Antje Schrupp im Netz

Lila Pause? Von wegen!

Perspektiven einer Politik für Geschlechtergerechtigkeit

(dies sind nicht ausformulierte Notizen, daher bitte nur als Anregung verwenden, nicht daraus zitieren bzw. die Hinweise «Erlaubnisse und Verbote« beachten)…

Feminismus ist heute top-aktuell. Zu verdanken haben wir es Eva Hermann. Danach Welle der Solidarität für die Frauenbewegung. Hat gezeigt, wie viel sich wirklich verändert hat. Niemand will zurück in die 50er Jahre. Das Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Geschlechter ist politischer Mainstream, Gender-Mainstreaming von oben verordnet.

Als Feministin finde ich diesen »Boom« einerseits sehr schön, andererseits macht er mir auch ein bisschen Angst. Angst deshalb, weil der Trend immer unverkennbarer wird, den Feminismus als Argument für einen neoliberalen Umbau der Gesellschaft zu nehmen. Krieg in Afghanistan. Koch-Mehrin-Buch. Dass die Wirtschaft weibliche Arbeitskräfte braucht, ist ein Argument, das in keiner Debatte mehr fehlt. v.d. Leyen, die Erziehungsgeld und Krippenplätze von dem Einkommen der Armen und Hartz IV bezahlen will.

Die Frauen, zumindest die gut qualifizierten, sind heute keine unterdrückte Gruppe mehr, sondern eine attraktive Klientel, die umworben werden muss. Als Feministin geht es mir aber nicht um die Frage: Wem nützen die Frauen? Sondern: Was wollen die Frauen?

Problem, dass Emanzipation und Feminismus heute weitgehend gleichgesetzt wird. Aber es sind zwei sehr verschiedene Sachen, wenn es natürlich auch gewisse Berührungspunkte gibt.

Der Emanzipation geht es um die Gleichheit der Frauen mit den Männern, dem Feminismus um die Freiheit der Frauen. Im ersten Fall sind also die Männer und das was sie haben und tun, der Maßstab. Im zweiten Fall ist es das Begehren der Frauen selbst – und dieses Begehren ist frei in einem viel umfassenderen Sinn: es kann sich auch auf völlig neue Dinge richten, auf nichts, was die Männer schon haben. Symmetrische Differerenz und assymmetrische Differenz.

Beispiel für Emanzipation: Koch-Mehrin: Frauen haben die Wahl, entweder sich an die Welt der Männer zu assimilieren, Gleichberechtigung heißt, dass es dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen gibt (Kinderbetreuung, das Ende patriarchaler Mentalität in Unternehmen usw.). Oder sie können weiterhin die alten Frauenrollen ausfüllen, sich um Kinder kümmern usw. dann dürfen sie sich aber nicht beschweren, wenn sie weniger Geld verdienen. D.h. das Verhältnis der Geschlechter wird ganz innerhalb des gegenwärtigen wirtschafts-politischen Rahmens gesehen, der quasi als naturgegeben gilt, und innerhalb dessen Frauen die gleichen Chancen haben müssen wie Männer.

Freiheit der Frauen bedeutet aber nicht nur die Wahl zwischen vorgegebenen Alternativen, sondern die Möglichkeit, etwas ganz Neues und anderes zu wollen, etwas, was es noch gar nicht gibt. Zum Beispiel eine Welt, in der Menschen, die sich um Kinder kümmern oder sich aus anderen Gründen nicht voll und ganz dem Erwerbsarbeitsmarkt ausliefern, dennoch materiell abgesichert und mit Sinn leben können.

Statistiken über unterschiedliches Verhalten von Frauen und Männern werden immer als Defizite der Frauen gelesen. Abweichungen werden durch Biologie und Sozialisation erklärt. Aber sind sie nicht immer auch Ausdruck freien Handelns, zumindest möglicherweise?

Sicher, könnte man jetzt einwenden, die Frauen können sich doch wie Männer auch irgendwelchen revolutionären und gesellschaftsverändernden Bewegungen anschließen. Sozusagen als Individuen, unabhängig von ihrem Geschlecht. Das tun Frauen ja auch. Neulich hatten wir eine Diskussion und da sagte eine Frau: Wenn sie sich entscheidet, halbtags zu arbeiten wegen der Familie, dann tut sie das nicht als Frau, sondern als Individuum. Das ist banal. Keine Frau tut irgend etwas als Frau, sondern jede tut das, was sie tut, als Individuum.

Aber trotzdem bekommt dieses »mehr Frauen als Männer« tun dies und das eine politische Relevanz, und zwar unabhängig vom Emanzipationsgedanken. Wir haben früher gedacht, das Problem sei, dass Männer sich zur Norm erklären, dass sie behaupten, für das allgemein Menschliche zu stehen, und die Frauen zu Abweichlerinnen erkärt zu haben. Und wir haben geglaubt, dass die Männer lernen müssen, sich selbst als Partiell zu sehen. So als könnte man quasi aus einer Teilmenge von Männern und Frauen das Allgemein-Menschliche ableiten, sodass jede Frau und jeder Mann teilweise menschlich und teilweise männlich oder weiblich ist.

Ich glaube inzwischen, dass das zu kurz greift. Ich bezweifle, dass es dieses »allgemein menschliche« gibt. bzw. würde ich sagen, das Problem ist nicht, dass der Mann für sich beansprucht hat, für das allgemein menschliche zu stehen, sondern dass die Frau das nicht getan hat. Frauen und das was sie tun, als Individuen oder als Gruppe, repräsentiert das allgemein Menschliche. Das heißt, das allgemein Menschliche ist nicht Eines, sondern existiert nur als Pluralität.

Dieses Einheitsdenken des »universalen Menschen«, unabhängig von seiner konkreten Position, ist ja selbst schon ein Produkt patriarchaler Weltbilder mit ihren Dualismen von Geist und Körper, Kultur und Natur, männlich-weiblich, usw. Zu diesen Gegenüberstellungen gehört auch die Trennung von »Wesentlichem« und »Kontingentem«, also in dem Fall dem »Wesen des Menschen« und seiner zufälligen Erscheinungsform als Mann und Frau, schwarz und weiß usw. Früher dachte ich auch, das Problem sei, dass der weiße erwachsene Mann die Position dieses »Wesentlichen« für sich beansprucht und das Problem sei, dass die anderen (Frauen, Schwarze, Kinder usw.) davon ausgenommen sind.

Von dieser Analyse kommt man zur Logik der Emanzipation und Gleichstellung. Das heißt, die Emanzipation als solche war eine Erfindung von Männern, Aufklärung. Frauen damals nicht gemeint, aber wenn die Idee der Gleichheit erst einmal in der Welt ist, ist ja nicht wirklich viel Phantasie nötig, um zu sehen, dass Frauen das auch wollen.

Heute ist es so weit, aber so wirklich zufrieden sind viele Frauen immer noch nicht. Man kann das natürlich damit erklären, dass die Emanzipation noch nicht vollständig ist, also dass es hier und da noch Benachteiligungen gibt, Bsp. Wirtschaft usw. Allerdings ist das kein sehr attraktiver Diskurs. Auch nicht für junge Frauen, die sich nicht als Opfer sehen. Ich behaupte vielmehr: Auch wenn die Gleichstellung komplett wäre, wäre das Unbehagen noch da. Ich behaupte sogar, das Unbehagen ist eine Folge der Gleichstellung. Denn diese Gleichstellung droht, die weibliche Differenz auszulöschen, durch Assimilierung.

Ich bin der Meinung, gerade wenn Frauen gleichberechtigt sind, brauchen wir den Feminismus dringender denn je. Denn je mehr Frauen Einfluss haben, Entscheidungsmöglichkeiten, Positionen mit Macht, umso wichtiger ist es doch, dass sie sich auch darüber Gedanken machen, was sie denn dort machen wollen. Auf welche Weise sie diese Positionen ausfüllen wollen. Und ich wünsche mir, dass die Freiheit der Frauen dabei eine Rolle spielt und nicht ihre Anpassung an die gegebenen Strukturen zu gleichen Bedingungen.

Konkretes Beispiel: Neuorganisation von Care- und Fürsorgearbeit. Ist ja eine unmittelbare Folge der Emanzipation, da hat Eva Hermann recht. Eine der Trennungen und Dualismen war ja die in Privat und Öffentlich, in Haus- und Erwerbsarbeit. Emanzipation als Assimilation der Frauen an die Welt der Männer hat dazu geführt, dass Frauen auch Erwerbsarbeit machen, dass sie in der Öffentlichkeit präsent sind. Nicht bedacht wurde bislang, wie sich das auf die anderen Sphären auswirkt, die ja in der bürgerlichen Gesellschaft zur Balance unabdingbar notwendig waren. Wer macht die Arbeit, die die Frauen bislang zuhause unentgeltlich gemacht haben, wenn die emanzipierten Frauen die nicht mehr machen?

Wir wissen die Antwort: Die Frauen machen sie überwiegend weiterhin, fahren also Doppelschichten. Ein bisschen gibt es öffentliche Institutionen wie Kindergärten, aber noch viel zu wenig. Einige Männer helfen inzwischen ein bisschen dabei, aber noch viel zu wenig, es fällt statistisch noch kaum ins Gewicht. Und schließlich machen illegale Migrantinnen diese Arbeit, zu der die deutschen erwerbstätigen Frauen keine Zeit mehr haben, Pflegerinnen aus Polen, Putzfrauen aus der Ukraine usw.

Ich finde, dieses ist das größte Beispiel dafür, wie die weibliche Differenz ausgelöscht wird, wie sie nicht zum Zuge kommt. Denn die Lösungen für dieses Problem – und es ist ja immerhin gut, dass es inzwischen als Problem gesehen wird, und zwar als Problem der Gesellschaft und nicht als ein Problem der Frauen – werden im Rahmen einer männlichen symbolischen Ordnung gesucht. Das heißt, man versucht, diese Bereich in der Logik des Altbekannten zu assimilieren – es geht also bei dem Thema nicht nur um die Assimilierung der Frauen in eine Männerwelt, sondern auch um eine Assimilierung der bislang in den weiblichen Tätigkeits- und Verantwortungsbereich fallenden Themen an eine männliche Logik.

Diese männliche Logik (männlich meine ich nicht negativ im Sinne: Die Bösen Männer, sondern in dem Sinn, dass diese Bereiche ursprünglich »erfunden« wurden nur für Männer) heißt: 1. Staatliche Institutionen (Kinderkrippen) 2. Marktwirtschaft (Pflegedienste, Betreuungsplätze) bzw. Import billiger Arbeitskräfte zu ausbeuterischen Bedingungen und 3. Gleichheit (Männer sollen mitmachen).

Ich glaube aber, das funktioniert nicht. Bei der Care- und Fürsorgearbeit handelt es sich nicht um Produktion oder Dienstleistungen, die auf dem Markt verhandelbar sind. Und zwar vor allem deshalb nicht, weil wir es hier eben nicht mit »Gleichen« zu tun haben, die miteinander auf Augenhöhe verhandeln und Verträge abschließen können (und das ist der homo maskulinus oeconomicus, von dem diese männliche Ordnung ausgeht), sondern vor allem um »Ungleiche«: Kinder, Kranke, Alte.

Die Philosophin Luisa Muraro hat einmal den Satz gesagt: Die zukünftigen Probleme unserer Gesellschaft werden nicht die lösen, die die schönsten Gleichheitstheorien haben, sondern die, die Wege finden, wie man mit der Ungleichheit umgeht. Die Ungleichheit ist eine Tatsache, die Gleichheit nur eine Idee.

Wenn wir es mit Ungleichheit zu tun haben, brauchen wir ganz andere Verfahrensweisen und Regularien, als im Bereich der Gleichheit, die dem Markt und der Politik notwendigerweise zugrunde liegt. Die Qualität der früheren Hausarbeit ist noch gar nicht evaluiert. Beziehungen, Gegenseitigkeit. Man kann die Menschen nicht einfach austauschen, etwa unmotivierte 1-Euro-Jobber einsetzen. Es geht um die Balance zwischen Hingabe und Selbstausbeutung. Es geht um die Gestaltung des Unmittelbaren, Privaten, Körperlichen.

Essen und Trinken: Ein großes Problem in Krankenhäusern und Altenheimen ist, dass die Leute nicht essen und trinken. Es genügt nicht, den Teller hinzustellen, jede Hausfrau weiß das. Problem der dicken Deutschen: Kein Mensch diskutierte über den Verlust hausfraulicher Tugenden. Das Problem lässt sich nicht staatlich regeln. Wir müssen Wege finden, dem essen und trinken wieder die Aufmerksam, Mühe und Bedeutung zu geben, wie ehedem die Hausfrau – nur auf einer neuen Weise.

Es gibt noch das weibliche Wissen um die Notwendigkeit dieser Dinge. Sie drücken sich aus in den entsprechenden individuellen Entscheidungen von Frauen im Bezug auf Berufstätigkeit und so weiter. Aber sie werden nicht als gesellschaftliche Ressource, die mit Autorität vorgetragen wird, wahrgenommen.

Noch ein Beispiel: Diskussion über das Grundeinkommen, lauter Männer auf dem Podium, und ein Referent suchte nach Beispielen für seine These, dass Menschen nicht nur arbeiten, weil sie dafür Geld bekommen. Nach langem Nachdenken nahm er sich selbst als Beispiel: Als C-4-Professor würde er ja viel mehr arbeiten, als sein Gehalt abdeckt, zum Beispiel abends noch freiwillig wissenschaftliche Bücher lesen. Was ist das für eine Kultur, in der diesem Mann nicht sofort die Millionen von Hausfrauen einfallen, die schon immer arbeiten, ohne dafür Geld zu bekommen?

Ich bin also dafür, dass wir – mit wir meine ich jetzt: wir Feministinnen – aufhören, über die Benachteiligung von Frauen zu reden und nach weiteren Möglichkeiten ihrer Assimilation nachzudenken, sondern dass wir schauen, wo die weibliche Freiheit Lösungen und Wege für die Probleme dieser Gesellschaft hat. Welche Antworten und Hilfestellungen wir für die jungen Frauen wissen, die sich ihren Weg zwischen Assimilation und Eigenständigkeit suchen müssen.

Dazu müssen wir die weibliche Differenz sichtbar machen. Also nicht mehr dauernd geschlechtsneutralisierende Sprache benutzen und über Eltern reden, wenn faktisch 95 Prozent Mütter gemeint sind oder über Pflegekräfte, wenn von 90 Prozent Krankenschwestern die Rede ist. Benennen, wo Frauen mehrheitlich etwas anderes tun als Männer und das nicht sofort als Defizit oder Konditionierung interpretieren. Protestieren, wenn die Gleichstellung der Frauen als Argument für einen unsozialen Umbau der Gesellschaft angeführt wird.

Und, was ganz wichtig ist, das Ganze müssen wir machen, ohne in die Frauen in einem großen »Wir« zu vereinheitlichen. Dieser Trend, die Frauen wieder auf ihre Biologie zu reduzieren, sind ja sehr stark. Die Hirnströme, die Gene, die Evolution – all das hat ja wieder großen Aufwind, um die beobachtbaren Unterschiede der Geschlechter zu erklären. Die große Faszination, die solche Erklärungen auch für viele Frauen wieder haben, kommt m.E. auch aus diesem Unbehagen der Frauen an ihrer Assimilation in eine männliche symbolische Ordnung. Aber es ist ein Irrweg. Nicht ihre Biologie macht die Frauen anders. Sondern ihre Kultur. Wir sollten uns nicht auf die weiblichen Gene verlassen, in der Hoffnung, sie würden andere Werte wie Fürsorge usw. in unserer Kultur erhalten. Wir wissen längst, dass Frauen alles das können, was Männer auch können, Frauen können eklige Chefinnen sein, kühl kalkulierende Unternehmerinnen und folternde Soldatinnen. Wir befinden uns nicht im Bereich der Biologie, sondern im Bereich der politischen Verhandlungen.

Worauf es ankommt ist, nicht mehr Frauenpolitik zu machen, sondern der Politik der Frauen mehr Beachtung schenken. Politik heißt, das wissen wir spätestens seit Hannah Arendt, Pluralität. Es geht also um die Pluralität der Frauen, um ihre Unterschiedlichkeit, die nicht dasselbe ist wie Diversity.

Die Differenz der Frauen zu einem politischen Faktor zu machen, das heißt zum Beispiel konkret: Keine Talkshows mehr ohne Frauen, aber auch keine Talkshows mehr mit nur einer Frau, die dann ihr Geschlecht quasi »repräsentieren« soll, sondern immer mit mehreren, verschiedenen Frauen, weil die Differenzen unter Frauen wichtig und bedeutsam sind – als politischer Faktor.

Vortrag und Diskussion der Heinrich-Böll-Stiftung in Villingen, 15.5.2007.