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aus: Wir Frauen, 1/2003

 

Ein Gossenmädchen will Präsidentin werden:

Victoria Woodhull (1838-1927)

In der amerikanischen „Wer wird Millionär“-Show war es kürzlich die 250.000-Dollar-Frage: Wer war die erste Frau, die Präsidentin von Amerika werden wollte? Der Kandidat musste aufgeben – kein Mensch kennt heutzutage Victoria Woodhull. Schuld daran ist nicht nur die patriarchale bürgerliche Geschichtsverzerrung. Auch von den Linken und von den Feministinnen wurde Victoria Woodhull aus den Annalen getilgt. Sie war zu unorthodox, zu kompromisslos (sie selbst meinte, im Auftrag von Geistern unterwegs zu sein), sie eignete sich einfach nicht als Leitfigur für irgend einen „ismus“. Umso mehr Spaß macht es heute, die unkonventionelle Lady wieder zu entdecken.

 

Als Victoria Woodhull 1869, mit dreißig Jahren, ihre politische Karriere in Angriff nimmt, hat sie bereits ein bewegtes Leben hinter sich: Eine Ehe mit einem Trunkenbold, von dem sie sich nach acht Jahren und der Geburt zweier Kinder scheiden lässt, einen Ausflug in die Goldgräberstadt San Francisco, wo sie (man kennt die Szenen aus den einschlägigen Westernfilmen), als Animierdame arbeitete, und lange Wanderjahre, in denen sie als spirituelle Heilerin und Wahrsagerin durch die Staaten Ohio, Tennessee und Illinois tingelte.

 

Kann so eine die Frauenbewegung anführen? Zumal Victoria Woodhull auch ihre eigenen Vorstellungen vom Feminismus hat: Nicht dass den Frauen das Wahlrecht verweigert wird ist ihrer Meinung nach das größte Problem, sondern patriarchale Ehegesetze, Prüderie, Doppelmoral, sowie ein Mangel an Selbstvertrauen und Wagemut auf Seiten der Frauen selbst. Erzwungener Sex in der Ehe, Prostitution, Abtreibung: das sind die Themen, die sie auf die politische Bühne bringen will. Und – Skandal! – es sind Dinge, mit denen sie sich gut auskennt.

 

Geschickt versteht es Victoria Woodhull, sich als neue Hoffnungsträgerin der Frauen ins Gespräch zu bringen. In New York gewinnt sie erstmal einen reichen Kunden für ihre Wahrsagekünste: den Eisenbahnmillionär Cornelius Vanderbilt. Solchermaßen gesponsert gründet sie das erste weibliche Broker-Büro an der Wallstreet, große Schlagzeilen über die „Petticoats zwischen den Bullen und Bären“ füllen die Zeitungen. Während die Frauenbewegung frustriert vor sich hin dümpelt – schließlich dauert der Wahlrechtskampf nun schon zwanzig Jahre und nichts tut sich – verbreitet Victoria Optimismus: „Hiermit gebe ich bekannt, dass amerikanische Frauen das Wahlrecht haben!“ titelt sie in ihrer Wochenzeitung, und erklärt: im Gesetzestext sei schließlich vom Geschlecht der Wahlberechtigten gar keine Rede. Dieses (im übrigen zutreffende) Argument verschafft ihr, als erster Frau, eine Einladung in den Rechtsausschuss des Kongresses.

 

Victoria Woodhull hat eine „magische Ausstrahlung“, sagen ihre Zeitgenossen. Wenn sie Vorträge über „freie Liebe“ oder „die bevorstehende Revolution“ hält, füllen sich Hallen mit mehreren tausend Menschen. Noch aus der Distanz von 130 Jahren möchte man diese Frau kennen lernen, die mit überbordender Lebenslust auf die Welt zugeht. „Frauen haben jedes Recht der Welt“, ist ihre feste Überzeugung, „alles, was sie tun müssen ist, es auszuüben“. Auch die Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit sind von Victoria fasziniert, zumindest die radikaleren wie Elizabeth Cady-Stanton und Susan Anthony. In der Hoffnung, so neuen Schwung in die Bewegung zu kriegen, schieben sie Victoria als Frontfrau auf ihre Podien. Und auch aus der Arbeiterbewegung und unter den Spiritisten ihrer Zeit sammelt die Woodhull Fans hinter sich: 600 Delegierte aus 22 Staaten küren sie schließlich zu ihrer Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen im November 1872.

 

Doch das konservative Amerika kann diese freizügige und „unrespektable“ Unterschichtsfrau nicht lange ertragen. Heftige Angriffe, vor allem auch von den konservativeren, „wohlanständigen“ Frauenrechtlerinnen, sowie Victorias hitzige Gegenreaktionen bringen sie kurzzeitig (wegen „Obszönität“) ins Gefängnis und veranlassen sie später zu einer Übersiedelung nach England. Wo Victoria Woodhull jedoch keineswegs in Depressionen versinkt, sondern ein erfülltes und langes Leben führt. Sie stirbt erst 1927, im Alter von 88 Jahren.

 

Antje Schrupp