Antje Schrupp im Netz

Impulse für die Frauenbildung. Zehn Thesen.

Thesenpapier für eine Fachkonferenz zum Thema „Demografischer Wandel“ Frauenbildung Baden-Württemberg, 21.5.2012

1. Altersbewusste, aber nicht -spezifische Angebote machen

Das Alter spielt für die Teilnahme an Bildungsangeboten eine Rolle, das lässt sich aber nicht in fixen Kalenderjahren greifen. Teilnahmebegrenzungen aufgrund von Altersangaben wirken ausschließend und sind oft sachlich nicht angemessen. Deshalb sollten Programmplanerinnen ihre Angebote altersbewusst, aber nicht altersspezifisch planen. Das heißt: Keine Altersangaben („Fünfzig Plus“), sondern kontextbezogene Angaben („Für Kulturinteressierte“ oder „Bei dieser Reise sind längere Fußwege zu bewältigen“) machen.

2. Intergenerationelle Kompetenz zeigen

Menschen sind nicht einfach „gleich“ oder nur „individuell“ unterschiedlich, sondern sie sind immer auch geprägt von ihrer sozialen Position. In Bezug auf die Unterschiede zwischen Frauen und Männern oder die zwischen verschiedenen kulturellen Herkünften oder Religionszugehörigkeiten gibt es dafür inzwischen bereits ein gewisses Bewusstsein („Diversity“). Analog dazu müssen Mitarbeiter_innen in Bildungseinrichtungen heute auch „intergenerationelle“ Kompetenzen haben.

3. Kohortenspezifische Erfahrungen aufgreifen

Die meisten Unterschiede zwischen Menschen verschiedenen Alters liegen nicht am Alter selbst, sondern an bestimmten „kohortenspezifischen“ Erfahrungen: 60jährige haben die Teilung Deutschlands noch erlebt, 20jährige nicht. Diese Unterschiede können für die Bildungsarbeit fruchtbar gemacht werden, etwa indem entsprechende Dialoge initiiert oder diese Erfahrungen der Teilnehmer_innen fruchtbar gemacht werden.

4. Die Alterstruktur der Mitarbeiter_innenschaft reflektieren

Nicht nur die demografische Zusammensetzung der Zielgruppe, auch die der Mitarbeiter_innen in den Bildungseinrichtungen spielt eine Rolle und muss daher reflektiert werden. Es ist sinnvoll, die eigene hausinterne Altersstruktur zu erheben und in konzeptionelle Überlegungen einfließen zu lassen. Gibt es zum Beispiel keine jüngeren Mitarbeiterinnen, ist es sehr schwer, adäquate Angebote für die Zielgruppe jüngerer Frauen zu machen. Dann ist es besser, auf solche Angebote eher zu verzichten oder aber das Team entsprechend zu ergänzen bzw. zu verändern.

5. Neue Medien nutzen / Internet, Soziale Netzwerke

Bildungsarbeit ist immer auch Kommunikation. Große Teile der gesellschaftlichen Kommunikation finden heute im Internet statt, auf Blogs, in sozialen Netzwerken. Diese werden von jüngeren Menschen (derzeit noch) weitaus selbstverständlicher und intensiver genutzt als von Älteren. Das bezieht sich nicht nur auf die technischen Plattformen der Kommunikation, also die Frage, welches Medium genutzt wird (Zeitung, Programmhefte oder Internetplattformen), sondern hat auch Auswirkungen auf die Art und Weise der Kommunikation (Transparenz, Geschwindigkeit, Direktheit). Um weiterhin gesellschaftlich relevant zu bleiben, müssen Bildungsträger diese neuen Arten der Kommunikation beherrschen und aktiv nutzen. Gleichzeitig ist eine die Vermittlung von „Internetkompetenz“ ein wichtiges Angebot vor allem für ältere Menschen.

6. Veranstaltungsformen überdenken

Viele traditionelle Bildungsangebote bedienen sich einer bestimmten Art von Veranstaltungsform (Vorträge, Podien, Tagungen). Gleichzeitig haben sich aber – vor allem bei Jüngeren – die Gewohnheiten des kulturellen Austauschs verändert und neue Veranstaltungsformen etabliert (Barcamps, Flashmobs, Blogdiskussionen). Es ist konzeptionell zu überlegen, ob und für welche Zielgruppen und Themen neue Veranstaltungsformen erprobt werden können.

7. Von der „Vermittlung von Wissen“ zur „Moderation von Diskursen“

In der traditionellen Bildungskultur sind die Rollen zwischen „Lehrer“ und „Schüler“ klar getrennt („Referentin“ und „Publikum“, „Kursleiterin“ und „Teilnehmer“). Dieses Arrangement wird derzeit von zwei Seiten auf die Probe gestellt: Einerseits gibt es in vielen klassischen Bildungseinrichtungen eine Veralterung des Publikums, das heißt, die Teilnehmer_innen sind oft deutlich älter als die Referent_innen. Damit ergibt sich eine Überkreuzung in Bezug auf das Wissen („Fachwissen“ vs. „Lebenserfahrung“). Gleichzeitig ist vor allem durch das Internet eine Kultur des gegenseitigen Dialogs ohne feste Hierarchien und außerhalb klassischer Institutionen entstanden. Zukunftsfähige Bildungsarbeit muss diesen neuen Bedürfnissen nach Partizipation und Transparenz gerecht werden.

8. Treffen organisieren, Wissen bereitstellen

Die klassische Bildungsarbeit in Form von Wissensvermittlung hat an Bedeutung verloren: Man muss keine Vorträge mehr besuchen, um zu erfahren, was Referent_innen an fachlichem Wissen mitzuteilen haben – das geht im Internet schneller und bequemer. Es wird daher in Zukunft darum gehen, in der Bildungsarbeit das stärker zu fördern, was nicht ins Internet verlagert werden kann: die direkte Begegnung mit Menschen vor Ort, der persönliche Austausch. Bildungseinrichtungen sollten daher einerseits Wissen transparent und großzügig bereitstellen (zum Beispiel Referate zum Download anbieten, Veranstaltungen mitschneiden und ins Internet stellen) und andererseits ihre Räumlichkeiten als Orte des Austauschs verstehen. (Zum Beispiel ist es nicht gut, wenn Referent_innen bei Tagungen gleich wieder abreisen oder wenn nach Vorträgen nicht genug Raum für Diskussion bleibt).

9. Gemeinschaftsbildung stärken, Zeitbudgets achten

Die Bedürfnisse des Publikums sind heute – auch koinzidierend mit der demografischen Struktur – ausdifferenzierter als früher. Menschen im Beruf oder mit kleinen Kindern haben meist knappe Zeitkapazitäten und erwarten klare Zeitrahmen und inhaltliche Effizienz, andere (zum Beispiel Ältere oder auch Erwerbslose) suchen eher Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Traditionelle Bildungsangebote strukturieren sich jedoch vorwiegend nach inhaltlich-thematischen Kriterien. „Sozialen“ Kriterien sollten in Zukunft stärker konzeptionell in der Programmplanung und bei der Durchführung von Veranstaltungen (Raumgestaltung, Catering, Möglichkeit eines kontinuierlichen Kontaktes…) berücksichtigt werden.

10. Mobilität reflektieren und gewährleisten

Menschen sind heute gleichzeitig mobiler als früher wie auch in ihrer Mobilität eingeschränkt. Diese beiden Entwicklungen sind in die Programmplanung einzubeziehen. Das betrifft sowohl die Erreichbarkeit (gibt es öffentliche Verkehrsanbindung zu den relevanten Uhrzeiten? Sind die Seminarräume barrierefrei?) und deren Kommunikation (im Flyer, auf der Webseite) als auch die Möglichkeit, Bildungsangebote auch aus der Ferne zu verfolgen. Wenn interessante Veranstaltungen etwa im Internet verfolgt werden können (per Livestream oder als Dokumentation oder in einem Diskussionsforum) könnte das sowohl für ältere Menschen (die sich von zuhause aus zuschalten können) als auch für mobile jüngere Menschen (die von unterwegs aus zuschalten können) attraktiv sein und die Eintrittsschwelle für einen Kontakt zu der jeweiligen Bildungseinrichtung senken.