Antje Schrupp im Netz

Neuheidentum – Grundlage für rechtsradikale Ideologie?

Mit dem Thema Neuheidentum als Grundlage für rechtsextreme Ideologie habe ich mich 1996 beschäftigt, weil ich eine Radiosendung für den Hessischen Rundfunk darüber machte. Meine Thesen stützen sich nicht nur auf entsprechende Literatur, sondern ich habe ausführliche Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern neuheidnischer Gruppen, aber auch mit Kritikern aus der Antifa-Bewegung geführt und auch an einigen heidnischen Treffen und »Ritualen« teilgenommen. Meine Fragestellung dabei war: Was haben germanisch-keltische Traditionen und Rechtsradikalismus miteinander zu tun? Wie bedienen sie sich gegenseitig? Und wo nicht?

Zuerst ein Blick in die Geschichte. Vor der Christianisierung gab es in Europa germanische und keltische Naturreligionen, über die man heute nur wenig weiß. Heidentum ist die Bezeichnung, die christliche Missionare und Missionarinnen diesen Religionen gegeben haben, womit sie unwissende und damit »unschuldige« Nicht-Christen vom Judentum und von den Ketzerbewegungen unterscheiden wollten. Die Christianisierung Europas, ging ab dem 4. Jahrhundert von Italien aus und kam um die Jahrtausendwende in Skandinavien an, und sie war so durchschlagend, daß über die Religionen der alten keltischen und germanischen Gesellschaften heute fast nichts mehr bekannt ist. Das weist übrigens auch auf ein religionswissenschaftliches Forschungsdefizit hin. Gerade weil man darüber nichts weiß, entstand ein breiter Spielraum dafür, daß die keltische und germanische Mythenwelt ganz verschiedenen Gruppen und Bewegungen als Bezugspunkt dienen konnte und kann.

Dies geschah vor allem im 19. Jahrhundert. Es gab damals eine starke Gegenbewegung gegen die Folgen von Rationalisierung und Industrialisierung. Es wurde immer klarer, daß die Ideale der französischen Revolution die Gleichheit aller Menschen zwar postuliert hatten, daß diese Gleichheit aber nicht oder nur unzureichend umgesetzt wurde. Während sozialistische oder feministische Bewegungen daher forderten, daß die Schere zwischen arm und reich und die Benachteiligung von Frauen endlich abgeschafft werden sollten, entwickelten rechte Esoteriker und Esoterikerinnen wie Helene von Blavatsky, Adolf Lanz von Liebenfels oder Guido von List Theorien, mit denen sie die rassische oder kulturelle Ungleichheit der Menschen erklären wollte. So wollten sie beweisen, daß eine egalitären Gesellschaft von Natur aus unmöglich ist. Dieser Bewegung grenzte sich vom »egalitären« Christentum und Judentum ab und berief sich auf germanische, heidnische Überlieferungen, die größtenteils erfunden waren. Der aufklärerischen Vernunft stellten sie eine esoterische Weltsicht entgegen, die davon ausgeht, daß transzendente Wahrheiten nicht durch die Vernunft, sondern durch okkulte Praktiken und Rituale erfahrbar sei. Es entstanden zahlreiche Geheimorden, die beanspruchten, solches esoterisches Wissen weiterzugeben.

Die späteren nationalsozialistische Vorstellungen von Germanentum bezogen sich auf diese im 19. Jahrhundert entstandenen okkulten Gruppen, nicht auf die historischen keltisch-germanischen Gesellschaften. Die um die Jahrhundertwende entstandenen okkulten und esoterischen Gruppen wurden teilweise in den Nationalsozialismus integriert, aber ganz unproblematisch war das nicht. Auch viele von ihren führenden Köpfen wurden im Nationalsozialismus verfolgt.

Es gab in der NSDAP zwei Fraktionen, die eine gegensätzliche Religionspolitik des NS-Staates forderten. Die heidnisch-germanische Gruppe um Rosenberg und Himmler, die das vom Judentum abstammende Christentum abschaffen und stattdessen eine neue germanische Religion gründen wollten. Und auf der anderen Seite die Fraktion des sogenannten positiven Christentums um Göring und Hitler, die eine Übereinkunft mit den Kirchen anstrebten. Es war diese zweite Gruppe, die sich schließlich durchsetzte, nicht etwa die erste. Und auch die Verfechter einer germanischen Religion beriefen sich nicht auf keltisch-germanische Naturreligionen, sondern hatten ein völlig unhistorisches Germanenbild, das eher an Heroenbilder aus der griechischen Antike erinnert. Allerdings wurden hier die im 19. Jahrhundert entstandenen esoterischen Orden teilweise integriert.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus entstand in diesem Milieu die Auffassung, die Hitler-Göring Gruppe und insbesondere die SA sei an dieser Niederlage schuld. Bis heute wird in entsprechenden rechtsradikalen Publikationen die SS als ordensähnlich organisierte Eliteeinheit als Gegenpol zur bürokratisierten NSDAP dargestellt. Nur die NSDAP sei untergegangen, die SS aber bestehe immer noch im Geheimen weiter, etwa indem sie durch Ufos ins Weltall geflogen sei oder in geheimer Mission in die Antarktis ausgewandert, wo sie bis heute den arischen Genpool reinhalten und pflegen. Dies zu wissen ist wichtig, wenn sich rechtsextreme Gruppen von Hitler und von der NSDAP distanzieren – sie distanzieren sich nicht vom Nationalsozialismus, sondern beziehen Position in einer Nazi-Internen Auseinandersetzung.

Das alles hat vor einigen Jahren eine erneute Aktualität gewonnen, und zwar als Reaktion auf die Verbote rechtsradikaler Parteien und paramilitärischer neonazistischer Gruppen. Gegen diese Verbote wird das Dritte Reich in der rechten Eso-Szene mit einer Aura von Spiritualität gewappnet. Nazigruppen, die ein religiöses Vokabular verwenden, sind gegen eine Verfolgung als politische Gruppe gefeit, indem sie sich auf die Religionsfreiheit berufen. Außerdem wird dadurch ein religiöses-ideelles Band geknüpft, das eine Zusammengehörigkeit ausdrückt, die durch entsprechende Organisationsformen nicht mehr gewährleistet werden kann. Ein Beispiel dafür ist die ANSE, die »Arbeitsgemeinschaft naturreligöser Stammesverbände Europas«, zu der auch der berüchtigte Armanenorden gehört, in dem viele ausgewiesene Neonazis Mitglied sind und von einigen anderen Gruppen. Diese Gruppen sind in Deutschland allerdings ziemlich klein. Alles in allem haben sie vielleicht um die tausend Mitglieder.

In den letzten Jahren haben diese Gruppen die Chance erkannt, die in ihrem zunächst durch die staatliche Verbotspolitik erzwungenen Rückzug auf’s Religiöse lag: Die Verwendung esoterischen, pseudoreligiösen Vokabulars ermöglicht es ihnen, ihre Ideen viel weiter zu streuen. Gezielt werben sie mit Broschüren, Büchern und Veranstaltungen im esoterischen Spektrum, und es ist für Außenstehende oft nicht leicht, zu erkennen, wer sich dahinter verbirgt. Gerade der Bezug auf das Heidentum ermöglicht es ihnen, sich selbst als unterdrückt und verfolgt darzustellen: In der Tat wurde ja das Heidentum vom Christentum ausgerottet. Bis heute dient es als Negativfolie. Noch etwas trägt dazu bei, das Heidentum heute für Leute intessant zu machen: So, wie sich die etablierten Kirchen darstellen, darf man sich nicht wundern, wenn sich Menschen auf die Suche nach einer religiösen Alternative machen. Kommt dann noch eine Sehnsucht nach Naturverbundenheit, nach Transzendenzerfahrung und emotional befriedigenden Ritualen dazu, dann kann Heidentum durchaus eine Alternative sein.

Wenn sich Leute in Deutschland für Naturreligion und Germanentum interessieren, dann heißt das also nicht automatisch, daß sie rechtsradikal sind. Ich habe solche Leute kennengelernt bei einem Heidenwochenende zur Feier der Walpurgisnacht, der Nacht zum ersten Mai, vor zwei Jahren auf einer Burg im Sauerland. Es war ein bunter Haufen von Leuten, die sich teilweise wie Asterix-Figuren verkleidet hatten, Wettkämpfe im Baumstamm-Weitwerfen machten, Met tranken und irische Folkmusik hörten. Sie alle bezeichneten sich als Hexen, Druiden oder Germandenpriester. Alles in allem waren sie mir sehr sympathisch und es war ein lustiges Wochenende. Auch wenn man diese Leute für ein wenig spinnert halten mag, so war doch hier mit Sicherheit weniger rechtsradikales Gedankengut vorhanden, als auf einem x-beliebigen CDU-Parteitag.

Mir sind manche Antifa-Gruppen äußerst suspekt, die meinen, alles was irgendwie mit Germanentum zu tun hat, sei gleich schon rechtsradikal. Durch solche Zuweisungen werden die Versuche der wirklich rechtsradikalen Neuheiden, sich als Märtyrer zu stilisieren, unterstützt. Die Rechten versuchen, sich durch spirituelles Vokabular im religiösen Markt zu etablieren und so Menschen, die sich als unpolitisch verstehen, für ihre menschenfeindlichen politischen Vorstellungen zu gewinnen. Um dem etwas entgegenzusetzen, müssen inhaltliche Kriterien gefunden werden, die es den Menschen ermöglichen, selbst die Spreu vom Weizen zu trennen. Pauschalurteile, die durch Erfahrungen, wie ich sie bei diesem Heidentreffen machte, leicht widerlegt werden können, sind da kontraproduktiv.

Nicht alle Gruppen, die sich auf keltische oder germanische Kultur berufen, sind rechtsradikal. Wenn man hier pauschale Urteile ausspricht, befördert man letztlich den Versuch, rechtsradikaler Gruppen, sich als Märtyrer zu stilisieren. Wie aber kann man feststellen, ob eine Gruppe rassistische Ideologie vertritt? Denn wichtig ist diese Beurteilung ja nicht bei denen, die offen ausländerfeindlich, auftreten, sondern gerade bei solchen, die ihren Rassismus in ein spirituelles Gewand kleiden. Dazu hier einige Kriterien:

  • Erstens: Vorsicht, wenn Gruppen, die man nach ihrer Verbindung zu Neonazis fragt, mit einer Kritik an Hitler und der NSDAP antworten. In einem solchen Fall nach Himmler und der SS fragen.

  • Zweitens: Vorsicht, wenn sie viel von Europa reden. Fragen, ob auch Griechenland, Sizilien und Rumänien zu ihrem Europa gehören.

  • Drittens: Fragen, was sie von »gemischtrassigen« Ehen halten und in welcher spirituellen Tradition Kinder aus solchen Ehen stehen. Wenn die Antwort darauf schwammig bleibt, fragen, ob euer senegalesischer Verlobter auch Mitglied in der Gruppe werden kann.

  • Viertens: Vorsicht, wenn die Gruppe sich zwar als nicht-rassistisch verstehen will, aber immer betont, daß sie unpolitisch sei. Wirklich nicht-rassistische Heiden und Heidinnen haben ihr Verhältnis zum rechtsextremen Heidentum reflektiert und verstehen sich insofern durchaus als politisch.

  • Fünftens: Vorsicht, wenn auf geheime Traditionen Bezug genommen wird, wenn behauptet wird, die »Wahrheit« über keltische oder germanische Religiosität zu kennen. Heiden, die wirklich an dieser Tradition interessiert sind, wissen, daß man darüber nichts weiß, und geben zu, daß sie ihre Rituale zu einem großen Teil neu erfunden haben.

Gefährlich sind aus meiner Sicht nicht so sehr »spinnerte« neuheidnische Minigruppen, seien sie rechtsradikal oder nicht. Viel gefährlicher ist daß die sogenannte Neue Rechte auf die ganz normale Politik Einfluß hat. Diese Leute kommen nicht als Germanenpriester verkleidet daher, sondern mit Schlips und Anzug. Leute wie der Franzose Alain de Benoist, Pierre Krebs oder Sigrid Hunke haben eine neue, antiegalitäre Philosophie entwickelt, die aus einer Ablehnung des egalitären Christen-/Judentums heraus sich ebenfalls auf das Heidentum beruft. Ihr Bezugspunkt ist nicht das Germanentum, sondern Europa – und im Rahmen der gegenwärtigen Europadebatten kommen Argumentationslinien der neuen Rechten immer wieder zum Zug. Sie vertreten ein Politikverständnis, das sich, wie schon ihre Vorläufer im 19. Jahrhundert, vom Gleichheitsideal der Aufklärung verabschiedet. Sie wollen eine »organische Politik«, die von der Verschiedenheit der Völker ausgehend Europa als ein »biokulturelles« System versteht. Religiös sind sie, insofern sie den Universalismusanspruch der monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam ablehnen, also die Vorstellung, es gebe nur einen Gott, vor dem alle Menschen gleich sind – wobei die Stoßrichtung dieser Argumentation heute nicht mehr in erster Linie gegen das Judentum geht, sondern gegen den Islam.

Das Schwierige an der Auseinandersetzung mit dieser Ideologie ist, daß sie tatsächlich auf Defizite der unversalen, aufklärerischen, rationalen Philosophie antwortet. Ich denke zum Beispiel an die Kritik, die unterdrückte Bevölkerungsgruppen an einer links-liberalen universalistische Theorie üben, etwa schwarze Frauen an der weißen Frauenrechtsbewegung oder die religiöse Minderheiten am Missionsanspruch des Christentums. Es gelingt der Neuen Rechten, sich bis zu einem gewissen Grad als subversive Kraft zu behaupten.

Das Gemeinsame und eigentlich Gefährliche an neuheidnisch-rechtsradikaler Ideologie ist meiner Meinung nach also nicht ihr Bezug auf germanische und keltische Kultur, sondern ihr Rassismus. Hier liegt das verbindende Element zwischen einem neurechten Aufsatz in der FAZ oder einem neurechten Referat vor einer CDU-Versammlung und ausländerfeindlichen Anschlägen, bei denen man sich auf einen Befehl Odins beruft. Es ist auf dem Gebiet der Ausländerpolitik, nicht auf dem der Religion, wo diese Strömung der neuen Rechten in den letzten Jahren tatsächlich Erfolg hatte: Heilige Haine, wo Naturgottheiten verehrt werden können, sind als offizielle Kultstätten in Deutschland immer noch nicht etabliert. Das Asylrecht aber wurde faktisch abgeschafft, das Ausländergesetz extrem restriktiv geregelt und so weiter – Doppelte Staatsbürgerschaft. Das antidemokratische Verständnis von Gesellschaft und Politik, die Vorstellung, daß eben nicht alle Menschen gleiche Rechte haben, ist in der deutschen Alltagsrealität schon bestätigt und weit verbreitet.

Heidnische Naturreligionen erleben derzeit auf der ganzen Welt ein Comeback. In Frankreich gibt es traditionelle Druidenverbände, die längst öffentlich auftreten, und in Großbritannien hat 1995 an der Universität Leeds eine Hexe ihre Arbeit als offiziell anerkannte heidnische Seelsorgerin aufgenommen. Vor allem aber in der sogenannten »Dritten Welt« leben naturreligiöse Traditionen wieder auf, in Haiti hat der katholische Staatspräsident Aristide am Ende seiner Amtszeit den Bau eines offiziellen Voodoo-Tempels unterstützt. In Brasilien ist die Rückbesinnung auf den Candomblé, eine animistische Naturreligion den die als Sklavinnen und Sklaven deportierten Menschen mitgebracht haben, eine wichtige Säule des emanzipatorischen schwarzen Selbstbewußtseins. In vielen afrikanischen Regionen sind schamanistische Traditionen noch ungebrochen, und auch die lange unterdrückten naturreligiösen Überzeugungen der nordamerikanischen Indianer oder der australischen Ureinwohner werden im Zuge der kulturellen Selbstbehauptung dieser Völker wiederentdeckt. Heidentum ist also keineswegs der Rückfall in eine vermeintlich primitive Religion voraufklärerischer Zeiten, sondern eine ernstzunehmende weltweite religiöse Bewegung. Obwohl diese Religionen im einzelnen sehr unterschiedlich sind, lassen sich doch Gemeinsamkeiten feststellen: Es sind keine Offenbarungsreligionen, sondern sie gehen davon aus, daß das Göttliche in der Natur immanent vorhanden ist. Dahinter steht die Sehnsucht nach einer authentischen Beziehung von Mensch und Natur, die Kritik an Industrialisierung und Umweltverschmutzung, ein Glaube an Magie und andere Formen eines nicht-rationalen Zugangs zur Transzendenz. Einiges an dieser religiösen Praxis ist durchaus diskutierenswert und auf diese Herausforderung sollte nicht mit einer pauschalen Verurteilung alles Heidnischen reagiert werden.

Vortrag am 11. Juni 1998 beim Katholikentag in Mainz und

am 19. Januar 1999 bei der Katholischen Hochschulgemeinde Frankfurt