Antje Schrupp im Netz

Chancen des demografischen Wandels – auch in der Kirche?

  1. Der demografische Wandel bedeutet eine tief greifende Veränderung für die deutsche Gesellschaft. Die Ursachen für diesen Wandel sind positiv: Weniger Veränderung im Geburtenverhalten als verlängerte Lebenserwartung.

  2. Man muss sich auf diese Veränderungen einstellen, zum Beispiel die Sozialgesetze. Ob es eine Veränderung zum Positiven oder zum Negativen geben wird, lässt sich nicht vorhersagen, es hängt von unserem politischen Handeln ab. Generell gilt die Faustregel: Wenn man die Entwicklung ignoriert, werden die Folgen negativ sein. Um die Chancen zu nutzen, ist es notwendig, sich den Herausforderungen realistisch zu stellen und aktiv zu werden.

  3. Der Wandel verläuft je nach Region unterschiedlich, und das erfordert auch unterschiedliche Maßnahmen. Generell gilt: Förderung von Kindern und jungen Familien und Wertschätzung und Unterstützung von älteren und alten Menschen sind keine Gegensätze, sondern hängen wechselseitig voneinander ab. Eine Welt, in der Alte gut leben, ist eine Welt, in der alle gut leben. Außerdem ist »Altern lernen« eine Aufgabe, die schon mit der Geburt beginnt: Nicht nur der Abschnitt »Alter« ändert sich, sondern der gesamte Lebensverlauf.

  4. Die positiven Chancen, die im demografischen Wandel liegen, gelten für die Kirche als Institution nur eingeschränkt. Die Kirche wird hinsichtlich ihrer Mitgliederschaft stärker schrumpfen als die Bevölkerung insgesamt. Dieser Trend ist unabwendbar, da der demografische Faktor bei der Mitgliederentwicklung längst den Austrittsfaktor überholt hat. (Dies ist regional unterschiedlich). Auch eine missionarisch erfolgreichere Kirche wird an der Entwicklung nichts ändern.

  5. Ältere Kirchenmitglieder engagieren sich stärker als junge, aber oft ohne Bewusstsein für ihr Alter. (Sie halten sich für jung). Dies sollte thematisiert und reflektiert werden, ohne die Leistung der Alten zu schmälern. Die »Impulse der Jugend« kommen heute nicht mehr automatisch. Beispiel: Altersdurchschnitt der Synoden und Entscheidungsgremien (der deutlich über dem Altersdurchschnitt der Mitglieder liegt).

  6. Nicht alle »Alten« engagieren sich in der Kirche. Es stimmt nicht mehr, dass Menschen mit dem Alter quasi »automatisch« religiös werden. Die Alten von heute sind anders als die Alten von gestern, und die Alten von morgen werden anders sein als die Alten von heute. Es ist notwendig, Stereotype im Bezug auf das Altsein zu überwinden. Beispiel: Treffen bald Alt-68er-Kirchenmitglieder auf junge, frömmlerische Pfarrerinnen und Pfarrer?

  7. Innerkirchlich sollte man vor allem aufhören, das Thema »Alte« als eines des Angebots zu sehen, die »Alten« als Zielgruppe. Der entscheidende Punkt ist, dass die Kirche selbst altert. Was hat das für Konsequenzen? Derzeit ist die Kirche leider in der Diskussion ziemlich »hintendran«.

  8. Die Demografie der Kirche und die Demografie der übrigen Bevölkerung driftet auseinander, vor allem in städtischen Bereichen. Was bedeutet es für das Selbstverständnis, wenn die Kirchenmitglieder nicht mehr die Bevölkerung repräsentieren? In welchem Verhältnis stehen Angebote für Mitglieder (Gottesdienste) und Angebote für alle (Diakonie)? Dies wird selten reflektiert, doch das wäre notwendig.

  9. Eine große Herausforderung ist die starke Veralterung der kirchlichen Mitarbeiterschaft durch die Personalpolitik der letzten Jahrzehnte. Beispiel: Neue Kommunikationsformen. Was kann mit diesem Personal realistischerweise verwirklicht werden? Vorgeschlagene Maßnahmen: Altersbewusste Einstellungspolitik, aktive Fortbildungsmaßnahmen, Motivation der 40-50-Jährigen, Reflektion der Situation, realistische Angebotsplanung.

  10. Neuausrichtung der Finanzen: Die Kirchensteuereinnahmen werden ab etwa 2030 recht drastisch sinken (dann gehen die »Babyboomer« in den Ruhestand). Alternative Finanzierungsmodelle schon jetzt erproben: Stiftungen, professionelles Fundraising, Eintrittsgelder, öffentliche Zuschüsse, Erbschaften. Notwendig: Reflektion über kirchliche Entscheidungsstrukturen, wenn »Diakonie« und »verfasste Kirche« tendenziell auseinander driften. Was bedeutet »evangelisches Profil«? Betriebswirtschaftliche Kenntnisse bei Einrichtungsleitungen sollten Voraussetzung sein.

  11. Begleitung des »Alterns« als Aufgabe für kirchliche Bildungsarbeit: Gesundheit, Wellness, Spiritualität als notwendiges Wissen, um das Altern zu »managen«. Die Trennung von Qualifikation und Bildung ist nicht haltbar. Aber: Keine speziellen Angebote für »die Alten«!

  12. Soziale Probleme als Herausforderung für Diakonie: Die derzeit Alten sind relativ wohlhabend, werden aber kirchlicherseits häufig subventioniert, was ein Fehler ist. Wichtige Aufgabenfelder: Berufsqualifikation für Jugendliche, Förderung von Tauschringen und Nachbarschaftshilfen, professionelle Begleitung im Nebeneinander von Haupt- und Ehrenamtlichen.

  13. Ausrichtung der Angebote auf die Zielgruppe der 30- bis 50-Jährigen, die letzte Generation, die noch »evangelisch sozialisiert« wurde, die aber bereits ohne große Kirchenbindung aufgewachsen ist. Es ist für die Zukunft der Kirche eine sehr wichtige Zielgruppe, die aber nur ungenügend angesprochen wird (zum Beispiel wegen fehlender Social-Media-Aktivitäten). Kindergarten allein kann das nicht mehr gewährleisten.

  14. Thematisierung der Bedürftigkeit der Menschen. Kritik am autonomen, leistungsfähigen »Selbstversorger«, der nicht mehr die Norm sein kann. Alle Menschen können etwas, kein Mensch kann sich alleine versorgen. Wir alle sind »go-gos, slow-gos und no-gos« – gleichzeitig. Das gelingende Leben ist nicht verfügbar. All das sind Themen, wo Kirchen sich mit eigener Perspektive in den gesellschaftlichen Diskurs einmischen können.

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Handout zum Pfarrkonvent in Unna, 10.11.2010