurig ist es doch, wenn wir nach dem Film gestern abend noch einmal uns vergegenwärtigen, dass diese Gesellschaft, soweit sie von Männern dominiert wird, das Thema Demografie und Kinderfrage gerade erst entdeckt !

Die Ignoranz gegen den Feminismus – nicht gegen seine Inhalte – ist also riesig. Wieso?

Plausibes erscheint mir eine Erklärung, die ich in der aktuellen Ausgabe von »Via Dogana« gefunden habe, der Zeitschrift des Mailänder Frauenbuchladens, in der Lia Cigarini die These aufstellt, dass die weibliche Freiheit nur akzeptiert wird, solange sie individuell aussieht: Jede Frau kann machen was sie will, und niemand bestreitet das. Was hingegen nicht akzeptiert wird ist die Tatsache, dass die Beziehungen unter Frauen das Zentrale dieser Freiheit sind, der Feminismus also als politische Akteurin.

Der Grund: Freiheit wird im neoliberalen Diskurs als Wahlfreiheit verstanden, also als Möglichkeit zwischen vorgegebenen Alternativen zu wählen. Außerhalb des Vorgegebenen – in diesem Fall der so genannten Gesetze des »Marktes« – gibt es keine Wahl. TINA. Hartz IV usw.

Weibliche Freiheit, die auf den Beziehungen unter Frauen gründet, ist aber gerade nicht nur Wahlfreiheit. Sondern aus diesen Beziehungen heraus können ganz neue Ideen entstehen, können neue Anfänge gemacht werden, ihr Slogan ist: Es gibt immer eine andere Möglichkeit. Weibliche Freiheit, so verstanden, ist eben gerade nicht Wahlfreiheit, sondern denkt über das Mögliche, das Wahrscheinliche, das gegenwärtig Denkbare hinaus. Das erklärt auch diesen großen Optimismus der Frauenbewegung, von dem Frigga Haug erzählte, sie glaubten, sie könnten die Welt verbessern. Das weibliche Begehren und die Sprache, das miteinander reden und denken – also das, worauf sich die Frauenbewegung gründet – sind prinzipiell unendlich.

Aber so wird der Feminismus nicht gesehen. Im öffentlichen Diskurs ist er verkümmert zu einer langweiligen Pflichtübung, die die letzten Gefechte an den Orten noch nicht ganz vollzogener Gleichheit auszufechten muss. Das ist nicht nur langweilig, sondern noch dazu hinter der Zeit her: Während überall die Erwerbsarbeitsgesellschaft zusammenbricht, kämpfen Feministinnen für den Zugang der Frauen zu diesem gescheiterten Modell. Während die etablierten Machtstrukturen in Frage gestellt werden, wollen die Feministinnen Macht für Frauen erringen. Natürlich ist das nicht besonders prickelnd oder attraktiv.

Wie kann das sein? Wie kann es sein, dass eine ganze Gesellschaft, ihre Politiker, ihre Medien, ja sogar die Frauen ganz selbstverständlich die weibliche Freiheit akzeptieren, und dabei gleichzeitig die Urheberinnen dieser Freiheit, die Frauenbewegung und den Feminismus, entweder ignorieren oder sogar lächerlich machen oder ein Zerrbild malen?

Ich glaube, ein Hauptproblem bei all dem ist, dass uns im Zuge der Emanzipation auch der Begriff des Frauseins selbst entglitten ist. Aber wenn nicht klar ist, was überhaupt das Frausein ausmacht, dann kann man auch nur schwer über das sprechen, was eine weibliche Kultur, was weibliche Politik ausmacht.

Also: Was bedeutet es heute überhaupt noch, eine Frau zu sein? Darüber besteht eben großes Rätselraten.

Die beiden traditionellen Antworten, die in der Frauenbewegung seit jeher miteinander im Klinsch liegen – unter dem Stichwort Gleichheit versus Differenz – sind nicht mehr attraktiv. Denn beide leiten das Frausein vom Mannsein ab. Frauen sind aber weder das Komplementäre, noch das Entgegengesetzte, noch das Gleiche des Mannes.

Wir brauchen vielmehr ein neues, freies Verständnis der sexuellen Differenz, eines, das Frausein nicht aus dem Mannsein ableitet. Queer Theorie gut, Gender Problem.

Wie kann das aussehen?

Ich möchte eine Antwort ausgehend vom Thema unserer Tagung versuchen: Frauen können alles – aber was wollen sie?

Diese Frage lässt sich ganz einfach beantworten. Frauen wollen:

  1. etwas anderes als Männer und

  2. etwas anderes als andere Frauen

Zunächst zu Punkt 1:

Frauen wollen etwas anderes als Männer

Um ein derzeit aktuelles Thema zu nehmen, die Diskussion um – angeblich – sinkende Kinderzahlen und die Geburtenrate, dann heißt das zum Beispiel: 11 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter sagen, sie wollen keine Kinder haben, aber 26 Prozent aller Männer der gleichen Altersstufe.

Würde man die These, dass Frauen etwas anderes wollen als Männer, außer Acht lassen, könnte man natürlich einfach sagen: 18 Prozent aller Menschen wollen keine Kinder. Es fällt ins Auge, dass das ein schiefes Bild ergäbe, weil es weder die Wünsche der Männer noch die der Frauen adäquat ausdrückt. Trotzdem wird bei vielen politischen Themen so vorgegangen.

Es geht aber auch bei jedem anderen Thema: 18 Prozent der Frauen interessieren sich für die Fußball-Bundesliga, aber über 50 Prozent der Männer. Mehr Frauen als Männer studieren humanistische Fächer, bei den Naturwissenschaften ist es anders herum. Viel mehr Frauen als Männer machen Hausarbeit. Viel, viel mehr Männer als Frauen nehmen sexuelle Dienstleistungen in Anspruch. Frauen lesen mehr Belletristik, Männer mehr Sachbücher oder gar nichts. Muslimische Mädchen machen in der Regel viel bessere Schulabschlüsse als muslimische Jungen. Und so weiter, und so weiter.

Also, wie interpretieren wir diese Befunde? Dass Frauen sehr viel mehr Kinder haben wollen, als Männer? Dass sie nicht so gerne ins Fußballstadion gehen? Dass sie lieber Germanistik studieren als Informatik?

Man könnte natürlich auf die alte Erklärung zurückgreifen, dass das etwas mit der Biologie zu tun hat. Man könnte sagen, Frauen haben ein Mutterschaftsgen oder sie denken weniger rational als Männer (sonst würde ihnen auch auffallen, dass sich Kinder wirtschaftlich nicht rechnen) oder dergleichen.

Eine andere beliebte Erklärung ist die Erziehung, die Sozialisation. Man könnte also sagen, weil Frauen von klein auf mit Puppen gespielt haben und Männer nicht, wollen sie mehr Kinder.

Ob dies so ist oder nicht und in welchem Ausmaß, darüber lässt sich lange streiten und das wird ja auch oft getan, aber ich möchte hier die Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt richten: Auch wenn wir davon ausgehen, dass jede Frau, wie auch jeder Mann, nicht im luftleeren Raum schwebt, sondern in einer bestimmten historischen Situation lebt und geprägt ist von deren Werten, auch wenn jede Frau, wie auch jeder Mann, einen Körper hat, der sie in Zeit und Raum festhält und ihr Handeln prägt und beeinflusst, so ist doch weder der eine noch der andere Faktor allein ausschlaggebend für das, was sie oder er tut. Es gibt immer auch einen Anteil, der abhängt vom eigenen Urteil, vom persönlichen Begehren, von den eigenen Entscheidungen. Und auf die kommt es an.

Das ist also ein anderer Freiheitsbegriff, als wir ihn in unserer patriarchalen Kultur gewohnt waren.

Freiheit existiert nicht nur da, wo wir unabhängig sind von unserer Geschichte, unserer Erziehung, unseren Eltern, unserem Körper. Die alte, männliche Gleichsetzung von Freiheit und Autonomie ist überholt. Wir handeln frei, gerade innerhalb des Beziehungsnetzes, in das wir hinein geboren sind. Wir müssen uns nicht erst davon distanzieren, mit unserer Mutter brechen, die uns Körper und Kultur und Sprache gegeben hat, um frei zu werden. Wir sind schon frei, gerade in den Beziehungen, in denen wir stehen, und die immer auch veränderbar sind und die wir mit unseren Wünschen mitgestalten.

Die Umstände, Kultur, Körper, Biologie usw. sind keine Zwänge, die meine Freiheit beschneiden, sondern vielmehr Handwerkszeuge, von dem ausgehend ich überhaupt in der Welt tätig werden kann. Hätte ich keinen Körper, keine Erziehung, kein kulturelles Umfeld wäre ich nichts reales. Dass das Handwerkszeug vielleicht schlechter ist als das meiner Nachbarin ändert nichts daran, dass es mein Handwerkszeug ist, das einzige, womit ich anfangen kann.

Und wenn das so ist, wenn wir also der Idee einen Raum geben, dass dort, wo Frauen etwas anderes tun und wollen als Männer, sich neben allen Konditionierungen und Biologismen auch weibliche Freiheit niederschlägt – dann ist es eine sehr interessante Beobachtung, wenn wir feststellen müssen, dass die gesellschaftliche Realität meist sehr viel mehr den Wünschen der Männer entspricht, als denen der Frauen.

Ungefähr 30 Prozent aller Menschen bleiben kinderlos, was sehr viel näher bei dem Wunsch der Männer als bei dem der Frauen liegt. Der Fußball genießt eine mediale Aufmerksamkeit und finanzielle Förderung, die völlig unangemessen wäre, würde sich nur ein Fünftel der Bevölkerung dafür interessieren. Teilzeitarbeit ist – vor allem in qualifizierten Berufen – schwer zu ergattern. Und so weiter und so fort.

Manchmal wird diese Übereinstimmung der Realität mit den Wünschen der Männer sogar noch den Frauen selbst angelastet. Dass ihre Entscheidungen anders ausfallen, als die der Männer, wird als falsch angesehen: Frauen studieren die falschen Fächer, deshalb machen sie keine Karriere. Frauen wollen nur Teilzeit, da brauchen sie sich nicht zu wundern, dass das mit dem Geldverdienen nix wird und so weiter.

Und das, obwohl es doch aus vielerlei Gründen wünschenswert wäre, wenn das Wollen der Frauen mehr zum Zuge käme: die Erwerbsarbeitsgesellschaft am Ende und so weiter.

Die politische Frage lautet also, wie dem Wollen der Frauen zu mehr Bedeutung verholfen werden kann – und zwar nicht nur im Interesse der Frauen, sondern in dem der gesamten Gesellschaft.

Frauen wollen etwas anderes, als andere Frauen

Und für diese Frage nun ist die 2. These von entscheidender Bedeutung: Frauen wollen etwas anderes, als andere Frauen.

Im Bezug auf die Kinderfrage heißt das zum Beispiel: Manche Frauen wollen keine Kinder, andere wollen eines, wieder andere zwei, noch andere drei, vier oder fünf. Viele Frauen wollen diese Kinder zusammen mit einem Mann großziehen, andere aber auch allein oder zusammen mit einer anderen Frau. Im Bezug auf das Berufsleben wollen die einen Karriere machen, die anderen Teilzeit arbeiten, legen wieder andere mehr Wert auf den Sinn der Arbeit, als auf Geld. Manche Musliminnen wollen ein Kopftuch tragen, andere tragen es, um sich mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen ohne mit ihrer Familie brechen zu müssen, wieder andere sagen dem Kopftuch den Kampf an.

Faktisch aber wird diese Vielfalt der weiblichen Lebensmodelle nicht akzeptiert. Vielmehr richtet sich alles, die Debatte ebenso wie die politischen Maßnahmen, auf das aus, was man für ein ideales Frauenbild hält. Und leider sowohl in der offziellen Politik (die 2-Kinder-Mutter), als auch leider teilweise in der Frauenbewegung selbst: ist sie nun Feministin oder nicht.

Der Fehler liegt in der Vorstellung von Frauen als einer Gruppe, es gebe ein allgemeines Kollektiv der Frauen, die alle dasselbe wollen oder zumindest wollen sollten. Und dann wird heftig gestritten, nicht darüber, wie wir es erreichen, dass jede Frau das tun kann, was sie für richtig hält, sondern darüber, was eine anständige Frau zu tun hat.

Dem politischen Wollen von Frauen eine Bedeutung zu geben, heißt aber gerade nicht, dass alle Frauen über einen Kamm geschert werden, sondern dass sie sich in ihrer Unterschiedlichkeit entfalten, und das heißt auch miteinander streiten, voneinander lernen, sich gegenseitig Mut machen oder sich gegenseitig kritisieren. Die Konfektions-Durchschnittsfrau ist keine relevante politische Größe. Deshalb bin ich auch keine Anhängerin des 4-Stunden-Modells.

Also 1: Das Wollen der Frauen – das sich in fast allen Bereichen von dem der Männer unterscheidet – darf also nicht wegdiskutiert oder wegerklärt werden. Und es darf auch nicht durch Umerziehungsmaßnahmen einem angeblich weiblichen Idealbild angeglichen werden, weder einem feministischen, noch einem patriarchalen. und 2.: Das Wollen der Frauen äußert sich nicht in gemeinsamen Parolen und Programmen, sondern darin, dass Frauen sich persönlich, in erster Person, in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen.

Das heißt: Sie diskutieren mit Männern über ihre Wünsche und machen dabei deutlich, dass es hier unter Umständen andere Prioritätensetzungen, Erfahrungen und Perspektiven geht. Sie weisen Männer in die Schranken, wenn diese beanspruchen, im Namen der gesamten, neutralen Menschheit zu sprechen. Sie machen deutlich, dass auch jede Frau, so gesehen, im Namen der gesamten, neutralen Menschheit spricht.

Mit anderen Worten: Wir brauchen keine Frauenpolitik, sondern eine Politik der Frauen. Wir brauchen keine Stellvertreterinnen, die im Namen der Frauen sprechen – was der Tatsache der weiblichen Freiheit widerspricht – sondern Frauen, die in erster Person, in ihrem eigenen Namen politisch handeln. Frauen, nicht Neutren, die zufällig weiblichen Geschlechts sind. Mit anderen Worten: Feministinnen.

Ich habe in den letzten Wochen viel in verschiedenen Frauenzentren über dieses Thema diskutiert und an dieser Stelle kam immer viel Widerspruch. Viele Frauen befürchten, dass eine solche Politik der Frauen zur Vereinzelung führt, nicht als politische Bewegung erkannt wird. Und ich muss zugeben, dass sie mit dieser Befürchtung recht haben, diese Einwände waren es ja gerade, die mir das eingangs geschilderte Dilemma klar gemacht haben von der einerseits erfolgreichen und andererseits so ignorierten Frauenbewegung.

Allerdings glaube ich, dass die Zeiten, in denen die Frauenbewegung sich hinter griffigen Slogans versammelte und zu großen Demonstrationen aufrief, wird nicht wieder kommen. Dies war natürlich eine klare Form der Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, als politische Akteurin. Aber dies war nur möglich, weil offene Diskriminierungen und völlig neue Entdeckungen (unter anderem eben die, dass Frausein und Freisein sich nicht ausschließt) eine solche Solidarität über alle Unterschiede hinweg möglich machten. Die hinter diesen Aktionen stehende Empörung darüber, dass Frauen diskriminiert und unterdrückt sind, und zwar qua Frau, ist heute nicht mehr Konsens unter Frauen, viele Frauen, vor allem jüngere, machen einfach ganz andere Erfahrungen. Und die Entdeckung der weiblichen Freiheit, die damals enthusiastisch machte, ist heute eben eine Selbstverständlichkeit – noch dazu eine vom globalisierten Markt verdrehte.

Aber dieser Realismus ist nicht der einzige Grund, warum ich mir die Zeiten feministischer Massendemos und eindeutiger Positionen nicht zurückwünsche. Der Grund ist auch nicht die Einsicht, dass diese frühere Einigkeit im Feminismus auf Kosten von schwarzen, armen, eben nicht-weißen-mittelständischen Frauen zustande kam – eine Diskussion, die wir im Feminismus ja schon ausführlich geführt haben. Aber auch in diesen Diskussionen sieht es oft so aus, als wären diese Unterschiede unter Frauen irgendwie ein Problem . Ich finde aber nicht, dass sie ein Problem sind. Sondern ich finde, sie sind gerade die Grundlage unserer politischen Praxis – denn Beziehungen basieren geradezu auf Ungleichheit. Unter Gleichen ist keine Beziehung, keine aktive Vermittlung notwendig, sie können sich nicht weiterbringen, sich nicht gegenseitig helfen und inspirieren, weil ja keine der anderen etwas voraushat.

Vor allem möchte ich diese Unterschiede unter Frauen auch nicht nur unter den bekannten Aspekten von Rasse, Alter, sexueller Orientierung, Kultur, sozialer Schicht und so weiter sehen. Was mich interessiert sind darüber hinaus die Unterschiede, die daher kommen, dass eine Frau etwas anderes begehrt als die andere. Dass sie sich anders entscheidet, etwas anderes tut, sich also aktiv durch ihr eigenes Handeln von anderen unterscheidet und nicht nur aufgrund äußerer Umstände. Es geht mir, anders gesagt, gerade um die Abweichlerinnen.

Denn natürlich ist nicht alles, was Frauen mehrheitlich wollen, GUT. Dass mehr Frauen als Männer diese und jenes wollen, ist nicht automatisch ein Beweis dafür, dass dies richtig oder im Interesse der Gesellschaft ist, nicht einmal im Interesse der Frauen. Denn es sind gerade die Abweichlerinnen, also diejenigen, die sich gegen die Mehrheitsmeinung ihrer Geschlechtsgenossinnen stellen, die die weibliche Freiheit erweitern können.

Denn das, was Frauen mehrheitlich wollen oder gut finden, ist ja nicht unveränderlich. Es ist eine ständige Diskussion. So kann es durchaus sein, dass in einigen Jahren auch die Hälfte aller Frauen sich für Bundesliga interessiert. Oder genauso wenig Kinder bekommen möchte, wie die Männer. Aber solche Veränderungen in der weiblichen Kultur gehen immer von einigen aus, die vom weiblichen Mainstream abweichen und ihn in Frage stellen. Den Mädchen, die Fußball spielten, obwohl das ein Männersport war. Den Frauen, die Mathematikerinnen wurden, obwohl sie es da ausschließlich mit Männern zu tun hatte. Denen, die für die Straffreiheit von Abtreibung kämpften und für eine freie Sexualität. Denn man darf ja nicht vergessen, dass solche Pionierinnen meistens nicht nur die Männer und die Traditionen, sondern auch die Mehrheit der anderen Frauen gegen sich haben.

Auch die Frauenbewegung war ja nicht die Mehrheit der Frauen. Was diese Frauen – viele zwar, aber doch eine Minderheit – gemacht haben war »doing Gender« in einem sehr positive Sinn, sie haben nämlich die Bedeutung des Frauseins erweitert und damit neue Möglichkeiten für alle Frauen geschaffen: Seht her, ich, eine Frau, trage Hosen, halte Reden, treibe ab und so weiter.

Es sind also genau die »Abweichlerinnen«, die weibliche Freiheit befördern. Deshalb ist mir auch sehr mulmig, wenn manchmal kritisiert wird, Frauen würden männliche Verhaltensweisen übernehmen. Meiner Meinung nach ist das gar nicht möglich. Alles was eine Frau tut, ist weiblich, eben weil es eine Frau ist, die das tut. Und immer wenn eine Frau etwas tut, was vor ihr noch nie eine Frau getan hat oder was für unmöglich gehalten wurde, hat sie die weibliche Freiheit vergrößert. Wobei diese Frauen fast nie allein sind, das Abweichlern geht fast immer nur in guten Beziehungen zu – mindestens einer – anderen Frau.

Mit ihrem Mut, ihrem Wagnis, ihrer Zielstrebigkeit machen gerade die Abweichlerinnen neue Wege für alle Frauen möglich. Und manchmal führt das eben dazu, dass diese neuen Wege zum Mainstream werden, weil viele, viele andere Frauen folgten. So wie das in den letzten Jahren nicht nur mit dem Hosentragen passiert ist.

Aber natürlich ist das, was Frauen machen, die vom allgemeinen Mainstream abweichen, auch nicht von vornherein gut. Denken wir nur an Lynndie England, die amerikanische Soldatin, die Gefangene im Irak folterte und die damit die mögliche Bandbreite des Frauseins um eine in meiner Sicht sehr unerfreuliche Facette erweitert hat, von der ich hoffe, dass sie niemals zum weiblichen Mainstream wird.

Also zurück zu meiner Ausgangsfrage: Wie könnten wir es erreichen, dass der Feminismus als politische Größe zurückkehrt, dass die Tatsache der Freiheit der Frauen nicht nur marktkapitalistisch ausgebeutet wird, sondern als politisches Faktum wirkt und vor allem auch sichtbar wird? Und zwar unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen, die es eben aus viele Gründen unmöglich machen, dass Frauen sich unter einen gemeinsamem Banner und hinter eindeutigen Forderungen versammeln?

Ich habe dazu keine fixen Rezepte, aber einen Vorschlag, der sich in den vielen Debatten über die Zukunft der Frauenbewegung, die ich seit Erscheinen meines Büchleins mit den verschiedensten Frauenprojekten und Initiativen geführt habe, langsam in meinem Kopf zu formen beginnt und über den wir vielleicht diskutieren könnten.

Wie wäre es, wenn wir eine öffentliche Debatte über weibliche Tugenden initiieren?

Denn wenn wir davon ausgehen, dass das, was Frausein bedeutet, und damit die weibliche Kultur, veränderbar ist und gleichzeitig von allergrößter Bedeutung für die Welt, in der wir leben – dann wäre ein öffentliche Debatte darüber, wie diese Kultur aussehen soll, genau der Ort, an dem diese Relevanz sichtbar würde.

Außerdem würden wir damit eine alte Tradition der Frauenbewegung aufgreifen, denn die Debatte über weibliche Tugenden finden sich in vielen historischen Äußerungen von Frauen, die wir Feministinnen aber vielleicht lange falsch verstanden haben.

Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal das berühmte Fernseh-Interview von Günter Gaus mit Hannah Arendt aus den sechziger Jahren gesehen habe, ärgerte ich mich sehr über einen Satz, den sie, befragt zu ihrer Meinung über die Frauenemanzipation, darin sagt. Sie sagt: »Es steht einer Frau nicht, wenn sie Befehle erteilt.« Ich habe mich darüber furchtbar geärgert, weil ich das im Licht des Kampfes um gleiche Rechte gesehen habe: Warum eigentlich soll es einer Frau nicht stehen? Warum soll es verwerflich sein, wo doch Männer das auch dürfen?

Was ich dabei übersehen habe ist, dass Hannah Arendt damals schon wusste, was mir erst später, im Zuge der Frauenbewegung klar wurde: Selbstverständlich dürfen Frauen Befehle erteilen. Selbstverständlich wäre es gerecht , wenn es bei ihnen genauso akzeptiert wäre, wie bei Männern. Aber wäre das auch richtig und wünschenswert? Oder würden dabei nicht weibliche Tugenden verloren gehen, die derzeit noch – heute allerdings schon weniger als damals – die weibliche Kultur prägen: Zum Beispiel das Wissen darum, dass sich Konflikte anders lösen lassen als durch Befehl und Gehorsam?

Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die weibliche Kultur durch die Natur, die Gene, und so weiter garantiert wird. Sondern sie ist im Wandel – und sie kann daher auch verloren gehen. Wir selbst sind es, die für diese Kultur sorgen müssen, die sich verändern können und die sie täglich verändern mit dem, was wir tun: Zum Besseren wie zum Schlechteren.

Und es wird Zeit, dass diese Debatte nicht mehr nur hinter den verschlossenen Türen der Frauenzentren geführt wird, nicht nur am Kaffeetisch unter Freundinnen, oder gar, wie ich es zum Beispiel bei der Arbeit manchmal beobachte, auf dem Frauenklo, sondern offen. Im Fernsehen, in Podien, auf Tagungen, in den Medien.

Das heißt, wenn wir über Frauen wie Angela Merkel reden oder mit Frauen wie ihr, wenn wir uns ein Urteil bilden über das, was sie tun, wenn wir ihnen das dann mitteilen, in öffentlichen Äußerungen oder im direkten Gespräch, dann ist die Frage, die dahinter steht, nicht die, ob sie nun feministisch ist oder nicht, sondern diese Debatte und Auseinandersetzung selbst ist der Feminismus.

Und das heißt also: Wir diskutieren mit anderen Frauen darüber, was Frausein heute in dieser Welt bedeuten soll. Wir streiten uns über unsere unterschiedlichen Urteile und Wege. Wir diskutieren auch öffentlich darüber – und machen deutlich, dass es sich dabei um eine Debatte unter Frauen handelt mit dem Ziel, neue Ideen, Wege und Vorschläge für die ganze Welt zu erarbeiten und dieser anzubieten. Ein solcher, bewusst geführter Frauendiskurs, der die Differenzen zwischen Frauen sichtbar und relevant macht, wird die weibliche Autorität nicht schwächen, sondern stärken, davon bin ich überzeugt.

Wenn es einen solchen öffentlichen Frauendiskurs gäbe (und es gibt ihn ja in gewisser Weise längst, worum es mir geht ist nicht, irgendwelche neuen Handlungen zu erfinden, sondern an der symbolischen Bedeutung dessen, was Frauen ohnehin tun, zu arbeiten) – wenn also, mit so einem öffentlichen Frauendiskurs im Rücken, diejenigen Frauen, die ihre persönlichen Meinungen und Ideen öffentlich präsentieren, also zum Beispiel auch in gemischten Gruppen, dann müssten sie dort nicht mehr einfach nur als Individuen auftreten, als Neutren, die sozusagen »als Mensch« da sind und deren Frausein nur eine kulturelle Nebensächlichkeit ist, eine Zufälligkeit, die sich vielleicht in einem Rock oder einem rosafarbenen Pullover zeigt – oder in sonst einem an Klischees orientierten doing Gender – sondern sie wären – vom Selbstverständnis her ebenso wie von der öffentlichen Wahrnehmung her – Teil einer Bewegung, der Frauenbewegung nämlich, deren Grundlage eben gerade nicht das gemeinsame Programm ist, (das, wie gesehen, vom Zeitgeist und den herrschenden Verhältnissen vereinnahmt werden kann) sondern die politischen und persönlichen Beziehungen unter Frauen, deren Relevanz gerade aus ihren Kontroversen entsteht. Weil genau diese Kontroversen es sind, die neue Anfänge ermöglichen, echte Freiheit und nicht nur Wahlfreiheit zwischen Vorgegebenen.

Könnte es dann nicht wieder reizvoll sein, sich Feministin zu nennen? Weil dies nämlich nicht mehr bedeutet, auf bestimmte Inhalte festgelegt zu sein (was so viele Frauen fürchten, die das Wort deshalb nicht in den Mund nehmen), sondern weil es bedeutet, Teil einer Bewegung zu sein, die sich nicht durch inhaltliche Gemeinsamkeiten auszeichnet, sondern durch eine gemeinsame politische Praxis, nämlich die Praxis der Beziehungen unter Frauen?

Eine Praxis, die in der Vergangenheit schon viele Veränderungen angestoßen hat, weshalb ich die Hoffnung haben, dass ihr das auch in Zukunft gelingt, angesichts der großen sozialen Probleme, die vor uns liegen, auch wenn ich nicht genau weiß, wie diese Lösungen aussehen.

Dies erfordert natürlich auch, dass wir uns klar machen, wo und wie und warum wir gezielt den Dialog nur unter Frauen, aber eben auch mit Männern suchen. Heute ist das ja eher zufällig oder es wird, zum Beispiel in Frauenzentren, ideologisch und mit überholten Argumenten verteidigt oder kritisiert. Aber es gibt hier kein Entweder-Oder. Es ist notwendig, dass Frauen sowohl untereinander, als auch mit Männern diskutieren, und beides sozusagen mit Konzept.

Männer können sich an einer Debatte um weibliche Tugenden natürlich nicht beteiligen, denn sie sind ja keine Frauen. Sie könnten Frauen aber zum Beispiel zusehen – um daraus vielleicht Ideen und Anregungen für ihre eigenen Debatten zu ziehen. Die Frauen, die sich solcherart selbstbewusst – also der Bedeutung ihres Geschlechtes bewusst – austauschen und aus ihren Differenzen heraus neue Ideen entwickeln, könnten Männer auch gezielt einladen, sich an ihren Diskussionen zu beteiligen. Nicht einfach die Männer, sondern Männer, zu denen es Beziehungen gibt, die wirklich interessiert sind. Vielleicht könnten diese Männer dann sogar die gewonnenen Ideen und das Wissen darum, wie wichtig der Feminismus ist, unter ihresgleichen weiter verbreiten – auch dies ist übrigens ein Vorschlag von Lia Cigarini.

Und natürlich können die Frauen auch selbst weiterhin in »gemischte« Kontexte gehen und dort den »weiblichen Tugenden« gemäß agieren, das heißt mit dem Wunsch, die Welt zum Besseren zu verändern. Aber sie müssten dafür sich nicht mehr in Neutren verwandeln, sondern sie wüssten, woher sie kommen, was die Basis ihrer Freiheit ist.

Vortrag am 19.3.2006 bei der Tagung »Frauenbewegung zwischen Erfolg und Abgesang« in Bad Herrenalb

Leicht verändert abgedruckt in: Annegret Brauch (Hg): Frauen können alles, aber was wollen sie? Die Frauenbewegung zwischen Abgesang und Erfolg, Herrenalber Protokolle 121, 2006.